Eines der trickreichen Probleme bei Komplextrauma ist, dass unsere gesunde Trennung zwischen der inneren und der äußeren Realität unterentwickelt ist. Wir ringen sowohl mit plötzlicher Überforderung durch äußere Geschehnisse, als auch der Tendenz, unser inneres Erleben als direktes Spiegelbild der äußeren Realität zu verstehen.
Uns von äußeren Geschehnissen abgrenzen
Ihr kennt vielleicht Situationen, wo es sich anfühlt, als würde man von dem überflutet werden, was in der Außenwelt passiert. Das kann plötzlich so nah kommen, dass es überfordert, fast so als würden die Geschehnisse in uns rein greifen und bestimmen, wie wir uns fühlen und an unserer Identität rütteln. Als Reaktion auf dieses invasive Gefühl verhalten wir uns vielleicht impulsiv, um irgendwie die Kontrolle über die Situation zu spüren und uns zu wehren. Wenn das öfter passiert, werden wir als ‘borderline’ diagnostiziert. Das ist die Art, wie sehr kleine Kinder die Welt erleben und sie lernen im Kontakt mit einer Fürsorgeperson, damit zurecht zu kommen und ihre Grenzen zu spüren. Die Abgrenzung nicht zu spüren, kann ein Zeichen von emotionaler Vernachlässigung in frühen Lebensjahren sein. Es ist kein Charakterfehler.
Ein Schlüssel, um eine Abgrenzung zum äußeren Geschehen zu schaffen und uns von dieser Art der Überflutung zu schützen, ist der Fokus auf unseren Verstand und unsere Fähigkeit, innerlich einen Schritt zurück zu treten in eine beobachtende Position, die als Achtsamkeit bezeichnet wird. Dann benutzen wir unseren Verstand als einen Filter. Was immer in der Außenwelt passiert, geht durch diesen Filter des Verstandes, wo wir darüber nachdenken und durch das Reflektieren Kontrolle darüber erlangen. Wir machen uns bewusst, dass unsere inneren Reaktionen nur Gedanken, Gefühle und andere innere Erfahrungen sind. Die äußere Realität ist immer noch außerhalb von uns und wir gehen irgendwie mit dem um, was Innen ist. Wir können unsere Bewältigungstechniken ändern und so unser inneres Erleben managen. Es wird nicht von Außen dominiert. Wir trennen den direkten Einfluss ab, indem wir reflektieren und unsere Reaktion selbst wählen. Heute haben wir mentale Fähigkeiten, die Dissoziation als Coping ersetzen können.
Die Welt von unserer inneren Realität trennen
Wie so oft bei Traumafolgen gibt es zwei entgegengesetzte Extreme in den Erfahrungen, die wir machen, wenn die Grenze zwischen innerer und äußerer Realität schwach ist. Im anderen Extrem glauben wir, dass unser inneres Erleben in der äußeren Welt buchstäblich wahr ist. Alles, was wir denken, ist Die Wahrheit, alle anderen fühlen selbstverständlich genau so wie wir und unsere Überzeugungen sind real, einfach weil wir dran glauben. Nur ist unser inneres Erleben von Trauma geprägt und bildet die heutige Welt nicht korrekt ab. Wir erleben die Welt wie durch eine Linse, die alles verzerrt.
Den Effekt so einer verzerrten Linse auszugleichen, ist schwierig, weil wir erst einmal Fertigkeiten zur Reflexion lernen müssen, um überhaupt unsere wahrgenommene Wahrheit in Frage stellen zu können. Gedanken sind nur Gedanken. Gefühle nur Gefühle. Sie kommen und gehen und auch wenn sie wirklich passieren, sind sie nicht immer ein gutes Abbild der realen Welt. Wir können uns für einen Moment mal nicht so furchtbar ernst nehmen und prüfen, was wir eigentlich in unserem Verstand fabrizieren. Wir projizieren unsere innere Realität auf die Äußere.
Als nächstes finden wir eine Person, die uns helfen kann, unsere Linse neu zu kalibrieren. Die Person sollte selbst recht gut im Reflektieren sein. Dann können wir teilen, wie wir die Welt durch unsere Linse sehen und die Person erzählt, wie sie das erlebt oder was für eine Sicht sie darauf hat. Indem wir vertrauen und vielleicht auch noch einige andere Leute zum Abgleich fragen, können wir unsere Sicht auf die Welt dem anpassen und sie als etwas sehen, das sich von unserem inneren Erleben unterscheidet und außerhalb von uns stattfindet und um uns herum. Es ist nicht das selbe wie unser subjektives, inneres Erleben.
Zu weit abgetrennte Erfahrungen
Wenn wir Anteile haben, erleben wir wahrscheinlich noch andere Extreme. Manche Anteile vermeiden alles rund um inneres Erleben. Das wird umso einfacher, wenn Körperwahrnehmung und Emotionen betäubt oder abgespalten sind und es für sie Innen gar nicht viel zu spüren gibt. Andere innere Erfahrungen wie Impulse werden strenger Kontrolle unterworfen oder es kommt zu automatischen Shutdown Reaktionen. Das innere Erleben, das sich meist am schwersten abschalten lässt, sind Gedanken.
Wir lockern unsere Unwissenheit gegenüber innerem Erleben mit kleinen Schritten, neurierigem Erforschen und Reflexion und genug Zeit zum Erholen, sodass wir Kapazität dafür aufbauen können. Das braucht einiges an Mut, aber innerlich etwas zu fühlen erlaubt uns auch, gute Sachen zu fühlen und das ist die Mühe wert.
Andere Anteile erkennen die äußere Realität vielleicht nicht an. Sie glauben, dass ihre inneren Bilder, Gefühle, Überzeugungen usw alles sind, was es gibt. Sie bemerken die Außenwelt und die Dinge, die da passieren, nicht bewusst. Das verhindert in der Regel Orientierung und Grounding. Anteile stecken fest in einer Realität, die von Trauma Erinnerungen dominiert wird und haben keine Chance, neue Erfahrungen in der Außenwelt zu machen. So bleiben sie isoliert.
Damit wir diesen Anteilen helfen können, das Außen zu bemerken, brauchen wir erst einmal ein Bewusstsein für den Körper als dieses große Ding, indem wir alle leben. Der unterscheidet sich von dem inneren Bild eigener Körper in der inneren Welt. Um die Außenwelt wahrnehmen zu können, brauchen wir die Sinne des Körpers. Es gibt keinen anderen Weg, um Kontakt damit aufzubauen. Es braucht kein vollständiges Bewusstsein für alle Körperteile, aber es hilft, wenn Anteile durch die Körper-Augen schauen können, mit den Körper-Händen tasten, wenn sie die Sinne benutzen können. Vielleicht müssen wir daran erinnern, wirklich den großen Körper zu benutzen und nicht innere Abbilder von Körpern und Sinnen. Aus unserer Wahrnehmung können wir ein Bild der äußeren Welt zusammen basteln, dabei auch mit einbeziehen, was ältere Anteile wissen und berichten, und das mit unseren inneren Erfahrungen vergleichen.
Unsere Verbindung zur Außenwelt ist, was ein ‘felt sense of safety’, eine gespürte Überzeugung von Sicherheit, überhaupt erst möglich macht, weil wir die Welt damit als sicher wahrnehmen können. Es braucht vielleicht keine zusätzliche Person, die uns dabei hilft. Die Anleitung von anderen Anteilen, die schon gut in der Außenwelt orientiert sind, kann reichen. Regelmäßige Erinnerungen sorgen dafür, dass Anteile nicht vergessen, dass es mehrere Realitäten gibt, auf die man achten muss. Mehr Bewusstsein für die äußere Welt wird möglich, weil sie uns nicht mehr so überflutet wie früher, als wir kleine Kinder waren. Es gibt eine Abgrenzung, die uns Sicherheit gibt, sodass wir nicht mehr dissoziieren müssen.
Realitäts-Checks für Fortgeschrittene
Bei Realitäts-Checks für Fortgeschrittene schauen wir immer 2 Achsen an. Die eine ist die Zeit. Wir trennen Gegenwart von Vergangenheit, das Heute von TraumaZeit. Die zweite Achse ist unser Erleben und wir trennen zwischen innerem und äußeren Geschehnissen. Passiert gerade außen etwas Schlimmes oder ist es ein inneres Erleben, das getriggert wurde? Das hilft uns, zwischen Flashbacks und tatsächlich gefährlichen Situationen zu unterscheiden. Das schlimme Erleben ist vielleicht auf Innen begrenzt und die Welt um uns herum geht weiter wie immer. Unsere Interventionen werden besser und passgenauer, wenn wir es schaffen, unsere Erlebenswelten auseinander zu halten, sie aber nicht zu dissoziieren. Inneres Erleben ist wichtig und echt und darf da sein, aber wir behandeln es anders als eine äußere Gefahrensituation. Sonst kommen wir nie aus den chronischen Stressreaktionen raus.
Innere und äußere Realitäten zu trennen ist eine wichtige Fertigkeit für die Regulation und Impulskontrolle. Es hilft uns, die Welt besser zu verstehen und angemessen zu reagieren. Übung macht es einfacher und innere Zusammenarbeit hilft uns, mehr in einer spürbaren Sicherheit verankert zu sein. Wann immer wir damit stecken bleiben, nur Vergangenheit und Gegenwart zu trennen, können wir prüfen, ob wir innere und äußere Realität vermischt oder eine davon aus den Augen verloren haben.