Die meisten Menschen mit DIS erleben eine innere Hierarchie unter den verschiedenen Anteilen. Das gibt es welche, die allen sagen, was sie tun sollen, oft kontrollierende EPs, Manager, Gatekeeper, Täter-imitierende Anteile, Beschützer oder diplomatisch ‘Ratgeber’ genannt. Ihr Job ist es dafür zu sorgen, dass alle funktionieren und niemand aus der Reihe tanzt, um damit Versagen, Bestrafung und Leid zu vermeiden.
Dann gibt es die, die den Anweisungen folgen, Leben am laufen halten und das System funktional machen. ANPs oder Hosts leben oft mit Druck von allen Seiten.
Fragile EPs sind ganz unten in der Hierarchie und erleben oft Zurückweisung von oben, sie wenden sich aber auch mit ihrer Verzweiflung an die Hosts. Und es gibt in der Regel mehr fragile EPs als Hosts.
So eine Hierarchie ist nicht grundsätzlich schlecht. Zu TraumaZeit war das die funktionalste Art zu leben. Eine strenge Organisation, bei der bestimmte Leute Befehle geben und bestimmte andere Leute gehorchen, hilft Krisensituationen zu bewältigen. Das Problem ist, dass wir jetzt nicht mehr in einer ständigen Krise leben. Die Welt verlangt von uns heute andere Fertigkeiten.
Während ANPs manchmal naiv sind was mögliche Gefahren angeht und fragile EPs nicht gut damit zurecht kommen den Alltag zu managen, sind kontrollierende EPs nicht immer gut in der Zeit orientiert. Wenn sie noch in der Vergangenheit fest stecken, wird ihre Einschätzung von heutigen Situationen nicht perfekt sein. Wissen über die Gegenwart wird eingeschränkt sein, was einen direkten Einfluss auf die Fähigkeit zur Problemlösung hat. Der Mangel an neuer Lebenserfahrung und Kreativität zeigt sich darin, dass alte Bewältigungsstrategien immer wieder verwendet werden, auch wenn sie jetzt nicht mehr passend sind.
Veralteter Führungsstil
Was wir beobachten können, ist ein veralteter Führungsstil ganz ähnlich dem, was in Unternehmen nach der industriellen Revolution gemacht wurde. Die Chefs entscheiden, alle anderen gehorchen. Das Ziel ist es, Versagen zu vermeiden. Der Nachteil dieses Führungsstils ist, dass er nicht offen ist für Neues. Es gibt keine Entwicklung oder einen Lernprozess, nur die Wiederholung alter Muster wie am Fließband. Das prägende Gefühl ist Angst. Die, die gehorchen müssen, haben Angst vor Versagen und Bestrafung und tun alles um diese zu vermeiden, auch verheimlichen und betrügen. Und die Chefs sind isoliert und haben Angst, dass aller Druck nicht ausreicht. Weil sie außerhalb der aktiven Mitarbeitenden stehen und nicht interagieren, haben sie wenig Einfluss darauf, wie sich Dinge entwickeln, außer durch Bestrafung und Entlassungen. Das fühlt sich nicht gut an. Das ist einsam und hilflos.
Und dann funktioniert es nicht mal gut. Hosts brennen aus. Manche Systeme müssen ihre Hosts alle paar Jahre ersetzen, weil niemand das lange aufrecht halten kann. Und fragile EPs können nicht permanent unter Kontrolle gehalten werden. Mit der Zeit führt dieser Druck nur zu mehr Zwischenfällen, unkontrollierten Wechseln, Amnesien und schädlichem Verhalten. Die alten Zeiten sind vorbei, die Welt hat sich verändern. Wir müssen uns auch verändern.
Neue Organisation
Wenn wir nach einer neuen Art suchen uns zu organisieren, können wir uns moderne Führungsstile anschauen. Dann sind wir mit einem ganz anderen Konzept konfrontiert: Teamarbeit. Da wird es immer noch welche geben, die Ziele festlegen, aber der Prozess, wie sie erreicht werden, ist ein völlig anderer. Wir sind nicht mehr nur für einen kleinen Abschnitt am Fließband zuständig und übergeben dann an den nächsten Anteil. Alle müssen mitmachen und was beisteuern. Nur so kann die Organisation von den verschiedenen Lebenserfahrungen und Spezialisierungen profitieren, die im Team vorhanden sind. Bei einer DIS bedeutet das, offen zu sein jedem Anteil zuzuhören, in dem Wissen, dass sie Informationen haben könnten, die allen anderen fehlt, auch wenn sie ‘nur’ fragile EPs sind. Eine Führungsperson leitet die Unterhaltung und hilft, dass sie beim Thema bleibt, sie kontrolliert nicht, was jemand teilt oder wie sie sich fühlen oder verhalten sollen.
Ich weiß, dass ist ein revolutionärer Gedanke, aber in diesem neuen Leben können Fehler als nötiger Bestandteil von Lernprozessen umarmt werden. Wenn wir schon wüssten, wie es geht, bräuchte es kein Lernen. Aber wenn wir es erst raus finden müssen, dann ist Versagen für den Prozess unvermeidbar (Mehr dazu hier). Das nimmt den Druck von allen Teammitgliedern eine perfekte Performance abzuliefern. Die Energie, sie sonst darauf verwendet wurde, Probleme zu vertuschen oder zu schummeln, kann dafür verwendet werden, unser Bestes zu geben und daraus zu lernen, wie es nächstes Mal noch besser geht. Ohne Strafe gibt es keine Angst und Menschen blühen in einer Angst-freien Atmosphäre auf. Wir versuchen nicht mehr nur Schlechtes zu vermeiden, sondern wenden uns dem zu, etwas Schönes zu erschaffen.
Denkweisen ändern
Um das zu schaffen, müssen wir die Chefs in unserem System dafür gewinnen. Mit etwas Glück gehören die zur rationalen Sorte und verstehen, dass diese Veränderung gut fürs ganze System ist. Es nimmt den Druck von ihnen, weil sie nicht mehr alles unter Kontrolle halten müssen, wenn das Team von sich aus an einem gemeinsamen Ziel arbeitet. Den meisten kontrollierenden EPs macht Bestrafen gar keinen Spaß, sie tun es nur, weil sie keinen anderen Weg sehen. Nun, es gibt einen. Moderne Unternehmen arbeiten mit dieser neuen Art Arbeit zu organisieren, eben weil das den Ansprüchen der heutigen Welt gerecht wird und Unternehmen sind auch nur eine Art System.
Das wichtigste, was kontrollierende EPs realisieren müssen, ist dass Fehler, Versagen oder Missgeschicke heute nicht lebensbedrohlich sind. Das haben wir als Kinder gelernt, als wir bestraft wurden, aber heute sind wir Erwachsen und da ist niemand, um unser Leben zu bedrohen. Schaut euch um. Man muss immer noch Fehler wieder gut machen und Missgeschicke aufräumen, aber niemand wartet darauf, dass wir versagen, um uns zu bestrafen. Wir leben jetzt in einer neuen Welt. Der unmenschliche Druck perfekt sein zu müssen, alles gleich zu wissen und zu können ohne es je lernen zu dürfen, ist nicht mehr da. Die Führungskompetenzen, die es heute braucht, sind Überblick bewahren, ermutigen, Diskussionen moderieren, Vision für die Zukunft kommunizieren und zuhören. Sehr viel zuhören. Nicht alles muss umgesetzt werden, aber alles sollte gehört werden. Es braucht Zeit, um zu lernen in dieser völlig neuen Rolle zurecht zu kommen, aber Lernprozesse dürfen sein und ein Team kann einen dabei unterstützen. Die anderen können einem auch helfen. Es hängt gar nicht alles alleine an den Chefs.
So wie kontrollierende EPs lernen zuzuhören, können fragile EPs lernen was zu sagen. Was wir zu sagen haben, ist wichtig für das ganze Team. Niemand sonst hat unseren speziellen Einblick. Es wird nicht funktionieren, es sei denn wir teilen unsere Ideen, unser Wissen und unsere Bedürfnisse, sodass der Rest des Teams diese in ihren Plänen und Handlungen berücksichtigen können. Es kann etwas dauern, um Vertrauen zu fassen, dass es wirklich keine Bestrafung gibt, wenn wir den Mund auf machen, besonders wenn man früher immer zum Schweigen gebracht wurde. Die Angst vor den Chefs kann tief sitzen, aber es ist auch bekannt wie viel Mut Anteile haben, die sonst im Schatten leben. Das Team braucht uns. Wartet bis die kontrollierenden Anteile den Gedanken von Teamwork verstanden haben, bevor ihr Dinge mit ihnen teilt. Hosts sind am Anfang vielleicht einfacher anzusprechen.
ANPs müssen sich klar machen, dass sie nicht alles wissen. Wir fallen leicht auf diese Illusion rein. Obwohl wir gut darin sind, das Leben zu managen, fehlt uns oft Bewusstsein in anderen Bereichen. Es ist nicht selten, dass andere Anteile gefragt werden müssen, ob der Körper grad Essen braucht oder aufs Klo muss oder ob die Leute, mit denen wir zu tun haben, überhaupt sicher sind. Die anderen Anteile zu ignorieren klappt in diesem neuen Leben nicht mehr, das wir erschaffen wollen. Zuhören bedeutet nicht automatisch geflutet zu werden. Es ist wichtig sich auf Containment von Trauma Inhalten zu einigen, um die Zusammenarbeit auch für Hosts sicher zu gestalten.
Kommunikation für Kooperation
Kommunikation kann erst mal Angst machen. Wir haben meist schlechte Erfahrungen damit überflutet oder gnadenlos kritisiert zu werden. Gegenseitige Ablehnung erhält die Dissoziation aufrecht, also genau das, was uns davon abhält ein besseres Leben aufzubauen. Es ist richtig Arbeit die Angst davor zu überwinden, zuzuhören und was zu sagen. Funktionierende Kommunikation ist ein Meilenstein in der DIS Therapie. Und sie ist das Fundament von Teamarbeit. Wenn wir dieses neue Leben wollen, müssen wir den Mut finden zu kommunizieren. Es ist ok klein anzufangen, schließlich ist auch das ein Lernprozess. Je sicherer wir es gestalten, desto einfacher wird es.
Das alles ist ein größerer Paradigmenwechsel. Es stellt unsere inneren Beziehungen auf den Kopf und verlangt eine völlig neue Art zu denken. Das kann man nicht durch Revolution, Machtkämpfe oder Strafe erzwingen. Dann hat man nur einen inneren Bürgerkrieg. Es ist nötig eine innere Kultur von Sicherheit zu schaffen, wo Angst nicht mehr willkommen ist. Die Aussicht auf ein Leben ohne Angst und Strafe ist attraktiv für alle. Selbst für die, die sonst Angst und Strafe verbreitet haben. Eine Kultur der Sicherheit lässt ein System aufblühen.
Wenn ihr mehr dazu erfahren wollt, empfehle ich Amy Edmondsons ‘Die angstfreie Organisation’. Das beschreibt eindrücklich, warum so ein alter Führungsstil gehen muss, mit Geschichten aus echten Unternehmen, die allen im System helfen können zu verstehen, warum das mit der Teamarbeit so wichtig ist.
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