Die Kreise des Leides sind eine ACT Übung, die uns helfen kann, die wahren Kosten unserer Vermeidung von schwierigen Themen im Leben zu erkennen. Wir beginnen mit dem Hauptproblem, das wir vermeiden und analysieren dann das Leid, das sich noch oben drauf ansammelt. So können wir uns vielleicht überzeugen, dass es das kleinere Übel ist, die Vermeidung zu überwinden und das Thema anzugehen. Das ist keine angenehme Übung und ich will, dass ihr das nur probiert, wenn ihr auch die Kapazität habt, Vermeidung zu reduzieren und wenn wir angemessene Hilfe und Therapie habt, um das zu begleiten. Es macht keinen Sinn, sich sowas außerhalb eines Therapie-Kontextes anzuschauen, es sei denn man weiß, dass man das alleine schaffen kann. Probiert es nicht, wenn ihr euch ohnehin schon schlecht oder instabil fühlt.
Vielleicht habt ihr mal den Spruch gehört, dass Schmerz unumgänglich ist aber Leiden optional. Genau darum geht es bei dieser Übung. Wir alle haben emotionalen Schmerz in unserem Leben. Wenn wir damit nicht umgehen, brauchen wir Strategien, um ihn zu betäuben, uns abzulenken oder das sonst wie zu bewältigen. Solche Strategien sind langfristig oft problematisch und verursachen ein gewisses Maß an Leid. Wir laufen jetzt also mit dem ungelösten Schmerz und dem Leid durch unser Copingverhalten rum. Um das zusätzliche Leid zu betäuben, eigenen wir uns noch mehr problematische Strategien an und Überraschung: die führen zu mehr Leid. Wir schaffen uns optionales Leid, das irgendwann größer wird, als es der ursprüngliche Schmerz überhaupt war. Wenn wir das verstehen, haben wir eine ganz andere Motivation, uns um den Schmerz zu kümmern, statt ihn weiter zu vermeiden.
Wir können diese Dynamik sichtbar machen, wenn wir mit Kreisen arbeiten, die sich ausweiten.
1. Wir starten mit einem Kreis in der Mitte, der für unser ursprüngliches Problem steht, das wir vermeiden. Schreibt die Gefühle, Gedanken, Erinnerungen, Beziehungsprobleme etc. auf, die ihr erkennt, wenn ihr da dran denkt. Was ist der Schmerz und die Erfahrung, die damit verbunden ist?
In diesem Beispiel nehmen wir unbearbeitetes Trauma als Schmerz.
Die Trauma Erfahrung:
- Gefühle von Schuld, Scham, Angst, Kontrollverlust
- Gedanken ‘es ist meine Schuld’, ‘ich bin kaputt/schmutzig’
- Bindungsprobleme, Misstrauen
- Erfahrung Opfer zu sein
- ….
2. Dann können wir uns zurück erinnern und rausfinden, was unsere erste Reaktion auf diesen Schmerz war, als er in unser Leben gekommen ist. Wir schreiben diese Dinge in einen Kreis um den Schmerz herum. Wie haben wir uns betäubt, abgelenkt oder das sonst bewältigt? Wie haben wir die Situation gemanaged? Versucht euch nicht selbst zu verurteilen, wir haben alle getan was wir konnten.
In diesem Kreis findet sich vielleicht
- Rückzug, Distanz = Sicherheit
- verheimlichen, um die Scham klein zu halten
- chaotisches Essverhalten für mehr Kontrolle
- sich niemandem zeigen
- Dissoziation
- …
3. Jetzt schauen wir uns den Effekt an, den dieses Verhalten langfristig auf unser Leben hatte. Welche Probleme haben sich entwickelt, weil wir das so gemacht haben? Wie hat das unsere Emotionen, Gedanken, Beziehungen und Erfahrungen beeinflusst? Wenn wir unsere Strategien eingepflanzt hätten, was würden wir dann jetzt ernten? Bemerkt dabei, wo sich ursprünglicher Schmerz noch vermehrt oder sich Probleme wiederholen. Wir schreiben das alles in einen weiteren Kreis um die anderen herum.
Der Kreis zeigt dann vielleicht:
- keine Unterstützung
- bodenlose Einsamkeit
- mehr Scham und Schuldgefühle
- als merkwürdig wahrgenommen werden, mobbing
- keine engen Beziehungen, kein Vertrauen in Menschen
- Menschen projizieren ihre Probleme auf uns
- Dissoziation, Kontrollverlust
- ….
4. Dann machen wir einen nächsten Kreis, indem wir darüber nachdenken, wie wir diese Gedanken, Emotionen, Beziehungsprobleme und Erfahrungen gemanaged haben. Wie haben wir das bewältigt? Was waren die Strategien? Haben wir alte wiederholt und verstärkt oder ist auch was Neues dazu gekommen?
Strategien waren vielleicht:
- Selbstverletzung, um Dissoziation zu unterbrechen
- nach innen/ in eine Fantasiewelt zurück ziehen
- offen für grooming/ungesunde Beziehung, um die Isolation zu beenden
- Gefühle betäuben mit Alkohol
- chronische Scham
- noch mehr Dissoziation
- ….
5. Und im nächsten Kreis untersuchen wir, wir diese Strategien unser Leben beeinflussen, wie wir uns dadurch fühlen, was wir denken, wie sich Beziehungen verändern usw.
Die Auswirkungen sind:
- Besuche in der Notaufnahme
- als psychisch krank erkannt werden, Stigma, noch mehr Scham
- Gedanken kaputt/beschädigt zu sein
- Retraumatisierung, ‘es ist alles meine Schuld’
- Probleme bei der Arbeit
- Einsamkeit
- Kontrollverlust
- ….
Ihr könnt so viele Kreise hinzufügen, bis ihr bei der Situation von heute angekommen seid. Schaut euch immer die Strategie an, dann ihre Auswirkungen, und wieder die Strategie, um mit den Auswirkungen umzugehen.
Wenn wir das für unsere eigenen Situationen machen, merken wir vielleicht, dass eine Menge unserer Probleme sich durch unsere Strategien gar nicht lösen. Sie tauchen im nächsten Kreis einfach wieder auf, mal unverändert und mal verschlimmert. So weiter zu machen, führt zu gar nichts.
Schaut euch all die Kreise um den ursprünglichen Schmerz an. Das alles ist echtes Leid. Und es hat sich so aufgebaut, weil wir damals nicht in der Lage waren, mit dem Schmerz umzugehen. Wenn wir unsere Vermeidung überwinden und uns den Schmerz anschauen, kann sich langsam auch dessen Auswirkung auf unser Leben abbauen. Wir brauchen dann unsere Coping Strategien mit all ihren Konsequenzen nicht mehr. Wenn wir den Schmerz mit der Menge des Leides vergleichen, wird vielleicht klar, dass es wirklich das kleinere Übel ist, sich damit auseinander zu setzen. Das kann eine große Motivation sein, die Vermeidung abzubauen.
Das Beispiel ist sehr groß und allgemein gewählt. Ihr könnt die selbe Technik für kleinere Themen verwenden, wie eure Angst zur Zahnbehandlung zu gehen oder mit dem Vermieter zu reden. Wir alle haben Dinge in unserem Leben, die außer Kontrolle geraten, weil wir sie zu lange vermeiden.
Die Übung kann für jeden Schmerz im Leben angewendet werden, aber ich finde es besonders hilfreich, sich damit die klassischen ‘Phobien’ in der DIS Therapie anzuschauen. Es ist völlig normal dem Inneren Erleben mit Verleugnung zu begegnen, die dann zu mehr Dissoziation, Amnesien, Kontrollverlusten, kaputten Beziehungen, Verwirrung und Chaos und immer noch mehr Scham führt. Dieses Leid wird so viel größer als der Schmerz, dem wir uns stellen müssen, wenn wir uns den anderen Anteilen zuwenden.
Das hier sind die beschriebenen Phobien, die man sich anschauen könnte:
- Bindung/Verlassen werden
- inneres Erleben
- dissoziative Anteile
- Trauma Erinnerungen
- Intimität
- Integration
- Veränderung und ein normales Leben
Diese Phobien sind nicht alle gleichzeitig relevant. Die ersten sind in der Stabilisierungsphase wichtig, die letzten erst nach der Trauma Bearbeitung. Ihr könnt wählen, was ihr euch anschaut, je nachdem wo ihr in Therapie steht und erst mal weg lassen, wofür es noch nicht Zeit ist.
Wenn wir so ausführlich zurück schauen, müssen wir uns radikaler Akzeptanz bedienen. Selbst wenn wir die Muster heute erkennen, ging das eben früher nicht und wenn wir es hätten besser machen können, dann hätten wir das getan. Wir hatten keine angemessene Hilfe. Die Vergangenheit ist vergangen und da lässt sich nichts mehr machen, wir müssen akzeptieren, dass sich die Dinge so entwickelt haben. Es ist normal, dann Trauer und Bedauern zu fühlen. In Scham zu versinken, hilft allerdings nicht. (Mehr Verständnis für Coping Verhalten)
Es ist ein Missverständnis, dass radikale Akzeptanz bedeutet, dass man die Situation dann so lässt. Es ist nicht nötig, da zu sitzen, das Leid wahrzunehmen und achtsam zu bemerken, wie schlimm es ist. So geht man mit Emotionen um, die von alleine nachlassen, nicht mit Situationen und gut behandelbaren Symptomen. Heute ist Veränderung möglich. Es ist unsere Verantwortung, sie umzusetzen. Wir können Mitgefühl für unseren Schmerz erwarten. Wir können nicht wirklich erwarten, dass Menschen verstehen, wenn wir in unserem Leid sitzen und nichts dagegen tun. An der Stelle beeinflusst unsere Vermeidung dann unsere Beziehungen. Radikale Akzeptanz ist nur für Dinge, die sich nicht mehr ändern lassen. Wenn wir an unsere Probleme ran gehen, braucht es nur ganz einfache Akzeptanz, dass wir in dieser Situation sind und unser Commitment, uns dem Schmerz zu stellen.
Leave a Reply