Ein sehr beliebtes Werkzeug zur Emotionsregulation wird manchmal Emotionssurfing genannt. Wir können uns Gefühle wie Wellen vorstellen. Sie beginnen, bauen sich in ihrer Intensität auf, erreichen einen Höhepunkt und ebben dann langsam ab. Vielleicht erleben wir nur eine Welle und vielleicht kommen auch mehrere hintereinander. Aber sie alle beruhigen sich irgendwann und das Erleben flacht ab. Wir können Achtsamkeit nutzen, um auf so einer Welle zu surfen, oben drauf zu bleiben, statt uns davon überrollen zu lassen.
Es gibt verschiedene Wege, Emotionen zu surfen und ich werde ein paar mit euch teilen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie nur für Gefühle gedacht sind, die aushaltbar sind. Wenn sie zu stark sind, ist es besser, sich abzulenken oder sonstige Coping Skills zu nutzen. Auch emotionale Flashbacks löst man besser mit Anteilearbeit. Den Flashback nur zu spüren, macht ihn nicht besser.
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Bei klassischer Achtsamkeit werden wir angeleitet, unsere Gefühle, Körperwahrnehmung und Gedanken zu bemerken und ihnen zu erlauben, einfach da zu sein. Wir folgen ihnen mit unserer Aufmerksamkeit, während sie sich mit der Zeit ganz natürlich entwickeln und irgendwann abflauen. Die gängigsten Anweisungen sehen etwa so aus:
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fühlt euch rein
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bemerkt das Erleben
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akzeptiert es
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bleibt dabei und bleibt dran
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erinnert euch daran, dass es vorbei gehen wird
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bemerkt, was jetzt da ist
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bleibt da dran
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wiederholt das alles
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In der DBT findet sich eine standardisierte Schritt für Schritt Anleitung:
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Nehmt eine Beobachter Position ein
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benennt die Emotion
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bewertet die Intensität (1-10)
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bemerkt euren Körper
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bemerkt eure Gedanken
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bemerkt eure Impulse, folgt ihnen nicht
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bemerkt euren Atem
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wiederholt alles bis die Emotion runter ist
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Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich es nicht leiden kann, wenn Dinge künstlich gemacht werden, wo es auch natürlich ginge. Es ist gut zu wissen, dass Körper, Gedanken, Impulse und Atem wichtig sind. Aber ich glaube, dass es mehr bringt, einfach zu bemerken, was gerade passiert und da dran zu bleiben, statt die Aufmerksamkeit künstlich auf etwas zu richten, was gerade gar nicht oben aufliegt beim Erleben, nur weil das da so steht.
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Menschen mit Komplextrauma, die das so versuchen, können auf ernsthafte Probleme stoßen.
Das erste zeigt sich, wenn wir versuchen eine Beobachterposition einzunehmen. Viele von uns sind schon, vielleicht chronisch, nur Beobachter unserer Emotionen statt sie zu erleben. Wenn uns jemand sagt, wir sollen beobachten, dann benutzen wir nicht Achtsamkeit, wir verwenden Dissoziation, um einen Schritt zurück zu treten. Das ist nicht, was gemeint und gewünscht ist, aber oft wissen wir gar nicht, wie man beobachten kann ohne zu dissoziieren. Deswegen bevorzuge ich die erste Anleitung. Die leitet uns an, in Kontakt zu treten und bei der Emotion zu bleiben, statt zu weit weg zu sein. Es geht eben nicht nur darum was zu beobachten. Wir sollten das zu unserem eigenen machen und dabei bleiben.
Zum anderen habe ich ein Problem mit Anleitungen, die fordern Impulse zu unterdrücken. Das ist super, wenn unsere Impulse langfristig schädlich sind. Aber Emotionen kommen mit natürlichen und gesunden Impulsen, die uns zeigen, wie wir uns regulieren können. Wenn alles was wir je lernen ist, unsere Impulse zu unterdrücken (oft schon von Kindheit an), lernen wir, wichtigen und gesunden Hinweisen zu misstrauen. Es macht keinen Sinn hilfreiche Impulse zu lassen, nur weil die Übung das sagt. Anweisungen nicht zu handeln und die Erfahrung nur auszuhalten, lassen Traumatisierte oft in ein Überlebensmuster rutschen. Wir halten still und ertragen, wie wir das immer getan haben. Das ist keine Regulation und das ist kein Emotionsurfing. Das ist eine Freeze Reaktion. Zu lernen, unserer Körperintelligenz zu trauen, dass sie uns sagen kann, wie wir uns helfen können, ist unheimlich wichtig für Überlebende. Heute dürfen wir gesunden Impulsen folgen. Es gibt keinen Grund, die immer künstlich zurück zu halten. Die Übung ist schlicht nicht optimal ausgeführt, wenn wir zusätzliche Hilfen bei der Regulation verbieten und nur aushalten üben. Macht es euch nicht unnötig schwer.
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Ihr könnt Emotionen surfen, während ihr einem Impuls folgt und darauf achtet, wie das die Welle beeinflusst. Wenn ihr mal die Zeit dazu habt und ihr verspürt den Drang euch zu verstecken, versteckt euch!
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Findet einen Platz, der sich sicher anfühlt, holt euch, was immer ihr braucht, um es gemütlich zu machen und versteckt euch so gut ihr nur könnt
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spürt dann eurer Emotion nach
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bemerkt was da ist
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bleibt da dabei
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wie ist es jetzt?
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Bemerkt wie es sich anfühlt, sich so gut versteckt zu haben, geschützt zu sein
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bemerkt das Körpergefühl versteckt zu sein
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achtet darauf, was innerlich passiert
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bleibt da dran
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wie ist es jetzt?
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Bemerkt
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wiederholt das
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folgt gegebenenfalls einem neuen Impuls
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Wenn wir das machen, ist es wichtig, uns nicht zu verstecken und sofort zu dissoziieren. Das machen wir vielleicht automatisch, weil wir das so gewöhnt sind. Damit das hier funktioniert, müssen wir präsent und achtsam bleiben. Es ist ok, gesunden Impulsen zu folgen, während man Wellen surft. (Mehr zu Impulsen) Das mit dem Verstecken ist nur ein Beispiel.
Manche Impulse sind zwar gesund, sie passen aber nicht in die Situation und dann können wir uns vorstellen das zu machen und bemerken, wie das die Welle beeinflusst.
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Ein weiterer Aspekt, den ich wichtig finde, ist duale Aufmerksamkeit und vielleicht sogar Pendulation. Während wir auf unsere Gefühle achten, achten wir auch auf den Raum um uns herum. Wir bleiben bei einem Körpergefühl und spüren gleichzeitig auch noch andere Sinneseindrücke. Den Atem zu bemerken ist nur ein Beispiel und jede andere Form von Grounding wirkt auch. Wir surfen die Welle, während wir auch atmen oder aus dem Fenster schauen.
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Das hier ist meine bevorzugte Art duale Aufmerksamkeit zu verwenden:
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lehnt euch gegen eine unterstützende Oberfläche, eine Lehne oder eine Tür oder Wand
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bemerkt die Unterstützung im Rücken
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Haltet eine Hand in der anderen in einer unterstützenden Geste (Mehr) im Schoß.
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Bemerkt die Unterstützung der Hand. Und dann Hand und Rücken gleichzeitig. Unterstützungs-Sandwich!
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Spürt in euch rein und fühlt die Emotion
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bemerkt welcher Aspekt auch immer gerade im Vordergrund ist (Körpergefühl, Emotion Gedanke, Impuls)
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bleibt da ein bisschen dabei
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bemerkt die Unterstützung in Rücken und Hand
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spürt in alles rein, was zwischen Rücken und Hand ist, das innere Erleben
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bemerkt was da ist
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bleibt bei dem Erleben und haltet es sicher zwischen Händen und Rücken
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atmet
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bemerkt, wie sich da anfühlt und ob irgendwas neu ist
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spürt das und bleibt da dran
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wiederholt das
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Ich benutze hier eine Körperwahrnehmung für die duale Aufmerksamkeit, weil die mir hilft das containment zu spüren. Ich kann das halten. Ihr könnt auch Anker verwenden oder andere hilfreiche Sinneswahrnehmungen. Wenn das Gefühl zu groß wird, hilft es, eine Pause zu machen, sich auf was anderes zu konzentrieren und wieder zum Gefühl zurück zu kommen, wenn wir uns stabiler fühlen. In dieser Version der Übung spüren wir eine recht nahe Verbindung mit dem Gefühl. Es ist keine Naturgewalt, auf der wir nur irgendwie surfen, es passiert in uns und kann dort sicher gehalten werden. Ich persönlich mag den Begriff Emotionssurfen kein bisschen, weil es am Ende ein langsamer und intimer Moment mit mir selbst ist und kein oberflächlicher Sport.
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Verwendet die Version, die am besten zu eurer Situation passt. Wenn ihr eine Schritt für Schritt Anleitung braucht, um nicht total den Faden zu verlieren, benutzt den strukturierten Ansatz. Wenn ihr schon fortgeschrittene Fertigkeiten darin habt, bei eurem Erleben zu bleiben, nehmt eins der anderen oder kombiniert die Elemente, die gerade hilfreich erscheinen.
Wenn ihr merkt, dass ihr anfangt zu dissoziieren, ändert sofort eure Taktik und benutzt einen andere Fertigkeit. Ablenkung ist eine legitime Art sich zu regulieren. Man muss nicht immer alles voll er- und durchleben, wenn das grad nicht dran ist.
Wenn ihr dazu neigt, still zu halten und auszuhalten, achtet genau auf euch und vermeidet Erstarren. Das verursacht nur mehr Stress und kann sogar retraumatisieren. Und vielleicht ist die Übung überhaupt nichts für euch. Nur weil das grad so im Trend ist, bedeutet das nicht, dass es allen hilft, ganz besonders wenn auch noch dissoziative Anteile beteiligt sind. Es gibt auch noch andere Wege mit Emotionen umzugehen.
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