Wenn wir wiederholt und andauernd Traumatisches erleben, besonders als Kinder, wir unsere Fähigkeit uns selbst und die Welt um uns herum zu deuten beschädigt. Wir können unser Erleben von Schmerz und einem anscheinende normalen Leben, einer Bezugsperson die auch ein Täter ist, gleichzeitig unschuldig sein und uns schuldig fühlen, Scham und Wut und Hilflosigkeit und Taubheitsgefühle nicht integrieren. Um das zu bewältigen, müssen wir das alles trennen, eine Linie ziehen zwischen den verschiedenen Bereichen unseres Selbst und vielleicht auch Mauern aufbauen, sodass die verschiedenen Bereiche sich nicht mehr berühren können. Das ist die natürliche Reaktion auf chronische Traumatisierung und wird strukturelle Dissoziation genannt. Das ist nicht nur das Grundprinzip von DIS, sondern auch bei komplexer PTBS sehr verbreitet, wo die Mauern dann nicht so hoch sind, die Trennung der Anteile der Persönlichkeit aber vorhanden.
Strukturelle Dissoziation
Strukturelle Dissoziation erhöht den Schwierigkeitsgrad davon bei uns selbst zu bleiben, weil sie einen Zustand beschreibt, in dem unser Selbst in verschiedene Anteile unterteilt ist. Jeder Anteil kann Fragmente von Gefühlen, Körperwahrnehmung, Bedürfnissen, Erinnerungen, Wünschen, Gedankenmustern… und Ich-Erleben in sich tragen. Verschiedene Anteile tragen oft sehr verschiedene Fragmente von all dem, selbst im Bezug auf die gleiche Situation. Das kann so gegensätzlich aussehen, dass man sich fragt, wie das alles Teile einer Person sein können. Wenn wir genauer hinsehen, werden wir feststellen, dass Anteile gut in manchen Dingen sind, in anderen Bereichen aber Fähigkeiten fehlen. Andere Anteile tragen diese Fähigkeiten.
Das bedeutet, dass Anteile, auch wenn sie ein Ich-Erleben haben, nicht die Fähigkeit haben, für sich genommen in allen Bereichen des Lebens zu funktionieren. Ein Anteil mag fähig sein in einem stressigen Job zu arbeiten, ihm fehlen dafür aber zB die Fähigkeit tiefe Gefühle wahrzunehmen oder tragfähige Beziehungen einzugehen.
Wir können unsere Funktionsfähigkeit in allen Bereichen des Lebens nur erhöhen, wenn wir Kontakt zwischen den verschiedenen Anteilen herstellen, wenn wir lernen bei unseren Selbsts zu sein, statt sie zu dissoziieren.
Wer kennt wen (oder: die Innere Landkarte)
Der erste Schritt, um mehr bei unseren Selbsts zu sein, ist herauszufinden, wer diese Anteile sind. Manchen hilft es Tagebuch zu schreiben und dann zu lesen, was geschrieben wurde. Anteile haben nicht immer Namen, aber sie habe eine bestimmte Art zu denken, zu fühlen und sich auszudrücken, die du vielleicht als „das bin nicht ich“ empfindest. Andere hören recht deutlich Stimmen und können damit anfangen, denen aufmerksamer zuzuhören.
Ich bin mir bewusst, dass das schwierig und beängstigend ist. Es gibt dafür sogar ein Fachwort: die Phobie vor dem Inneren Erleben. Diese Phobie zu überwinden ist der erste Meilenstein darin zu lernen, mehr bei unseren Selbsts zu sein und strukturelle Dissoziation zu reduzieren. Geh das langsam an, um nicht überflutet zu werden. Kennen zu lernen wer da noch so ist, bedeutet nicht, dass du mit den Erlebnissen überflutet werden musst, die dieser Anteil trägt. Du kannst das seicht halten.
Kommunikation und Kooperation
Dieser nächste Schritt braucht Zeit und es klappt am besten, wenn man sich auf das heutige Leben konzentriert und nicht zu tief in traumatische Erinnerungen eintaucht. Diskutiert eure aktuelle Lebenssituation. Verhandelt Ziele fürs Heute. Kümmert euch um die gegenwärtigen Bedürfnisse. Lernt kennen, was ihr mögt und was nicht. Findet eure Stärken und Schwächen. Übt zusammen zu arbeiten. Helft allen in Raum und Zeit orientiert zu sein. Ja, es gibt bestimmt Momente, wo Splitter von Trauma Erinnerung zu dir durch kommen, aber grundsätzlich kann man das alles tun, ohne dafür solche Erinnerungen teilen zu müssen. Du kannst den Bedürfnissen eines traumatisierten Innenkindes begegnen, ohne genau wissen zu müssen, welches Fragment von Erinnerungen es trägt.
Sich Gesellschaft leisten
Trauma hat uns dazu gezwungen, uns als Anteil von anderen Anteilen abzutrennen. Jetzt können wir lernen, wieder beieinander zu sein. Das kann heißen, dass wir uns so nah kommen, dass wir ein Co-Bewusstsein entwickeln, ein geteiltes gewahr-werden der Welt um uns herum und der Gedanken und Gefühle des jeweils anderen. Die werden nicht identisch sein, aber die Barriere ist dann niedriger, sodass ihr mehr vom Lebens teilt. So könnt ihr nicht nur euer grundlegendes Bewusst-sein von dem was passiert erhöhen, sondern auch eure Fragmente von Wissen besser teilen und euch helfen, das Leben besser zu meistern.
Hier erweist es sich als hilfreich, vorher geübt zu haben bei euren Gefühlen zu bleiben und eine gewissen Toleranz dafür zu entwickeln, denn nun kannst du nicht nur bei deinem Fragment von euren Gefühlen bleiben, du kannst auch die Fragmente eurer Gefühle spüren, die der andere Anteil trägt. Früher musste jeder Anteil durch Dissoziation isoliert mit seinem emotionalen Erleben alleine bleiben, oft mit einer sehr kleinen Bandbreite sehr starker Gefühle. Uns gegenseitig Gesellschaft zu leisten im Erleben unserer Gefühle, kann sich erst einmal merkwürdig und fremd anfühlen. Du musst das Gefühl und alles was daran hängt nicht verstehen, du musst auch nicht das selbe fühlen. Aber indem ihr zusammen bleibt, kannst du die Isolation derer aufheben, die für das gesamte System die schwierigen Gefühle tragen. Ihr könnt lernen das auszuhalten, bei euren Selbsts zu bleiben, auch wenn es unangenehm ist.
Teilen
Wenn ihr Kommunikation, Kooperation und Verbindung gemeistert habt, seid ihr vielleicht bereit, auch bei den Erinnerungen eurer Selbsts zu bleiben und Dinge aus der Vergangenheit zu teilen. Eure T wird euch dabei helfen und sicher stellen, dass das nicht zu einer Überforderung wird. Ich kann niemandem raten, zu viel Trauma Erinnerung zu teilen, bevor ihr nicht gelernt habt, euch auch in schwierigen Gefühlen Gesellschaft zu leisten. Wenn Teilen nur wieder zur Isolation von Anteilen führt, habt ihr die strukturelle Dissoziation betreffend nichts gewonnen. Zusätzliche Trauma Bearbeitung ist wahrscheinlich notwendig. Probiert das nicht alleine. Arbeitet mit einer T.
Blending
Das kann mutwillig passieren oder ein Ergebnis von wachsendem Co-Bewusstsein und Verbindung sein. Die strenge Trennung zwischen Anteilen kann anfangen sich zu verwischen, sodass irgendwann eine Unterscheidung zwischen Anteilen immer schwieriger wird. Blending ist mehr als Co-Bewusstsein, weil sich Gedanken und Gefühle zusammen tun, statt nebeneinander zu existieren. Bei diesem Erleben geht nichts verloren, aber es verändert sich vielleicht etwas, weil Extreme durch das ausgeglichen werden, was der andere Anteil in die Verbindung mit einbringt. Ihr spürt vielleicht auch einen Anstieg in euren Fähigkeiten, weil der andere Anteil die mitgebracht hat. Das ist eine sehr nahe Art, bei Sich zu sein. Wenn man das mutwillig probiert, muss das nicht so bleiben, ihr könnt euch auch wieder trennen. Bittet eure T da um Anleitung. Blending kann euch ein besseres Bild davon verschaffen, wie sich Fusion anfühlen könnte. Die von uns, die es probiert haben, mochten es. Sie haben sich vollständiger und lebendiger gefühlt.
Fusion
Von Blending ist es nicht weit bis zur Fusion. Sie löst die strukturelle Dissoziation auf, sodass die Trennung zwischen den Anteilen wegfällt. Dann gibt es immer noch bestimmte Rollen, Zustände und innere Positionen; so funktionieren gesunde Menschen nun mal. Aber es wird immer möglich sein wahrzunehmen, was um dich herum und in dir vor sich geht, du hast Zugang zu deinen Erinnerungen und deinem Wissen und kannst flexibler auf das Leben reagieren und dich Situationen anpassen, ohne das vorher mit deinem Inneren Team besprechen zu müssen. Du bist dann nicht nur bei deinen Selbsts, du bist du selbst. Es ist wichtig zu lernen, damit umzugehen. Therapie ist nach der Fusion nicht vorbei und manchmal braucht es mehr als einen Versuch.
Das ist das Spektrum von Integration für strukturelle Dissoziation. Viele Systeme haben Angst vor dem Gedanken an Fusion und verwerfen zu leichtfertig das Ziel ein integrierteres Leben zu leben. Fusion ist nur der letzte Schritt. Es ist unmöglich zu sagen, wie ihr darüber fühlen werdet, wenn ihr gerade erst dabei seid, Kommunikation zu etablieren.
Ich hoffe ich kann euch ermutigen mehr bei Euch zu sein, egal wie weit ihr damit bisher seid.
In unserer Serie ‘Bausteine von Integration’ findet ihr die psychologischen Schritte, die für den Prozess wichtig sind noch mal genau aufgeschlüsselt:
unsereins & me says
Sehr gut und auf den Punkt geschrieben. Danke sehr 🙂