Komplexe PTBS wird manchmal von chronischer Dissoziation begleitet. Das bedeutet in einem anhaltenden Zustand von Abgetrennt-sein zu leben was unseren Körper, unsere Gefühle, Bedürfnisse und Wahrnehmungen angeht und auch unsere Beziehungen zu anderen Menschen. Wir funktionieren noch im Alltag, aber bestimmte Bereiche unseres Bewusst-Seins sind offline. Deswegen wird das auch funktionaler Shutdown genannt. Dieser Zustand macht uns nicht nur verletzlich für (Körper) Flashbacks sondern auch für neue Übergriffe oder Notfälle in der Gegenwart. Wir übersehen unser ‘Bauchgefühl’ für gefährliche Situationen oder schädliche Beziehungen und erkennen vielleicht die Anzeichen von Krankheit nicht.
Dissoziation bedeutet, dass wir in einem gewissen Maß abgetrennt sind von der Realität und wir müssen richtig präsent sein für jede Art der Trauma Bearbeitung. Es wird außerdem auf einen Zusammenhang mit chronischen Schmerzsyndromen und Autoimmunerkrankungen sowie Gefühlen von chronischer Scham, Isolation und Einsamkeit hingewiesen. Es ist die Mühe wert, da raus zu kommen.
Bevor wir uns Übungen anschauen, um aus chronischer Dissoziation raus zu kommen, brauchen wir ein besseres Verständnis davon, was dabei passiert. Die meisten Menschen mit chronischer Dissoziation wurden mal von Ts gebeten Achtsamkeitsübungen mitzumachen, wie einen Body Scan, und das endete für sie in einer Krisensituation. Deswegen wollen sie nie wieder Achtsamkeit probieren. Sie waren völlig unvorbereitet auf das, was passieren kann und die Übungen waren von vorne herein zu intensiv. Der Prozess aus chronischer Dissoziation raus zu kommen ist nicht angenehm. Unser Nervensystem geht durch verschiedene Stufen, bevor wir an einem Ort ankommen, der sich gut und entspannt anfühlt. Es ist die Sache wert, aber es ist nicht einfach. Deswegen werden wir euch mögliche Reaktionen beschreiben, bevor ihr das probiert. Ihr müsst wissen, was euch erwartet.
Shutdown
Wenn wir uns die autonome Leiter anschauen, bedeutet chronische Dissoziation, dass wir in Shutdown (Moe) sind. Wenn wir uns unserer selbst bewusster werden, fangen wir vielleicht an zu spüren, wie sich das eigentlich anfühlt.
Shutdown kann sich in einem tiefen Gefühl von innerer Leere zeigen, die sich quälend anfühlt. Da kann Langeweile sein und das Intensive Verlangen, irgendwas anderes zu machen, sich von dem Gefühl abzulenken. Es kann schwierig sein, bei der Übung zu bleiben und sich zu konzentrieren, vielleicht ist da Interessenlosigkeit an der Aufgabe, das Gefühl, dass alles nichts bringt, Ungeduld und geringe Motivation. Das ist Ausdruck unseres physiologischen Zustandes. (Ihr kennt das vielleicht auch aus eurem Alltag.)
In manchen Fällen triggert das körperliche Gefühl von Shutdown Erinnerungen, weil wir zu TraumaZeit in Shutdown gewesen sind und uns erinnern, wie sich das angefühlt hat. Dann kann sich das mit alten Gefühlen wie Hoffnungslosigkeit vermischen, bis hin zu dem Gefühl zu sterben. Wenn wir in ein Flashback Erleben rein rutschen müssen wir die Übung abbrechen und uns erst orientieren, dann ablenken. Die angemessenen Übungen sind klein und kurz, um solche Reaktionen zu vermeiden, aber es bleibt eine Restmöglichkeit.
Hyperarousal
Manche Menschen überspringen bewusst-sein für ihren Shutdown Zustand (Moe); alleine eine Übung zu machen setzt die natürliche Regulation in Bewegung. Auf unserem Weg zu einem regulierten, sicheren und sozialen Zustand (Bob) kommen wir an sympathischer Aktivierung (Izzy) vorbei.
Das ist der Grund warum manche Menschen anfangen sich unruhig zu fühlen, da ist eine Aktivierung in den Beinen, das starke Bedürfnis sich zu bewegen oder aus dem Raum zu rennen. Das kann begleitet sein von verschieden starker Angst, von Unsicherheit bis zur Panik. Manche werden vielleicht wütend auf die dumme Übung. Der Atem kann schneller werden, manchmal gepresster, das Herz kann schneller schlagen, Energie durch den Körper schießen und da ist eine Anspannung und ein Halten der Muskelspannung im Körper.
In manchen Fällen kann auch diese körperliche Erfahrung triggern und wird vermischt mit Erinnerungen aus TraumaZeit, wo wir in einer Flight/Fight Reaktion waren. Dann müssen wir aufhören und zurück kehren zu Orientierung und Ablenkung.
Wenn die Übung zu groß oder zu lang ist und das zu einer Überforderung wird, werden wir zurück geschleudert in die Dissoziation und der Stress wird tiefer ins Nervensystem getrieben. Ich hoffe, ich kann euch überzeugen Titration ernst zu nehmen. Die beschützt uns hier vor Schaden.
Meiner Erfahrung nach verstehen Ts diese Dynamik selten, wenn sie kein Grundwissen in Körperarbeit haben. Lasst euch nicht in Achtsamkeitsübungen rein pushen, die zu groß für euch sind. Nur mehr anstrengen macht es nicht besser. Wenn irgendwelche uneinsichtigen Klinik Ts euch immer wieder in eine Flashback Erfahrung pushen, habt ihr meine ausdrückliche Erlaubnis, nur so zu tun, als wärt ihr achtsam. Wenn das eure langfristigen Ts sind, versucht bitte sie für polyvagale Konzepte und Titration zu interessieren, damit sie die Situation besser verstehen.
Sicher&Sozial
Wenn unser Körper sich weiter reguliert, können wir aus sympathischer Aktivierung (Izzy) raus kommen und uns beruhigen (Bob). Manche Leute berühren Hyperarousal nur kurz bevor sie hier her kommen. Unsere Körperfunktionen normalisieren sich und wir bekommen besseren Kontakt zu unserem Körper und der Welt um uns herum. Für manche Menschen ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich selbst spüren. Die Wahrnehmungen können ein Gefühl von Wärme umfassen, vielleicht ein angenehmes Kribbeln, leichte Schläfrigkeit, die sich entspannt anfühlt. (Manche kennen das, weil sie Drogen/Medikamente nehmen, wissen aber nicht wie man da natürlich hin kommt). Eben weil das so neu und fremd ist und wir zu TraumaZeit gelernt haben, dass das nicht sicher ist, kann es sein, dass wir wieder zurück in Hyperarousal fallen. Es brauch Zeit zu erleben, dass es jetzt sicher ist, damit es bleibt. Zu diesem Zeitpunkt ergibt es Sinn auch mit einer co-regulierenden Person zu üben.
Wenn der ventrale Vagus (Bob) aktiviert ist, kommt unser ganzer Körper wieder online. Wir spüren vielleicht unsere Verdauung oder unseren Atem, wo der Körper schmerzt oder sich unwohl fühlt oder körperliche Bedürfnisse wie Hunger, Durst oder dass wir zu leicht angezogen sind oder aufs Klo müssen.Vielleicht sind da auch Emotionen, die wir in dieser Art nicht kennen. Sie stecken nicht fest (wie alles was wir ‘chronisch’ nennen) sondern entwickeln sich dynamisch. Emotionsregulation wird überhaupt erst möglich. Es ist auch normal, dass Erinnerungen hoch kommen. Die sind nicht zwingend in Verbindung mit TraumaZeit wie Flashbacks. Die Gefahr von Flashbacks ist tatsächlich reduziert, wenn wir präsent und geerdet sind. Es ist mehr so, dass man sich an Termine erinnert oder Alltägliches. Unser Gehirn ist auch wieder online.
Es kann sehr intensiv sein, sowas zum ersten mal zu erleben! Es wird einfacher, wenn wir uns daran gewöhnt haben, aber am Anfang kann das ganz schön fordern und manche der Wahrnehmungen fühlen sich gar nicht so sicher an. Noch mal eine Gelegenheit in Hyperarousal zurück zu fallen.
Manchmal müssen wir andere fragen, ob das, was wir spüren, normal ist, weil wir es nicht wissen. Wenn da Schmerzen sind oder etwas sich zu fremdartig anfühlt, können wir unsere Ärztin bitten das zu überprüfen. Manchmal ist es gar kein Flashback, der Körper braucht wirklich Hilfe und wir hatten dafür bisher nur kein bewusst-sein.
Bei einer DIS dient chronische Dissoziation oft dazu unser Inneres Erleben zu vermeiden. Wenn wir besser präsent sind, wird uns auch bewusster, was Innen vor sich geht. Deswegen sollten wir nie versuchen chronische Dissoziation auszulösen, ohne dabei die Unterstützung spezialisierter Ts zu haben. Was hoch kommt gibt uns Zugang zu sehr ernsthaften Problemen. Wir brauchen diesen Zugang, um überhaupt an diesen Problemen arbeiten zu können, aber es ist auch extrem schwer da eine Balance zu halten.
Niemand erlebt das alles. Das sind nur Möglichkeiten um euch eine Idee zu geben, was einem da alles begegnen könnte.
Regulation steht nicht still. Wir bleiben nicht für immer in einem sicheren&sozialen Zustand, wir kommen aber immer wieder da hin zurück. Es ist zum Beispiel gesund eine Orientierungsreaktion zu haben. Das ist, wenn die Anspannung kurz steigt, weil da ein neues Geräusch oder eine neue Situation ist. Wenn wir aufhören immer alle Erfahrungen zu dissoziieren, denn werden wir sehr viel mehr Bewegung in unserem Nervensystem erleben. Es gibt gesundes Hyperarousal, wenn Situationen gefährlich sind. Wenn wir uns daran gewöhnen präsenter zu sein, lernen wir auch das Gefühl von natürlicher Regulation zu tolerieren. Ich verspreche euch, dass das Unbehagen auch wieder weg geht. Das kommt in Wellen, die irgendwann abflachen.
Diese innere Bewegung von Stress und Entspannung macht, dass wir uns lebendig fühlen. Die Kapazität damit umzugehen wächst, während wir an unserem Grounding arbeiten. Mit der Zeit wird es völlig natürlich. Ich weiß, wie viel Durchhaltevermögen es braucht, um chronische Dissoziation zu bewältigen und manche lassen es ganz bleiben, weil das Funktionieren im Alltag nicht zu sehr eingeschränkt ist. Früher oder später behindert es aber die Heilung von der Traumatisierung. Die Wiederherstellung von gesunder Regulation ist eine der Grundlagen, damit es uns besser geht und wir uns lebendig fühlen.
Cosmin says
Hey, danke dafür!
Nachdem ich verstanden hatte, dass chronische Dissoziation sehr viel mit den meisten meiner psychischen Problemen zu tun hat und ich kein:e Psycholog:in getroffen, die:der mir da richtig helfen konnte, hab ich angefangen, viel zu lesen. Dabei hab ich deinen Blog gefunden. Inzwischen weiß ich viel mehr über mich/uns und vielleicht bin ich (mit einer neuen Therapeutin) tatsächlich mal auf dem Weg aus der chronischen Dissoziation. Bin also sehr gespannt auf die folgenden Teile über dieses Thema! Und ich wollte einfach mal danke sagen, für deinen Blog. Ich hab so viel hier gelernt oder Anstöße gefunden, worüber ich weiter lesen könnte. Das ist ohne therapeutische Begleitung zwar nicht unbedingt empfehlenswert, aber es hat mir trotzdem enorm weitergeholfen.
Liebe Grüße 🙂
Marcel says
Ich leide unter, man kann sagen, chronischen Dissoziation oder Phasen, wo es sehr sehr lange anhält und ich nicht heraus komme. Ich kann es steuern. Durch Yogaübungen etc., aber manchmal helfen nur starke Beruhigungsmittel oder wirklich lange zu schlafen.
Aber eins möchte ich loswerden, was bislang kein Therapeut erwähnt hat und wenn wir einer erzählt hätte, was möglich ist, durch den Boxsport, ich hätte es nie geglaubt.
Zugegeben, mein Trainer weiß über alles bescheid und ich habe ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu ihm und er geht auf meine Probleme ein und nimmt es ernst. Das war die Grundvoraussetzung, um überhaupt mit ihm trainieren zu können, denn ich kann zum Beispiel nicht an den Gruppen teilnehmen.
Danke für eure Seite und das wollte ich einfach nur loswerden.
Liebe Grüße
Marcel 🙏👌