Traumatisierung wird in der Regel begleitet von Problemen in der Selbstregulation und Impulskontrolle, aber das kann sich sehr unterschiedlich zeigen.
Unterkontrolle (UK) wie chronisch nicht zu beherrschende Emotionen oder intensive, oft destruktive, Impulse, wird gewöhnlich als BPS diagnostiziert, manchmal zeigt es sich auch in impulsiven Essstörungen wie Binge Eating oder Bulimie. Wir glauben Unterkontrolle wird recht gründlich in DBT behandelt, deswegen werden wir hier nicht weiter darauf eingehen.
Das andere Extrem ist Überkontrolle (ÜK), die vielleicht als zwanghafte (Persönlichkeits-) Störung diagnostiziert wird oder sich in einer restriktiven Essstörung oder behandlungsresistenter Depression zeigt.
Bei einer DIS finden wir gewöhnlich UK und ÜK, mit EPs und manchen Beschützern, die oft Unterkontrolle zeigen und ANPs, Täter-imitierenden Anteilen und manchen Beschützern, die zu Überkontrolle neigen. (Während das grob vereinfacht ist, kann die Unterscheidung zwischen UK und ÜK Anteilen in der Therapie oft sehr viel nützlicher sein, als die Verwendung von EP/ANP). Wir haben mit den inneren Anteilen auch die Kontrolltendenzen voneinander getrennt, was bedeutet, dass wir lernen müssen, beides auszugleichen.
Impulskontrolle und DBT
Menschen, die Probleme bei der Selbstregulation zeigen, werden oft in DBT Behandlung geschickt. Das betrifft auch Menschen, deren Probleme auf ÜK basieren. Sie erreichen regelmäßig die Grenze dessen was Menschen möglich ist zu kontrollieren, sodass sie kurz abrutschen in augenscheinlich impulsives Verhalten. Das ist normal und ändert nichts daran, dass das eigentliche Problem Überkontrolle ist.
Wenn DIS Systeme sowohl UK als auch ÜK zeigen, wird das zugrunde liegende Element der strukturellen Dissoziation oft ignoriert, sie werden mit BPS fehldiagnostiziert und landen auch bei DBT.
Klassische DBT behandelt Unterkontrolle und wir müssen vorsichtig sein, ÜK Muster nicht zu bestärken, wenn wir mit DBT als Teil unserer Traumatherapie arbeiten. Insbesondere Überlebende von frühem, komplexen und anhaltendem Missbrauch haben gelernt, dass Kontrolle nötig ist, um zu überleben und perfekter Gehorsam den Regeln gegenüber Sicherheit bedeutet. Wie viele der Misshandlungen, die wir erlitten haben, lehrt DBT Verhalten zu kontrollieren, was nicht erwünscht ist. Ts müssen sich dessen bewusst sein, dass die Möglichkeit besteht, dass PatientInnen in ein Trauma Schema von Überkontrolle rutschen statt echte Behandlungserfolge in der Selbstregulation zu erzielen.
Impulse und Achtsamkeit
In der DBT wird eine bestimmte Art der Achtsamkeit gelehrt, um uns zu helfen unsere Emotionen und Impulse zu kontrollieren.
Der Gedanke ist es zu
- bemerken,
- beobachten,
- nicht zu handeln,
- und es vorbei ziehen zu lassen
Das ist eine gute Idee, wenn unsere Impulse schädlich sich oder uns langfristig Schwierigkeiten bereiten würden. Wenn wir mit Unterkontrolle ringen, gibt uns das eine Chance, über unsere spontanen Impulse zu reflektieren und befreit uns von dem Zwang ihnen zu folgen.
Das kann ein gutes Konzept sein, wenn wir eine DIS haben und Anteile uns Impulse weiter geben, die dem System nicht dienen oder die uns dazu bringen würden, uns für einen erwachsenen Körper unangemessen zu verhalten in Situationen, in denen das nicht sicher ist. Einfach nur zu warten, bis das vorbei geht, funktioniert hier nur leider nicht; wir werden ums Kommunizieren und Verhandeln nicht herum kommen. Anteile lassen sich nicht für immer ignorieren und wenn wir uns nicht mit ihren Impulsen auseinander setzen, werden die mit der Zeit nur stärker, bis es zu einem Kontrollverlust kommt.
Überkontrolle
Wenn unser Problem Überkontrolle ist, stehen die Chancen gut, dass wir unsere Impulse schon auf sehr hohem Niveau unterdrücken. Das ist eine Überlebenstaktik, die wir als Kinder gelernt haben, nicht zu Handeln, nur weil wir uns danach fühlen. Wir waren die Kinder, die gelernt haben, nie ein kleines Lied zu singen oder mit den Beinen zu schaukeln, um keinem Erwachsenen auf die Nerven zu gehen, keine Emotionen in unserem Gesicht zu zeigen und niemals einfach zu sagen, was wir denken. Für manche von uns ist das so sehr Teil von unserem Wesen geworden, dass wir normale Impulse kaum noch bemerken.
Bei einer DIS können wir beobachten wie ÜK Anteile alles tun, was in ihrer Macht steht, um die Impulse von UK Anteilen zu unterdrücken, um zu vermeiden, Aufmerksamkeit auf das System zu ziehen. Das ist oft der Hintergrund von bestrafenden Anteilen; der verzweifelte Versuch es zu vermeiden, dass normale menschliche Schwäche oder Bedürfnisse oder Unterkontrolle sichtbar werden, weil das zu TraumaZeit sehr gefährlich war.
Niemand verlangt von ÜK Anteilen die Kontrolle abzugeben. Das Ziel ist niemals ein Kontrollverlust. Aber wir müssen uns fragen, warum die Natur Menschen so etwas wie Impulse gegeben hat.
Die Aufgabe von Impulsen
Nicht alle Impulse sind schädlich. Das ist vielleicht schwer zu glauben, weil sie uns in TraumaZeit nur in Schwierigkeiten gebracht haben, aber gesunde Impulse sind Teil eines cleveren Designs.
Wenn wir ein normales menschliches Bedürfnis haben, wird etwas in unserem Körper und Verstand in Bewegung gesetzt. Wir haben einen Gedanken, fühlen eine Emotion, ein Körpergefühl und einen Handlungsimpuls. Das soll uns auf allen Ebenen motivieren eine Handlung durchzuführen, die unserem Bedürfnis begegnet.
Wenn wir es uns angewöhnen mussten, unsere Emotionen und Impulse zu ignorieren, bedeutet das in der Regel auch, dass wir unsere Körperwahrnehmung und unsere Bedürfnisse dissoziieren mussten. Als Erwachsene ringen wir dann darum, unsere Bedürfnisse zu spüren und uns richtig um uns zu kümmern, weil da nichts mehr ist, was uns Wegweiser gibt.
Es gibt verschiedene Wege sich da raus zu arbeiten, wie Emotionen und Körper wieder wahrnehmen zu lernen. Eine andere Art sich dem anzunähern, ist eine leicht veränderte Version unserer Achtsamkeitsübung, um wieder Verbindung mit unseren Impulsen aufzunehmen.
Eine Übung dazu könnte so aussehen:
„Was ist eine Kleinigkeit, die du jetzt gerade verändern könntest, um die Situation ein klein wenig besser zu machen?“
Höre auf deinen Körper und finde den Handlungsimpuls.
- Bemerke: Das kann sich am Anfang vage oder merkwürdig anfühlen, wenn wir es gewöhnt sind unsere Impulse automatisch zu dissoziieren. Sei geduldig mit dir selbst und nimm auch kleine Ideen ernst.
- Spüre das für einen Moment. Lass die Position des distanzierten Beobachters so weit zurück, wie es es für dich geht und versuche den Impuls zu spüren und wo im Körper du ihn wahrnehmen kannst.
- Reflektiere: Warum glaubst du, ist der Impuls da? Auf welches Bedürfnis weist er hin? Befriedigt die Handlung, die zu dem Impuls gehört, das Bedürfnis? (manchmal tut sie es nicht). Bemerke, wie du dein Gehirn verwendest, du verlierst nicht die Kontrolle.
- Entscheide über eine Handlung. Du musst gar nicht handeln, wenn du glaubst, dass das in der Situation nicht angemessen ist. Wenn du aber zu dem Schluss gekommen bist, dass es harmlos wäre, wenn vielleicht auch merkwürdiger, als was du dir sonst zugestehst, dann könntest du es vielleicht auch einfach probieren und schauen, was passiert.
- Bleibe bei der Wahrnehmung. Prüfe achtsam, ob dem Impuls folgen etwas verändert hat und falls das so ist, wie sich das im Körper anfühlt. Es ist normal sich am Anfang zu fühlen, als hätte man etwas Unerlaubtes getan, weil das noch so fremd ist. Bleib einfach bei der Körperwahrnehmung, die erzählt die Wahrheit über das Heute.
Wenn ein Impuls von einem anderen Anteil von uns kommt, können wir das selbe tun und versuchen zu spüren, was das Innen mit uns macht. Nicht alle Impulse, die wir von Innenkindern kriegen, sind unangemessen. Vielleicht sind sie sich nur etwas besser bewusst, was wir als System brauchen.
Schädliche Impulse sind oft ein Anzeichen, dass wir schon einen Haufen Impulse verpasst haben, die vorher kamen und je mehr wir uns wieder bewusst werden, desto seltener kommen wir in diesem Stadium an.
Wenn wir es mit Überkontrolle zu tun haben, müssen wir neu lernen unseren Impulsen zu vertrauen.
Ich sage niemandem, allen Impulsen nachzugeben oder unreflektiert zu handeln. Aber wir finden hier den Weg zu wirklich guter Selbstfürsorge. Unser Körper sagt uns, was er braucht, wenn wir etwas achtsamer auf seine Impulse hören. So können wir merken, wenn wir Hunger haben oder aufs Klo müssen, selbst wenn die Körperwahrnehmung noch niedrig ist. Wenn unsere Bedürfnisse befriedigt werden, steigt unsere Lebensqualität.
Ich weiß, wie beängstigend es sein kann, Bedürfnisse zu fühlen ohne je zu spüren, dass ihnen begegnet werden kann. Ich halte es für unmöglich ÜK Menschen dahin zu pushen ihre Bedürfnisse plötzlich zu spüren, ohne damit eine Krise zu verursachen, die sie direkt in noch mehr Kontrolle zurück wirft. Deswegen nähern wir uns dem Problem von der anderen Seite und folgen nur unseren gesunden Impulsen.
So erschaffen wir eine physische Erfahrung, wie unseren Bedürfnissen heute begegnet wird, bevor wir eine Wunde aufreißen von Bedürfnissen in der Vergangenheit, die unbeantwortet blieben. Die Trauer darüber wird in dem Prozess irgendwann hoch kommen, aber sie wird ihre scharfen Kanten verloren haben, wenn wir sie durch eine gefühlte Realität wahrnehmen von befriedigten Bedürfnissen im Heute. Das Erleben, wie gut es sich anfühlt, wenn Bedürfnissen begegnet wird, kann die ÜK Dynamik verändern hin zu etwas, was Selbstfürsorge unterstützt.
Vielleicht bietet den Handlungsimpulsen folgen einen sicheren Weg, langsam diese heikle Idee zu erforschen, wie es wäre, normale menschliche Bedürfnisse haben zu dürfen.
Anna says
This is brillant. These are the actual steps I need to take to refocus. Thankyou. I am so sick of hearing that I ‚just need to relax‘ and ‚Gelassenheit erleben‘