Dissoziative Anteile sind nicht alle die gleiche Person in unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Die Funktionen und Fähigkeiten einer vollständigen Person wurden in viele Stücke aufgetrennt, um mit traumatischen Situationen umzugehen. Und dann haben Anteile sich weiterentwickelt und sind um diese Stücke von Funktionen herum gewachsen, die sie beinhalten. Heute sind sie mehr als diese Fähigkeit oder dieser Modus. Sie haben ein bisschen Persönlichkeit drum herum entwickelt, manche mehr und manche weniger.
Es liegt in der Natur von traumatischem Fragmentieren, dass wir uns in scheinbare Gegensätze aufteilen. Fachleute reden da manchmal von ‘Sollbruchstellen’, an denen entlang so eine Trennung passiert. Sie verlaufen entlang der Linien von Handlungssystemen und Elementen von Erleben (zB BASK Modell).
Eine Trennung entlang der Linien von Handlungssystemen bringt uns zu dem klassischen Modell von Anteilen, die alltägliche Funktionen beinhalten (ANP) und anderen, die Abwehrreaktionen beinhalten (EP). In größeren Systemen bemerken wir auch eine kleinteiligere Trennung zwischen Handlungssystemen. Vielleicht haben wir Anteile, die in einer Fight Reaktion funktionieren und andere, die im Shutdown funktionieren. Die Alltagsanteile trennen sich vielleicht auf in welche, die einen Job managen und andere, die Kinder großziehen oder ein soziales Leben haben.
Bei einer Trennung entlang der BASK Linien bekommen wir Anteile, die Zugang zu Emotionen haben und wenig kognitive Fähigkeiten und andere, die nur Denken und kaum etwas fühlen. Vielleicht haben wir auch Anteile, die nur den Körper in einer Trauma Situation spüren und sonst kein Wissen haben. Einige Konstellationen von solchen Spaltungen sind häufiger (Denken/Emotion) und andere seltener (Emotion/Körperwahrnehmung). Die Trennung ist nicht immer so streng auf eine Funktion begrenzt und kann bestimmte Elemente menschlichen Erlebens einschließen und andere ausschließen.
Neigt unsere innere Struktur eher in Richtung Polyfragmentierung, können wir auch Trennungen von BASK Elementen in sich bemerken wo zB verschiedene Emotionen oder Überzeugungen zu einer Erfahrung stabil voneinander getrennt sind. Wenn es sehr scharfe Abgrenzungen und eine strukturierte Trennung auf dieser Ebene gibt, kann das ein Anzeichen dafür sein, dass das mutwillig von Täter*innen beeinflusst wurde, die diese natürlichen Linien nutzen.
Was wir als Resultat davon möglicherweise erleben, sind extreme Gegensätze, die sich nicht miteinander versöhnen lassen. Wenn eine nur Gefühl hat und die andere nur Gehirn ist, gibt es nichts, was sie verbinden könnte. Wie soll man Brücken bauen, wenn es überhaupt keine geteilte Erfahrung gibt? Der Job-Anteil, der den ganzen Tag über Tabellen sitzt, passt schlicht nicht zu dem sozialen Anteil, der den Besuch der Schwiegereltern navigieren kann. Selbst wenn wir ein integrierteres Leben wollen, sehen wir vielleicht einfach nicht, wie das gehen könnte. Anteile haben ihre Spezialgebiete und wenn wir unser Leben einfach nur in die richtigen Stücke unterteilen, dann müssten nur nur zur richtigen Zeit richtig switchen…. Und während das eine valide Möglichkeit ist, damit klar zu kommen und bei als ‘hoch-funktional’ bezeichneten Systemen sogar eher die Regel ist, ist das kein integrativer Weg.
Der Schlüssel darin, zu verstehen, wie solche extremen Gegensätze zusammen passen können, liegt im Paradoxen. Ist das eine Vase oder 2 Gesichter? Nein. Es ist ein Kippbild. Die Vase und Gesichter passen nicht zusammen, weil sie sich ähnlich wären oder die selbe Farbe hätten. Die Existenz des einen bedingt die Existenz des anderen. Es gäbe keinen logischen Anteil ohne einen anderen, der die Emotionen in sich hält. Es könnte keinen Anteil geben, der keine Ahnung von Trauma hat ohne die, die das so sorgsam festhalten. Es ist die Trennung, die alle zu denen macht, die sie sind. Und es ist die Trennung, die sie so bleiben lässt.
Um zu lernen, wie wir mit allen diesen gegensätzlichen Anteilen leben können, verstehen wir erst mal, wie ein Ganzes aussehen würde. Schaut euch noch mal die Handlungssysteme an, in denen Menschen sich bewegen. Checkt das BASK Modell, um die verschiedenen Elemente einer Erfahrung zu sehen, die eine Situation beinhaltet. Und dann schaut euch eure Anteile an. Wer hält in sich welches Stück von Funktionen? Wer trägt welches Element von Erfahrung? Und plötzlich ergibt sich ein Puzzle, wo Teile zusammen passen. Da hinten ist etwas Fight Verhalten. Das gehört zu den Abwehrreaktionen. Und hier drüben gibt es Neugier und Spiel, das gehört zu den alltäglichen Handlungen. Innerhalb des Puzzles einer vollständigen Person finden die Teile ihren Platz. Es ergibt völlig Sinn, dass sie auf diese Art existieren. Und während wir die Elemente von Erfahrungen zu einer spezifischen Situation zusammensetzen hört es auf, sich komisch anzufühlen, dass eine nur denkt und die andere nur fühlt. Das sind offensichtlich Bruchstücke der gleichen Erfahrung. Wir verlieren die Sichtweise der extremen Gegensätze, wenn wir realisieren, dass es kein Puzzle ist, wo alle Teile gleich aussehen. Es ist der ganze Sinn und Zweck von Dissoziation, dass sie unterschiedlich sind. So funktioniert strukturelle Dissoziation und das ist, wie innere Trennungen passieren. Wenn wir aufhören, die Unterschiede miteinander versöhnen zu wollen und anerkennen, dass sie sich gegenseitig ergänzen sollen, dann haben wir einen Schritt in Richtung Integration geschafft. Es geht da nicht im Kern um Beziehungsarbeit wie wir sie gewohnt sind. Es geht darüber hinaus.
Manche Menschen mit DIS bestehen darauf, dass sie viele Leute in einem Körper sind. Die ursprünglichen Stücke von Funktionen, die getrennt wurden, haben sich über die Zeit weiter entwickelt. Sie haben eigene Erfahrungen gesammelt, sich Meinungen gebildet und es gab Wachstum über das originale Fragment hinaus. Heute sind sie mehr als dieses Bruchstück. Darum fühlt es sich an, als wären da viele unabhängige Personen innen. Schauen wir uns den Kern davon an, wie sie funktionieren, finden wir immer noch das ursprüngliche Stück, das uns zeigt, wo sie herkommen und wo im Puzzle der Persönlichkeit sie hinpassen. Wir bemerken auch, dass ein einzelner Anteil nicht alle Handlungssysteme oder Elemente von Erfahrung umfasst. Irgendwas fehlt und ist bei einem anderen Anteil untergebracht. Und nein, sowas geht gesunden Menschen nicht einfach auf diese Art verloren. Ein Stück von Ganzen zu vermissen und es bei einem anderen Anteil zu finden, bedeutet, dass wir ohne den nicht vollständig sind und auch nicht unabhängig von ihnen sind. Deswegen stimmen Fachleute nicht zu, dass DIS bedeuten würde, da wären viele Menschen in einem Körper. Was wir haben, sind getrennte Stücke von Funktionen einer Person, die unabhängig voneinander weiter gewachsen sind. Mehr als ein Bruchstück, weniger als eine ganze Person.
Es ist unglaublich schwer, das am Anfang zu verstehen und ich würde es nicht versuchen. Während wir eine innere Landkarte machen, konzentrieren wir uns nur darauf, wer alles da ist. Wenn wir bemerken, wie jemand strukturell funktioniert, schreiben wir uns das auf, aber es kann sein, dass das länger nicht relevant ist. Die BASK Elemente zusammenzusetzen, ist oft erst eine Aufgabe fürs Trauma prozessieren. Ohne das Trauma, das uns getrennt hält, können wir leichter einen Blick dafür bekommen, wie sich Handlungssysteme miteinander verbinden lassen. Das sind integrative Prozesse, die einiges an Vorbereitung brauchen, um überhaupt begreifen zu können, dass es wahr ist. Bevor wir dafür bereit sind, führt die Auseinandersetzung damit meist eher zu Gefühlen von Ärger oder Missverstanden sein. Es passt nicht zu unserem Erleben und unsere Erfahrungen sind die einzige Realität, die wir verstehen können.
Wird Verbindung und Kooperation natürlicher, beginnen wir auch zu spüren, wie das alles zusammen passt. Extreme Gegenteile zu verknüpfen wird logisch. Wir bekommen einen felt sense dafür, wie Denken und Fühlen zusammenpassen. Wo in unserem Leben Abwehrreaktionen hin gehören. Und wie Arbeit und Sozialleben gar keine getrennten Bereiche sind. Was sich wie ein extremer Gegensatz angefühlt hat, wird wieder ein Stück Funktion, auf das wir Zugriff haben und wir bemerken, wie dringend wir das brauchen. Was viele Menschen mit DIS ‘gesunde Multiplizität’ nennen, wird von DIS Fachleuten meist ‘integrierte Funktion’ genannt. Das meinen die damit: Ein Wieder-Verbinden von Bruchstücken von Funktion, die durch Trauma getrennt wurden, über Anteile hinweg. Während es durchaus auch andere Modelle von Funktionieren gibt, reduziert dieses die Symptome auf ein Minimum und löst einen guten Teil des Leides auf. Es braucht keine Fusion, damit das klappt. Wir müssen allerdings verstehen, wie wir uns gegenseitig ergänzen. Es gibt keinen Platz dafür, andere Anteile abzulehnen, weil sie angeblich ‘falsch’ sind oder nicht dazu gehören würden. Natürlich gehören sie dazu. Es ist nicht so gedacht, dass alle gleich sind. Wir passen am Ende trotzdem erstaunlich gut zusammen.