Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Emotionsregulation für Traumatisierte, insbesondere mit Entwicklungstrauma und komplexer PTBS, so schwierig ist. Sie sind miteinander verflochten und bilden oft einen sich selbst verstärkenden Kreislauf.
Erziehung
Einige unserer Probleme sind durch unzureichende Erziehung entstanden. Kinder sollen die Emotionsregulation eigentlich von ihren Eltern lernen und dabei unterstützt werden, bis sie ihre eigenen Gefühle managen können.
Manchmal hatten unsere Eltern selbst keine Ahnung von Emotionsregulation und so haben wir nie Unterstützung erfahren oder haben problematische Methoden des Umgangs gelernt.
Manchmal waren da gemischte Botschaften zu Emotionen. Mal war es in Ordnung Gefühle zu zeigen, ein anderes mal war die Reaktion auf unsere Gefühle beängstigend oder gewalttätig. Kein Wunder, dass wir verwirrt waren und die Situationen nicht deuten konnten. Vielleicht haben wir auch gelernt nur bestimmte Gefühle zu zeigen, die willkommen waren und andere zu verstecken, die uns in Schwierigkeiten bringen konnten.
Und in manchen Familien wurden Emotionen abgelehnt, verurteilt, lächerlich gemacht oder bestraft, sodass jedes Gefühl versteckt, verleugnet oder dissoziiert werden musste.
Wir hatten nicht nicht nur keine Chance Emotionsregulation zu lernen, wie Kinder, die in Sicherheit aufwachsen, wir haben auch gelernt Gefühle über unsere Gefühle zu haben. Wenn ein Gefühl ausdrücken, oder sogar nur haben, uns in Schwierigkeiten bringt, werden wir Angst, Schuld oder Scham spüren, sobald eine Emotion auftaucht. Diese Gefühle überdecken dann die anderen und bilden eine Schutzmauer um sie herum, damit wir das darunter nicht mehr wahrnehmen. Was uns beschützen soll, hält uns auch davon ab uns zu regulieren. Bei manchen Menschen, die chronische Angst, Schuld oder Scham erleben, ist es vielleicht eine erlernte, automatische Reaktion um andere Gefühle auszuschalten.
Trauma Kreisläufe
Emotionen haben ihren Sinn. Sie sollen uns schnelle Informationen über unsere Beziehungen und die Welt um uns herum geben. Sie machen uns auf Probleme aufmerksam und auf unbefriedigte Bedürfnisse. Sie lösen auch einen Handlungsimpuls aus, damit wir etwas tun, um die Situation zu ändern.
Kein Wunder, dass es während TraumaZeit starke Gefühle gab, wo unsere Welt nicht sicher war, unsere Beziehung zu Erwachsenen hoch problematisch waren und unseren Bedürfnissen chronisch nicht begegnet wurde! Als Kinder waren wir machtlos etwas an der Situation zu verändern und die Gefühle wurden unerträglich. Deshalb mussten wir sie betäuben. Das Problem mit emotionaler Taubheit ist, dass die Botschaft hinter der Emotion sich nicht zum Schweigen bringen lässt, also werden die Gefühle intensiver, damit sie unsere Aufmerksamkeit erregen. Emotionen, die ignoriert werden, werden stärker. Gleichzeitig sinkt unsere Stresstoleranz sie wahrzunehmen.
Wenn wir sie später als Erwachsene weiter vermeiden, zeigen sie sich in Krankheit und chronischen Schmerzen.
Emotionale Taubheit passiert auf einem Spektrum, von Vermeidung über Dissoziation bis hin zu struktureller Dissoziation. Wenn Vermeiden und Abdriften nicht ausreichen, werden wir unsere Gefühle verstoßen und dissoziieren. Die Anteile von uns, die diese starken Gefühle (und die dazugehörigen Situationen, Gedanken, Körperempfindungen und Handlungsimpulse) erleben, müssen aus dem Bewusstsein verdrängt werden, abgetrennt von unserem alltäglichen Erleben und manchmal auch hinter amnestischen Barrieren versteckt. Aber sie gehen nicht weg und verlieren nicht an Kraft. Auch sie werden mit der Zeit lauter, damit sie endlich gehört werden.
Ein anderer Kreislauf, der zu TraumaZeit entstanden ist, ist die Sensibilisierung für Anzeichen von Gefahr. Unsere Gefühle sind unser Haupt-Beschützer. Sie verursachen Impulse uns so zu verhalten, dass wir Schmerz vermeiden können. Wenn wir immer wieder Gewalt erleben, werden unsere Detektoren immer sensibler und alarmieren uns beim kleinsten Anzeichen einer Bedrohung. Das Ziel ist es, uns so früh es geht zu warnen, damit wir eine Chance haben zu entkommen. Die Hinweisreize dazu können von Außen kommen, aber sie können auch unsere eigenen Körperwahrnehmungen, Gedanken, andere Gefühle oder auch unsere Anteile sein. So werden starke Emotionen immer leichter getriggert. Das bleibt uns auch später im Leben erhalten und führt zu Störungen.
Zwischen Taubheit und dem leicht-getriggert-sein werden wir Probleme haben, andere Menschen richtig zu lesen. Wir verpassen vielleicht alarmierende Emotionen, die uns sagen würden, dass etwas schief läuft und nehmen statt dessen Gefühle wie Schuld oder Scham wahr. Das macht uns verletzlich für mehr Missbrauch. Andererseits sind wir vielleicht von harmlosen Dingen getriggert und vermeiden dadurch auch sichere Beziehungen.
Taubheit und getriggert-sein werden zusammen zu einem weiteren sich selbst verstärkenden Kreislauf.
Ein Trigger reißt uns aus unserer Taubheit mitten rein in intensives Gefühl. Oft ist es unmöglich zu sagen, welches Gefühl wir da eigentlich erleben. Zum Teil, weil wir nicht gelernt haben, Gefühle richtig zu identifizieren, größtenteils aber, weil es so stark ist, dass wir es nur als Hyperarousal wahrnehmen können. Jede Differenzierung ist verloren gegangen. Diese Erfahrung ist beängstigend, denn so wie die Identifizierung des Gefühls verloren gegangen ist, ist auch ihre Botschaft unverständlich geworden und so wissen wir nicht, was wir damit tun sollen. Wir können auf den emotionalen Hinweis nicht in einer Art reagieren, die die Emotion regulieren würde. Das führt zu dem Gefühl die Kontrolle zu verlieren und machtlos zu sein, ein Trigger für noch mehr traumabezogene Erinnerungen.
Dieses Erleben ist so überfordernd und jenseits unseres Lernfensters, dass wir es schnell und irgendwie abstellen müssen. Unsere Handlungen, die daraus resultieren, sind oft kopflos und wenig effektiv darin das reale Problem zu lösen. Wir haben vielleicht einen Wutausbruch oder verletzen uns selbst in ungesteuerter Aggression oder aber wir schleudern uns im Kreislauf zurück in die Taubheit (zB durch Alkohol oder Drogen) und Dissoziation. Noch tauber und dissoziierter zu sein führt dazu, dass der nächste Trigger als ein noch härterer Schock erlebt wird und es dann noch mehr Betäuben braucht.
Das funktioniert auf die selbe Art, wenn wir dissoziierte Anteile haben, die ein Gefühl für uns tragen. Ein emotionaler Anteil (EP) wird getriggert. Wir erleben einen Kontrollverlust, während er nach Vorne kommt, oft nicht nur mit einer Emotion, sondern auch mit Erinnerungen. Dieses Erleben ist so beängstigend und überfordernd, dass wir uns von dem Anteil noch mehr distanzieren, versuchen ihn zu kontrollieren, unten zu halten und alles zum Schweigen zu bringen, was er mit sich bringt. Unsere Phobie vor dem Inneren Erleben treibt uns in ein immer dissoziierteres Leben mit extremen Ausbrüchen und Kontrollverlusten.
Das geht nicht nur dir so. Diese Probleme mit Emotionsregulation sind ein Kern-Symptom von PTBS. Sie sind schlimmer bei denen mit Entwicklungstrauma, weil wir nie eine Chance hatten auch nur zu lernen Emotionen zu erkennen, geschweige denn sie zu regulieren.
Es gibt keinen Grund sich wegen extremer Gefühle zu schämen, sie sind das natürliche Resultat unserer Traumageschichte. Aber wir müssen lernen diese Kreisläufe zu unterbrechen, um die Störungen zu beenden, die sie in unserem Leben verursachen.
Das ist auch einer der Gründe, warum die Stabilisierungsphase bei komplexer PTBS so viel länger ist, als bei einfacher PTBS. Wir müssen Emotionsregulation von Anfang an lernen. Ts, die es hier zu eilig haben und zu früh mit Expositionen anfangen, lassen uns ins offene Messer laufen. Wir können unsere Vergangenheit nicht sicher aufarbeiten, wenn uns die Fähigkeiten in der Emotionsregulation fehlen. Die gute Nachricht ist, dass man das lernen kann.
Je mehr strukturelle Dissoziation wir erleben, desto weniger können wir sie Situation wie einen emotionalen Flashback behandeln und desto mehr müssen wir in richtige SystemArbeit investieren, um eine besser integrierte Erfahrung zu erreichen. Nur einem Anteil in einem System Emotionsregulation beizubringen geht nicht weit genug. Wir müssen Kooperation und Co-regulation lernen, indem wir zwischen verschiedene Anteilen Verbindung aufbauen. Darum ist Phase 1 für DIS und Subformen noch länger, aber die gute Nachricht ist, dass selbst das gelernt werden kann.
Dazu werfen wir einen genaueren Blick auf
Achtsamkeit um unsere Toleranz für Emotion zu erhöhen,
Diskrimination um die Sensibilisierung zu verringern,
die Natur von Emotionen und wie man sie identifiziert und reguliert,
unsere Gedanken und ihre Verbindung zu Emotion,
Co-Regulation von dissoziierten Anteilen
und wir werden nicht darum herum kommen uns auch Bedürfnisse anzuschauen.
Annie says
Dieser und auch andere Artikel helfen und erklären mir gerade so viel.
Es ist so irritierend und frustrierend zu erleben, dass Traumafolgesymptomatiken+Dissoziationen meist stur nach DBT Regeln abgearbeitet werden sollen, was, wenn es helfen würde, nach Jahren und wiederholten Therapien, doch gewirkt haben sollte, was aber meist nicht der Fall ist.
Durch Skills nur mehr schlimme Zustände länger aushalten können, mehr Symptome wegdrücken können, damit man nicht unangenehm auffällt sind halt keine (Selbst) Regulation.
Sie schaffen kaum die so dringend benötige Sicherheit nur eher neue Probleme weil man noch kontrollierter und zensierter wird im Kontakt mit anderen und auch sich selbst.
Tausend Dank für Deine/Eure Arbeit!
Weis Ulrike says
Irgendwie hängen DiS, kPTBS und ADHS zusammen mit der gestörten Emotionsregulation. Gleiche Symptomatik, verschiedene Ursachen, eine Gemeinsamkeit : gestörte Emotionsregulation.
Suche darüber Lesestoff, kannst Du Tipps geben?
Ich habe nach einer Retraumatisierung bei kPTBS und Dis die Symptome fehlende Emotionsregulation und fehlende Strukturierung und Priorisierung von Aufgaben, obwohl ich das vor der Retraumatisierung konnte (mit Ausnahmen). Es fühlt sich in etwa wie ein late onset ADHS an. In dem you tube Video von “headcrack” über Fuguen, Dissoziation und DIS fand ich mich wieder, obwohl ich sehr viel längere Aufmerksamkeitsspannen habe, besonders kurz sind sie nur bei Traumatriggern. Wende ich aber seine Methoden an und versuche gar nicht erst nicht zu dissoziieren, sondern nur über einen positiven Anker in eine “enge Dissoziation” zu kommen, um z. b. eine bestimmte Aufgabe zu erledigen, so gelingt mir das, bis ein Traumatrigger kommt. Dann fange ich wieder von vorne an. Ich bin dann immer noch emotional abgeflacht, aber wenigstens handlungsfähig in einem sehr engen Rahmen. Riesenfortschritt für mich.
Theresa says
Mir ist die Überschneidung Entwicklungstrauma – ADHS – Autismus bisher vor allem im Bezug auf die Polyvagal Theorie und den dazu gehörigen Ansätzen begegnet. Da gibt es zB das Safe&Sound Programm und die Bücher von Deb Dana. Mit der selben Basis findet sich oft was in den trauma-fokussierten Körpertherapien. Wenn du gut Englisch kannst, wäre der Youtube Kanal von Irene Lyon zu empfehlen. Ich habe mit Somatic Experiencing von Peter Levine die besten Erfolge. Das geht alles in eine Richtung, wo mit der Dysregulation gearbeitet wird und das als übergreifende Funktion behandelt wird und nicht ein bestimmtes Störungsbild alleine.