Duale Aufmerksamkeit ist eine wichtige mentale Fertigkeit, die wir für die Regulation und zur Trauma Verarbeitung brauchen. Für duale Aufmerksamkeit müssen wir fähig sein, gleichzeitig mit der Aufmerksamkeit bei unserer inneren Realität zu sein und bei unseren Sinnen, die uns die äußere Realität wahrnehmen lassen.
So können wir orientiert und geerdet bleiben, wenn Situationen triggern. Wir können unsere Gefühle, Gedanken und inneren Bilder wahrnehmen, während wir uns auch der Welt um uns herum bewusst sind, in der nichts schlimmes passiert. Das ist ein Grundprinzip von Regulation, das oft übersehen wird.
Alle mir bekannten wirksamen Techniken zur Trauma Bearbeitung benötigen duale Aufmerksamkeit. Wir schauen uns die Erinnerung von traumatisierenden Erfahrungen an, während wir auch in der Gegenwart geerdet und uns unserer Umgebung zumindest grob bewusst sind.
Für chronisch Traumatisierte kann das ziemlich schwer sein. Wir neigen dazu, entweder all die alten Dinge zu fühlen und da völlig drin unter zu gehen oder wir sind gut orientiert aber abgeschnitten von unserem inneren Erleben. Ziel ist es, mit einem Fuß in der Gegenwart zu stehen und mit dem anderen in der Vergangenheit und da zu balancieren.
Menschen mit Komplextrauma müssen ihre Fertigkeiten in dualer Aufmerksamkeit oft erst trainieren, bevor sie das mit Trauma Erinnerungen probieren können. Das braucht mentale Kapazitäten, die nicht immer von Anfang an schon zur Verfügung stehen.
Ihr könnt euch eure eigenen kleinen Übungen basteln, indem ihr einfach Elemente von innerem Erleben frei kombiniert mit eurer sensorischen Wahrnehmung eures Körpers oder der Außenwelt.
Wählt eine dieser inneren Handlungen
- erinnere dich an einen schönen Moment
- bemerke, ob du einen Impuls oder einen Drang zu irgendwas spürst
- bemerke deine Gefühle
- wiederhole ein Mantra in deinem Kopf
- stell dir einen rosa Elefanten vor
- hol dir das Gesicht eines Lieblingsmenschen vor dein inneres Auge
- erinnere dich an deine letzte Therapiesitzung
- lass eine Szene von einem Film den du magst in deinem Kopf abspielen
- lese in einem Buch
- ….
Und kombiniere die mit einer dieser sensorischen Handlungen
- achte auf deinen Atem
- spüre deine Hände
- bemerke die Gegenstände um dich herum
- höre was für Geräusche es gerade gibt
- spüre wie an- oder entspannt deine Muskeln sind
- spüre wo dein Körper die Sitzfläche berührt
- schau rauf und runter, recht und links was es da so gibt
- berühre eine Oberfläche und spüre, wie sie sich anfühlt
- hör dir ein Musikstück an
- ….
Ich hab mir die Optionen ganz offensichtlich ausgedacht und das könnt ihr auch. Manche Kombinationen sind einfacher als andere. Wenn das möglich ist, lohnt es sich, damit anzufangen auf den Atem zu achten, während ihr mit dem Kopf irgendwas anderes macht. Über den Tag mit dem Atem in Kontakt zu bleiben hilft bei der Regulation und das zu üben ist nie verschwendete Zeit.
Wenn es noch zu schwierig ist auf innere Handlungen zu achten, sucht euch eine Stelle am Körper aus und behaltet die in eurer Aufmerksamkeit, während ihr auf Geräusche hört.
Dreifache Aufmerksamkeit
Wenn wir gestresst sind verlieren wir schnell die Verbindung zu anderen Wesen um uns herum. Wenn wir also schon bessere Fähigkeiten in dualer Aufmerksamkeit haben, könnten wir unsere Bewusst-Sein für andere Menschen dazu nehmen, quasi als dreifache Aufmerksamkeit. Dann könnten wir zB üben unsere Muskelspannung zu bemerken, während wir unsere Gefühle beschreiben und gleichzeitig aufmerksam sind für unsere Ts und deren Körpersprache. So eröffnen sich mehr Möglichkeiten für Co-Regulation.
Multiple Aufmerksamkeit
Menschen mit DIS können noch mehr Schichten hinzufügen, indem sie auf die unterschiedlichen inneren Erfahrungen gleichzeitig achten. Dann könnten wir spüren wie ‘ich’ mich in einer Situation fühle und gleichzeitig, wie andere Anteile sich fühlen, und das gleichzeitig in der Aufmerksamkeit halten. Diese Fähigkeit bringt uns enorm weiter, wenn wir an Co-Bewusstsein und einem integrierteren Leben arbeiten.
Im nächsten Schritt könnten mehrere Anteile gleichzeitig versuchen die anderen zu spüren. Und dann kann man versuchen, das Bewusst-Sein für die Außenwelt mit dazu zu nehmen. Das ist harte Arbeit.
So richtig gut sind wir, wenn wir auf unsere vielfältigen inneren Erfahrungen achten können, während wir auch unseren Körper spüren können und unser Umfeld und die Menschen darin nicht aus den Augen verlieren. Das klingt sehr schwierig, aber es ist Übungssache und niemand kann das sofort ohne üben. Das ist auch das Level, das benötigt wird, wenn man klassische Verfahren zur Trauma Bearbeitung wie EMDR mit einem System anwenden möchte. Wenn ihr das nicht könnt, braucht es fragmentierte Verarbeitung. Es ist der Job eurer Ts Verfahren zu wählen, die zu euren Fertigkeiten passen.
Fangt mit dem Üben klein an und wenn ihr eins geschafft habt, könnt ihr mehr dazu nehmen. Übt nicht so lange, das ist mental sehr anstrengend und nach einer Weile wird es unnötig viel schwerer. Und übt das nicht mit Trauma Erinnerungen, für die ist in der Therapiestunde genug Zeit.
Sylvia says
Liebe Theresa,
Ich möchte einfach mal Danke sagen:
Danke für deine ausführlichen Artikel.
Danke, dass du am Ball bleibst!
Danke, dass du andere Menschen informierst.
Das hat mir schon geholfen und wird mich noch weiter begleiten.
:-*
Sylvia
Annabelle says
Liebe Theresa,
ich bin immer wieder aufs Neue von deiner Seite geflashed !
Ich bin selbst Betroffene und arbeite aber gleichzeitig auch mit mehrfach traumatisierten Menschen zusammen in meinem Beruf. In beiden Settings ist deine Seite einfach genial! Hab sie schon an alle meine Kollegen weiter empfohlen, die ebenfalls sehr begeistert sind!
Ein herzliches Dankeschön für deine tolle Arbeit hier!
Liebe Grüße Annabelle