Dieser Artikel ist persönlicher, als wir normalerweise schreiben. Wir haben keine „therapeutischen“ Werkzeuge gefunden für Messies. Alles was wir haben, ist unsere eigene Erfahrung. Das hier ist unsere Geschichte.
Ich bin in einem Messie-Haushalt aufgewachsen. Viele Jahre lang sah es aus, als würde ich auch ein Messie werden. Als ich begann zu heilen, änderte sich das. Ich habe das Ruder herum gerissen. Jetzt neige ich stark zu einem minimalistischen Lebensstil. Messie-tum ist häufig unter Menschen mit Angststörungen, Trauma und starker Dissoziation. Hier sind die Lektionen, die ich gelernt habe. Vielleicht helfen sie dir auch.
Grenzen
In meiner Familie gab es keine persönlichen Grenzen. Jeder war verantwortlich für alle anderen, außer sich selbst. Wenn ich es erlaubt habe, dass andere mein Leben kontrollieren, durfte ich dafür ihres kontrollieren. Da war kein Platz um meine eigene Persönlichkeit und Identität zu entwickeln, wir waren alle eins. Bis ich von dieser Sache erfahren habe, die sich „Grenzen“ nennt. Ich habe Jahre gebraucht um zu lernen was „ich“ bin und was ich nicht bin. Was ich mag und was ich nicht mag. Was zu mir gehört und was nicht Teil von mir ist. Was rein kommen kann und was draußen bleiben sollte. Das war mein erster und wichtigster Schritt zu einem sauberen Zuhause: zu lernen was nicht drinnen sein sollte, weil es nicht zu mir gehört. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Müll als solchen erkannt. Und ich habe verstanden, dass es einen Ort „außerhalb“ meiner Grenzen gibt, meiner physischen Wände. Ohne das Konzept von Grenzen wusste ich nicht, dass ich „nein“ sagen kann um Dinge da draußen zu halten. Ich dachte das wäre normal, dass alles meinen persönlichen Bereich flutet und ich nichts dagegen tun kann.
Armut
Ich bin in Armut aufgewachsen. Es gab eine Zeit, in der ich eine einzige Jeans besaß auf der ganzen Welt. Ich saß in Unterwäsche vor der Waschmaschine und habe gewartet. Und ich wusste, wenn ich stolpere und sie reißt hätte ich nichts mehr zum anziehen. Sie konnte nicht ersetzt werden. Ich habe gelernt Dinge aufzuheben, für alle Fälle. Nur für den Fall, dass etwas passiert. Unterwäsche mit Löchern war besser als keine. Vielleicht kann ich das später für irgendwas benutzen. Zerbrochen, beschädigt, zerrissen, überholt – ich hab es aufgehoben, für alle Fälle.
Und ich habe nie etwas davon benutzt. Irgendwann, als ich älter war, konnte ich einen Schritt zurück treten und mir das anschauen. Mit Distanz und vielen rationalen Entscheidungen konnte ich den Müll loslassen, der mir immer ein Gefühl von Sicherheit gegeben hat, nur für alle Fälle.
Vernachlässigung
Die meiste Zeit meines Lebens wusste ich nicht, was „genug“ eigentlich ist. Da war nie genug. Ich habe gelernt alles festzuhalten. Es hat mir geholfen mich zu beruhigen, wenn da Mangel war an anderen Dingen. Zumindest war ich umgeben von Zeug. Es hat mich getröstet, dass ich zumindest etwas hatte, selbst wenn das wertlos war. Später, als ich selbst Geld verdient habe, konnte ich nicht aufhören Dinge mit nach Hause zu bringen. Ich hatte 20 Paar Jeans in 4 verschiedenen Größen, weil ich die dringende Not verspürte noch mehr Jeans zu besitzen. Und noch eine mitzunehmen, war ein Angebot. Obwohl ich viel mehr als genug hatte, spürte ich einen Mangel. Erst vor Kurzem habe ich gelernt, was „genug“ wirklich ist. Ich habe ausgemistet, sehr ernsthaft, und alles rausgeschmissen, was ich nicht regelmäßig verwende. Ich bin alles losgeworden, von dem ich vergessen hatte, dass ich es habe. Das waren mehr als 60% von dem, was ich besaß. Ohne es zu merken hatte ich so viel mehr als genug. Ich habe es erst „gespürt“ als der Überfluss weg war. Mein Verlangen mehr herbei zu schaffen ist abgeebbt. Heute habe ich absolut keinen Mangel. Tatsächlich merke ich nicht, dass etwas fehlt.
Verlustangst
Ich weiß nicht, wie man mit Verlusten umgeht. Ich finde gerade erst heraus was Trauer bedeutet. Mich von einem Gegenstand zu verabschieden war lange Zeit undenkbar für mich. Ich habe 2 verschiedene Methoden zum ausmisten verwendet. Eines ist die Frage „ Bereichert das mein Leben in irgendeiner Form?“ Das hilft Müll zu erkennen, Lasten und „leeren“ Besitz, der keinen Zweck erfüllt. Den größten Erfolg hatte ich mit Marie Kondos System (Konmari-Methode) mit der grundlegenden Frage „Macht mich das glücklich?“ Ich war in der Lage mich von vielen emotionalen Dingen zu lösen. Die Wahrheit, mit der ich konfrontiert war, ist die: diese Dinge erinnern mich an Menschen, die mich verletzt haben, schwierige Zeiten und an Schmerz. Sie werden mich niemals, absolut niemals, glücklich machen. Sie machen mich nur traurig. Und ich kann es nicht gebrauchen noch mehr Depression in meinem Leben zu haben. Ich besitze keine Kinderbilder mehr. Es war nicht schwer die gehen zu lassen, als ich bemerkt habe, wie negativ ich dem gegenüber stehe. Es war kein Verlust. Es war eine Erleichterung sie gehen zu lassen. Ja, es gibt keinen Weg sie zurück zu holen. Gut! Ich erinnere mich an mehr als genug mit jedem Flashback.
Erinnerungen
Ich brauche Gegenstände als Erinnerungsstützen, wenn ich nicht bereit bin, alles in das schwarze Loch fallen zu lassen, was mein Gedächtnis ist. Wie viel brauche ich, um mich an eine bestimmte Sache zu erinnern? Eins ist genug. Selbst ein Bild von dem Ding kann genug sein. Ich habe meine Lieblings-Erinnerungsstücke gewählt, die die am besten erinnern, und alles andere gehen lassen.
Sachen retten
Hast du schon mal was am Straßenrand stehen sehen und du musstest es aufheben und mitnehmen, weil du dir sicher warst, es verdient nicht weggeworfen zu werden oder da draußen im Regen zu stehen? So war ich früher. Ich habe Dinge gerettet vor einer schlimmen Zukunft und ihnen ein neues Zuhause gegeben. Mir war nicht klar, dass ich es war, die sich verloren gefühlt hat und dass ich es war, die gerettet werden wollte vor ihrem Leben. Ich habe Dinge „gerettet“ bis ich mich selbst gefunden gefühlt habe, gesehen, gerettet und nach Hause gebracht. Eine Kirchengemeinde und eine romantische Beziehung haben mir dabei geholfen.
Emotionale Bindungen
Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass ich mit dem richtigen Messie sein in meiner Jugend begonnen habe, als ich in der Schule schwer gemobbt wurde. Ich hatte keinen einzigen Freund auf der Welt und mein Zuhause bot keine sicheren Beziehungen. Ich habe mich mit „Freunden“ umgeben für etwas emotionale Wärme. Das ist eine gemütliche Angelegenheit in einer Höhle voller Kram zu hausen. Es hat mich warm gehalten. Es hat die emotionale Bindung zu Menschen ersetzt. Ich habe statt dessen Dinge geliebt. Als ich vertrauensvolle Freunde in der echten Welt gefunden habe, begann ich wieder emotionale Bindungen mit etwas Lebendigem einzugehen. Ich konnte Dinge loslassen, weil Menschen ihre Platz einnahmen als „Gegenüber“ für Verbindung. Ich frage mich manchmal, ob das der Grund ist, warum manche Haustiere horten, eine Mischung aus „retten“ und der Suche nach einem „Gegenüber“ für Verbindung.
Selbstwert
Die meiste Zeit meines Lebens habe ich mich für Abfall gehalten. Natürlich habe mich mich mit Abfall umgeben, wir waren Seelenverwandte! Ich wusste nicht was Selbstfürsorge ist, noch viel weniger wie man sich lieb hat. Ich war mir sicher, dass ich keinen schönen Ort zum Leben verdient habe. Eine solche Grundannahme reicht aus. Ich habe erschaffen, was ich glaubte zu verdienen. Mit Hilfe von Freunden konnte ich solche Grundannahmen konfrontieren. Ich fühle mich noch immer nicht wie eine Prinzessin, aber ich habe Wertschätzung für mich selbst gefunden und ich drücke das in meinem Zuhause aus.
Vererbung
Ich habe mich oft gefragt, ob Messie sein erblich ist, weil die meisten in meiner Familie betroffen sind. Die wissenschaftlichen Artikel, die ich dazu gelesen habe, waren sich da nicht sicher, aber es kommt oft in Familien vor. Ich habe für mich beschlossen den Kontakt abzubrechen und auch jede Form von Erbe zu unterbrechen. Manches war erlernt. Meine Mutter hebt so was wie „mein Leben in Gegenständen“ in ihrem Haus auf. Als ich ein Teenager war, war die Hälfte meines Kleiderschrankes voll mit Baby und Kleinkind Kleidung. Ich dachte, das sei normal, dass man einen Zeitstrahl hinterlässt und wenn ein Schrank voll ist, dann geht man über zum nächsten. Mir hat keiner beigebracht, dass Dinge das Haus verlassen können. Und dann habe ich (!) das Haus verlassen und bin ausgezogen. Ich habe ein Zuhause für mich gefunden. Und in diesem Zuhause jeweils ein Zuhause für meinen Besitz. Ich begann mein eigenes Leben zu erschaffen. Ich bin nicht meine Mutter. Ich bin nicht meine Geschwister. Ich brauche in meinem Zuhause keinen Zeitstrahl. Ich habe die Familienlinie überwunden.
Sammlungen
Ich habe gelesen, dass das bei Messies ein Problem sein kann. Ich kann dazu nichts sagen. Ich habe nie etwas gesammelt. Ich verstehe nicht, warum jemand das tun würde. Sorry.
Prioritäten
Platz ist begrenzt. Interessen sind es nicht. Mit einem dissoziativen System hat man gleich ein paar mehr, die Dinge wollen, Dinge brauchen, Dinge mögen… Wenn jeder versucht sein eigenes Universum zu erschaffen, endet das im Chaos. Zu viele Hobbys und Interessen überfordern nur. Wir haben mühsam gelernt, dass wir nicht alles haben können. Jetzt haben wir Prioritäten. Die Kinder brauchen ihre Malbücher, aber wie viele davon? Eins kommt dazu, eins muss gehen. Wenn sie nicht entscheiden können, welchen gehen muss, kommt auch kein Neues dazu. Wir erschaffen Kunst, aber es ist nicht nötig Öl- und Aquarellfarben zu haben, wenn wir schon mit Acryl malen. Wir müssen eines aussuchen. In unserem Bücherregal stehen nur Bücher, die wir sicher noch einmal lesen. Das bedeutet, wir haben sie schon gelesen, mindestens einmal, und wir öffnen sie jedes Jahr. Wir haben keinen Platz für geringere Bücher und geben solche weiter. Als Team beraten wir unseren Besitz und treffen Entscheidungen aufgrund unserer Prioritäten. Sonst würden wir in Zeug ersticken.
Amnesien
Wir haben früher vergessen, was wir haben, waren überrascht etwas zu besitzen oder davon Dinge an Orten zu finden, wo wir sie nie erwartet hätten. Wenn Innen schon Chaos ist, braucht es Außen Ordnung. Jeder einzelne Gegenstand, den wir besitzen, hat einen Platz wo er hingehört. Wir beraten das als Team. Wir finden zusammen Plätze für neue Gegenstände. Wir wissen jetzt was wir haben. Es hat Disziplin gebraucht um da hin zu kommen.
Konzentration
Damit hat unser Beruf uns geholfen. Man hat uns beigebracht, dass eine Aufgabe immer aus 3 Teilen besteht: Vorbereitung, die Arbeit an sich und alles wieder weg räumen. Den erste und letzten Schritt hatten wir immer weg gelassen. Das hat bedeutet, dass wir ein Projekt angefangen haben ohne alles Nötige dafür da zu haben. Also mussten wir unterbrechen, wurden abgelenkt… ihr wisst wie so was endet. Und wenn wir dann an etwas gearbeitet haben, haben wir uns verzettelt, es nicht beendet und garantiert niemals hinterher aufgeräumt. Hier sind Routinen zu unserem Freund und Helfer geworden. Wenn wir Routinen folgen, verlieren wir nicht den Faden und beenden unsere Projekte. Und wenn wir sie nicht fertig kriegen, packen wir trotzdem alles wieder weg. Nie wieder Chaos. Man kann nur ein kreatives Chaos erschaffen, wenn da genug Platz für vorhanden ist. Wenn man mit Chaos beginnt, bleibt die Kreativität fort. Dann ist es nur Wahnsinn.
Inneres Chaos
Das zeigt sich im Außen. Wenn wir im Krieg mit uns selbst sind, sieht unser Zuhause aus wie ein Schlachtfeld. Wenn wir uns auf nichts einigen können, sieht man das. Unser Zuhause war immer eine wilde Mischung von Stilrichtungen, ein bisschen klassisch, etwas romantisch, hier modern, da naturalistisch. Ein paar Überbleibsel davon kann man noch sehen. Da sind immer noch Möbel in 4 verschiedenen Schattierungen von „Holz“ im ganzen Haus verteilt. Aber alles, was wir neu kaufen, zeigt einen gemeinsamen Stil. Wir sind jetzt ein Team, und das sieht man.
Das sind meine Beobachtungen und meine Geschichte.
Heute besitze ich nur, was leicht in meine Wohnung passt. Ich habe viele leere Flächen, frei von Ablenkung. Bei zu viel visueller Stimulation finde ich keine Ruhe. Die neuen Dinge, die ich kaufe, sind kleiner. Ich besitze gerade genug. Ich prüfe jeden Gegenstand, bevor er ins Haus kommt um zu sehen, ob er das Leben bereichert. Ich verschenke viele Geschenke an Menschen, die sie wirklich brauchen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Weil ich nicht mehr den Druck verspüre ständig etwas zu kaufen, kann ich Geld sparen. Das gibt mir Sicherheit, falls wirklich mal etwas kaputt geht. Ich kann es jetzt ersetzen ohne Angst haben zu müssen und entsorge das alte (manchmal erst nach einer Weile und manchmal unter Tränen, aber es passiert). Ich erlebe keinen Mangel mehr. Und das wo ich über 60% weniger besitze als früher. Wenn ich gestresst bin, greife ich nicht zu, ich miste aus.
Ich glaube, dass wir um uns herum immer die Realität erschaffen, die wir in uns tragen.
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