Die Freeze Reaktion ist eine unserer natürlichen, unwillkürlichen Stress Reaktionen. Sie findet statt, wenn die parasympathische Aktivierung anfängt die sympathische Anspannung zu übersteigen. Anzeichen von sympathischer Aktivierung wie hohe Muskelspannung sind dabei noch sichtbar, wie eine unterschwellige Energie, aber wir haben uns auf der Polyvagalen Leiter eine Stufe runter bewegt in die Immobilität. Stellt euch das so vor, dass der Fuß, der das Gewicht trägt, eine Stufe runter geht in die Aktivierung des dorsalen Vagus (Moe), der andere Fuß aber noch bei sympathischer Anspannung (Izzy) steht.
Manche stellen sich das Nervensystem auch als Auto vor, bei dem das Sympathische Nervensystem das Gaspedal darstellt, das Parasympathische die Bremse. Bei Freeze haben wir den Fuß zwar noch auf dem Gaspedal, treten aber auch hart auf die Bremse. Das Auto hört auf sich zu bewegen, aber in dem Moment, wo wir die Bremse los lassen, springt es mir Flight/Fight Energie nach vorne. Wenn wir komplett vom Gas gehen, geht der Körper in einen Shutdown/Dissoziation, wo dann die Muskelspannung verloren geht.
Anzeichen für eine Freeze Reaktion ist die Unfähigkeit sich willentlich zu bewegen, der Körper ist erstarrt, die Muskeln sind angespannt. Das kann begleitet sein von Gefühlen von Angst oder einem spürbaren Herzschlag. Wir merken dabei in der Regel noch, was um uns herum los ist, das Bewusstsein ist nicht ausgeschaltet.
Wenn wir in Freeze rein rutschen, können wir da auch stecken bleiben. Unser Körper erstarrt, das Gehirn erkennt das als ein Zeichen von Gefahr, und sendet dem Körper ein Signal zurück, dass wir in Gefahr sein müssen. Der Körper verstärkt seine Stress Reaktion, was wiederum mehr Signale ans Gehirn zurück sendet, dass die Situation bedrohlich sein muss. Diese Feedback-Schleife verstärkt sich selbst. Von dort aus könnten wir auch in einen Shutdown rutschen.
Der harte Weg raus
Weil wir ja erstarrt sind, scheint es, als ob wir wenig dagegen tun könnten. Wir können diese Feedback-Schleife nicht einfach unterbrechen, indem wir uns bewegen.
Viele Jahre lang hat man mir beigebracht, dass der einzige Weg damit umzugehen ist, dass jemand von außen einschreitet und uns Ammoniak verabreicht, um uns aus dem Freeze Zustand raus zu zwingen.
Bei dieser recht aggressiven Methode wird eine extreme Stimulation herbeigeführt, die der Körper als potenziell lebensbedrohlich identifiziert. Er lässt die ‘Bremse’ los, damit wir uns verteidigen können.
Viele Überlebende nehmen das als Gewalt wahr. Unsere Ts werden zu Menschen mit zwei Gesichtern. Sonst fürsorglich und verständnisvoll, werden sie zu einer Quelle aversiver Reize und von mehr Stress, wenn wir am verletzlichsten sind, weil wir ohnehin schon in einer Stressreaktion sind, die sich wie ein Kontrollverlust anfühlt. Wie sollen wir vertrauen, wenn sie uns manchmal weh tun, ‘nur zu unserem besten’. Und wie sollen wir das auseinander halten von Dingen, die Täter gesagt oder getan haben.
Nachdem Ammoniak angewendet wurde, sind wir nicht automatisch reguliert. Wir sind nur wieder in Flight/Fight. Ohne eine Chance uns zu regulieren, zB weil das Ammoniak viel zu lange angewendet wird ohne ein Angebot von Co-Regulation, fühle wir uns nur wieder gefangen in einer missbräuchlichen Situation, aus der wir nicht entkommen können und gehen vielleicht in einen richtigen Shutdown, um dem zu entkommen.
Versteht mich nicht falsch, richtig angewendet funktioniert diese Technik. Aber ist sie deswegen gut? Und gibt es da wirklich keinen besseren Weg? Einen, der mehr mit Regulation zu tun hat, wo doch unser Problem Dysregulation ist, und weniger mit Gewalt. Seit wann hilft Gewalt Trauma zu heilen oder sich sicher zu fühlen.
Die sanfte Alternative
Und in der Tat, es gibt einen anderen Weg. Der braucht ein wenig länger, weil er auf natürlicher Regulation beruht, dafür kommt er aber völlig ohne Gewalt aus. Und sogar noch besser, wir können das selbst benutzen, ohne von der Intervention anderer abhängig zu sein. Wie verändern die Feedback-Schleife, die zwischen unserem Körper und Gehirn vor sich geht, indem wir unsere Aufmerksamkeit gezielt lenken.
Für unsere neue Feedback-Schleife konzentrieren wir uns auf alles, was funktioniert, alles was uns sagt, dass wir sicher sind und dass die Situation ok ist. (Die Technik wirkt bei Freeze, wo unser Bewusstsein noch dabei ist, nicht mehr bei einem kompletten Shutdown)
Als erstes brauchen wir eine Bestandsaufnahme, welche Ressourcen uns noch zu Verfügung stehen.
Funktioniert das Bewusstsein noch? Das brauchen wir.
Wie steht es mit unseren Sinnen? Können wir sehen, hören, fühlen?
Ist es vielleicht sogar noch möglich, die Augen zu bewegen? Oder zu spüren, wie sich die Bauchdecke beim Atmen hebt?
Dann können wir gezielt unsere Aufmerksamkeit auf die Information richten, die unseren Stress reduziert.
Bewegung nutzen
Die einfachste Situation ist, wenn wir noch unsere Augen bewegen können.
Dann können wir anfangen sie zu bewegen wie wir wollen, langsam, schnell, hoch und runter, in alle Richtungen blickend, während wir genau darauf acht geben, dass ja gar nicht alles erstarrt ist. Wir können etwas bewegen! Wenn wir dieses körperliche Gefühl einwirken lassen, dass wir fähig sind, uns mutwillig zu bewegen und uns nur da drauf konzentrieren, dauert es meist gar nicht lange, bis wir merken, dass wir auch den Kopf etwas drehen können. Die Freeze Reaktion schmilzt langsam weg.
Dann achten wir darauf, wie wir den Kopf drehen können, bewegen den ein bisschen und bemerken dabei weiter das körperliche Gefühl davon fähig zu sein den Kopf zu bewegen. Wann immer ein neuer Körperteil ‘auftaut’, richten wir unsere Aufmerksamkeit darauf, welche Bewegungen alle möglich sind. Das kann ein paar Minuten dauern. Aber wenn wir dann raus sind, sind wir schon fast wieder reguliert und bei uns.
Sinne nutzen
Manchmal gehen auch so kleine Bewegungen nicht mehr, aber wir haben immer noch unsere Sinne. Dann können wir damit anfangen, unser Umfeld abzusuchen nach etwas, das hübsch ist, oder wohl bekannt, gewöhnlich oder etwas neutrales. Vielleicht schauen wir in eine Richtung, wo wir was sehen, dass irgendwie nett aussieht. Wenn es da nichts ansehnliches gibt, vielleicht ist es etwas alltägliches, etwas, das uns signalisiert, dass alles wie immer ist. Selbst das körperliche Erleben davon auf etwas Langweiliges zu schauen, wird die Feedback-Schleife verändern, weil wir nun Signale vom Kopf an den Körper senden, dass hier nichts aufregendes oder bedrohliches passiert, während der Körper Signale über das ans Gehirn zurück sendet, was wir da anschauen.
Wir können diese Übung wirksamer machen, wenn wir auch unsere anderen Sinne verwenden, um das, was in der Feedback-Schleife landet, mehr zu beeinflussen. Dann könnten wir das Geräusch von singenden Vögeln oder einen angenehmen Geruch zu der körperlichen Wahrnehmung hinzufügen, dass alles in Ordnung ist. Wenn da sensorische Reize sind, die uns getriggert hatten, lenken wir da nicht unsere Aufmerksamkeit hin, wir bleiben dabei, nach Dingen zu forschen, die wenigstens neutral sind.
Manche Leute landen oft in Freeze, wenn sie im Bett liegen (ich meine keine Schlaflähmung). Deswegen sind Anker rund ums Bett so nützlich. Sie geben uns etwas, was wir anschauen können, etwas, womit wir arbeiten können.
Das Denken nutzen
Manchmal sind wir schon recht tief in der parasympathischen Reaktion und wir können uns weder bewegen noch unsere Sinne gut verwenden. Dann haben wir immer noch unser Denken und Zugang zu positiven Erinnerungen, Fantasie und Imagination. Es ist wohl eher nicht unser erster Gedanke, den Sicheren Ort zu verwenden, wenn wir in Freeze gehen, aber die Idee ist gar nicht so schlecht. Jede Art von Imagination kann neue innere Bilder in die Feedback-Schleife einspeisen, aber solche mit Bewegung sind besonders hilfreich. Unser Körper reagiert auf innere Bilder genauso wie auf die reale Situation. Er kann das nicht auseinander halten, deswegen helfen Imaginationen so gut.
Wir können auch Erinnerungen von Momenten verwenden, wo wir sicher waren und insbesondere, wie wir uns verbunden und reguliert gefühlt haben. Wenn wir Erinnerungen verwenden, ist der Effekt größer, wenn wir uns auch erinnern, wie sich unser Körper in dem Moment gefühlt hat. Ich stelle mir gerne das körperliche Gefühl vor, mit meinem Hund zu kuscheln. Es gibt auch positive Körpererinnerung! Das kann so stark sein, dass sich Freeze innerhalb von Momenten löst. Jeder Erinnerung von Verbundenheit und Sicherheit, die wir zu unserem Erleben hinzufügen können, ist eine Ressource, die hilft die negative Feedback-Schleife zu unterbrechen.
Und natürlich können wir all diese Werkzeuge mischen und von einem zum anderen wechseln, während wir uns aus Freeze raus regulieren.
Kreise von Regulation
Wann immer wir eine unserer Ressourcen verwenden, lenken wir unsere Aufmerksamkeit darauf und nach einer Weile können wir sanft den Körper scannen, um zu sehen, ob es da irgendwas gibt, was sich ein kleines bisschen besser anfühlt oder sich ein klein wenig mehr bewegen lässt. Dann achten wir auf das kleine bisschen besser und genießen, wie sich das anfühlt. Auch das bringt positive und sichere Informationen in unsere Feedback-Schleife. Wir bemerken einfach nur. Bemerken die Veränderung, bemerken ein weicher werden, bemerken tieferen Atem, bemerken, wie der Körper sich selbst reguliert. Kein Druck. Dann signalisiert unser Gehirn dem Körper, dass wir uns jetzt entspannen können, sodass der Körper sich entspannt, das zurücksendet, und das Gehirn immer mehr Entspannung feststellt: eine neue Feedback-Schleife. Wir lassen diese körperliche Wahrnehmung einwirken.
Diese Technik dauert ein bisschen länger, aber wir regulieren uns aus Freeze raus statt uns heraus zu schocken. Wir können uns machtvoll fühlen und unser Selbstwirksamkeitsgefühl stärken, wenn wir unseren Weg ganz alleine raus finden. Die Arbeit mit Ressourcen vergrößert auch unser Stresstoleranzfenster, weil wir lernen, uns natürlich zu regulieren und das mit der Zeit automatisch wird.
Ts können diese Technik anwenden, indem die ihre PatientInnen darin anleiten, ihre Aufmerksamkeit auf Ressourcen zu lenken, um eine neue Feedback-Schleife zu schaffen. Ihre eigene Stimme könnte dabei eine Ressource sein, wenn sie ruhig und freundlich ist. Das Ammoniak ist immer noch da, falls das nicht klappen sollte. Aber es könnte sich herausstellen, dass man das nicht halb so oft braucht, wie es verwendet wird. Es gibt einen sanfteren Weg.
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