Alle haben Bindung. So sind Menschen gebaut. Nicht alle haben sichere Bindung. Die 3 unsicheren Bindungsarten sind ängstlich, vermeidend und desorganisiert. Die große Mehrheit der Menschen mit DIS haben als Gesamtperson einen desorganisierten Bindungsstil. Dieses Bild ergibt sich daraus, dass manche Anteile Bindung suchen und ängstlich sind und andere vermeidend sind. Wenn sie sich abwechseln oder in Machtkämpfe geraten, sieht das desorganisiert oder ‘borderline’ aus.
Bindungsstile sind nicht für immer festgelegt. Menschen mit unsicherer Bindung können lernen, anderen zu vertrauen und mit ihnen auf eine stabilere und weniger von Not getriebene Art in Beziehung zu stehen. Das nennt man ‘erworbene sichere Bindung’. In manchen Systemen wird es einfacher sein, daran mit einer Person von Außen zu arbeiten und die Erfolge dann nach Innen zu tragen. Ich habe es als einfacher wahrgenommen, erst mal zwischen Anteilen an sicherer Bindung zu arbeiten und dem dann zu erlauben, auch die Beziehung zu Menschen im Außen zu beeinflussen. Das ist anspruchsvolle Arbeit, die ich eher bei Mitte bis Ende der Therapie einordnen würde. Das braucht Jahre.
Wie sieht erworbene sichere Bindung bei Anteilen aus?
Bindungs-suchende Anteile:
- sie wenden sich an ältere Anteile oder Hosts, wenn sie unsicher bei etwas werden, statt in Panik zu geraten
- sie vertrauen euch, sie zu beschützen und die Situation für sie zu managen, wenn es schwierig wird
- sie bekommen keine Angst oder fühlen sich verlassen, wenn ihr nicht sofort auf ihre Bedürfnisse eingehen könnt
- sie entwickeln eine größere Toleranz dafür, zu warten, weil sie wissen, dass sie ganz sicher die Fürsorge bekommen werden, die sie brauchen, auch wenn es mal etwas dauert
- sie suchen sich keine Fürsorge außerhalb vom System oder versuchen andere dazu zu bringen, sie zu retten
- sie fühlen und denken besser über sich selbst und es ist ihnen bewusst, dass sie für das System wichtig sind
- sie wissen, dass sie nicht verlassen werden können, weil ihr ohnehin alle in einem Körper steckt
- sie vertrauen darauf, dass sie fragen dürfen, wenn sie was brauchen
- …
- …
Bindungs-vermeidende Anteile
- sie erkennen das Gute in anderen an und denken besser über sie als früher
- sie sind bereit, zusammen zu arbeiten, selbst wenn sie es alleine gekonnt hätten; sie werden mehr zu Team Playern
- sie erlauben uns, Dinge zu übernehmen, für die wir besser geeignet sind als sie und vertrauen uns, dass wir das gut machen werden
- sie verstecken ihre eigenen Kämpfe, Fehler oder Versagen nicht und erlauben uns zu helfen
- sie öffnen sich langsam auch im Hinblick auf ihre Emotionen, verletzliche Themen und schmerzhafte Bereiche in ihrem Leben
- sie entwickeln mehr Wärme für andere Anteile und mehr Toleranz für Tiefe in den inneren Beziehungen
- sie vertrauen anderen, mit ihren Schwächen sorgsam umzugehen und sie nicht gegen sie zu verwenden
- …
- …
Wie verdient man sich sichere Bindung zwischen Anteilen?
Verantwortung, sicher zu sein
Die erste Verantwortung liegt bei erwachsenen Anteilen. Wir überwinden unsere Angst und dann üben wir, uns in einer vorhersehbaren, verlässlichen Weise zu verhalten, die sich nicht deutlich ändert, auch wenn es mal schwierig wird. Wir bieten eine beständige Präsenz, Geduld und unsere volle Aufmerksamkeit regelmäßig und wiederholt an. Wir werden ein Ort der Ruhe und Zuflucht, indem wir uns selbst regulieren und anderen Co-Regulation anbieten. Wir machen unsere regelmäßigen Check-Ins, erklären den anderen den Plan für den Tag und erschaffen Routinen rund um ihre Bedürfnisse. Wir verwenden keine Beziehungs-Werkzeuge aus TraumaZeit wie Anklagen/Schuldzuweisungen, Beschämung oder Strafen. Wenn (nicht falls) wir Fehler machen, achten wir auf richtige Versöhnung. Unser innerer Raum miteinander ist ein sicherer Raum für alle und wir machen das zu einer vorhersehbaren Realität. Indem wir beständig für diesen Job auftauchen, uns für andere interessieren und für das Wohl des Systems handeln, gewinnen wir Vertrauen. Es braucht nicht mehr und gleichzeitig ist das ziemlich viel. Wir bieten uns selbst als sichere Bindungsperson an. Dafür müssen wir sicher sein und sicher handeln. Das bedeutet, wir müssen uns selbst managen können. Selbst viele ‘normale’ Menschen haben keine guten Fertigkeiten, um sich zu manangen. Es kostet uns etwas, das zu lernen.
Eine Einstellung, die langfristig hilfreich ist, ist die von voller Verbindlichkeit. So etwas entwickelt sich erst, weil wir selber den Prozess mit viel eigener Angst beginnen und erst mit der Zeit in eine Reife damit rein wachsen. Eine feste Verbindlichkeit sieht so aus: ‘Ich entscheide mich für das System. Ich erwähle jeden Anteil. Ich sage Ja zu dir. Und ich verpflichte mich dieser Beziehung über allen anderen. Ich ziehe meine Entscheidung nicht zurück, wenn es schwierig wird, weil das keinen Sinn ergibt. Ich kann gar nicht gehen. Wir sind hier alle zusammen drin und ich bin genau hier, falls jemand sich an mich wenden will. Es gibt keine Möglichkeit, meine Meinung zu ändern.’
Eine radikale Verbindlichkeit wie diese ist neu für andere Anteile. Vielleicht können sie spüren, wie ernst wir das meinen. Es gibt keinen anderen Weg. Ein echtes Ja zu uns wird immer das System einschließen, das wir sind. Verbindlichkeit und Bindung teilen einen Wortstamm, der uns zusammenbringt.
Verantwortung, etwas zu wagen
Die anderen Anteile haben auch eine Verantwortung. Sie sollten uns genau beobachten, um zu prüfen, ob wir wahrhaftig sind. Wir müssen nicht alles richtig machen, aber wir müssen meinen, was wir sagen und tun und sie können zuschauen und testen, ob das der Fall ist. Und dann braucht es ein kleines bisschen Offenheit auf ihrer Seite, um etwas Gutes reinzulassen.
Vermeidende Anteile verdienen sich kein Vertrauen in andere dadurch, dass sie etwas für sie tun. Das verdient man, indem man anderen erlaubt, einem zu helfen. Das ist schwer zu hören. Es wäre viel einfacher, wenn unsere eigene Vertrauenswürdigkeit uns Vertrauen in andere geben könnte, aber damit bestätigen wir immer nur unser Vertrauen in uns selber. Erste Versuche, anderen zu erlauben, nett zu uns zu sein, können klein sein und sich auf Gegenstände oder Aktivitäten beziehen statt auf Gefühle. Jemand versucht gerade angestrengt, uns nicht alleine zu lassen mit unserem Schmerz und unserer Isolation und die meinen es gut. Es wird dann zu unserer Verantwortung, wie viel davon wir erlauben, dass es uns berührt.
Bindungs-suchende Anteile haben die Aufgabe, ganz besonders präsent zu sein und zu bemerken, wenn jemand sich um ihre Bedürfnisse kümmert und wenn möglich, sich das auch zu merken. Wir sammeln alle Momente, wo wir Fürsorge erlebt haben und nicht mit etwas alleine gelassen wurden, was viel zu groß für uns war. Anteile mit schlechtem Selbstwert profitieren manchmal davon zu überlegen, wie sie das System von ihrer Rolle als Innenkind aus unterstützen können, das sich nichts verdienen muss. Vielleicht können wir die anderen ans Essen erinnern oder wir können uns die Geburtstage im Freundeskreis merken. So etwas beitragen zu können, bedeutet, dass wir nicht schwach oder hilflos sind und wir können unseren Teil dazu beitragen, dass das System erfolgreich ist. Das kann sich sehr stark und irgendwie cool anfühlen. Wir sind für andere wichtig, so wie sie für uns wichtig sind.
Ein stetiger Austausch wie dieser führt zu einer Atmosphäre von Vertrauen und Gnade miteinander, einem sicheren Raum, um einfach nur Mensch zu sein. Wir brauchen das. Wir müssen nicht mehr oder weniger sein: wir sind ok. Wir sind alle sowohl verletzlich als auch stark und wir können zusammen verletzlich und stark sein und füreinander. Wir lernen, in unsere Stärke zu vertrauen und aneinander zu glauben, dass wir uns gut managen können. Alle sind frei, die beste Version ihrer selbst zu sein, wenn es einen sicheren Raum gibt, wo wir nicht ums Überleben kämpfen müssen.
Warum lohnt sich der Aufwand?
Erworbene sichere Bindung zwischen Anteilen ist ein Langzeit-Projekt (wir reden von Jahren, nicht Monaten), das täglicher Bemühung bedarf. Wir müssen zu jemandem werden, damit es klappt. Zu jemand sicherem. Es ist völlig ok, das am Anfang nicht zu können. Und wir profitieren auch deutlich, wenn wir lernen, so miteinander zu sein.
Eine sichere Bindung mit anderen Anteilen reduziert die Amnesien und unkontrolliertes Verhalten. Sie wissen genau, dass sie es nicht selber hinkriegen müssen, weil wir es zusammen hinkriegen. Wie wir Verbindung aufbauen, führt zu mehr Zusammenarbeit. Sichere Bindung miteinander ist eine Art integrativer Handlung, auch wenn ihr das so in keiner Liste finden werdet. Wir arbeiten daran, um ein Gefühl von Verbundenheit mit uns selbst und Vertrauen in uns selbst zu entwickeln. Das ist etwas, was uns durch Trauma verloren gegangen ist und wir können das wiederfinden und wiederherstellen, weil uns das immer zugestanden hätte. Während wir das tun, stellen wir auch ein Gefühl von Sicherheit mit unserem inneren Erleben wieder her. Was Innen ist, hört auf, so beängstigend zu sein. Für alle Anteile. Wir lernen, psychologische Sicherheit mit uns selbst zu haben, die eine Grundlage für ein glückliches und erfolgreiches System darstellt. Diese Sicherheit zu kennen, hilft uns, sie wiederzuerkennen, wenn wir sie mit Menschen um uns herum erleben, die sich über die Zeit als vertrauenswürdig erwiesen haben. Denn, hier ist der Kern der Sache: erworbene sichere Bindung heilt unsere Fähigkeit zu vertrauen.
Vertrauen und Zugehörigkeit
Vertrauen ist in der Traumaheilung vielleicht das schwerste, was es gilt zu heilen. Es ist so viel einfacher, sich mit netten und klaren Techniken durch Erinnerungen durchzuarbeiten. Aber das reduziert nur die Flashbacks und muss keinen Einfluss auf unsere Fähigkeit zu vertrauen haben. Ich treffe oft Leute, die mir erzählen, dass ihre Traumatherapie beendet ist, weil sie alle Erinnerungen durchgearbeitet haben, aber während wir reden, wird klar, dass sie immer noch darunter leiden, anderen Menschen nicht vertrauen zu können, und manchmal auch nicht sich selbst.
Wir arbeiten daran, für unsere anderen Anteile ein sicheres Gegenüber zu werden, um damit einen Schritt unseres Weges zu nehmen, unser Vertrauen zu heilen. Wir können nicht kontrollieren, wie andere Menschen uns behandeln, aber wir haben es in der Hand, wie wir uns gegenseitig behandeln. Sich sichere Bindung Innen zu verdienen, bevor wir versuchen, das Außen zu lernen, ist der sicherste Weg, den ich kenne. Das kann einen wichtigen Unterschied für Systeme machen, deren Hosts ein klar vermeidendes Bindungsverhalten haben. Für andere Leute ist es vielleicht nützlicher, von Außen nach Innen zu arbeiten und mit Ts oder anderen Helfenden zu üben. Ich bin nur hier, um euch zu sagen, dass es möglich ist, von Innen nach Außen zu arbeiten, wenn anderen Leuten zu vertrauen gerade eine komplette Unmöglichkeit darstellt. Es ist die Mühe wert. Vertrauen und Sicherheit mit Anderen wird benötigt für ein Gefühl von Zugehörigkeit. Das sind ein paar der wertvollsten Dinge im Leben, eng beieinander. Wir sind es wert, uns das zurückzuholen.