Es gibt eine Menge individueller Dinge, die in der DIS Therapie schief gehen können. Und es gibt auch vorhersehbare Muster, wo eine bestimmte Sorte Fehler zu einer bestimmten Sorte Problem führt. Natürlich trifft das nicht auf jedes System auf dem Planeten zu. Aber es passt oft genug, dass es nicht zufällig ist. Wir benutzen das einfache Modell von ANPs*, kontrollierenden EPs und fragilen EPs, um zu erforschen, wie die zu große Betonung der Arbeit mit einer Gruppe von Anteilen das ganze System destabilisiert, indem ein Ungleichgewicht hergestellt wird.
Die Trauma Trinität
Wir verwenden Nijenhuis’ erweiterte Version zur Theorie der strukturellen Dissoziation.
ANPs sind Anteile, die wenig vom Trauma wissen. Sie managen den Alltag und sind oft phobisch für andere Anteile und vermeiden sie, wo es geht.
Kontrollierende EPs brauchen Kontrolle über die Situation und sie verwenden Kontrolle, um dieses Ziel zu erreichen. Die Rollen von Beschützeranteilen und Täter-imitierenden Anteilen sind hier zusammengefasst.
Fragile EPs tragen das Leid des Traumas und die extremen Gefühle und Erinnerungen, die dazu gehören. Sie sind in der Regel sehr bedürftig und suchen Bindung.
Menschen, die uns helfen, werden früher oder später mit allen diesen Gruppen von Anteilen in Kontakt kommen. Das Ziel ist es, eine dynamische Balance zu schaffen, wie viel Aufmerksamkeit dann alle kriegen. Sich auf eine Sorte Anteil zu sehr zu konzentrieren, führt zu einem Ungleichgewicht, das Chaos und Funktionsverlust bedeutet.
Überbetonung von ANPs
Wir wollen Stabilität im Leben. Wir wollen geerdet und in der Gegenwart sein. Manche Helfende ermutigen ANPs, sich auf die äußere Welt und erdende Aktivitäten zu konzentrieren und das innere Erleben lieber zu ignorieren. Das verursacht in uns Stress und Not, also warum sollten wir uns dem zuwenden. ANPs kriegen manchmal beigebracht, sie wären die ‘echte’ Person und die anderen irgendwie nicht wichtig. Und manchmal möchte auch jemand mit guter Absicht, dass wir erst so stark wie möglich sind, bevor wir uns mit Trauma auseinandersetzen. Das funktioniert so nur nicht immer. Stabile ANPs sind wichtig, aber wenn sie allen Raum einnehmen, erschaffen wir uns einen Druckkessel. Die Bedürfnisse aller EPs werden vernachlässigt. Dann kommt es vermehrt zu Flashbacks, Körperflashbacks, somatischen Symptomen aller Art, Amnesien und Kontrollverlusten. Versuche das noch mehr in den Griff kriegen zu wollen, verursachen nur noch mehr Chaos. Wir und die Menschen, die uns helfen wollen, übersehen, dass wir das selbst verursachen, indem wir das innere Erleben und andere Anteile ignorieren. Zu viel Druck, kein Ventil. Wir reduzieren Symptome, indem wir anderen Anteilen mehr Raum geben und uns um ihre Bedürfnisse kümmern. Die Vorstellung, dass ANPs alleine und immer vorne das Ziel wären, stammt aus den 90ern und ist wirklich veraltet. So macht man es nur schlimmer.
Überbetonung von kontrollierenden EPs
Mit kontrollieren EPs zu verhandeln ist notwendig und daran ist nichts verkehrt. Es kann nur ungute Formen annehmen. Speziell in Situationen, von Helfende versuchen, schwierige Themen wie Selbstverletzung oder Suizidalität zu verhandeln, endet das vielleicht in einem Machtkampf. Helfende versuchen zu bestimmen, was kontrollierende EPs dürfen und was nicht. Und kontrollierende EPs, die Kontrolle brauchen, reagieren auf eine Art, die beweist, dass niemand sie kontrollieren kann. Sie verwenden dafür entweder Worte und beginnen Streit, der schnell sehr gemein werden kann, oder sie benutzen Handlungen, die oft noch viel schädlicher sind. Am Ende kommen Blackouts dabei raus und wir kommen im Chaos zu uns oder im Krankenhaus. Jeder Versuch, das Verhalten zu unterbinden, macht den Machtkampf nur schlimmer. Helfende können dabei nicht gewinnen. Noch mehr in den Streit zu investieren, löst das Problem nicht. Viel schlimmer: Wir haben dabei jedes normale Leben für die ANPs verloren, die in ständiger Angst vor dem nächsten Switch leben und haben alle unsere Aufmerksamkeit von verletzten Kindanteilen weggenommen, die Hilfe brauchen. Die Aufmerksamkeit muss zurückkehren zu einer systemischen Perspektive, wo alle wichtig sind und gehört werden. Wir wurden abgelenkt und das ist kein Zufall.
Überbetonung von fragilen EPs
Die extreme Bedürftigkeit von fragilen EPs kann Helfende davon überzeugen, dass sie diesen Bedürfnissen begegnen müssen, die Kinder nachbeeltern und immer für sie da sein. Gesunde Grenzen werden aufgeweicht, weil es herzzerreißend ist, so viel Verlorenheit und Verzweiflung zu sehen. Während korrigierende Erfahrungen wichtig sind, ist richtiges Nachbeeltern nicht empfohlen. Sonst bekommen wir ein System, in dem fragile EPs mehr und mehr Vorne sind, damit sich jemand um ihre Bedürfnisse kümmert. Und die ANPs tauchen immer weniger auf. Es kümmert sich je jemand um die Kleinen und dann müssen wir uns unseren eigenen Ängsten nicht stellen. Das sollen die Helfenden machen, die können das sowieso besser als wir. So geraten Systeme in Abhängigkeit und verlieren ihre Tüchtigkeit, als Erwachsene in dieser Welt zu funktionieren. Das kann so weit gehen, dass man kaum noch einen erwachsenen Anteil findet. Wenn kontrollierende EPs, die ja wirklich oft noch jünger sind und nur eine ältere Rolle spielen, sich daneben benehmen, wird das als Ausrutscher runter gespielt und so verlieren sie ihr Gefühl von Macht. Das System wird umfassend infantilisiert und sich da wieder raus zu retten ist unfassbar schwer. Das ist ein Extremfall, aber das gibt es. Wir erschaffen ein Gegengewicht, indem wir ANPs mehr ansprechen, wenn es scheint, als würden sie mehr im Hintergrund verschwinden, bevor es so schlimm wird.
Diese Dynamiken sind vorhersehbar. Wir üben, die Anzeichen zu erkennen:
- Anstieg von Symptomen, besonders körperliche Probleme und Amnesien
- Machtkämpfe und Kontrollverluste mit schädlichem Verhalten
- erwachsene Hosts ziehen sich zurück, Kindanteile rutschen in die Host Rolle
Das kann uns helfen, zu bemerken, wenn wir abgelenkt werden oder wenn jemand nicht genug Aufmerksamkeit oder Verantwortung bekommt. Wir balancieren das System aus, indem wir die Aufmerksamkeit auf eine andere Gruppe Anteile richten. Das ist in der Selbsthilfe nützlich, wo wir manchmal ein Ungleichgewicht bei uns selbst verursachen, weil Themen sich zu beängstigend anfühlen, um uns zu kümmern. Die, die sich selbst für Helfende von Menschen mit DIS halten, sollten sich der Dynamik noch viel bewusster sein. Sie erschaffen manchmal ein Ungleichgewicht von so enormem Ausmaß, wie wir das alleine nie hinbekommen hätten, weil sie zu unwissend sind, um zu bemerken, was sie anrichten.
Ihr findet das irgendwo im zweiten Buch der Trauma Trinität von E. Nijenhuis. Ich… sag euch Bescheid, wenn ich es wieder gefunden hab.
* Es ist mir völlig klar, dass der Plural von ANP/EP eigentlich ANP/EP ist. Das benutzt so nur kein Mensch, weil es nicht intuitiv ist. Wir versuchen also, eine bessere Lesbarkeit zu erreichen.
Jessica says
Hallo Theresa,
ich wollte zu diesem Thema in der angegebenen Quelle nachlesen. Ich habe mir das Inhaltsverzeichnis von “Die Trauma Trinität” angesehen und weder am Ende von Band 1 noch im Rest des Buches etwas gefunden, das zu diesem Thema passt. Vielleicht ist es auch nur aus den Überschriften der Kapitel nicht ersichtlich… Könntest du mir sagen, wo im Buch ich das finde?
Vielen Dank für deine wertvolle Arbeit!
Theresa says
Ich hab noch mal nachgeschaut. Meine Notizen dazu gehören zum 2. Buch von der Trauma Trinität. Fehlleistung meiner Erinnerung… Ich finde es furchtbar schwer da irgendwas zu finden, weil der mit seinen Überschriften einer eigenwilligen Logik folgt. Sollte ich es genauer sagen können, schreib ich das noch mal.
Jessica says
Danke
Linehme says
„Überschriften einer eigenwilligen Logik folgt“
Na da bin ich aber beruhigt, dass es nicht nur mir so ging im „Wenn ich was in der Trauma-Trinität gefunden habe, brauch ich einen eigenen Vermerk, denn im Verzeichnis und den Überschriften finde ich das nicht mehr wieder“.
Viele Grüße,
Linehme
Dr. Susanne Ruff-Dietrich says
Ich hatte es schonmal an anderer Stelle versucht, aber hier passt es besser hin: Sollten Anteile, die gerade z.B. Traumatage haben oder aus anderen Gründen sehr instabil sind eher ‘nach vorne geholt’ werden, also ermutigt Zeit mit Helfenden zu verbringen, oder sollte man sie eher in Ruhe lassen und nur die ANPs ermutigen, auf sie einzugehen?
Theresa says
ich hab das glaube ich auch schon mal versucht zu beantworten. Man kann das so nicht sagen. Es kommt vor allem darauf an, wie Orientierung gut gelingen kann und ein Gefühl von Sicherheit entsteht. Für manche Anteile ist Innen sein, zusammen mit inneren Helfern und in einem sicheren Raum, das, was ihnen die meiste Sicherheit vermittelt und Kontakt mit anderen Menschen ist eher mit Risiken behaftet es noch schlimmer zu machen. Andere brauchen Orientierung im Außen, weil sie ganz genau wissen müssen, was passiert, um sich sicher zu fühlen. Deswegen muss man das glaube ich von den Anteilen und der Situation abhängig machen und ausprobieren, wie es am besten geht. Es gibt auch die Möglichkeit co-bewusst mit raus zu schauen, während Erwachsene die Situation managen. Das ist für mich oft die beste Lösung.