Wenn uns klar ist, dass wir verschiedene Stressreaktionen erleben und dass Anteile sich in Zuständen am besten fühlen, die ihren Handlungssystemen entsprechen, können wir dieses Wissen nutzen, um innere Dynamiken zu untersuchen, die uns Probleme bereiten. Wir driften möglicherweise als Reaktion auf eine äußere Situation auseinander. Das Ergebnis ist ein Machtkampf oder Tauziehen zwischen inneren Anteilen, das die Distanz zwischen uns verschlimmert.
Gesunde Menschen verbringen gerne Zeit in ihrer Komfortzone oder in der Zone von angenehmer Aktivierung, die wir in gelb markieren. Dort passiert Erholung und Wachstum. Man fühlt sich überfordert, wenn man in Hyperarousal oder Shutdown geht, die roten und blauen Bereiche, die wir gut kennen. Für gewöhnlich kehrt man, nachdem man gestresst wurde, in die Komfortzone zurück, um sich zu erholen. Daraus ergibt sich ein normaler Kreislauf aus Ruhe und Bequemlichkeit, Herausforderung und Wachstum, gelegentlicher Überforderung und dann einer Zeit von Rückzug von allem, um neue Kraft zu sammeln.
Übung:
Ihr könnt eure Sandkiste verwenden oder einfach ein Stück Papier und dort die verschiedenen Stresszonen markieren. Versucht herauszufinden, in was für Zuständen sich jeder Anteil am wohlsten fühlt bzw wo sie sich am besten auskennen und ihnen das am bekanntesten ist. Stellt ihren Gegenstand in die Zone oder malt ein Symbol für sie auf eure Karte. Niemand muss sich dafür schämen, den hohen Stressbereich zu mögen, wo das Coping wacklig wird. Das ist eine normale Folge von chronischem Stress und manchmal erreichen wir in solchen Zonen die Spitze unserer Leistungsfähigkeit. Das ehrlich zuzugeben kann dem ganzen System helfen, unser Verhalten zu verstehen.
Bei uns gibt es die gleichen Zonen wie bei gesünderen Leuten, aber sie fühlen sich für uns wahrscheinlich anders an und wir beenden den Kreislauf vielleicht nicht korrekt bis zur Erholung. Zuallererst ist es nötig zu verstehen, dass nicht alle Anteile sich mit Ruhe und Entspannung wohl fühlen. Das kann gefährlich oder überfordernd wirken. Deswegen sabotieren manche Anteile unsere Freizeit und bringen uns in schwierige Situationen. Wenn sich Hyperarousal am besten anfühlt, weil ein Anteil eine Beschützerfunktion hat und Hypervigilanz die Art ist, wie sie funktionieren, dann wollen sie in dieser Zone bleiben. Und Anteile, die vor allem Shutdown kennen, werden dahin zurückkehren, um eine Pause von allem zu kriegen und wir kommen nicht bei Komfort und Erholung an. Statt von der Überforderung in die Ruhe zu wechseln, bewegen wir uns immer wieder zwischen Hyperarousal und Shutdown hin und her (Mehr). Das ist ein klassisches Muster, nach dem wir Ausschau halten sollten. Es braucht dann einiges mehr an Mühe, um uns auch wirklich von Stress zu erholen.
Wenn wir spüren, dass wir innerlich auseinander driften, uns in unterschiedliche Richtungen bewegen oder Sabotage, Machtkämpfe oder ungewöhnlich viel Amnesien bemerken, können wir die aktuelle Situation untersuchen und jeden Anteil fragen, in welcher Zone sie sich gerade befinden. Wir verdeutlichen das, wie schon geübt, auf unserem Schaubild. Dann fragen wir die anderen, wie es sich anfühlt, dort zu sein und wo sie gerne hingehen würden. Ist es gemütlich in dieser Zone oder wollen sie in eine andere wechseln? In welche Richtung würden sie sich gerne bewegen? Braucht es mehr oder weniger Aktivierung für sie, um sich besser zu fühlen? Diese Wünsche können wir mit Hilfe von Pfeilen markieren. Die Dicke eines Pfeils kann darstellen, wie sehr ein Anteil in eine bestimmte Richtung möchte.
Schauen wir uns die Ausrichtung der Pfeile an, bekommen wir ein besseres Bild davon, was innerlich passiert. Manche Anteile wollen sich wahrscheinlich in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Anteil A braucht eine Pause, aber Anteil B erlebt Ruhe als unerträgliches Gefühl, das um jeden Preis vermieden werden muss und für B ist es eigentlich schon viel zu ruhig. Anteile C will vielleicht ausruhen, schafft aber immer nur den Wechsel von Hyperarousal und Shutdown. Jemand will vielleicht noch ein spannendes Problem bei der Arbeit lösen und jemand anderes ist schon längst in der Überforderung. Vielleicht fühlt sich der aktuelle Shutdown auch gut an und jeder andere Zustand scheint zu viel zu sein, um damit umzugehen.
Wenn immer es dicke Pfeile gibt, die in entgegengesetzte Richtungen zeigen, sollten wir besonders auf unsere nächsten Schritte achten. Diese entgegengesetzten Tendenzen bewirken ein Tauziehen. Jemand zieht in die eine Richtung und dann muss der andere umso mehr in die andere Richtung ziehen. Es wird immer heftiger gezogen und die innere Spannung wächst. Das Resultat ist normalerweise eine Form von Chaos. Blackouts mit Selbstverletzung, Amnesien dafür, dass jemand irgendwie unsere Pläne sabotiert hat, anhaltende Panik, Erschöpfung und Burnout, oder einfach ein immerwährender Machtkampf, der dann in Shutdown endet, sind Anzeichen so einer Dynamik.
Die Bedürfnisse der verschiedenen Anteile innerhalb einer Situation zu kennen, hilft uns, solche inneren Konflikte zu sortieren. Wir brauchen keinen Machtkampf darüber, wer die Entscheidungen in dieser Situation fällen darf, wenn uns klar ist, dass es da mehr als ein Erleben zu gibt und es manchen Anteilen wirklich schlecht geht. Das öffnet unsere innere Arbeit, sodass wir uns um Bedürfnisse und Regulation kümmern können, statt über eine Pro und Kontra Liste von äußeren Faktoren zu diskutieren. Manchmal sind solche Listen für Entscheidungen super, aber sie lösen keine Bedürfnis-Konflikte.
Als nächstes fragen wir unsere Anteile, was sie brauchen, um da hin zu kommen, wo sie gerne wären (oder zumindest näher dort hin zu kommen) und von wem sie das brauchen. Manchmal gibt es Dinge, die sie selbst tun können, sie kennen schon Ressourcen, die ihnen helfen könnten oder ihnen fällt ein, was jemand anderes für sie tun könnte. Das kann so einfach sein, wie ein Kuscheltier dabei haben, das sie sehen und anfassen können, während wir uns weiter um die äußere Situation kümmern. Arbeiten wir mit jüngeren Anteilen, die noch nicht so viel Erfahrung mit Hilfe haben, können wir ihnen verschiedene Optionen zum wählen anbieten und sie testen lassen, ob das was bringt. Es ist nicht immer nötig, eine Situation ganz zu verlassen und alles fallen zu lassen, was wir tun, auch wenn es das geben kann. Kompromisse in der Art und Weise wie wir etwas tun, können schon einen großen Unterschied machen. Manchmal sind wir auch einfach nur zu schnell. Wenn andere Anteile näher an dem dran sind, womit sie sich wohl fühlen, erleben wir weniger innere Konflikte und Gegenwehr und können die Situation vielleicht gut beenden.
Zusammenfassung der Fragen:
In welcher Zone seid ihr gerade?
Wie fühlt es sich an, dort zu sein?
Wo möchtet ihr hin? (Ihr könnt auch einfach bleiben)
Was braucht ihr, um da hin zu kommen?
Von wem braucht ihr das?
Umgekehrte Abstimmung
Manchmal stecken wir wirklich fest. Bedürfnisse stehen in direktem Konflikt miteinander und wir finden keinen guten Kompromiss. Einfach nur abstimmen, was wir machen, wäre fatal, weil dann eine Mehrheit von Anteilen andere Anteile unterwirft, denen es ohnehin schon nicht gut geht. Wenn sowas öfter mit den gleichen Anteilen passiert, die sich unterwerfen müssen und dann leiden, bereiten wir damit eine Bühne vor für einen bitteren Kampf. Geht es um Bedürfnisse, dann ist Demokratie selten gut fürs System. Dabei gewinnt einfach nur die ohnehin stärkere Gruppe von Anteilen.
In solchen Fällen, listen wir alle möglichen Optionen auf und lassen dann alle Anteile einzeln bewerten, für wie schlecht sie diese Option halten, zB mit Zahlenwerten. Statt einer Abstimmung kriegen wir dann eine Tabelle, die uns zusammen gerechnet zeigt, was die schlechteste Lösung für alle ist und was das kleinste Übel ist, selbst wenn es nicht toll ist. So eine Tabelle kann helfen zu sehen, wann persönliche Wünsche vielleicht für die anderen total ungünstig sind und es nicht cool ist, das so weiter zu verfolgen. Es kann auch helfen zu sehen, dass es wirklich keine gute Lösung gibt und einer Option zuzustimmen, die man selbst nicht mag, für das System immer noch das beste ist. Hoffentlich können wir uns dann einigen, das zu machen, was für alle am wenigsten schädlich ist. So einen umgekehrten Prozess braucht es nur, wenn ihr so ein extremes Muster bemerkt, wo Anteile in verschiedene Richtungen driften und es sich hochschaukelt. Gebt eure normalen Abstimmungen nicht auf. Die sind immer noch ein schnelles und einfaches Werkzeug für gewöhnliche Situationen.
Irgendwann erreichen wir ein Level, wo wir ganz normal durch den Stresskreislauf gehen und wir spüren den Drang zu Ruhe und Erholung, nachdem wir stressige Phasen hatten. Das kann sich so fremdartig anfühlen, dass wir denken, es würde etwas nicht stimmen, aber wir finden uns nur in gesunden Funktionsweisen wieder. Wir werden dann viel öfter Pausen brauchen, als wir erwarten. Indem wir stetig weiter die Phasen von Hochstress reduzieren, verlangsamen wir den Kreislauf und die Situation normalisiert sich auch wieder.
Ihr könnt den Gedanken davon, in verschiedenen Zonen zu stehen, auch von Stressreaktionen lösen und euch statt dessen zB Rollen anschauen, in denen ihr euch wohl fühlt. Die Handlungssysteme, in denen sich Anteile bewegen, beinhalten Rollen genauso wie Stresszustände und es könnte fürs Teaming sinnvoll sein, zu schauen, ob sich jemand in einer Situation mit der Rolle nicht wohl fühlt und wie Verantwortlichkeiten verschoben werden könnten. Die Fragen bleiben die gleichen, nur der Kontext ändert sich.
Das ist soweit ich weiß kein klassisches Werkzeug aus der DIS Therapie. Ich hab ein Modell für Gruppendynamiken dafür adaptiert, weil es mir hilfreich erschien.