Viele Überlebende sind genervt von der Hartnäckigkeit, mit der ihre Therapeutinnen versuchen ihnen Achtsamkeit beizubringen. Die Übungen scheinen merkwürdig und wir erkennen nicht, wie uns das bei unserer PTBS helfen sollte.
Wir verstehen es vielleicht nicht gleich, aber Achtsamkeit ist ein Schlüssel für die Emotionsregulation.
Wie wir hier erklärt haben, verändert Trauma die Art, wie wir Emotionen wahrnehmen und der Teufelskreis aus Vermeidung und getriggert werden macht sie intensiver. Wir erleben emotionales Hijacking, verlieren die Kontrolle über unsere Handlungen und tun wenig hilfreiche Dinge.
Um aus diesem Kreislauf auszusteigen, müssen wir die Vermeidung reduzieren und lernen unsere Gefühle wieder wahrzunehmen. Emotionen zu erleben statt sie zu dissoziieren verbessert unsere Lebensqualität. Aber weil die Gefühle nun so intensiv sind, müssen wir langsam machen und die Position des distanzierten Beobachters nutzen, um nicht überwältigt zu werden.
Unser Ziel ist Equanimität. Das ist ein Zustand innerer Balance, der nicht erschüttert wird durch Erfahrungen von Innen (wie Gefühle oder Schmerz) oder von Außen (wie Umstände). Diese Form von Gleichmut ist geprägt von Geduld und Gnädigkeit und Weichheit im Angesicht vom Unangenehmen und der Fähigkeit weiter zu blicken und das Kommen und Gehen im Rhythmus des Lebens zu erkennen.
Wie buddhistische Mönche können wir das lernen, indem wir Achtsamkeit üben. (Im Gegensatz zu buddhistischen Mönchen ermutige ich, gute Momente zu genießen und sich davon durchaus bewegen zu lassen)
Lasst uns die Eigenschaften von Achtsamkeit anschauen, die uns bei der Emotionsregulation helfen.
Beobachten
Statt an extremen Gefühlen teilzunehmen, halte alles an und tritt innerlich einen Schritt zurück, sodass du dein eigenes Erleben beobachten kannst. Beobachter zu sein stellt uns über die Situation, sodass sie uns nicht beherrschen kann. Ohne Distanzierung gibt es keine Selbstbeherrschung.
Beschreiben
Nimm dir einen Moment, um zu bemerken, was in deinem Körper und deinen Gedanken vor sich geht und beschreibe es, vielleicht indem du einen Satz beendet wie „Ich bemerke, dass….“ oder „Es ist interessant zu sehen, dass…“. Wenn du es der Neugier erlaubst dich zu führen, ist wenig Raum übrig für Angst.
Nicht beurteilen
Beschreibe ohne Bewertung. Es gibt kein gut oder schlecht. Sei ein neutraler Zeuge davon, was in dir passiert. Gefühle über Gefühle (wie Schuld oder Scham) basieren auf einem Urteil über unser inneres Erleben. Sie machen Emotionsregulation unmöglich. Deine T wird dir dabei helfen da raus zu kommen. Jede Form von Bewertung schürt das Gefühl weiter und hält es länger aufrecht als nötig.
Nicht interpretieren
Bleibe bei der reinen Beschreibung deines aktuellen Erlebens, ohne zu versuchen, das im Kontext einer längeren Geschichte zu sehen. Unser Gehirn stellt Sinn oft her, indem es Geschichten erfindet, aber die helfen uns nicht weiter. Wir müssen jetzt nicht an die Vergangenheit erinnert werden oder eine Erwartung für die Zukunft haben. Auch das schürt nur die Emotion und hat mit der Realität oft wenig zu tun.
Keine Handlung
Halte still und bleibe bei deinem Erleben. Hör nicht auf zu beschreiben, wie es sich verändert. Es bleibt nicht gleich und dauert nicht ewig. Es gibt keinen Zwang darauf zu regieren. Bleib einfach nur bei dir. Das ist zwar unangenehm aber völlig harmlos.
[Handle, wenn du merkst, dass du aus deinem Lernfenster fällst, weil du die Regeln oben noch nicht ausreichend beachten kannst. In dem Fall, reguliere zuerst deine Anspannung. Verwechsle dabei nicht Anspannungsregulation mit Emotionsregulation. Das sind unterschiedliche Prozesse. Die Emotion ist keine Gefahr.]
Unsere Emotionen sind die Reaktion auf ein Ereignis und ihr Erleben setzt sich zusammen aus
- Körpergefühl
- Handlungsimpuls
- Gedanken und
- Gefühl
um uns zu helfen eine Handlung zu finden, die unser Bedürfnis befriedigt.
Wenn wir Achtsamkeit in einer Situation verwenden, in der wir extreme Gefühle erleben, beobachten wir diese 4 Seiten der Emotion.
Körpergefühl
Ich halte es für das beste zuerst zu lernen unser Körpergefühl zu beobachten und auszuhalten. Das löst meistens die größte Angst und Vermeidung aus. Wenn wir lernen können bei unserem Körper zu bleiben, wenn wir die körperlichen Zeichen von Emotion erleben, müssen wir die Erfahrung nicht dissoziieren.
Das ist einer der Gründe, warum wir Body Scans üben, die oft so scheinen, als würden sie uns nichts bringen. Wir üben es, uns unseres Körpers bewusst zu sein, inklusive der unangenehmen Körperteile, und lernen dabei Equanimität für die Momente, wo starke Gefühle durch uns strömen. Das ist auch das Wirkungsprinzip von trauma-sensitivem Yoga. Diese Übungen bereiten uns auf die Emotionsregulation vor.
Handlungsimpulse
Mein nächster Schritt ist meine Handlungsimpulse zu beobachten und sehr bewusst gar nichts zu tun, als zu atmen. Impulse verändern sich mit der Zeit. Wenn wir starke Gefühle erleben, werden wir manchmal ‘dumm’ und tun Dinge, die in dem Moment sinnvoll erscheinen. Emotionsregulation braucht tatsächlich meist eine Handlung, aber meine ersten Impulse gehen oft in die entgegengesetzte Richtung einer echten Lösung.
Gedanken
Sobald ich mir sicher bin, dass ich nichts dummes tue, nehme ich mir die Zeit meine Gedanken von einer passiven Position aus zu beobachten. Unsere Gedanken und Gefühle sind eng miteinander verbunden und wir halten Gefühle oft unnötig lange aufrecht, indem wir immer wieder Gedanken hinzufügen. Wenn ich einfach erlaube, dass Gedanken auftauchen, ohne mich dabei bewusst auf das auslösende Ereignis oder eine Bewertung meines Erlebens zu konzentrieren, wird sich mein Denken beruhigen.
Gefühle
Gefühle halten nicht ewig an. Sie schießen hoch und flauen dann ab. Manchmal sind sie wie Wellen die kommen und gehen, manchmal folgt auf ein Gefühl ein anderes. Und dann lösen sie sich auf. Es ist möglich Gefühle zu reiten wie Wellen, wenn wir uns erlauben sie zu erleben. Uns unserer Erfahrung bewusst zu sein bedeutet, dass wir unsere Gefühle identifizieren können, eine Voraussetzung für weitere Regulation. Wenn wir unsere Gefühle vermeiden, machen wir uns selbst machtlos. Achtsamkeit bedeutet, uns in einen mentalen Zustand zu begeben, indem wir abwarten und die Emotion nicht zusätzlich schüren, sodass sie natürlich abflauen kann.
Wenn die Intensität und die Impulse nachgelassen haben, können wir auf das auslösende Ereignis reagieren und einen Realitäts-Check machen, für weitere Erleichterung oder um Handlungsoptionen zu erörtern. Die Emotion löst sich vielleicht auf oder wir gehen über zu weiteren Strategien, um sie zu regulieren.
Es braucht eine aktive Bemühung von Achtsamkeit, um einen Fuß in die Tür zu kriegen, die Zügel in die Hand zu nehmen, sodass wir unsere anderen Werkzeuge richtig anwenden können und den Prozess der Regulation navigieren können. Die Desidentifikation mit dem extremen Gefühl ist ein entscheidender Schritt, den wir nicht überspringen können.
Wir machen jeden Tag eine der distanzierten Beobachter Übungen. Es braucht Übung und kleine Schritte, aber mit der Zeit verbessert sich unsere Stresstoleranz für Emotionen und ihre Intensität nimmt ab. Wir sind nicht dazu verdammt unser Leben lang extreme Emotionen auszuhalten.
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