In der Natur ist Balance niemals im Stillstand. Sie wird erreicht, indem permanent neu justiert und angepasst wird an die sich verändernden Umstände. Das hört niemals auf, es gibt zu keiner Zeit eine perfekte Balance, die lange besteht. Balancieren ist in Wirklichkeit ein Verb, kein Substantiv.
Es ist ganz natürlich, dass unsere therapeutische Arbeit mit Höhen und Tiefen verbunden ist, sich immer verschiebt, und wir immer beschäftigt sind mit Ausbalancieren.
Die grundlegendste Balance, mit der wir hier umgehen müssen, ist zwischen Stabilität und Veränderung. Wir können uns das vorstellen wie entgegengesetzte Seiten einer Wippe.
Wenn wir viel Stabilität in unserem Leben haben, alles verhält sich innerhalb eines festen Musters, wenn unser Leben felsenfest und in Stein gemeißelt ist, dann wird keine Veränderung passieren.
Das Problem ist, dass wir diese Stabilität oft mit unseren Symptomen erleben, sie sind das Muster, was in Stein gemeißelt ist. Wir müssen an unserer Stabilität rütteln, um diese Muster zu verändern.
Wenn wir an Veränderung arbeiten, verlieren wir ganz natürlich etwas Stabilität, nicht nur in unseren problematischen Mustern, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens. Harte Therapiearbeit führt vielleicht zu einem kurzzeitigen Einbruch in Selbstfürsorge oder Funktionsfähigkeit. Es gibt auch ein ‘zu viel’ an gleichzeitiger Veränderung.
Wenn wir streng an Stabilität festhalten, wird sich nie etwas ändern, wir stecken fest. Wenn wir versuchen zu viel auf einmal zu ändern, verlieren wir vielleicht den Halt und enden in einer Krise. Bei jedem Extrem zahlen wir empfindlich drauf.
Deswegen sollten wir den Gedanken von Balance immer im Hinterkopf haben und uns selbst prüfen, um zu sehen, wo wir gerade stehen und in welche Richtung wir etwas anpassen sollten.
Manche Menschen neigen dazu, recht kontrolliert zu sein und Veränderung ist beängstigend. Es hilft vielleicht, sich daran zu erinnern, dass die aktuelle Stabilität uns nicht dient und wir ohne Bemühung um Veränderung mit unseren Symptomen feststecken.
Manche Menschen wollen gerne alles auf einmal ändern und dann müssen wir uns bewusst machen, dass am Ende dieser Seite der Wippe nur eine Krise auf uns wartet, und die hält uns erst mal beschäftigt und verhindert Weiterkommen.
Zwischen den Therapiesitzungen ist Balancieren unser Job. Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, arbeiten wir oft an Veränderung. Manchmal hat auch die Sitzung selbst schon so viel hoch gebracht, dass wir uns bewusst bemühen müssen, Richtung Stabilität und Selbstfürsorge zu balancieren.
Mit einer DIS merken wir vielleicht, dass wenn ein Anteil sich verändert, das ganze System spürt, wie sich etwas verschiebt und jeder Innen betroffen ist. Dann ist es um so notwendiger, dem Stabilität im Außen entgegen zu setzen wie Routinen und beruhigende Aktivitäten.
Es ist wichtig, Balance im Blick zu behalten und bewusst Handlungen zu wählen, statt nur passiv Dysregulation zu erleben oder stecken zu bleiben. Unsere Zeit zwischen den Therapiesitzungen wird deutlich produktiver und stabiler, wenn wir, wo nötig, bewusst eingreifen und nicht darauf warten, dass das jemand anderes für uns tut.
Ein guter Therapeut behält Balance immer im Blick und hilft uns, uns in die eine oder andere Richtung zu regulieren. Er verwendet Pacing, sodass unsere Arbeit schnell genug ist, um uns zu fordern, aber nicht so schnell, dass es überfordert. Manchmal übersehen selbst gute Ts, dass wir zu sehr zur einen oder anderen Seite neigen und dann hilft es, das zu sagen, statt nur zu gehorchen. In der Therapie geht es nicht darum, blind jemandem zu folgen, wohin auch immer der uns führt. Wir müssen unseren Teil beitragen, mit darauf achten, wo wir gerade stehen und das kommunizieren.
Die Stabilität in unserem Alltag bestimmt, was wir in der Therapie bearbeiten können. Wir müssen zuerst ein solides Leben aufbauen ohne ständige Krisen, bevor wir anfangen können alles aufzurütteln, indem wir uns dem Trauma nähern.
Trauma Bearbeitung bedeutet sich wie ein Pendel zwischen Stabilisieren und Prozessieren zu bewegen. Deswegen ist Phase 2 niemals ausschließlich Arbeit mit Erinnerungen, eine Woche nach der anderen, man schwingt immer hin und her zwischen Stabilisierung, Prozessieren und Integration/Trauerarbeit (neue Stabilität). Wenn wir mit einer guten Trauma Therapeutin arbeiten, wird sie darauf achten, dass wir nicht zu viel Stabilität über Expositionen verlieren.
Manchmal begegnen mir Systeme, die lange an Veränderung gearbeitet haben und dann eine Therapiepause hatten und in der Zeit eine Stabilität mit dem System gefunden haben, die jetzt felsenfest sitzt, man hat sich arrangiert, und jeder Versuch da noch etwas zu verändern, würde unweigerlich in eine Krise führen. Rein theoretisch würde man da mit dem Gedanken von Titration ran gehen, Dinge in den kleinstmöglichen Schritten ändern. Der radikale Gedanke dann in eine Klinik zu gehen und mutwillig eine Krise auszulösen, scheint mir nicht erstrebenswert. In Wahrheit weiß ich aber nicht, wie man das gelöst bekommt. Ich möchte nur, dass ihr wisst, dass ihr damit bei weitem nicht alleine seid, das scheint oft so zu laufen.
Umso kritischer sehe ich von der Krankenkasse erzwungene, jahrelange Therapiepausen. Die dienen hier nur der Symptom Verfestigung und erschweren spätere therapeutische Arbeit.
Das Konzept vom dialektischen Pendeln, ständigem Balancieren in einer hin und her Bewegung, ist zentral für vieles, was wir in der Trauma Arbeit oder SystemArbeit tun. Wenn wir das Gefühl von Balancieren verinnerlichen können als eine Art zu Sein, wird uns das in vielen Lebensbereichen helfen.
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