Es kann passieren, dass das Erleben von Hyper- oder Hypoarousal so stark ist, dass das Gehirn nicht mehr richtig funktioniert. Wir können dann nicht mehr achtsam sein oder unsere Grounding Übungen nutzen. In diesen Fällen ist es möglich, über die Sinne und den Körper zu arbeiten. Diese Maßnahmen sind genau genommen keine Regulation. Sie sind nur dazu da, die extreme Dysregulation zu unterbrechen und unser Gehirn so weit zu aktivieren, sodass wir wieder Zugang zu Fertigkeiten für die Selbstregulation und Selbstberuhigung bekommen. Indem wir Frühwarnzeichen lernen, sollte die Notwendigkeit solcher Interventionen in der Therapie schnell nachlassen, weil wir lernen, uns zu regulieren, bevor wir in extremen Stresszuständen landen. Was ich mit euch teile, ist eine Krücke, die nicht länger verwendet werden sollte, als unbedingt notwendig.
Wir schauen uns verschiedene Sinne an und Beispiele, wie wir sie nutzen könnten.
Schmecken:
- Chilis
- Meerrettich
- Senf
- Wasabi
- Ingwer
- Center Shocks
- Eiswürfel, vielleicht sogar welche aus Zitronensaft
Geruch:
- Ammoniak (zb Ammola Riechstäbchen)
- Essig
- Gemahlener Pfeffer
Benutzt keine Reinigungsmittel oder Chemikalien, die eure Atemwege verätzen können!
Hören:
- schlagt mit der flachen Hand auf den Tisch
- blast einen Luftballon auf und lasst ihn platzen (hilft auch mit dem Atem)
- füllt eine Metalldose mit Steinen oder Murmeln und benutzt sie als Rassel
- benutzt eine Trillerpfeife
- hört laut Musik
Sehen:
- schaut in ein helle Licht (nicht die Sonne, das ist gefährlich!)
- bewegt etwas grell-buntes etwa 30-40 cm vor eurem Gesicht, im Zentrum eures (wahrscheinlich eingeschränkten) Gesichtsfeldes
- lasst euren Blick ständig wandern und nirgendwo ruhen, schaut nicht nach unten
Tasten:
- Kühlpacks oder wirklich kaltes Wasser (benutzt Eis nicht zu lange, vor allem, wenn ihr es nicht spüren könnt. Das kann sonst auch Verbrennungen verursachen!)
- Igelball
- Gummiband am Handgelenk zum Schnipsen
- Muskelschmerzen von unangenehmen Positionen wie Kniebeuge halten
- legt einen Stein (oder eine Murmel, weniger Verletzungsgefahr) in euren Schuh und lauft ein bisschen damit herum
- Pfefferminzöl
- Gewichtsdecke
- Kaltwachsstreifen: nur bis zu den Knien rasieren und den Rest übrig lassen für Momente, wo ihr den Schmerz braucht, um klar zu werden
Schmerz ist einer der effektivsten Wege, um eine Stressreaktion zu unterbrechen, deswegen verletzen wir uns selbst, wenn es zu viel wird. Das ist kein tolles Coping, aber es ist auch nicht verboten, wenn uns die Möglichkeiten ausgehen. Wir können zumindest versuchen, sichere Arten zu finden, an den Schmerz zu kommen, ohne uns dabei zu verletzen.
Andere Möglichkeiten die den Körper mit einschließen
Balance:
- auf einem Balanceboard stehen (vielleicht auf einem Bein?)
- auf Zehenspitzen stehen (vielleicht auf einem Bein?)
- Yoga-Posen wie Halbmond, Kopfstand, Tänzer, Baum, Dreieck oder Krieger III
Bewegung:
- verrücktes rumtanzen (vielleicht zu Taylor Swifts “Shake it off”)
- laufen gehen (ohne Kontrollverlust)
- Springen, vielleicht mit einem unsichtbaren Springseil oder auf dem Trampolin
- gegen die Wand sitzen so lange ihr könnt, und dann noch 5 Sekunden
- mit dem Fuß aufstampfen, wenn ihr Angst habt, schaut ob ihr sie in Wut umwandeln könnt
- versucht die Wand mit aller Kraft weg zu schieben
- lauft ein paar Treppen rauf und runter
- benutzt schwierige Sportübungen wie burpees, jump squats oder jumping lunges oder was sich bei eurem Fitnesslevel schwer anfühlt (Hyperarousal)
- Yoga (Hypoarousal)
- Qi Gong (Hypoarousal)
Bewegung unterbricht eine Stressreaktion nicht nur, sondern wirkt auch tatsächlich regulierend. Das ist meine bevorzugte Methode.
Bilaterale Stimulation
- jonglieren
- komplexe Bewegungen, bei denen beide Körperseiten koordiniert werden müssen
- Luftschlagzeug spielen
Vorsicht!
Extreme Interventionen werden von Traumatisierten oft als schädlich oder gewaltsam erlebt. Sie können Stressreaktionen verschlimmern, wenn sie uns das Gefühl geben, dass wir im Moment nicht in Sicherheit sind. Die Verwendung von extremer Stimulation ist ein Therapietrend des letzten Jahrzehnts und in vielen Ländern der Welt kehren Ts zurück zu sanfteren und etwas zeitaufwändigeren Methoden, um mit Dysregulation umzugehen. Sie sind sicherer, beschädigen die therapeutische Beziehung nicht und verstärken auch den Stress nicht. Viele Betroffene sind von DBT Skills getriggert oder ihre feine Sinneswahrnehmung wird schmerzhaft überstimuliert. Ganz besondere Traumatisierte auf dem Autismusspektrum sollten sich nicht schmerzhafter sensorischer Stimulation aussetzen. Sanfte Ansätze dauern länger, sind aber mindestens genauso effektiv.
Personen mit DIS, die intensive Stimulation nutzen, laufen Gefahr, damit innere Anteile zu erschrecken, zu verängstigen und ihr Vertrauen zu verlieren. Hosts haben manchmal die Tendenz, als Reaktion auf inneres Erleben oder innere Stimmen zu dissoziieren und verwenden DBT Skills, um ihr Innenleben zum schweigen zu bringen. Das ist nicht therapeutisch. Skills sind auch kein angemessenes Werkzeug, um die Dissoziation zu stoppen, die entsteht, um das innere Erleben von Anteilen auszublenden. Sobald wir aufhören, unsere Aufmerksamkeit durch die Intervention zu binden, ist das innere Erleben und die Dissoziation sonst wieder da.
Wenn ihr auf intensive sensorische Stimulation besteht
Die korrekte Art intensive Stimulation anzuwenden, ist so kurz wie möglich. Sobald wir bei genug Bewusstsein sind, dass wir mit Werkzeugen zur Regulation oder Selbstberuhigung weiter machen können, sollten wir das statt dessen tun. Ihr geht in der Skillkette sofort zu Techniken aus dem gelben Bereich über. Man kann sich nicht beruhigen, solange der Körper einem signalisiert, dass es nicht sicher ist, weil er das über die Sinne so vermittelt bekommt. Hört extreme und aversive Stimulation nicht auf, ist es nur normal, wieder in stärkere Dysregulation zurückzufallen. Ich hab schon gesehen, wie Ts ihre Patient*innen regelrecht gequält haben, weil sie sich den Aufwand gespart haben, Co-Regulation und richtiges Grounding anzubieten und die Patient*innen sich nicht stabilisieren konnten. Ich persönlich glaube, dass solche Interventionen mit dem wachsenden Einfluss von hoch effektiver Körperarbeit an Stellenwert verlieren werden. International gibt es dafür schon lange Anzeichen und es sind vor allem einzelne Vertreter, die Skills bei der Trauma Arbeit im deutsch-sprachigen Raum so präsent halten. Der Trend wird nachlassen. Bis es so weit ist, möchte ich euch hier auch über die Nachteile informieren.
Ich selbst habe vorübergehend einen Nutzen von DBT Skills erlebt, als ich keinen Zugang zu richtiger Behandlung hatte. Das kann effektiv Stresszustände unterbrechen. Manchmal ist das genau das, was gebraucht wird. Aber nur weil es möglich ist, bedeutet es nicht, dass es nötig ist, oder gut.
Eine persönliche Einordnung von DBT für die kPTBS/DIS Behandlung
Theresa says
Hallo Ella,
der Beitrag ist schon ziemlich alt und ich würde den heute auch nicht mehr so schreiben. Mit den Jahren ist DBT aus meinem Fokus verschwunden und ich arbeite mehr mit Körpertherapien. Das ganze Kapitel DBT hab ich im Inhaltsverzeichnis sehr weit unten versteckt und da findet du auch eine aktuellere Einschätzung zum Nutzen.