Nachdem wir uns das Standardprotokoll für EMDR angeschaut haben und wie man das verändert für DIS, wollen wir jetzt noch mal die Technik selbst auf der Basis unserer eigenen Erfahrungen damit diskutieren. Wie immer konzentrieren wir uns auf die Behandlung von komplexer Traumatisierung mit struktureller Dissoziation.
Manche Leute vertrauen EMDR nicht, weil nicht ganz klar ist, warum es wirkt. Die Annahmen dazu beinhalten bilaterale Stimulation, bifokale Aufmerksamkeit, einen Einfluss auf das Arbeitsgedächtnis, Brückenbildung, die Dissoziation überwindet und Titration, aber es lässt sich kaum sagen, was davon die wirksamen Elemente sind. Studien zeigen sich widersprechende Resultate (wie eine, die beweist, dass Augenbewegung besser wirkt, als andere Formen der bilateralen Stimulation und andere, die beweisen, dass man eigentlich gar keine bilaterale Stimulation braucht). Worin die Studien sich allerdings einig sind, ist dass EMDR funktioniert. Ich hab keine Ahnung, was in meinem Handy so abläuft und benutze es trotzdem. Vielleicht ist das Warum viel wichtiger für Forschende, als für uns Traumatisierte, die wir nur die Sicherheit brauchen, dass es funktioniert.
Selbst wenn bilaterale Stimulation vielleicht keinen großen Unterschied macht für Menschen mit einem einzelnen Trauma, hat sie doch oft einen Einfluss auf strukturelle Dissoziation. Für manche macht sie innere Kommunikation einfacher und bietet einen Zugang zu Anteilen, die sonst hinter dissoziativen Barrieren verborgen bleiben. Für manche ist dieser Effekt zu stark und sie werden innerlich überrollt. Es ist nicht möglich vorherzusagen, was passieren wird, wenn wir das probieren. Es braucht sehr achtsame und vorsichtige Ts, die diesen Nebeneffekt kennen, um das zu erforschen. Ob EMDR für uns hilfreich sein kann, hängt hier viel von unserer eigenen Reaktion ab. Ich selbst gehöre zu den ‘glücklichen’, wo der Effekt moderat ist, deswegen kann ich bilaterale Stimulation nutzen, ohne dabei auf größere Probleme zu stoßen. Aber es muss klar sein, dass es nicht für jeden funktionieren wird.
Insbesondere wenn bilaterale Stimulation ein Teil von Programming war, haben Systeme zu kämpfen. Organisierte Tätergruppen klauen sich gerne Techniken, um sie zu pervertieren und das kann zum starken Trigger werden.
Ganz grundsätzlich ist es nicht blöd Augenbewegungen zu nutzen, ganz unabhängig davon, ob das jetzt beim Prozessieren hilft oder nicht, weil es ein einfaches Mittel ist, wie Ts erkennen können, wann wir dissoziieren. Sie können unterbrechen, wenn wir nur noch geradeaus starren oder der Bewegung nicht mehr folgen können. Es ist sehr viel schwieriger bei ungewohnter Augenbewegung zu dissoziieren als zB wenn man auf einem Rad strampelt.
Titration erweist sich als eine der Techniken, die das Prozessieren für Menschen mit komplexer Traumatisierung sehr viel machbarer gestalten. Es bedeutet die kleinst möglichen Schritte zu gehen und dem Körper dann Zeit zu geben, sich zu regulieren und das zu ‘verdauen’. Die Art, wie EMDR Intervalle von Exposition und Pausen zur Re-Orientierung nutzt, ist dem sehr ähnlich. Die Schritte sind immer noch größer, als man das in der Körperarbeit machen würde. Dass auch Fragmente prozessiert werden können statt ganzer Szenen, verstärkt den Effekt aber. Das ist ein deutlicher Unterschied zu anderen Expositionstechniken, die Anspannung über lange Zeit aufrecht erhalten, während man sich durch Anfang, Mitte und Ende einer Erinnerung bewegt. Das titrations-ähnliche Prozessieren ist sanfter und es besteht weniger Gefahr als PatientIn völlig überrollt zu werden. Deswegen ist das sehr viel geeigneter für schwere Traumatisierung.
In den Pausen zwischen den Intervallen gibt es engen Kontakt und Austausch mit der T, was zu der Erfahrung führen kann, nicht alleine gelassen zu werden mit dem Trauma und Hilfe bei der Regulation und schwierigen Gefühlen und Gedanken zu haben. Auf diese Weise behandelt EMDR auch das zwischenmenschliche Trauma, bietet eine korrigierende Erfahrung an, ohne dass das zu einem getrennten Schritt im Therapieprozess wird. Bei komplexer Traumatisierung ist ein co-regulierendes Gegenüber extrem wichtig, um Trauma Mustern entgegen zu wirken. Das kann EMDR ziemlich gut.
Grundsätzlich ist EMDR sanfter, für Ts wie für PatientInnen. Es ist nicht nötig, über Details des Traumas zu sprechen. Es reicht, wenn wir wissen, wo wir gerade innerlich sind und die Teile davon, die für den Prozess wichtig sind, teilen. Die Verarbeitung ist zügig und muss nicht immer und immer wieder wiederholt werden wie bei klassischer Desensibilisierung.
Es kann zu einer sofortigen Erleichterung kommen, selbst wenn man extrem fraktioniert prozessiert. Zu bemerken, dass schon kleine Einheiten von EMDR einen spürbaren Unterschied machen können, hält die Motivation aufrecht weiterhin zur Therapie zu gehen. Gerade wenn es sich anfühlt, als würden wir auf ein Leben von nichts als Trauma schauen, zu viel, um das je alles zu bearbeiten, erhalten solche kleinen aber wichtigen Erfolge die Hoffnung aufrecht. EMDR ist bekannt dafür, dass Cluster von ähnlichen Erfahrungen gleichzeitig prozessiert werden können, sodass es nicht nötig ist, jede Trauma Erinnerung einzeln anzuschauen.
Therapierende benutzen unterschiedliche Ansätze für die EMDR Behandlung von Menschen mit struktureller Dissoziation. Dabei wird es zunehmend populär mit dem ‘Erwachsenen Selbst’ zu arbeiten und den Anteil Vorne alles Innen managen zu lassen. Wechsel werden abgelehnt. Das ist nicht so chaotisch und einfacher für Ts. Es ist leider auch schwerer für PatientInnen. Der größte Teil meiner EMDR Erfahrung ist mit diesem Behandlungsansatz und die Belastung, die dabei auf der Frontfrau abgewälzt wird, hätte mich fast zerbrochen. Damit die Verarbeitung funktioniert ,wurde die Host mit Erinnerungen geflutet, im Grunde traumatisiert mit Inhalten, die sie vorher nicht kannte, damit das dann mit jemandem weiter Hinten verarbeitet werden konnte. Das ist nicht ideal. Ts, die darauf bestehen, dass es immer das beste ist, durch das ‘Erwachsene Selbst’ zu arbeiten, verstehen zum Großteil nicht, wie das für die Anteile Vorne funktioniert. Mit aller Erfahrung, die ich heute habe, wäre ich extrem vorsichtig mit einem T zu arbeiten, der auf erwachsene Anteile zum prozessieren besteht.
EMDR ist nämlich prinzipiell einfach genug, dass auch jüngere Anteile Vorne das schaffen können, die machen das schon. Oft ist es effektiver Sachen direkt zu prozessieren, statt durch den Filter der Host zu gehen.
Es wäre wichtig, dass Ts verstehen, dass es verschiedene Gründe fürs Switchen während der Verarbeitung geben kann. Manchmal wird es zu intensiv, wir ziehen uns zurück und jemand anderes landet Vorne, um das zu regeln und das verhindert weitere Verarbeitung. Das passiert dann immer noch aus sehr gutem Grund und wenn es passiert, hat die T nicht rechtzeitig aufgehört. Das ist nicht unser Fehler. Aber manchmal passiert ein Switch auch, weil ein bestimmter Anteil nach Vorne kommt, der bestimmte Fragmente von Erinnerungen trägt, und es ist ihr Prozess, und dann kann man EMDR einfach weiter führen, ohne jemand Erwachsenes Vorne zu verlangen. Da versteht das System am Ende besser, was es braucht, als die Theorie.
Ich sehe den Wert davon, durch das ‘Erwachsene Selbst’ zu arbeiten. Es ist aber essentiell wichtig, auch die Grenzen davon zu verstehen. Manchmal müssen Alltagsanteile davor beschützt werden, unter der Last zusammen zu brechen. Unflexible Ts traumatisieren sonst ihre PatientInnen. Therapierende, die nicht gewillt sind, direkt mit Anteilen zu arbeiten, sollen niemals auch nur anfangen, mit einem DIS System zu arbeiten! Menschen mit DIS haben die traurige Angewohnheit sich zu unterwerfen und es dem Anderen recht zu machen, selbst wenn es sie fast umbringt. Das ‘Erwachsene Selbst’ ist eines dieser Dinge, die, als Regel formuliert, zu großem Schaden führen können.
Auch wenn es EMDR Werkzeuge gibt, die schon in die Stabilisierung mit eingeflochten werden können, ist es fundamental wichtig für den Erfolg der Trauma Verarbeitung, dass die Stabilisierungsphase nicht übersprungen wird. Die Phasen von EMDR müssen in das 3-Phasen Modell der Trauma Behandlung integriert werden. Manchmal sind Ts so überzeugt davon, dass EMDR schnelle und einfache Lösungen bringt, dass sie zu schnell zum Prozessieren über gehen. Wenn man mit struktureller Dissoziation arbeitet, braucht das Zeit, egal welche Technik man verwendet. Die Versuchung ist groß, wenn so ‘leichte’ Heilung versprochen wird und man sehnt sich nach Abkürzungen. Das funktioniert nicht. Wir müssen es richtig machen, alle Fundamente sicher legen. EMDR ist keine Wunderheilung.
Auch wenn Prozessieren mit EMDR möglich ist, selbst mit DIS, heißt das nicht, dass es völlig sicher ist. Wir können nicht vorhersehen, wie wir auf bilaterale Stimulation reagieren. Wir wissen nicht, welche Erinnerungen mit hoch kommen, welche dissoziativen Barrieren runter gehen, welche Anteile mit auftauchen oder wie viel dissoziierte Erinnerung ihren Weg in unser Bewusstsein findet. Das ist heikle Arbeit, die sanfte, vorsichtige und fähige EMDR TherapeutInnen benötigt. Sie brauchen Erfahrung und die richtige Ausbildung. Und sie müssen am Ball bleiben mit den Weiterbildungen, denn Werkzeuge entwickeln sich, neue werden gefunden, Fehler werden korrigiert usw. es reicht also nicht, wenn man vor 20 Jahren mal ein EMDR Training hatte.
Das gefährlichste in der Therapie sind Therapierende, die fest an ihre Technik glauben. EMDR hat sich in so vielen Feldern der psychischen Gesundheit als hilfreich erwiesen, dass manche Ts praktisch besessen davon sind. Sie benutzen das wie ein Allheilmittel, bieten PatientInnen manchmal schon im Aufnahmegespräch eine Kostprobe an, damit wir ihr Lieblingswerkzeug schon mal bewundern können. Wann immer ihr Technik-Gläubigen begegnet, solltet ihr sehr vorsichtig sein. Keine Technik klappt bei jedem. Oder ist das, was jeder braucht. Strukturelle Dissoziation macht alles noch unvorhersehbarer und es braucht ein sehr, sehr viel vorsichtigeres Vorgehen. Wenn euer Erstgespräch mit einem T schon zeigt, dass der EMDR-versessen ist, würde ich euch raten, nicht noch einmal dort hin zu gehen. Es gibt da so viel, was schief gehen kann, selbst mit einem guten Werkzeug. Wir haben es immer noch mit schwerer Traumatisierung zu tun.
Ich glaube, dass EMDR eine wertvolle Technik ist für die Verarbeitung von komplexer Traumatisierung. Ich halte es für besser als andere Expositionstechniken, weil es sich gut an strukturelle Dissoziation anpassen lässt, fragmentierte Verarbeitung möglich ist, um sich individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen anzupassen und das Risiko zu dissoziieren effektiv reduziert wird. Bei manchen ist es wegen des Einflusses der bilateralen Stimulation weniger hilfreich. Wie man es dreht und wendet, es braucht die Hilfe von gut ausgebildeten und sorgsamen Ts, damit es funktionieren kann.
Foxy says
Beste Analyse von EMDR und eigentlich allem, die ich je gelesen habe 😳👍… Leider macht EMDR bei mir gar nichts