Blending ist eine Handlung, bei der die dissoziativen Barrieren für eine begrenzte Zeit aufgelöst werden, sodass sich das Erleben eines Anteils mit dem Erleben eines anderen vermischt. Sie empfinden eine vorübergehende Einheit in ihrem Selbst-Gefühl und können sich dann wieder mutwillig auseinander bewegen, so wie sie es möchten.
Während der ersten Phase unserer Therapie vermeiden wir Blending wie die Pest, weil das nur zu Verwirrung, Überforderung und einem Gefühl von Kontrollverlust führt. Wir sind noch nicht bereit, das Erleben zu integrieren, wir fühlen uns nur, als würden wir verrückt werden. Wenn wir aus Versehen mal überlappen, benutzen wir ein Werkzeug für ‘Unblending’, um unsere dissoziativen Barrieren zu unterstützen.
Das ändert sich, wenn wir weiter heilen. Wenn erst mal die meisten Trauma Erinnerungen integriert sind, gibt es wenig Gründe, noch voneinander getrennt zu bleiben. In unseren Bemühungen darum, uns in Phase 3 unserer Behandlung ein neues Leben aufzubauen, können wir manchmal merken, dass Anteile ganz natürlich anfangen, fließender ineinander überzugehen und ihr Erleben miteinander zu integrieren. Es wird schwieriger zu sagen, wer genau Vorne ist und wer co-bewusst, aber nicht auf eine unangenehme Art und Weise. Die Psyche hat die Tendenz, zu heilen und sich zusammenzufinden und vielleicht verlieren wir mit der Zeit das Gefühl von innerer Trennung. Unser Bewusstsein integriert sich zu einem gemeinsamen. Fusion wird oft missverstanden als eine künstliche Handlung, bei der Anteile miteinander verschmolzen werden. Moderne DIS Therapie versteht es als einen Wegfall der dissoziativen Barrieren zwischen Anteilen, der zu einem integrierten Gefühl von einem Selbst führt. Nichts geht verloren.
Bevor wir Blending probieren
Wir müssen verstehen, dass Blending in den meisten Fällen ein End-Game Werkzeug ist. Ich rate mal wild und schätze, dass 90% der Leute, die hier mitlesen, das nicht innerhalb der nächsten paar Jahre brauchen werden. Es soll uns ein volleres Erleben von Lebendigkeit geben und unsere Kooperation so weit verbessern, dass wir als Einheit handeln und nicht nur zusammenarbeiten. Wenn ihr gerade anfangt, Stardew Valley zu spielen, habt ihr noch keinen Zugang zur Vulkanschmiede. Versucht nicht, Schritte zu überspringen. Der Vulkan spuckt euch in schlechtem Zustand wieder aus, wenn ihr da ohne Stardrop Booster für eure Kapazität rein geht. Blending macht erst dann Sinn, wenn wir die Kapazität haben, das Erleben des anderen Anteils zu integrieren. Und das bedeutet, dass wir das Trauma erst mal aus dem Weg räumen müssen. Niemand vermischt sich schnell mal mit Trauma Erfahrungen und denkt, das geht bestimmt gut. Schwierige Gefühle können ok sein, aber der Anteil, mit dem wir überblenden, sollte grundsätzlich in einem guten Zustand sein, in der heutigen Realität geerdet und stabil genug, um mit dem Erleben von anderen zurechtzukommen.
Bis es so weit ist, dass wir über Blending nachdenken können, haben wir schon einige Erfahrung mit Teilen. Kleinere Einheiten von Erleben miteinander zu teilen, bereitet uns ein klein wenig aufs Blending vor. Wir lernen, besser abzuschätzen, ob wir mit geringeren Mengen von Teilen zurecht kommen, bevor wir all unser Erleben gleichzeitig teilen. Wir können das schrittweise aufbauen, indem wir mehr und mehr Kategorien von Erleben beim Teilen mit dazu nehmen und so Überraschungen vermeiden.
Wollen wir das mit jüngeren Anteilen machen, sollten wir sie darauf vorbereiten, dass der Körper ein erwachsener Körper ist und sie ein klareres Bewusstsein dafür bekommen werden, wie sich das anfühlt. Insbesondere jetzt Brüste zu haben, kann eine seltsame neue Erfahrung sein und auf den felt sense kann man niemanden so ganz vorbereiten, aber wir können darüber reden, was sie erwarten können. Auch andere Veränderungen am Körper sollten angesprochen werden. Co-Bewusstsein alleine reicht als Vorbereitung nicht aus und wenn Anteile Vorne sind, bleiben sie meist in einem Trance-ähnlichen, teilweise depersonalisierten Bewusstsein des Körpers, bei dem sie Details ausblenden, die nicht zu ihrem Selbstbild passen. Das lässt sich beim Blending nicht mehr ignorieren.
Mögliche Werkzeuge fürs Blending
Imagination und Hypnose
Der traditionelle Weg zum Überblenden von Anteilen ist, sich vorzustellen, dass sich die Anteile gegenüber stehen. Dann können sie sich langsam näher kommen, bis sie einen Schritt ineinander hinein tun. Ihre Umgrenzung ist nicht mehr fest, es ist mehr wie Geister, die an den gleichen Ort gleiten, wo sie beide existieren und sich mischen. Ich glaube, dass auch solche bildlichen Vorstellungen zu dem Missverständnis geführt haben, dass dabei irgendwie Anteile ‘eliminiert’ werden. Man kann keine neuronalen Netzwerke eliminieren, die solche Anteile repräsentieren. Man verbindet sie höchstens zu einem viel größeren neuronalen Netzwerk. Das hat dann eine andere Form und stellt neue Erfahrungen her, die weder das eine noch das andere sind, sondern komplexer und aufgebaut auf dem einen und dem anderen. Deswegen halte ich es für hilfreich, sich den so zusammengeführten Anteil als größer vorzustellen als die einzelnen Anteile, die da zusammen kommen. Auf die gleiche Art, wie Anteile ineinander gelaufen sind, können sie auch wieder Schritte zurück machen und auseinander gehen. Wir versuchen uns hier nicht an einer Fusion. Das ist nur ein Experiment, das wir jederzeit mutwillig beenden können. Anteile bewegen sich rückwärts, voneinander weg und trennen sich wieder.
Hände
Wir können auch ein symbolisches Körpergefühl mit den Händen herstellen, um uns beim Blending zu helfen. Wie ihr das schon von anderen Hände-Übungen kennt, sucht sich jeder Anteil eine Hand aus und bewegt das eigene Bewusstsein in diese Hand. Ich runde meine Hände dann gerne in eine C-Form, lege sie ineinander, als wollte ich eine S-Form herstellen und ziehe sie dann zusammen, indem ich die Finger schließe. Wenn man das von allen Seiten anschaut, sieht es aus wie ein Ball aus Händen, an dem an entgegengesetzten Enden Arme dran sind. Dann verstärke ich meinen Griff. Eine Hand hält dann eine andere Hand, die eine Hand hält, die eine Hand hält… Es wird unmöglich zu sagen, welche Hand nun welche hält. Wenn wir uns alleine auf das Körpergefühl davon konzentrieren, dann verschwimmen die Hände miteinander, es wird schwer zu sagen, wo eine anfängt und die andere aufhört. Bei der Art, wie sich die Finger berühren (ihr erinnert euch, Finger können auch für verschiedene Kategorien von Erleben stehen, die wir teilen wollen), kann man den Unterschied zwischen berühren und berührt werden nicht mehr wahrnehmen. Wenn wir mit Hände-Arbeit gut zurecht kommen, ist das ein effizientes Hilfsmittel beim Blending. Symbolische Arbeit klappt nicht bei allen Menschen gleich gut und muss es auch nicht.
Die Körper-Connection
Darüber, wie man über Synchronisation einen Zugang zum Blending bekommt, haben wir schon geschrieben. Wir achten gleichzeitig auf unsere Körperwahrnehmung. Dann teilen wir diese Körperwahrnehmung miteinander und überlappen unser Bewusstsein über die Sinne. Weil wir über die Sinne mit der äußeren Welt in Kontakt stehen, macht es das möglich, gleich eine ganze Menge Sinneswahrnehmungen auf einmal zusammenzuführen. Emotionen zeigen sich in Mustern von Körperwahrnehmung. Wenn wir diese Wahrnehmungen teilen, teilen wir auch leichter Emotionen miteinander. Und wir versuchen, achtsam zu sein und unsere Gedanken auf unsere Wahrnehmung des Körpers oder der Außenwelt zu konzentrieren, was es leichter macht, unsere Gedanken zusammenzubringen. Denkt nicht so viel, seid im Moment. Das ist die erste Methode, die ich fürs Blending gelernt habe und sie ist noch immer meine liebste, weil sie langsam und sanft ist und (ich mir einbilde, dass sie) nicht funktioniert, wenn wir noch nicht dazu bereit sind. Wir beginnen mit einer integrierten Wahrnehmung der Welt durch die Sinne und weiten das dann aus auf inneres Erleben. Fest verankert gleichzeitig im Körper zu sein als eine Einheit, ist ein eindrucksvolles und mächtiges Erleben von Grounding und wahrscheinlich ist es mein liebstes Gefühl auf der ganzen Welt.
Die EMDR Werkzeuge zu Blending und Fusion findet ihr hier drüben.
Persönliche Erfahrung mit Blending
Ich experimentiere mit Blending und habe das schon mit älteren und jüngeren Anteilen probiert. In der Regel habe ich ein Gefühl, vollständig und voll zu sein, extrem real zu sein und die Welt als extrem real wahrzunehmen. Mein Blick ist klarer als je zuvor, ohne dass was verschwimmt, und die Welt scheint heller zu sein. Körperwahrnehmung ist stark, natürlich und fühlt sich unerwartet solide, schwer und lebendig an. Überhaupt erinnert das Gefühl von Lebendigkeit dabei ein bisschen an stimulierende Drogen, wenn man das noch nie vorher gespürt hat. Depersonalisierung und Derealisation sind komplett verschwunden. Früher war mir nicht klar, dass ich immer zumindest etwas DP/DR habe, weil ich einfach noch nie ohne war. Ich dachte das soll so. Die reale Welt ist sehr viel realer, als ihr denkt und ihr seid es auch.
Es braucht weniger Anstrengung, zu Sein. Das ist nicht so einfach zu erklären, aber Dissoziation verbraucht eine Unmenge an Energie und ohne diesen ständigen Verlust ist es viel leichter, sich durchs Leben zu bewegen. Das Leben ist in Wirklichkeit gar nicht so schwer, wie es sich anfühlt, die ständige Dissoziation ist es. Zumindest was Lebenskraft angeht. Manchmal macht Blending als Energiesparmodus Sinn.
Wenn wir uns mit jüngeren Anteilen vermischen, entsteht oft erst mal ein Gefühl davon, ziemlich groß zu sein. So lange Arme und Beine zu haben fühlt sich strange, wenn auch nicht schlimm, an und es braucht einen Moment, das zu integrieren. Kürzlich beschwerte sich ein Kind bei mir, dass wir so zugenommen haben. Auch wenn es nicht weh getan hat, war sie erstaunt. Und nein, sie hat das nicht bemerkt, wenn sie alleine Vorne war. Das war sie vorher nie ohne Reste von Dissoziation, die sie davon abgehalten haben, das zu spüren. Nicht dissoziiert zu sein, fühlt sich für uns gut an. Wir fühlen uns kräftiger, haben mehr Klarheit und das Gefühl von Real-Sein führt zu ein bisschen Euphorie. Wir haben uns noch nie so real gefühlt. Ich weiß, dass es Menschen mit ähnlichen Erfahrungen damit gibt (schaut euch gerne das Video von MultiplicityandMe an, wo sie erzählt, wie es sich fusioniert anfühlt). Ich streite nicht ab, dass es sich anders anfühlt, wenn man das zu früh macht. Genau deshalb rennt man da nicht blind rein.
Blending dient als Vorbereitung für die Fusion. Ich persönlich glaube, dass es unmöglich ist, sich vorzustellen, wie Fusion sein könnte und das ganz besonders, wenn man als System noch nicht durch die Trauma Arbeit durch ist. Ihr könnt nicht beschreiben, wie Schokolade schmeckt, wenn ihr noch nie welche hattet. Und auch wenn ihr welche probiert habt, wird eine Beschreibung der Erfahrung bei anderen nicht bewirken, dass sie alleine vom Hören das gleiche Erleben. Ich rate immer dazu, nicht auf die Fantasien von Leuten zu hören, die selbst keine ordentlich vorbereitete Fusion erlebt haben und auch keine Erfahrungen mit Blending haben. Die denken sich was aus, ohne eine Erfahrung zu haben, die es wert wäre, geteilt zu werden. Hört denen zu, die fusioniert sind oder aktiv mit Blending experimentieren. Das gibt euch eine bessere Vorstellung davon, wie Fusion sein könnte. Es lässt sich dann immer noch nicht ganz verstehen, weil der felt sense davon fehlt, aber zumindest sind es keine Märchen von Menschen, die Angst haben. Ich verwende Teilen sehr regelmäßig. Ich habe Blending bisher ‘nur’ mit 3 Anteilen probiert und dann immer nur 2 gleichzeitig und nicht alle auf einmal. Momentan probiere ich spielerisch, wie lange ich mit einem weit in der Therapie fortgeschrittenen Trauma-Anteil zusammenbleiben kann. Es ist normal, dass das von alleine auseinander geht, wenn man auf Situationen stößt, die noch zu stressig sind, um sie ohne Dissoziation zu bewältigen.
Ich bin die Erste, die zugibt, dass nicht viele von euch dieses Werkzeug je brauchen werden. Ich halte es trotzdem für wichtig, darüber zu sprechen, sodass ihr etwas habt, auf das ihr hinarbeiten könnt. Und um die Schritte vorzustellen, die man dabei geht. Zuerst kommt Teilen. Später dann ist Blending ziemlich cool.
Einen etwas älteren Artikel aus dem ISSTD Training findet ihr hier