Inzwischen kennen hoffentlich alle das Modell des Stresstoleranzfensters. Da gibt es einen Bereich von entspannter Regulation, in der Polyvagal Theorie wäre das das sichere&soziale System bzw Aktivierung im ventralen Vagus, und wir markieren das hier traditionell in grün. Wir können mit einer leichten Aktivierung (gelb) gut umgehen, ohne dass es uns Schwierigkeiten bereitet. Wenn der Stress zu hoch wird oder wir getriggert werden, landen wir in der roten Zone, die für eine Aktivierung im sympathischen Nervensystem steht und für die Flight/Fight Reaktion. Wenn das auch nichts bringt, gehen wir in die blaue Zone, die für eine Freeze Reaktion oder Dissoziation steht und eine Aktivierung vom dorsalen Vagus.
Das Stresstoleranzfenster umfasst den grünen und gelben Bereich und das Ziel unserer Therapie ist es zu lernen, uns innerhalb dieser Zone zu regulieren und dahin zurück zu kehren, wenn wir eine Stressreaktion erleben. Wenn wir es mit Entwicklungstrauma zu tun haben, können uns hier mehrere Probleme begegnen. Zum einen kann es sein, dass die grüne Zone kaum vorhanden ist. Wir haben die nicht entwickeln können, weil unser Leben nie sicher war und Vernachlässigung zu reduzierten hilfreichen sozialen Interaktionen während einer kritischen Phase unserer (Gehirn) Entwicklung geführt hat. Das Stresstoleranzfenster, auf das wir zusteuern, ist winzig im Vergleich zu dem von Menschen, die in Sicherheit aufgewachsen sind.
Und dann verbringen wir da ohnehin kaum Zeit. Von Anfang an hat unser Körper nicht gelernt sich zu beruhigen und zu entspannen, weil es dafür ein co-regulierendes Gegenüber gebraucht hätte. Während gesunde Menschen die meiste Zeit im Erdgeschoss in ihrem Stresstoleranzfenster leben, sind wir ins Penthouse eingezogen und gehen kaum vor die Tür.
In der Literatur werden zwei Subtypen für PTBS beschrieben. Einer zeigt eher Hyperarousal (roter Bereich) als Reaktion auf Trigger und kommt meist bei einfacher PTBS vor. Der andere Subtyp zeigt eher Hypoarousal (blauer Bereich) in triggernden Situationen und ist häufiger je schlimmer und chronischer die Traumatisierung ist. Für die meisten Menschen ist das nur eine kurzfristige Reaktion und sie regulieren sich wieder, nachdem sie getriggert wurden. Manche Menschen mit frühem, chronischen Trauma leben mit chronischer Dysregulation und haben etwas, das Faux, Fake oder Simuliertes Stresstoleranzfenster genannt wird. Sie regulieren sich innerhalb eines Stressbereichs, der chronisch höher liegt als der wirkliche Toleranzbereich.
In diesem Bild sieht man, wie es aussehen kann, wenn jemand chronisch in Hyperarousal ist und das als normale Zone der Regulation erlebt. Wir entspannen nie, kommen nicht mal in die Nähe des grünen Bereichs. Wir sind nur manchmal ein bisschen weniger angespannt. Wenn wir still werden und die sichtbare Aktivierung runter geht, sind wir in die blaue Zone rein gerutscht statt der grünen und benutzen das als Ersatz Ruhe. Das sieht aus, als hätten wir uns beruhigt, aber es ist fake Regulation. Wir werden nur innerlich taub oder gehen in eine Freeze Reaktion. Wenn Traumatisierte dieses Typs sich plötzlich ‘beruhigen’ ist das kein gutes Zeichen. Das ist dann keine erfolgreiche Intervention oder gute Therapie. Es ist keine Regulation. Nur eine andere Sorte von Stressreaktion, die jenseits unserer Kontrolle liegt. Intensive aversive Stimulation, wie sie in der DBT verwendet wird, kann Patient:innen an dieser Stelle beibringen mehr zu dissoziieren, weil es sie in der Stressreaktion nach oben pushed, statt sie nach unten zu führen.
In diesem Bild sehen wir das selbe, nur für Menschen, die mit chronischer Dissoziation leben; manchmal wird das auch funktionale Freeze Reaktion genannt. Wir laufen rum, reden, leben unser Leben, aber wir sind emotional und körperlich taub, chronisch depressiv, chronisch suizidal und unser Bewusstseinsfeld ist auf Grund von Depersonalisierung und Derealisation chronisch eingeschränkt. Die meisten Hosts von DIS Systemen leben in dieser Zone. Wir rutschen manchmal in Hyperarousal, wenn wir kurz mal präsenter sind und unser Erleben besser wahrnehmen oder wenn EPs in Hyperarousal auftauchen und dann kehren wir zurück zur funktionalen Dissoziation und unserem Simulierten Stresstoleranzfenster.
Wenn man uns ruhig und gefasst erlebt, ist das kein Anzeichen für Regulation. Wir sehen so aus, weil wir total taub sind und das meiste unseres Inneren Erlebens abgespalten haben. Keine intensiven Emotionen zu zeigen, bedeutet nicht, dass alles in Ordnung ist.
Auch hier kann die intensive und aversive Stimulation, die in der DBT verwendet wird, den Freeze Zustand bzw die (strukturelle) Dissoziation noch verstärken und Patient:innen nur noch unterwürfiger und gefühlloser machen. Das sehen wir, wenn Menschen sich augenscheinlich an die aversive Stimulation ‘gewöhnen’. Bei einer DIS können EPs in Hyperarousal getriggert werden, weil die immer aktiv werden, wenn Misshandlung passiert und auch das ist keine Regulation. DBT Skills werden diese Art Patient:innen nicht auf wundersame Weise in den grünen Bereich befördern. Wir wissen ja gar nicht, wo der überhaupt liegt. Alles was wir wissen ist, wie wir unser Erleben abspalten können, während wir in einem (manchmal strukturell parallel verlaufenden) dissoziativen Zustand weiter am Alltag teilnehmen.
In diesen Fällen ist es wichtig nach Dingen zu suchen, die man entfernen kann, um den Druck zu reduzieren, statt immer noch mehr zur Situation hinzuzufügen. Nicht Stimulation erhöhen, Stressauslöser reduzieren. Das kann auch mal heißen, dass Ts kurz den Raum verlassen oder bewusst woanders hin schauen.
Wenn wir wissen, dass ein Hintergrund von früher, chronischer Traumatisierung besteht, müssen wir annehmen, dass das wahre Stresstoleranzfenster winzig ist und dass Regulation auf einer höheren Ebene in einem Simulierten Stresstoleranzfenster statt findet. Dann müssen wir doppelt prüfen, ob unsere Werkzeuge und Interventionen, die wir zur ‘Regulation’ verwenden, es nicht eigentlich noch schlimmer machen. Wir müssen genau acht geben, was wirklich passiert, weil wir sonst nur die Stressreaktionen im Fake Fenster bestärken. Ich hoffe das hilft euch zu verstehen, warum ich so DBT-kritisch bin, wenn es um chronische Dysregulation geht. Das ist kein idealer Ansatz. Dieses Modell zu kennen ist allerdings wirklich wichtig.
Man kann lernen, die meiste Zeit innerhalb des echten Toleranzfensters zu leben und das so zu erweitern, dass es auch viel einfacher wird. In der Regel helfen da KörperTherapeut:innen, die auf die Arbeit mit Trauma und Stressreaktionen spezialisiert sind. Psychotherapeut:innen haben selten die Ausbildung für diese Art von Arbeit. Wenn ihr mehr wissen wollt, schaut euch die Informationen von Peter Levine oder Kathy Kain an, letztere schreibt sehr speziell zu Entwicklungstrauma und chronischer Dysregulation.
Claire says
Danke für den interessanten Artikel. Helfen die Bücher von den genannten Autoren auch zur Selbsthilfe?Körpertherapie können wir uns leider nicht leisten.
Theresa says
Ich glaube, dass es sich lohnen würde rein zu schauen, um besser zu verstehen, wie das mit der Regulation funktioniert. Dann kann man das bei sich besser erkennen und nachvollziehen und das ist ohnehin das, was man am Anfang erst mal macht. Das hilft schon, auch wenn es noch nichts behoben hat. Man kann einzelne Übungen aus der Körpertherapie lernen, vielleicht dazu am ehesten das Buch von Mischke-Reeds. Für alles andere kommt es sehr auf die persönlichen Ressourcen an und ob der Körper manches irgendwo ein bisschen aufgeschnappt hat und zumindest eine Referenz hat zB wie es ist wenn sich was gut anfühlt. Wenn man ganz ohne Referenz ist und ganz von Anfang an lernen muss wie man runter kommt und wie sich das anfühlt unten zu sein, dann braucht man ein co-regulierendes Gegenüber. Man würde quasi die eigene Wahrnehmung neu eichen und immer wieder mit der anderen Person abgleichen, wo man grad steht und wie das gefühlte eingeordnet werden kann. Das sind dann Bereiche, wo es alleine eben nicht geht. Der FSM zahlt Körpertherapien, falls das noch für dich in Frage käme. Die wichtigsten Artikel auf dieser Webseite dazu wie man Dinge selber üben könnte erklären Titration und Pendulation (Levine), mit was man zu rechnen hat wenn man damit anfängt hier und kleine Übungen dafür hier. Das alles macht erst Sinn, wenn du eine gewisse Fähigkeit hast, dein Gleichgewicht wieder zu finden, nachdem eine Stressreaktion spürbar wurde. Solange das so nicht funktioniert ist es wichtiger erst mal da dran zu arbeiten und eben zu lernen, wie man das alles beobachten und einordnen kann. Das ist sensible Arbeit, die man nur sehr langsam angehen darf und in sehr geringen Mengen, sonst ist wieder alles zu viel.
Claire says
Hallo Theresa, vielen Dank für deine ausführliche Antwort und die Arbeit die du in deine Seite steckst. Wir freuen uns immer über deine Artikel.
Theresa says
Mir ist aufgefallen, dass meine Antwort nicht korrekt war, weil was fehlt…
Tatsächlich ist Biofeedback Technologie so weit, dass man damit ein Gegenüber weitestgehend ersetzen kann, das einem vormacht, wie das mit dem Regulieren geht. Es fehlt der (wichtige) Beziehungsaspekt, aber wenn es nur darum geht das Nervensystem neu zu kalibrieren und zu trainieren auch mal in einen regulierten Bereich zu kommen, dann kann man das mit HRV Biofeedback machen. Wir haben sogar einen Artikel dazu hier drüben
Das funktioniert so ein bisschen mit Versuch und Irrtum. Das Gerät zeigt einem an, wenn man in einem Stresszustand ist und ändert die Farbe, wenn man sich Richtung Stresstoleranzfenster und Entspannung bewegt. Das fühlt sich am Anfang wirklich seltsam an und man kann probieren was es besser macht und was nicht so hilft und so langsam lernen, wie es sein sollte. Dadurch, dass es sofort sichtbare Rückmeldung gibt, spürt man auch ein bisschen ein Erfolgserlebnis, auch wenn das Körpergefühl an sich erst mal nicht gut sein muss, weil es so fremd ist. Das ganze lässt sich mit HRV Messgerät und einer Biofeedback APP machen, das wird inzwischen etwas breiter angeboten und kostet nur einmal etwas mehr Geld.