Wenn wir uns innerhalb unseres Stresstoleranzfensters befinden und wir eine Emotion erleben und es gibt keinen Grund sie runter zu regulieren, sondern eher Neugierde darüber, was mit uns geschieht, dann ist es vielleicht Zeit, das zu erforschen.
Dafür sind kreative Ansätze das Mittel der Wahl. Wir versuchen nicht ein Gefühl zu unterdrücken, noch versuchen wir es ‘raus zu kriegen’ in der Hoffnung es schnell los werden zu können. Wir werden es uns sorgfältig von allen Seiten anschauen und das Gefühl, was wir sicher in uns halten, ausdrücken und es vertiefen, um ein besseres Verständnis davon zu kriegen. Wir bewegen die Emotion weg von dem impulsiven Teil unseres Gehirns und durch Kreativität hin zu dem Teil des Gehirns, der uns hilft Dinge mit unserem Verstand zu begreifen. Auf diese Weise bekommen wir mehr Kontrolle über unsere Erfahrung.
Du kannst das für dich selbst tun, mit oder ohne Therapeuten, oder jüngere Anteile von dir in dem Prozess anleiten.
Menschen unterscheiden sich in ihrem Zugang zu Kunst.
Schreiben
Manche Menschen spüre Worte tief in sich, die können mit ihren Worten malen. In diesem Fall kann eine Art Schreibübung ein Weg sein, um Emotionen zu erforschen. Zum Beispiel als
- Gedicht oder Alphagedicht
- Wort Cluster
- Bilder aus Worten statt Pinselstrichen zusammensetzen
- Emotionen als Charakterbeschreibung
- Dialoge mit personifizierten Emotionen
- Elfchen (5 Zeilen Gedicht mit 1-2-3-4-1 Worten)
- Haikus (3 Zeilen Gedichte mit 5-7-5 Silben)
- Briefe
- Satzanfänge
- Metaphern
- Kurzgeschichten
- ….
- ….
Hier sind Satzanfänge, die vielleicht helfen:
Das Gefühl, über das ich nachdenke, ist…
Wenn das Gefühl eine Farbe (Form, Beschaffenheit, Temperatur, Größe, Gesicht, Körper,…) hätte, wäre es…
(such dir 1 oder 2 aus, nicht alles)
Wenn es ein Gegenstand (Wetterbedingung, Blume, Baum, was aus der Natur, eine Landschaft, Filmstar, Superheld, Tier, Spielzeug, Sportler, Nahrungsmittel, Getränk, Gebäude,…) wäre, dann wäre es…
(such dir 1 aus und vertiefe das später)
Die Stelle in meinem Körper wo das Gefühl sitzt ist … und …
Wenn das Gefühl sprechen könnte, würde es sagen…
Und ich würde antworten…
Was das Gefühl stärker macht, ist…
Was es schwächer macht, ist…
Das Gefühl hilft mir, indem…
Ich gehe mit dem Gefühl um, indem…
Aber ich könnte auch …
Ich möchte nicht tiefer in das Gefühl rein gehen, weil…
Ich habe Angst, dass wenn ich das ganz fühle…
Wenn das Gefühl plötzlich weg wäre, würde ich verpassen…
Und das würde bedeuten…
Und was ich wirklich will ist…
Für mich sind Worte einfacher und weniger beunruhigend, weil sie noch relativ nah am Verstand sind. Das ändert sich ein bisschen, wenn wir uns andere Arten des Ausdrucks anschauen.
Malen
Malen bietet endlose Möglichkeiten, um sich selbst auszudrücken.
Dazu nutzen wir
- Farben
- Formen
- Pinselführung
- Dicke der Farbe
- Stil
- das Material, auf dem wir malen
- Pinsel, Schwämme, Spachtel, Finger oder was auch immer
- Texturen wie Kreiden, Stifte, Acryl oder Aquarellfarben…
- kontrollierte Arbeit oder Fließ- bis hin zu Pouring Techniken
- …
- …
Es ist wichtig zu verstehen, dass wir hier nicht versuchen schöne Kunstwerke herzustellen. Wir spielen nur mit Farben, um etwas auszudrücken und um zu sehen, wie das wohl aussieht. Das Papier dient uns als Spiegel unserer Seele. Da ist Perfektionismus fehl am Platz; was immer wir tun ist genau so, wie es sein soll.
Bevor wir ein Bild anfangen, hören wir auf unseren Körper und unsere Intuition und lassen uns von ihnen zu dem Material für dieses bestimmte Bild führen. Wir beginnen gerne damit die Textur der Farben, abhängig von unserem Gefühl, zu wählen, dann die dazu passende Maloberfläche. Danach suchen wir die Farben aus, die wir innen spüren. Oft haben wir noch keine Formen im Kopf und lassen unsere Hände einfach machen, was sie wollen. Es kann sehr wertvoll sein, bei sehr intuitiver Arbeit mit den Fingern zu malen statt mit einem Pinsel. Du kannst dir bei den Satzanfängen fürs Schreiben Ideen holen, die kann man auch malen.
Achte gut auf dich und deine Privatsphäre, wenn du Dinge erforschst, die du noch nicht mit deinem Verstand ergreifen kannst. Das wird manchmal sehr klar, wenn man nach dem Malen auf das Bild schaut und nicht jeder sollte das unbedingt sehen können. Es passiert, dass Dinge mit direktem Traumabezug im Bild auftauchen. Das ist ok, das ist ja im Bild fest gehalten. Du kannst entscheiden, wie du später mit dem Papier umgehen möchtest, indem du deiner Intuition und dem Grundgedanken der Tresorübung folgst.
Du kannst in dein Bild auch Worte oder Photos mit einbinden, Kollagen machen, Puzzles, Landkarten, das so falten, dass es in verschiedene Ebenen öffnet, mit buntem Papier arbeiten oder Kleber; es gibt da keine Grenzen.
Malen ist leicht zugänglich, auch für zu Hause, und es kann uns helfen mit unserem Verstand zu sehen, was vorher nur ein Gefühl war.
Sensorisches
Manche Menschen sind besonders offen für sensorisches Erleben und Berührung mit ihren Händen. Wenn das dich betrifft, arbeitest du vielleicht gerne mit
- Ton
- Modelliermasse
- Knete
- kinetischem Sand
- Steinen mit verschiedenen Oberflächenstrukturen
- Stoffen
- Perlen, Knöpfen, Glas Nuggets
- Holzschnitzerei
- Legos
- Blättern, Stöcken, Samenhülsen oder andere Dinge aus der Natur
- ….
- ….
Als eine eher sensorische Person verstehst du vielleicht besser mit deinen Händen und die beste Art das auszudrücken, ist durch den Kontakt mit Materialien, die zum Gefühl passen. Die Satzanfänge oben könnten Hinweise geben und vielleicht würdest du generell davon profitieren mit einer Sandkiste zu arbeiten.
Wir können eine Dimension zu unserem künstlerischen Ausdruck hinzufügen, wenn dieser nicht flach auf einem Papier statt findet, sondern unter unseren Händen wächst. Je nachdem, was für Material dir zur Verfügung steht, könntest du auch Gerüche und Geräusche in dein Experiment mit einbeziehen.
Masken
Eine Technik, die irgendwo zwischen Malen und Basteln angesiedelt ist, ist das Herstellen von Masken; unschätzbar wertvoll für die DIS SystemArbeit. Oft wird eine Maske gewählt, um zu zeigen, wie die Person wahrscheinlich nach Außen wirkt. Eine weitere Maske kann die Gefühle ausdrücken, die dahinter versteckt sind. Es kann eine große Entlastung für die Frontpersonen sein, die den Alltag managen, ausdrücken zu dürfen, was sie vor allen Menschen verstecken. Solche Masken in die Therapie mitzubringen kann ein Gespräch darüber eröffnen, damit Unterstützung möglich wird. Ihr könntet auch beide Gesichtshälften unterschiedlich gestalten oder die Maske von Innen anders anmalen als von Außen.
Ihr könntet auch Masken herstellen, die ausdrücken, wie sich manche Anteile von euch fühlen, damit das sichtbarer ist für andere Anteile im System. Masken kann man anmalen, drauf schreiben, Sachen drauf kleben, sie strategisch beschädigen oder mit Knetmasse erweitern, was auch immer passend ist. Schaut nach ‘weiße Maske’ in eurem bevorzugten (Kunst) Onlineshop, die werden gerne in Sets von 10-20 Stück angeboten und sind nicht teuer. Masken kann man auch in ein Bild oder Modellierarbeiten mit einarbeiten, um das zu vertiefen.
Sound
Manche Menschen reagieren mehr auf Geräusche. Ihr Herz ist wie eine Harfe, mit verschiedenen Klängen, wenn verschiedene Seiten berührt werden. Wenn das du bist, könntest du
- Musik finden, die zu Emotion passt (versuche es mit Klassik, das ist sehr breit gefächert)
- eine Melodie zu deinem Gefühl erfinden
- eine neue Melodie auf deinem Instrument spielen
- einen Rhythmus finden, der passt
- beatboxen
- rappen
- verschiedene Geräusche probieren (Alltagsgegenstände statt Instrumenten)
- rhythmisch dort am Körper tappen, wo du das Gefühl spürst
- dem Gefühl eine Stimme geben
- dir selbst ein Echo sein
- ….
- ….
Vielleicht nimmst du das auch auf, damit du es dir später anhören kannst. Wie auch beim Malen gilt: das Ziel sind nicht die Pop Charts. Wir versuchen hier nur etwas auszudrücken. Und auch nur das Stimme-verleihen, auf welche Art auch immer wir das tun, kann eine Entlastung und tieferes Verständnis bringen. Wir finden viel Trost in wortlosen Äußerungen von Trauer, darin unserem eigenen Kummer zuzuhören, wie er kurz den Raum erfüllt und dann verhallt. Musik verbindet Menschen und eine Musiktherapie Gruppe kann sehr wertvoll sein, wenn man dafür bereit ist.
Gefühle sind oft komplex und gemischt. Wir können gleichzeitig traurig und wütend und ängstlich sein. Unser kreativer Ausdruck schenkt uns auch Raum das zu erforschen.
Weitere kreative Ideen um sich selbst auszudrücken
- Tanz/Bewegungen
- Theater/ Pantomime
- Kostümdesign
- Puppen(spiel)
- Rollenspiele
- Holzarbeiten
- Steinbearbeitung
- Comics
- Kekse verzieren
- Körper Landkarten
- Glasbehälter zum füllen, bemalen, beschriften, bekleben
- Wachs/Kerzen gestalten
- Pappmaché
- Raum als Landschaft gestalten
- ….
- ….
Wenn dir was einfällt, was nicht hier aufgelistet ist, super! Ich kann unmöglich alles nennen, was sich der menschliche Verstand so ausdenken kann.
Wenn wir mit Emotionen arbeiten und sie ausdrücken, versuchen wir unser Verständnis von dem, was in uns vorgeht, zu erhöhen. Es bedeutet, dass es langsam anfängt mehr Sinn zu ergeben, wir unser Erleben ‘organisieren’ und einordnen können und dadurch mehr Kontrolle erhalten. Wir bewegen uns weg vom überfordert und überflutet sein, hin zu einem sicher in uns gehaltenem Umgang mit Emotionen. Wir stellen auch eine Kopf-Herz-Hand Verbindung her, die uns zu einem integrierterem Erleben verhilft. Je integrierter desto gesünder das Erleben, und damit einfacher zu managen.
Vertiefen
Nachdem wir erforscht und ausgedrückt haben, können wir entschieden, ob wir das noch vertiefen wollen. Das ist nicht immer nötig, es gibt aber auch manchmal noch Schätze, die vor unserem Bewusstsein versteckt sind, die wir entdecken könnten. Wir können uns unsere Schöpfung anschauen und hinterfragen, warum wir bestimmte Sachen so gemacht haben. Eine Therapeutin wäre da von großem Nutzen, denen fallen oft noch zusätzliche Dinge auf. Wenn du nicht mit einer Kunsttherapeutin arbeitest, frage deine T, ob sie gut ist darin Kunst zu interpretieren. Das ist nicht unbedingt jeder.
Vertiefen kann auch bedeuten, uns den größeren Kontext der Emotion anzuschauen.
Zum Beispiel
- Geschehnisse drum herum
- Verhalten
- zwischenmenschliche Beziehungen
- sozialer Kontext/Erwartungen
- Körperwahrnehmung/Verbindungen
- Trigger
- Erinnerungen
- Fantasien, Erwartungen oder Sorgen
- sensorische Einflüsse in der Situation
- wiederkehrendes Erleben mit dieser Emotion
- was es besser oder schlimmer macht
- was uns in der Vergangenheit geholfen hat
- was hilfreich/schädlich ist
- wie das alles in unsere Lebensgeschichte rein passt
- ….
- ….
Vertiefen kann man innerhalb des Mediums, das man gewählt hat. Es bedeutet, etwas um das ursprüngliche Werk herum zu erschaffen, um es noch klarer zu machen. Wir können auch Disziplinen kombinieren und zB die Sandkiste auf einen Bogen Papier stellen und drum herum malen.
Wir enden mit einer eher ungewöhnlichen Schreibübung zum Vertiefen, die inspiriert ist vom Gedanken von Stepping Stones (Progoff)
Emotionale Stepping Stones
Nimm dir eine Minute Zeit, um still zu werden und zu atmen und ganz da zu sein mit deinem Papier und Stift und deiner Emotion.
Wenn du ruhig bist und innerlich verbunden, beschreibe das Gefühl und die Situation drum herum, in der es sich ergeben hat. Beschreibe so neutral du kannst und beziehe dabei deine Gedanken, Körperwahrnehmungen, Verhalten oder Impulse zu Verhalten, die Menschen, die damit zu tun hatten, Gespräche, womit du beschäftigt warst und deine Verpflichtungen, soziale Verbindungen und Stellung, Hoffnungen und Träume usw mit ein. Ergreife so viel vom größeren Rahmen, wie du kannst.
Wenn du merkst, dass es reicht, lies es dir laut vor und nimm dir Zeit, die gesamte Situation zu spüren und sinken zu lassen. Vielleicht liest du es mehrmals und beobachtest, wie deine innere Reaktion sich entwickelt.
Dann tritt innerlich einen großen Schritt zurück und sieh dir den Zeitstrahl deines Lebens an. Wo waren die Zeiten, an denen du das schon einmal gespürt hast? Notiere ein einzelnes Wort oder einen Schlüsselsatz, um den Moment zu beschreiben, etwas, was die Erinnerung in einer Überschrift zusammen fasst. Konzentriere dich auf die bedeutenden Momente, nicht mehr als 10. Sortiere sie chronologisch.
Dann kannst du anfangen, dir diese ‘Stepping Stones’ laut vorzulesen, sodass du hörst, wie es klingt und die Worte auf der Zunge schmeckst. Folge ihnen entlang des Zeitstrahls deines Lebens und spüre die Geschichte und die Bewegung des Lebens, immer fortschreitend. Bemerke die Veränderungen über die Zeit. Versuche zu spüren, wie die Zeit weiter fließen wird, auch über dein aktuelles Erleben hinaus. Lies dir deine Liste so oft vor wie du brauchst.
Wenn ein bestimmter Stepping Stone dich besonders anspricht, nimmt dir Zeit dich an die Situation zu erinnern, beschreibe sie und alles um sie herum, wie du es mit der aktuellen Situation getan hast, lies es dir selbst vor und lass es einsinken.
Bemerke Ähnlichkeiten und Unterschiede zur aktuellen Situation. Nimm dir Zeit, auch dem innerlich nachzuspüren.
Vielleicht hast du für heute genug über dich gelernt. Dann kannst du bemerken, wie du dich jetzt fühlst, nachdem du dir das alles angeschaut hast, was dich bewegt hat und was du gelernt hast. Schreibe auch das auf.
Und falls du dir mehr anschauen möchtest, kehre zurück zu den Stepping Stones und lese sie laut. Spüre den Fluss der Zeit und wähle vielleicht ein anderes Erlebnis zum erforschen.
Stepping Stones sind ein sehr intensives Werkzeug, um Emotionen in unsere Lebensgeschichte zu integrieren. Das ist besonders wertvoll für stecken gebliebene Gefühle, die sich wiederholen. Die Offenbarungen, die wir hier finden, sind vielleicht nicht ansehnlich und wir können sie mit Gnade und Achtsamkeit annehmen als Teil unserer Geschichte, die wir nicht ändern können, aber auch als Teil einer Geschichte, die weiter geht und die wir beeinflussen können. Trauer ist oft ein Zeichen dieser Integration.
Vertiefe Gefühle nur, wenn du gut geerdet und dazu bereit bist. Das brauchst du nicht ständig tun.
Sich Gefühle näher anzusehen kann ein wenig beängstigend sein. Manchmal wollen wir gar nicht wissen, was da in uns passiert. Es braucht Mut. Wir können Emotionen nicht völlig betäuben ohne die Orientierung im Leben zu verlieren. Je besser wir unsere Emotionen in unser Erleben integrieren, desto weniger überfordern sie. Sie können sich verwandeln von etwas, was uns gequält hat, hin zu etwas, was unseren Lebenserfahrungen Tiefe verleiht. Und das macht das Leben selbst tiefer und sinnhafter.
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