Wir werden manchmal Situationen erleben, in denen wir nicht herausfinden, wie wir uns regulieren oder ein Problem lösen können und nur mehr Grounding Übungen zu machen, bringt uns nicht weiter. Die Erfahrung umfasst nicht nur die Gegenwart, nicht nur uns als Anteil oder nicht nur uns als Person. Da hat sich was vermischt. Wir können das nicht lösen, es sei denn wir entwirren das erst einmal.
Ein einfaches Werkzeug, um vermischte Erfahrungen zu entwirren, ist uns zu fragen, aus welchen Komponenten es besteht und denen dann Prozentsätze zuzuordnen. Dann können wir uns um die Komponenten getrennt kümmern und unterschiedliche Strategien dafür verwenden. Das wird manchmal als das ’90/10′ Werkzeug gelehrt, aber die Prozentsätze können frei gewählt werden und müssen nicht 90/10 sein. Was immer ihr in dem Moment herausfindet, ist richtig. Es kann helfen, sich das als Kreisdiagramm vorzustellen.
Schritte:
- gemischte Erfahrung identifizieren
- Komponenten definieren
- Prozentsätze schätzen
- Erfahrungen trennen
- getrennt damit umgehen
Verschiedene Sorten von Flashbacks
Bei Komplextrauma sind unsere Flashbacks oft fragmentiert. Wir erleben emotionale oder somatische Flashbacks oder bleiben in alten Gedanken und Glaubenssätzen stecken und finden nicht mehr aus dem Gedankenkreisen.
Sobald wir bemerken, dass etwas nicht stimmt, können wir uns fragen, wie viel von unserer Emotion, Körperwahrnehmung oder den Gedanken zur gegenwärtigen Situation gehört und wie viel zur Vergangenheit. Eine grobe Einschätzung reicht.
Die frühere von der heutigen Erfahrung zu trennen, führt in der Regel zu mehr Klarheit und hilft uns zu entscheiden, wie wir weiter machen wollen. Was zur Gegenwart gehört, kann meistens in der Gegenwart versorgt werden. Für Dinge, die in der Vergangenheit liegen, brauchen wir eher unsere Trauma Werkzeuge (Containment, Teilen, Pendulation, Realitätschecks, Trigger Diskriminierung, emotionale Integration usw)
Verschiedene Anteile
Es ist normal, dass dissoziative Barrieren nicht perfekt sind und dass etwas vom persönlichen Erleben von Anteilen in das von anderen Anteilen durchsickert. Solche ‘Lecks’ können auf verschiedenen Ebenen von Erfahrung passieren (wie Gefühle, Gedanken und Überzeugungen, Körperwahrnehmung, Impulse, Erinnerungen…) und das ist sehr unangenehm und verwirrend. In diesen Fällen verwenden wir die Kategorien ‘ich’ und ‘andere Anteile’, um unsere Prozentsätze festzulegen. Das Ergebnis kann uns helfen, angemessene Interventionen auszusuchen. Es beginnt in der Regel damit, den anderen Anteil zu bitten, uns ein bisschen mehr Raum zu lassen, damit wir uns entwirren und ihnen dann besser helfen können und dann wählen wir verschiedene Optionen zB wie man jüngere Anteile beruhigt. Vielleicht braucht es auch etwas ganz anderes. Wenn wir entwirrt sind, kann das klarer werden.
Verschiedene Personen
Wenn wir mit Verstrickungen aufgewachsen sind, werden wir die auch später noch erleben, bis wir sichere Grenzen um uns herum formen können. Vielleicht nehmen wir zu viel Verantwortung auf uns, die anderen Leuten gehört oder wir heben ihre Schuld oder Scham Gefühle auf, die sie verleugnen. In Konflikten verdrehen wir uns vielleicht komplett, um das alleine zu lösen und Konfrontation zu vermeiden. Wohl wissend, dass wir zu Beschwichtigung neigen, können wir uns regelmäßig fragen, wie viel von einem Problem eigentlich zu uns gehört und wie viel zu anderen Menschen. Vielleicht hat es mit uns gar nichts zu tun. Manchmal müssen wir ein Ungleichgewicht konfrontieren. Grenzen, Durchsetzungsfähigkeit und Konfrontation sind Beziehungswerkzeuge, die wir lernen können.
Die Gesellschaft
Die Lebensumstände von Betroffenen führen oft zu zusätzlichem Leid. Es wird da Hilfe von Außen brauchen, aber wir können anfangen zu prüfen, an wie viel Prozent unserer Situation wir was ändern können, indem wir existierende Hilfeoptionen in Anspruch nehmen (die gibt es oft in irgendeiner Form und es ist völlig normal, das nicht sofort zu wissen) und wie viel davon schlicht soziale Ungerechtigkeit ist, die von der Regierung und durch Gesetze beseitigt werden muss. Die Prozentsätze klarer zu sehen, kann uns helfen, uns machtvoller zu fühlen, weil das, was wir selbst tun können, fast nie bei 0% liegt und wir uns gleichzeitig nicht wie völlige Versager*innen fühlen müssen, wenn wir es mit einem ungerechten System zu tun haben. Niemand käme darin gut zurecht. Indem wir unsere gemischte Erfahrung trennen, kommen wir vielleicht aus der Ohnmacht raus. Dann ist es Zeit zu tun, was wir können und auch Verbündete zu finden, die sich für Veränderung stark machen.