Schon in der Frage steckt ein bedeutender Fehler.
Dissoziation ist kein aktives Verhalten. Es handelt sich um eine unwillkürliche Stressreaktion.
Unwillkürlich heißt, dass man das nicht bewusst, freiwillig, mutwillig oder gezielt macht.
Es passiert, wenn der Körper die Situation als gefährlich und unentrinnbar einschätzt.
Und das Gehirn fragt für diese Beurteilung nicht den präfrontalen Kortex, wo das bewusst wäre und abgewogen werden kann, sondern bleibt auf dem Level des Reptiliengehirns.
Wer Dissoziation für mutwilliges Verhalten hält, hat schon versagt, bevor Maßnahmen überhaupt angefangen haben. Niemand würde sagen, Stressdurchfall sei ein Problemverhalten, warum dann Dissoziation?
Trotzdem macht es Sinn Situationen, in denen Dissoziation auftritt, genauer anzuschauen. Nur wer dabei ‘Problemverhalten’ in den Mittelpunkt stellt, wird nicht weit kommen. Deswegen möchte ich das lieber eine Situations-Analyse nennen. Dann könnte das Ganze so aussehen:
Wo und wann bin ich dissoziiert? Welche Personen waren anwesend? Wie war der Ort beschaffen? Was ist dort passiert? War es vielleicht gesund in dieser Situation zu dissoziieren?
Was war der Auslöser für die Dissoziation? War der Auslöser außen (Person, Gegenstand…) oder innen (Flashback, innere Stimmen, überfordernde Gefühle, Körperwahrnehmung…)
Hätte ich mich anders auf die Situation vorbereiten können? War es nötig/unabwendbar/unvorhersehbar, oder hätte ich das vermeiden können? Was hätte mir mehr Gefühl von Sicherheit gegeben?
Was hätte es gebraucht, um in dieser Situation nicht dissoziieren zu müssen? (Begleitperson, Flashback-Stop, Zeit zum Rückzug und Regulieren, Übungen, Gegenstände…)
Welche Fertigkeiten hätte ich anwenden können? (Dissoziationsstops, Orientierung&Grounding, Diskrimination, Realitäts-Check, …)
Was hat mich daran gehindert Fertigkeiten anzuwenden? Kenne ich überhaupt genug? Und kann ich sie gut genug?
Wie kann ich mich besser auf solche Situationen vorbereiten? Welche Fertigkeiten möchte ich lernen/üben?
Welche Übung könnte ich jetzt gerade probieren, um mich zu beruhigen?
Man ist nicht schuld an Dissoziation. Wenn es passiert ist, hatte man ganz offensichtlich noch nicht die Fertigkeiten und vor allem die Stresstoleranz, um anders mit der Situation umzugehen. Und manchmal bleibt es trotz aller Fertigkeiten unmöglich, weil es viel zu schnell geht. Unser Auge sieht einen Trigger und das Gehirn schaltet ab, bevor es das Bild davon in unser Bewusstsein geschafft hat. Dann ist es wichtig sich deswegen nicht auch noch Vorwürfe zu machen.
Bei echtem Problemverhalten gibt es für Menschen mit struktureller Dissoziation hier eine systemische Verhaltensanalyse
Ich habe weltweit zehntausende von LeserInnen. Nur Deutsche fragen nach Verhaltensanalysen für Dissoziation. Überall sonst ist wohl klar, dass das Unsinn ist. Vielleicht sollten wir dringend überprüfen, warum wir dazu neigen da so anders ran zu gehen. Die Forschung ist da schon längst weiter.
PS: DBT ist keine Traumatherapie.
Leave a Reply