Freunde und Helfer fragen sich oft, wie sie für die Menschen, um die sie sich kümmern, eine sicheres Gegenüber sein können. Als Überlebende fühlen wir uns oft überfordert, wenn wir gefragt werden, wie man uns unterstützen könnte, weil es so viel zu sagen gibt und zu viel, was uns durch den Kopf purzelt, um eine kurze Antwort geben zu können.
Ich werde also mal anfangen Antworten zu geben. Manches davon basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, manches sind Erfahrungswerte, die wir mit anderen Betroffenen gesammelt haben, einiges ist unsere eigenen Erfahrung.
Wir werden auch häufige Trigger ansprechen, die Helfermenschen vermeiden sollten, wenn ihr also selber Überlebende seid, achtet bitte darauf, dass wir Sachen erwähnen werden, die vielleicht dazu führen könnten, dass ihr euch unwohl fühlt. Achtet da gut auf euch und macht euch immer bewusst, es sind nur getippte Worte, es passiert gerade nichts schlimmes.
Eine sichere Person sein für Anfänger
Fass uns nicht einfach ohne Erlaubnis an. Du kannst keine Form von körperlichem Kontakt einfordern, nicht mal ein Händeschütteln. Steck dir deinen Stolz irgendwo hin, am besten zu deinen eigenen Bedürfnissen und halte dich zurück, uns zu sagen, dass wir aber unhöflich sind (Überraschung! Das wissen wir selber!) oder sonst irgendwie Druck auf uns auszuüben.
Wenn die Erlaubnis für Berührung einmal gegeben wurde, zählt das nur für diese Situation (und vielleicht checkst du nach ner Weile noch mal, ob es wirklich immer noch ok ist). Umarmen an einem Tag heißt noch nicht, dass das auch am nächsten Tag möglich ist. Oder 3 Stunden später. Gewöhn dir das einfach an jedes Mal zu fragen. Das tut auch gar nicht weh das in allen Beziehungen zu etablieren. Du wärst vielleicht erstaunt wie oft der eigene Partner oder die bff keine Lust auf Berührungen haben. Ein Lebensstil von Consent kann auch spannend sein und Beziehungen eine andere Tiefe verleihen. Kleine Warnung, wir beobachten dich natürlich und besonders, wie du persönliche Grenzen in deinen anderen Beziehungen achtest.
Fass unsere Sachen nicht ohne Erlaubnis an. Die sind wie ein erweiterter Körper, sie gehören uns und sie anzufassen kann sich wie eine intime Handlung anfühlen, mit der wir uns vielleicht nicht gut fühlen. Also du musst wahrscheinlich nicht extra fragen, ob du ein Glas anfassen darfst, um draus zu trinken (außer es ist meins!). Aber wenn es um Bücher, Tagebücher, Stofftiere, Handtaschen, Handy, Sammlungen etc geht. Fass nie etwas an, was einem jüngeren Anteil im System gehört, ohne die ausdrückliche Erlaubnis dieses Anteils.
Selbst wenn wir uns gar nicht berühren, lass uns großzügig Platz. Wir mögen das oft nicht, so nah an Leuten dran zu sein, dass wir ihre Wärme spüren oder ihren Atem hören können. Welcher Abstand auch immer sich für dich natürlich anfühlt + 20-50cm ist für uns wahrscheinlich angenehmer.
Sei angezogen. Wir reagieren oft verstört, wenn wir große Flächen nackte Haut sehen. Das heißt jetzt nicht, dass du dich wie eine Nonne anziehen musst, bedecke einfach alles, was man normal so bedeckt hat und dann sollte das gehen.
Versuche keine plötzlichen Bewegungen zu machen. Das braucht etwas Übung, aber irgendwie erwarten wir geschlagen zu werden, selbst wenn du das nie getan hast, das ist so was wie ein Instinkt, den wir in TraumaZeit erworben haben.
Ich muss nicht extra sagen, dass du uns nicht schlagen solltest, noch sonst irgendwie Gewalt ausüben. Wir hatten genug Gewalt für 5 Leben, da braucht man nichts mehr hinzufügen. Für manche hilft es, wenn man vorher sagt, dass man sich bewegen möchte, bevor man es auch tut, damit wir uns nicht so erschrecken.
Wenn du zappelst, macht uns das auch zappelig, wenn du dich gar nicht bewegst, ist das unheimlich und wir dissoziieren leichter. Sei einfach entspannt. Du wärst erstaunt wie genau wir unterbewusst darauf achten wie du atmest und wie angespannt deine Kiefermuskeln sind. Das kann sich wie eine Menge Druck anfühlen, in der Gegenwart von jemandem zu sein, der so genau darauf achtet wie reguliert du bist und wie verspannt deine Muskeln, aber das beste, was man machen kann ist sich einfach zu entspannen.
Benutz deine Mimik ganz natürlich, wenn wir reden. Wir mögen stille Gesichter gar nicht. Das neutrale Gesicht, was Ärzte und Therapeuten oft verwenden, ist sowas von 1980. Die Wissenschaft weiß heute, dass wir positive und soziale Mimik brauchen, um uns sicher zu fühlen. Es würde sogar helfen, wenn du leicht rot wirst.
Benutze nur ein echtes Lächeln und halte das nicht übertrieben lange, das sieht nur unheimlich und unehrlich aus. Wir haben sowas wie einen 7. Sinn für gefaktes Lächeln und das braucht man gar nicht. Wenn wir das Gefühl haben dein Lächeln oder andere Mimik ist falsch, hast du sofort unser Vertrauen verloren und es wird schwer das wieder zu kriegen. Wir sind das gewöhnt, dass Täter fake-lächeln und uns dann weh tun. Wenn irgendwas an dir künstlich wirkt, ist unsere erste Assoziation TraumaZeit. Das coole ist, du kannst einfach du selbst sein. Kein Verstellen nötig.
Die Toleranz für Augenkontakt ist zwischen Überlebenden sehr unterschiedlich. Push da nichts, wenn wir lieber nach unten schauen und starr uns nicht an wie ein Creep, halte den Blick weich. Wir können alle mal hinschauen und wieder weg, wie ein kleiner Tanz, und wenn man sich nicht total verkrampft, klappt das in der Regel irgendwie.
Rieche gut. Vermeide es komplett nach Zigaretten, Alkohol oder Schweiß zu riechen, das sind extrem verbreitete Trigger (und seien wir mal ehrlich, das sind jetzt grundsätzlich keine tollen Gerüche!). Bei jeder Art von Parfum kann man unser Herz erobern oder total verkacken. Das ist vielleicht eines der merkwürdigeren Gespräche, die man haben kann, aber das ist es oft wert. Wenn du mit einer Überlebenden zusammen bist, würde ich das glatt zu einem Event machen, zusammen parfümierte Produkte jeder Art auszusuchen.
Sprich normal und vielleicht nicht so laut, schrei uns nicht an und verwende Sprachmelodie. Wenn du so richtig monoton redest, dissoziieren wir leichter und du wirst wie zu so einem brummenden Hintergrundgeräusch.
Versuch das mit dem fluchen zu lassen. Die Leute, von denen wir das in der Vergangenheit gehört haben, waren nicht sehr nett und an die willst du uns sicher nicht erinnern. Halte deine Aggression in Grenzen. Bitte sag nicht, was du anderen schlimmes antun würdest, drohe nicht und verhalte dich auch sonst nicht wie eine gefährliche Person. Wir haben junge Orte in unseren Herzen, die nicht verstehen, dass da nur die Wut spricht, sie denken, dass du nun endlich doch dein wahres Gesicht zeigst und alles Nette davor nur Lügen waren.
Es ist auch so, dass selbst Ts, wenn sie schlimme Sachen über Täter sagen, uns manchmal einschüchtern. Sie können auf unserer Seite sein ohne uns ihre Aggression zu zeigen. Das ist eine Seite von ihnen, die für uns oft zu komplex ist, um das einordnen zu können. Wir versehen das sehr wohl, wenn wir jemandem zuschauen, wie sie ihre Emotionen in den Griff kriegen, die müssen gar nicht ausgedrückt werden.
Wenn du etwas über unsere Geschichte und Trigger weißt, kannst du versuchen, die im Gespräch zu vermeiden. Unsere Erfahrung ist, dass Leute oft gut acht geben, wenn wir unter vier Augen reden, aber sobald wir in einer Gruppe sind führen sie Gespräche über Misshandlungen, Vergewaltigungen, Gewaltverbrechen, Pornographie, wie Frau B. ihre Kinder vernachlässigt, Leute die elektrische Schläge kriegen, (abnorme) sexuelle Praktiken oder Nahtoderfahrungen ohne zu bemerken, dass das für uns vielleicht schwierig ist. Wir stellen uns doch grad alle normal, oder? Nun… wenn man sich die Statistiken so anschaut, hören vielleicht grad auch noch andere zu, die dieses Gespräch lieber nicht hätten.
Gib Triggerwarnungen. Es hat einen Grund, warum es sowas gibt. Die geben uns die Freiheit uns zu prüfen, ob wir heute bereit sind etwas herausforderndes zu hören oder nicht. Sie führen nicht zu einer Kultur des Vermeidens. Inhalte, die mit einer Trigger Warnung markiert sind, werden oft sogar häufiger gelesen als normale Nachrichten, weil wir nette Menschen sind und anderen gerne weiter helfen, wenn es für die gerade schwer ist. Aber das gibt uns eine Entscheidungsmöglichkeit. Wenn wir uns unterhalten, kannst du kurz sagen, über was für ein Thema du reden willst und uns fragen ob wir das heute hören können.
Wenn wir über schwierige Themen reden, werden wir einfallsreich mit unserer Sprache. Wir benutzen softere oder förmlichere Worte, beschreiben einmal um den Elefanten im Raum herum, wir sind Meister der Untertreibung und wir machen das alles nicht, weil wir uns schämen würden Sachen beim Namen zu nennen, sondern weil es leichter ist das zu ertragen und uns nicht so viel Stress bereitet. Wenn du genau zuhörst kannst du auch lernen so zu sprechen. Jahrelanger schwerer Missbrauch wird dann zu einer ‘schwierigen Vergangenheit’, Vergewaltigung zu einer ‘physischen Grenzüberschreitung’ und Selbstverletzung vielleicht zu ‘problematischem Verhalten’. Mit dieser Art Trauma-Tabu Spiel können wir verhindern, dass alleine die Wortwahl schon triggert.
Fang nicht plötzlich an von unserem Traumahintergrund zu reden ohne uns zu warnen und absolut nicht in der Gegenwart von Fremden. Es ist unsere Entscheidung, mit wem wir das teilen wollen, das ist sensible Information, die nicht jeder wissen muss. Das ist umso wichtiger für DIS. Und erzähl Leuten auch nichts von unserer Geschichte, wenn wir nicht dabei sind!
Respektiere, dass wir unser bestes geben. Das ist so. Das ist vielleicht nicht viel und sieht unschön aus, aber wenn wir es besser könnten, würden wir es besser machen, ehrlich. Höhe Ansprüche, Forderungen oder Wut, Urteile, Schuldzuweisungen oder Beschämen ändern kein bisschen an dem Besten, was wir gerade können.
Sei geduldig. Manchmal funktioniert unser Gehirn nicht richtig, manchmal brauchen wir Zeit zum regulieren. Manchmal brauchen wir lange. Deine Frustration hilft dabei nicht. Komplexe PTBS kann wie eine Behinderung sein, du kannst nicht von uns erwarten, dass wir funktionieren wie Menschen, deren Gehirn und Nervensystem nie beschädigt wurde.
Gib uns keine Ratschläge zu unserer psychischen Gesundheit, es sei denn du weißt tatsächlich ziemlich genau Bescheid über komplexe PTBS. Aussagen wie ‘du musst das auch mal los lassen und weiter leben’, ‘alle Eltern machen Fehler’ oder ‘so schlimm kann es nicht sein, du kannst ja vollzeit arbeiten gehen’ helfen nicht. Bitte nimm an, dass du keinen Schimmer davon hast, wie sich ein Flashback anfühlt und was das Gehirn und Nervensystem so machen, außer du kennst dich so richtig damit aus.
Hör zu und lerne, behalte deine Ratschläge für dich. Ärzte und Therapeuten haben bis heute keinen schnellen Weg gefunden um PTBS zu heilen. Dir wird wahrscheinlich nicht spontan die sichere und einfache Lösung einfallen. Kleiner Tipp: Yoga, glutenfrei oder wahlweise vegan Essen, ätherische Öle, beten, Sauna oder was immer dir einfällt ist keine Heilung. Menschen, die es nicht aushalten, dass es keine schnelle Lösung gibt, sagen uns sowas ständig, oft machen wir das schon längst oder haben es zumindest schon probiert, wir leben nicht seit gestern mit komplexer PTBS. Deine Ideen kommen nur dir zum ersten Mal. Überlebende spielen mit solchen Phrasen und Ratschlägen Bullshit Bingo. Sei keiner von diesen Menschen.
Manche Leute verhalten sich super merkwürdig, so als wären wir irgendwie aus Zucker. Genau genommen haben wir schon viel mehr überlebt als die. Es gibt überhaupt keinen Grund wie auf Eierschalen zu laufen vor Angst irgendwas falsches zu sagen. Wir erwarten gar nicht, dass du nie triggerst, nur dass du draus lernst. Mit der Zeit geht das alles in Fleisch und Blut über und man denkt gar nicht mehr drüber nach. Menschen, die sich auch dauerhaft total merkwürdig verhalten, haben in der Regel selbst irgendwo ein Problem und vielleicht solltest dir das dann zu denken geben und du findest irgendwo Hilfe für dich selbst.
Das sind Dinge, die wir für grundlegend halten im Kontakt mit Überlebenden.
Wenn ihr selbst betroffen seid, was würde euch helfen? Schreibt das gerne in die Kommentare.
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Lin says
ich bin traumatherapeutin und auf diese Seite gestoßen, ich bin im höchsten maße begeistert, wie reflektiert, distanziert und dennoch beteiligt, Sie Ihre Erfahrungen berichten. Und auch sehr berührend. Das ist die beste Seite, die ich fand, besser verständlich für uns, auf jeden Fall lehrreicher als viele Manuale, die oft am tatsächlichen Empfinden und Leben vorbeigehen. DANKE und Alles Gute für eine schöne Zukunft, die ich Ihnen wünsche und die Sie sicher haben werden, denn die Vergangenheit liegt schon hinter Ihnen. Nochmals danke für den wertvollen Beitrag und die Mühe, die Sie sich machen auf Ihrer Seite.
Theresa says
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