Während der ersten Phase der Therapie (Stabilisierung), steht die Arbeit mit traumatischen Inhalten nicht im Mittelpunkt. Das hindert traumatische Erinnerungen aber nicht daran hoch zu kommen. Was tun wir also damit?
Die Antwort ist Containment. Wir haben euch schon mit dem klassischen Tresor und einer Variante für Fortgeschrittene, sowie einer Trigger-reduzierten Version bekannt gemacht. Jetzt möchten wir euch auf eine Option fürs System hinweisen.
Mit DIS sind die Chancen groß, dass ihr es nicht nur mit Erinnerungsfetzen und Bruchstücken zu tun habt, sondern diese auch noch über verschiedene Anteile im System verstreut sind. Jemand trägt vielleicht die Erinnerung an einen Geruch, jemand anderes erinnert Worte oder Gedanken, wieder andere tragen Schmerz oder Angst. Isoliert betrachtet ergeben diese Bruchstücke oft keinen Sinn und es wird in der Zukunft eine Aufgabe sein, sie wieder zusammen zu fügen, um ein vollständiges Bild davon zu kriegen, was euch passiert ist (Phase2).
Bis dahin hilft es, die Bruchstücke an einem Ort zu sammeln, wo sie respektvoll aufbewahrt werden können, einem Ort, zu dem ihr Zugriff habt, wenn ihr das wollt.
Es ist die Fähigkeit Erinnerungen mutwillig ablegen und aufrufen zu können, die Containment von Verdrängung und Dissoziation unterscheidet.
Manche Systeme haben schon so etwas wie ein Archiv in ihrer Inneren Welt. Das ist oft ein Raum mit Aktenschränken und vielleicht sogar Jemandem, der sich dort besonders gut auskennt. Wenn ihr das schon habt und es gut funktioniert, gibt es keinen Grund, etwas daran zu ändern. Ihr kennt euer Ablagesystem am besten.
Wenn ihr so einen Ort nicht habt, würde ich euch empfehlen, einen zu bauen. Ihr könnt euch aussuchen, wie der aussehen soll. Das könnte so ein Aktenraum sein oder eine Bibliothek, ein Lagerhaus, ein Schließfachraum wie in einer Bank oder was immer für euch Sinn ergibt.
Bei uns ist es ein Museum. Hier sind die Gründe dafür:
- Ehre: Wir möchten sowohl der Erinnerung als auch dem Anteil, der sie teilt, unseren Respekt erweisen und das Bild eines Museums zeugt von Wert. Unsere Erinnerungen sind kostbar. Jeder, der etwas teilt, trägt etwas wertvolles zu unserer Sammlung bei. Das fördert eine Kultur des Teilens statt zu verstecken oder abzulehnen.
- Antik: die Erinnerungen sind alt. Alte Dinge bewahrt man im Museum auf. Wir brauchen diese Gedächtnisstütze, um uns bewusst zu bleiben, dass das alles vor langer Zeit passiert ist. So bleiben wir in der Zeit orientiert, wenn wir mit traumatischen Erinnerungen umgehen.
- Puzzle: Wir behandeln unsere Bruchstücke von Erinnerungen wie Dinosaurierknochen. Wir wissen, wir haben nicht das komplette Skelett, aber wir können erraten, zu welcher Szene die Teile gehören. Dementsprechend legen wir sie in verschiedene Schaukästen, in etwa wo wir denken, dass sie hin gehören. Ein Knochen alleine zeigt uns noch kein vollständiges Bild, aber das entsteht vielleicht mit der Zeit.
- Hand und Fuß: Was wir erinnern und was wir zusammensetzen ist vielleicht nicht, was tatsächlich geschehen ist. Das bedeutet nicht, dass es „falsche“ Erinnerungen sind. Es gibt eine Anekdote aus der Geschichte der Paläontologie. E. Cope war in Eile, als er seine Ausführungen über den von ihm gefundenen Elasmosaurus schrieb und so platzierte er aus versehen den Kopf am falschen Ende der Wirbelsäule. Was er beschrieb hatte einen sehr langen Schwanz, statt eines sehr langen Halses. Manchmal setzen auch wir den Kopf vielleicht ans falsche Ende. Um so genau wie möglich zu sein, sammeln wir vorher am besten so viele Bruchstücke wie wir können.
- Wahrheit: Schon als wir Dinge in der Vergangenheit erlebt haben, waren sie durch unsere Wahrnehmung, Annahmen usw verändert. Wir erinnern die Wahrheit, die wir wahrgenommen haben. Und das Gehirn stopft die Löcher sinngemäß. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir uns, auch mit einem vollständigen Skelett, der grundlegenden Struktur von Begebenheiten, noch in der Farbe und Länge des Fells irren können.
- Keine Grabungen: Ein Museum ist keine archäologische Ausgrabungsstätte. Es gibt nur Bruchstücken ein zu Hause, die dort hin gebracht werden. Lasst sie in Ruhe und die Erinnerungen von alleine hochkommen, wenn es so weit ist. Archäologie ist keine empfohlene Methode für die Traumatherapie. Wir benutzen das Bild von Schaukästen, um uns davon abzuhalten, Sachen anfassen zu wollen (wir sind oft neugieriger, als das gesund für uns ist)
- Museumsbesuche: Ein Museum ist kein Ort, wo man wohnt. Wir gehen dort hin, bringen etwas oder schauen etwas an, und gehen dann wieder nach Hause zu unserem gemütlichen Sofa und unserem heutigen Leben. Zwischen alten Knochen leben bringt einen um. Es gibt in unserem Museum keine Stühle. Es ist kein Ort, wo man verweilt.
- Teilen: unser Museum ist ein „öffentlicher“ Ort in der Inneren Welt. Jeder kann dort hin gehen und sich Erinnerungen ansehen, die andere geteilt haben, und trotzdem eine gesunde Distanz bewahren (die Schaukästen wirken ähnlich wie die Bildschirmtechnik). Es ist besonders wertvoll Innenkinder zu begleiten, wenn sie etwas dort hin bringen. Das trägt zu Beziehungserleben und einem Gefühl von innerer Verbundenheit bei.
Wir erzählen euch davon, nicht weil wir denken, dass ihr auch ein Museum bräuchtet, sondern um mit euch zu teilen, wie wir an Erinnerungen dran gehen und was für Annahmen dabei hilfreich sind. Wie auch immer euer Archiv aussieht, diese Perspektive auf den Umgang mit Erinnerungen kann euch unterstützen.
Ein System-Archiv ist SystemArbeit. Die Elemente von Teilen, Verbindung und beziehungsbasierter Erfahrung bringen euch näher zusammen. Und wo wäre das wichtiger als beim Umgang mit traumatischen Erinnerungen?
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