Wenn du mit Selbstverletzung und Dissoziation ringst und du DBT gemacht hast, hast du bestimmt schon mal eine Verhaltensanalyse gemacht. (Wenn du mir Selbstverletzung und Dissoziation ringst und kein DBT gemacht hast, empfehlen wir das dringend zu tun.)
Wir lieben Verhaltensanalysen, aber sie haben ihre Grenzen. Manchmal begeht ein anderer Anteil die Selbstverletzung, es gibt Amnesien, und eine Verhaltensanalyse frustriert mit Fragen wie “Was genau ist geschehen? Beschreiben Sie so genau, dass ein Schauspieler es nachstellen könnte”. Wie soll ich das wissen!? Ich hab mich gut gefühlt, jemand anderes sollte diese Analyse machen! Wir waren immer kurz davor die Nerven zu verlieren bei dem Versuch etwas zu kontrollieren, das so nicht kontrolliert werden kann. Es braucht ein Team um das zu besprechen.
Wir haben der Verhaltensanalyse ein paar Fragen hinzugefügt und sie für DIS und SystemArbeit adaptiert.
Zuerst müsst ihr eine grundlegende Wahrheit verstehen:
Niemand anderes kann dich kontrollieren. Die einzige Person, die dich kontrolliert, bist du selbst. Du kannst andere Anteile nicht kontrollieren. Sie können aber Selbstbeherrschung lernen. Die treibende Kraft, die Dinge für das System zum positiven wendet, ist nicht Kontrolle, sondern Verbindung. Verbindung ist das Ziel, das Werkzeug und die Praxis von Therapie. Dem System kann geholfen werden durch eine Verhaltensanalyse, die sich auf Verbindung konzentriert statt auf Kontrolle. Das hilft weiter als nur bis zum Verhalten zu schauen. Das eigentliche Problem ist niemals Verhalten, es ist immer Verbindungs-Verlust.
Wir sollten es also eher eine “Verbindungs-Analyse” nennen.
Die folgenden Fragen sollten in einem Inneren Team Treffen diskutiert werden.
1) Beschreibt das Problemverhalten
Wer hat gehandelt? Was hat sie/er getan? Wo? Wer war zu dem Zeitpunkt co-bewusst? Welcher Anteil hatte Einfluss auf das Verhalten (achtet besonders auf Täter-imitierende und bedürftige Kindanteile)? Wer wurde Zeuge von dem, was passiert ist?
2) Auslösendes Ereignis
Was war der Auslöser? Was hat der handelnde Anteil vor dem Verhalten getan, gedacht und gefühlt? Was haben die anderen getan, gedacht und gefühlt? Was waren die individuellen Bedürfnisse von jedem in der Situation? Was ist im Außen passiert, was Innen, als das Verhalten begann? Was wollte jeder einzelne von euch tun? Gab es ein bestimmtes Körpergefühl? Gab es einen Konflikt im Innen oder Außen? War ein Anteil beteiligt, der in Traumazeit fest steckt?
3) Anfälligkeitsfaktoren
Habt ihr genug gegessen, getrunken, geschlafen und Bewegung gehabt? Habt ihre eure Medikamente genommen? Hattet ihr Stress oder viele Emotionen? Habt ihr Alkohol oder Drogen zu euch genommen? Habt ihr hin und wieder einen Check-in mit euch gemacht? Gab es Zeit für Kommunikation und Verbindung? Habt zugelassen, dass jemand Angst kriegen konnte? Gab es ungelöste Konflikte im System? Hatten alle genug Zeit sich auszudrücken/ Zeit im Körper? Gab es besondere Einflüsse, die jemanden unter Druck gesetzt haben? Gab es Probleme mit der Konstellation co-bewusster Anteile? War ein erwachsener Anteil anwesend? War jemand offensichtlich nicht in Raum/Zeit orientiert/ in Traumazeit stecken geblieben?
4) Verkettung von Geschehnissen
Beschreibt alle inneren Reaktionen und Unterhaltungen, die zwischen Auslöser und Problemverhalten statt gefunden haben. Beachtet auch Handlungen, Gefühle, Gedanken, Gespräche, Reaktionen usw von jedem einzelnen im System. Stellt euch das wie eine komplexe, zwischenmenschliche Kette vor, in der die einzelnen Glieder sich beinflussen oder dabei scheitern sich zu beinflussen, jeder trägt Glieder zu dieser Kette bei. Es könnte hilfreich sein eine Landkarte zu zeichen, wo jeder gewesen ist und wie das zusammengespielt hat. Schaut euch die einzelnen Kettenglieder an und diskutiert darüber. Hätten andere im System anders gehandelt und warum? Teilt jeder diese Gedanken? Könnt ihr Empathie empfinden?
5) Konsequenzen
Was waren deine Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen nach dem Problemverhalten? Was haben jeweils die anderen im System gedacht, gefühlt und erlebt? Was sind die kurzfristigen Konsequenzen des Verhaltens (Gedanken, Gefühle, Handlungen, Wohlbefinden, Beziehungen, Selbstwert)? Was sind die langfristigen Konsequenzen (Gedanken, Gefühle, Handlungen, Wohlbefinden, Beziehungen, Selbstwert)? Wie hat das Verhalten Beziehungen innerhalb des Systems beeinflusst. Was denkt/ fühlt ihr über den handelnden Anteil? Was denkt/fühlt ihr über eure reguläre Frontperson? Und andere Anteile? Was denkt/ fühlt der handelnde Anteil über sich selbst? Welche Beziehungen wurden beschädigt? Wer kann die körperlichen Konsequenzen spüren? Warum könnte das problematisch sein? Seid ihr geswitched? Hat das Problemverhalten Auswirkungen auf die Ziele einzelner Anteile?
6) Lösungen
Schaut euch noch einmal die einzelnen Glieder eurer Verkettung an. Wo hätte jeder einzelne von euch anders handeln können? War jemand unachtsam? Wann hätte Innerer Dialog das Verhalten verhindern können? Wann wäre eine gute Zeit gewesen um Skills anzuwenden? Wie hättet ihr eure Anfälligkeit reduzieren können? Was hat euch davon abgehalten das jeweils zu tun? Erlaubt ihr euch miteinander Mitgefühl zu haben? Wer hätte in dieser Situation wen um Hilfe bitten können, sowohl Innenpersonen als auch Außenpersonen? Wie hättet ihr Kommunikation verbessern können? Gab es etwas, was euch abgehalten hat, den anderen zu vertrauen? Fragt euch alle, wie ihr die Situation als Team hättet meistern können. Wer hätte sich um das Außen kümmern können, wer um das Innen? Macht einen Plan, wie ihr solche Situationen in der Zukunft managen könnt. Schreibt euch neue Glieder für eine andere Kette zusammen, die zu einem anderen Ergebnis führt. Was hätten die Anderen in der Situation getan oder gedacht? Kann der handelnde Anteil etwas davon lernen? Basiert das Verhalten vielleicht auf einem Denkfehler, einem Gedanken, dem die anderen nicht zustimmen würden? Schließt einen Vertrag miteinander ab, wen ihr in Zukunft um Hilfe bitten könnt und wer euch bei der Bewältigung unterstützen kann. Schreibt euch auf, was ihr in Zukunft tut. Bereitet euch darauf vor, wie ihre reagiert, wenn dieser Auslöser wieder auftaucht und wie ihr verhindern könnt wieder in dieser Situation, innen wie außen, zu landen.
7) Wiedergutmachung und Versöhnung
Schaut euch den Schaden an, der an Körper, persönlichen Gegenständen und den Beziehungen im System entstanden ist. Erlaubt es dem handelnden Anteil allen Beeinträchtigten zu erklären was mit ihr/ihm los war, wie sie/er sich gefühlt hat, was die Gedanken waren und was das Problem war. (Achtung: Verhalten ist nie das Problem. Das Problem findet sich in der Regel in Verbindungs-Verlust zB mit den anderen oder der Gegenwart). Stellt sicher, dass der handelnde Anteil das volle Ausmaß des Schadens verstanden und empfunden hat. Lasst diesen Anteil erzählen was sie/ er gelernt hat. Gebt euch die Möglichkeit einander zu verzeihen. Jeder ist gefragt in der Bemühung wieder neu Verbindung und Vertrauen aufzubauen. Gebt dem handelnden Anteil Zeit sich etwas zur Wiedergutmachung auszudenken und sich zu entschuldigen. Ein erwachsener Anteil kann hier auch Moderator spielen. Lasst keinen Raum für Angst vor zukünftigem Fehlverhalten! Kommuniziert mit Offenheit und einer Bereitschaft zur Verbindung miteinander. Habt Gnade. Das wichtigste Ziel ist Versöhnung und neue Verbindung, nich die Kontrolle von Verhalten. Wenn jeder in Liebe zum anderen handelt, reduziert das automatisch schädigendes Verhalten.
Schritte zur Versöhnung werden hier Umgang mit Schuld/Schuldgefühlen noch mal genauer erklärt.
Nehmt euch noch mal Zeit und redet noch einmal über euer Gespräch. Wie hat sich das für euch angefühlt, habt ihr irgendwas bemerkt? Beendet das Gespräch nicht, bevor jeder zufrieden ist mit dem Ergebnis.
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