Eines der wichtigsten Werkzeuge, die wir zu Trauma und Selbstregulation lernen können, ist uns richtig umzuschauen. Das klingt zu einfach, um was zu bringen, aber ich versprech euch, das kann einen echten Unterschied machen.
So schaut man sich richtig um:
Setzt euch so, dass ihr in den Raum oder auf euer Umfeld schauen könnt. Vielleicht behaltet ihr dabei eine Wand im Rücken oder setzt euch in einem Sessel, bei dem sich der Rücken geschützt anfühlt.
Beginnt langsam den Blick von einer Seite des Umfeldes zur anderen zu bewegen. Wir nennen die Übung gerne die Leuchtturm Übung, weil unser Blick wandert, wie so ein großer Scheinwerfer.
Bleibt mit dem Blick immer ein bisschen stehen, um bewusst wahrzunehmen, was ihr da seht.
Bemerkt eure inneren Reaktionen auf das Gesehene.
Macht weiter damit, euch alles anzuschauen, während euer Blick wandert. Atmet.
Bemerkt, dass die Dinge, die ihr seht, sicher sind und nichts schlimmes passiert. Genau hier, genau jetzt, ist es ok.
Schaut euch weiter um. Hört nicht nach 30 Sekunden auf. Schaut euch mindestens 3 Minuten lang um, während ihr aufnehmt, dass nichts schlimmes passiert.
Bleibt dabei, auch wenn es langweilig wird. Langweilig bedeutet, dass es wirklich nichts gibt, wovor man Angst haben müsste.
Schaut euch weiter bewusst um.
Umschauen für Profis
Findet eine Stelle, die besonders nett oder einladend oder interessant aussieht.
Lasst euren Blick da verweilen. Nehmt in euch auf, wie nett das aussieht.
Bemerkt eure emotionalen Reaktionen.
Schaut euch diese nette Stelle noch etwas an, die so hübsch aussieht und genießt das.
Umschauen mit einem DIS System
Es hilft, wenn man sich zusammen umschaut. Manche Anteile sind vielleicht nicht ganz Vorne sondern schauen von etwas weiter hinten co-bewusst mit. Manche Anteile sind an ihrem Sicheren Ort und haben vielleicht einen Bildschirm, der ihnen genau zeigt, was die Augen gerade sehen können. So können viele Anteile mitbekommen, dass es sicher, hübsch oder langweilig ist und dass es nichts gibt, wovor man Angst haben muss. Anteile, die reguliert sind und kein Problem haben müssen auch nicht mitmachen, wenn sie keine Lust haben.
Ihr denkt bestimmt ist spinne, mit so einem Unsinn eure Zeit zu verschwenden. Aber das ist eigentlich das Fundament von Orientierung&Grounding und die grundlegendste Übung, die ihr je lernen werdet.
Weshalb das funktioniert
Unsere Augen nehmen Informationen auf, die dann ans Gehirn gesendet werden. Das Gehirn verarbeitet das. Wir realisieren, was wir das sehen und bewerten es. Unsere Auswertung: Ja, das ist sicher. Das ist schön. Hier bin ich sicher, nichts schlimmes passiert.
Diese Information wirkt sich auf den Körper aus. Wir beginnen uns zu entspannen, wenn wir uns sicher fühlen.
Wenn wir damit weiter machen Informationen aus unserem Umfeld aufzunehmen, die uns Sicherheit vermitteln, verstärkt sich das körperlich empfundene Gefühl von Sicherheit und unser Körper beruhigt und reguliert sich. Selbst wenn wir gerade sehr gestresst sind. (siehe Polyvagal Theorie)
Bewusst das aufzunehmen, was hier und jetzt passiert, sorgt dafür, dass es sich realer anfühlt als die Bilder, Gedanken oder Erinnerungen, die wir vorher im Kopf hatten. Beim Umschauen machen wir einen Realitäts-Check und bemerken, dass nichts davon jetzt gerade passiert.
Es ist dabei wichtig, sich lange genug umzuschauen und darauf zu achten, sichere Informationen aus unserem Umfeld zu sammeln. Der Körper braucht ein bisschen, um sich zu beruhigen und das nur kurz zu machen, wie das meist bei der 5-4-3-2-1 Übung gemacht wird, reicht nur für bessere Orientierung. Natürliche Regulation braucht etwas mehr Zeit. Ein paar Minuten reichen aber meist.
Wenn ihr uns länger folgt, wisst ihr, dass wir uns für sanfte und natürliche Methoden einsetzen und DBT Skills wo es geht vermeiden. Wenn man das richtig anwendet, ist Umschauen genauso effektiv und verzichtet dabei völlig auf aversive Stimulation. Regulation darf auch einfach angenehm und beruhigend sein. Probiert es vielleicht mal, wenn es grad so mittel-stressig ist. Über längere Zeit hinweg kann Umschauen auch unser Stresstoleranzfenster vergrößern, weil wir uns einen geerdeten Lebensstil angewöhnen.
Wir leben in unruhigen Zeiten. Medienberichte sind beängstigend. Diese Pandemie macht Angst. Jeden Tag gibt es neue Nachrichten, an denen selbst gesunde Menschen bald verrückt werden. Bleibt zu Hause. Bleibt sicher. Schaut euch in eurem Zimmer um. Genau hier, genau jetzt, ist es ok. Diese Übung kann dabei helfen, nicht die Nerven zu verlieren in einer Welt, die gerade nicht viel Sicherheit zu bieten hat. Vielleicht inspiriert sie sogar dazu, euch eine kleine Ecke besonders hübsch zu machen, damit ihr sie anschauen könnt und etwas Ruhe findet.
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