Das Konzept vom Trauma Prozessieren ist in der Regel, die traumatische Erinnerung in einem kontrollierten Setting hoch zu holen, eine Intervention zu verwenden, um die starre Art, wie sie stecken geblieben ist, aufzubrechen und dann das Gehirn darin zu unterstützen, die Erinnerung neu zu sortieren, zu verbinden und zu integrieren. Deswegen findet man bei Traumatherapie Techniken auch den Begriff des ‘Re-Prozessierens’. Der erste Versuch die Erinnerung zu integrieren ist missglückt und jetzt probieren wir es noch einmal anders.
Trauma Integration bei einfacher PTBS
Bei einer einfachen PTBS würden wir die Trauma Geschichte durchgehen, die zum größten Teil erinnert wird und unser Hauptziel ist es, zu realisieren, dass es jetzt nicht mehr passiert. Wir haben überlebt, das liegt in der Vergangenheit und es gibt heute keine Bedrohung mehr für unser Leben. Wir greifen die Erinnerungen und Überzeugungen aus der Situation auf, die dort stecken geblieben sind, verarbeiten sie und bauen neue Verbindungen zu anderen Gefühlen und Überzeugungen zu diesen Geschehnissen. Wir werden eine Stressreaktion erleben und emotionale Reaktionen und ein Gefühl von Erleichterung, wenn wir auf einer tieferen Ebene verstehen, dass wir überlebt haben und jetzt sicher sind. Mildere Symptome von Derealisation und Depersonalisierung lösen sich in dem Prozess auf, wenn wir wieder in Kontakt mit unserem Erleben kommen. Während das wirklich schwer ist, ist es nicht besonders komplex.
Auswirkungen von struktureller Dissoziation
Wenn wir mit struktureller Dissoziation arbeiten, wird es mehr Lücken in unserer Erinnerung geben und das Wissen darüber, was passiert ist, kann über verschiedene Anteile verteilt sein. Gedanken, Gefühle und Körperwahrnehmungen zu der Situation können in unterschiedlichen Anteilen gespeichert sein. Wir beginnen nicht mit einer ganzen Erfahrung, die wir verarbeiten können. Wir müssen das erst einmal zusammensetzen. Strukturelle Dissoziation funktioniert so, dass es Erfahrungen in gegensätzliche Extreme aufteilt. So entstehen Puzzleteile, die erst einmal so wirken, als könnten sie unmöglich zusammenpassen.
(Teilweise) Amnesien führen zu der Überzeugung, dass nie etwas passiert ist. Wir ringen darum, zu verstehen, dass Trauma überhaupt ein Teil unserer Lebensgeschichte ist. Selbst wenn wir begriffen haben, dass wir einen Traumahintergrund haben, sorgt Derealisation dafür, dass sich das wie ein Traum anfühlt oder als könne es irgendwie gar nicht schlimm gewesen sein. Es fühlt sich fremd und nicht real an. Es gibt ein strukturelles Element in der Art, wie dissoziative Barrieren uns davon abhalten, die Erinnerung als real zu erleben.
Wir werden auch auf das typische Gefühl von ‘Nicht-Ich’ stoßen, wenn es um die Erinnerung geht. Während manche Anteile genau wissen, dass ihnen das passiert ist, können andere Anteile das nicht. Für sie fühlt es sich an, als wäre das jemand Fremden passiert und sie haben nichts damit zu tun. Es fühlt sich an, wie die Erinnerung von jemand anderem, die sich ihnen aufdrängt und ihr Leben zu einem Albtraum macht. So eine strukturelle Depersonalisierung ist eine nützliche Abwehr und eben auch eine Art missglückter Integration, die die Erinnerung stabil feststecken lässt.
Zusätzlich dazu haben wir das typische Problem, dass manche Anteile sich nicht bewusst sind, dass das Trauma jetzt nicht mehr passiert. Wie erleben es pausenlos wieder als eine aktuelle Realität. Das Prozessieren wird davon erschwert, dass andere Anteile nur die Welt heute kennen und sich der Vergangenheit nicht bewusst sind. Es gibt eine tiefe Trennung zwischen den Früher-Anteilen und den Heute-Anteilen, die nicht die gleiche Wahrnehmung der Realität teilen. Sie leben in multiplen Realitäten, die sich alle anfühlen, als würden sie jetzt gerade passieren.
Die integrativen mentalen Handlungen, die diese Probleme auflösen können, sind Synthese, Realisation, Personifikation und Präsentifikation.
Trauma Prozessieren mit DIS
Was passiert, wenn wir unsere regulären Traumatherapie Werkzeuge mit einem System von Anteilen verwenden, die mit solcher struktureller Dissoziation leben, die Integration verhindert? Ohne spezielle Vorbereitung werden wir wahrscheinlich eine ganze Menge Reaktionen triggern, während wir nicht den Zugang zu der ganzen Erfahrung haben, um sie verarbeiten zu können. Menschen berichten unkontrollierte Wechsel, Überflutung mit Erinnerungen und Krisen. Wir können die strukturelle Dissoziation nicht ignorieren, weil sie ein Kernelement davon darstellt, wie das Trauma bei uns gespeichert und stecken geblieben ist. Es ist nicht nur eine Erinnerung, die da integriert werden muss. Unser Verstand hat die Erfahrung in Fragmente aufgeteilt und Barrieren darum herum gebaut, um sie sicher voneinander zu trennen. Die seltsamen Diagnosekriterien für DIS, die eine unsichtbare innere Struktur beschreiben, statt einer Liste von Symptomen, sind wichtig, weil wir mit dieser inneren Struktur arbeiten müssen, um Fortschritte zu machen. Das gilt nicht nur für den Alltag, sondern auch fürs Trauma Prozessieren. Unsere Ansätze müssen immer in integrativen Handlungen verwurzelt sein. Ohne die wir keine Neuverhandlung der Erinnerungen möglich sein.
Jenseits der normalen Traumatherapie Techniken
Es ist möglich, etablierte Techniken zum Trauma Prozessieren bei DIS zu verwenden, aber sie machen nicht den größten Teil der Arbeit aus und die Gewichtung der inneren Prozesse ist eine andere. Bevor wir versuchen, Erinnerungen zu verarbeiten, brauchen wir Brücken über die dissoziativen Barrieren hinweg. Ohne diese neuen inneren Verbindungen vorzubereiten, ist die Herausforderung, die Erfahrung zu integrieren, zu groß. Und diese neuen Verbindungen sind schon Teil der integrativen Arbeit, die benötigt wird. Auf ihre Art ist die Arbeit mit integrativen Handlungen vielleicht der größere Anteil der Trauma Integration und jede Art des Prozessierens, die wir hinzufügen, verbessert die Resultate nur und hilft, die letzten Hürden zu überwinden.
Synthese
Nachdem wir innere Beziehungen und Regulationsfertigkeiten aufgebaut haben, können wir vorsichtig Erinnerungen erforschen, indem wir die Puzzleteile zusammen setzen, die über verschiedene Anteile verteilt sind. Alle Anteile, die ein Element der Erfahrung festhalten (Erinnerung, Gefühle, Überzeugungen, Körpergefühl) tragen ihren Teil der Geschichte bei, sodass wir das gesamte Bild verstehen können. Das kann als eine Art Geschichten-Erzählen geschehen, in das Anteile mit einsteigen und das von Ts gerahmt und angeleitet wird. Manchmal setzen dissoziative Menschen auch große Teile des Puzzles selber zusammen. Die Museums-Übung kann dabei helfen. Anleitung zu haben, ist gut, weil Ts nach Teilen der Erfahrung fragen können, die aus ihrer Perspektive auffällig fehlen. Wir erinnern uns vielleicht gar nicht daran, dass so etwas wie eine Körperwahrnehmung in dem Moment Sinn machen würde, wenn wir selbst chronisch wenig davon haben oder dass es da Gefühle zu geben müsste, wenn wir als Anteil nie welche spüren. Es ist viel leichter, fehlende Teile zu übersehen, die uns wegen der Dissoziation nicht bewusst sind, wenn wir das alleine versuchen. Für gewöhnlich passiert das, bevor wir eine Erinnerung prozessieren. Manchmal tauchen während der Verarbeitung noch neue Fragmente von Erinnerung auf, aber wir sollten so viel wie möglich davon schon wissen, um Überforderung zu vermeiden.
Realisation
Die Stabilisierung bei DIS beinhaltet einen längeren Prozess, zu akzeptieren, dass wir mehr sind als das ‘Ich’, das wir aus der Perspektive der ersten Person erleben. Die Anteile, die nichts von Trauma wissen, sind herausgefordert, zu akzeptieren, dass es trotzdem passiert ist. Wir können zu der Realisation kommen, dass die Anderen real sind und dass ihre Erinnerungen real sind, wenn wir innere Beziehungen aufbauen und damit Verbindungen zwischen Anteilen. Sobald es mehr Vertrauen und Regulationsfertigkeiten gibt und wir mit Co-Regulation helfen können, könnten wir mit Teilen experimentieren. Wir hören uns zuerst an, was andere Anteile zu sagen haben und wenn wir damit klar kommen, können wir vorsichtig mehr Erfahrungen (nicht die traumatischen) teilen und bemerken, dass sie sich real anfühlen, wenn sie geteilt werden. Sie sind noch fremdartig, wenn wir nur darüber hören, aber sobald wir uns verbinden, erleben wir es auch. Der Schlüssel zu Realisation liegt in der Verbindung. Wir können das nicht alleine und nur mit unserem Verstand begreifen, weil wir so schlau sind. Realisation ist eine Erfahrung. Die zieht einem oft erst mal die Füße unterm Hintern weg, weil wir nicht erwarten, dass es sich so anfühlt. Techniken zur Trauma Verarbeitung verstärken diese Erfahrung weiter, aber wir können vorher darauf vorbereitet sein, damit es uns nicht völlig überrollt.
Personifikation
Zu verstehen, dass wir eine Person mit vielen Anteilen sind, die eine traumatische Kindheit überlebt haben, ist unglaublich schwer. Wir können ein gewisses Maß an Personifikation erreichen, wenn wir die Puzzleteile zusammenfügen und dabei bemerken, dass das alles Aspekte der gleichen Erfahrung sind. Die gleichen Dinge sind allen passiert und wir haben das Wissen und Nicht-Wissen darüber über viele Anteile verteilt. Es ist möglich, die Logik davon zu verstehen und das hilft dabei, uns zu motivieren, zusammen zu arbeiten. Die wirkliche Realisation der Wahrheit ist eine Erfahrung, die über Logik hinausgeht. Sie ist ein Moment der Erkenntnis, wenn wir jüngere Anteile anschauen und plötzlich wissen, ‘das bin ich’. Das ist nicht jemand anderes. Das bin ich. Ich glaube nicht, dass das völlig erreicht werden kann, bevor und ohne dass Erinnerung neu verarbeitet wurde. Sonst wäre es zu zerstörerisch das zu wissen. Das bedeutet, dass es einen integrativen Prozess gibt, der nach der Trauma Verarbeitung kommt und bei dem noch mehr integrative Handlungen benötigt werden, die sich auf die Persönlichkeit konzentrieren statt auf Erinnerungen. In meiner Erfahrung kann das manchmal beim Trauma Prozessieren passieren und oft auch in der Phase danach, wenn wir neu sortieren, wie das alles Sinn ergibt.
Präsentifikation
Anteile müssen nicht in Trauma Szenen feststecken bis wir die Erinnerung prozessieren können. Es braucht manchmal endlose Geduld, aber wir können daran arbeiten, sie über die Sinne mit der heutigen Realität zu verbinden. Das bedeutet, sie brauchen Kontakt zum Körper heute, um die Sinne benutzen zu können. Wir können sie sanft einladen, öfter durch die Augen nach draußen zu schauen und zu sehen, was wirklich um uns herum passiert. Wir können herausfinden, welche Sinnesreize sie angenehm finden und diese dann anbieten, um ihnen positive Erfahrungen mit den Sinnen zu ermöglichen. Und wir können ihnen von Heute erzählen, was alles seit TraumaZeit passiert ist, was sich verändert hat, wer wir heute sind und wer die Leute um uns herum sind. Anteile in der Gegenwart zu erden, ist eine der wichtigsten Dinge, die wir in der Stabilisierung für sie tun können. Es ermöglicht ihnen, diese Realität mit TraumaZeit zu vergleichen und ein Gefühl von Sicherheit mit dem zu finden, was heute passiert. Das kann lange dauern und viel Geduld brauchen, aber die gute Nachricht ist, dass es einfach nur Orientierung & Grounding in Verbindung mit Realitäts-Checks ist und nichts komplett Neues.
Das Trauma Prozessieren wird das noch realer spürbar machen, aber den größten Teil dieser Arbeit können wir vorher tun und sollten wir vorher tun, wenn das möglich ist. Man kann Anteile retten, die nichts von der Außenwelt wissen, aber das ist wirklich schwierig, wenn die dabei aktiv im Wiedererleben sind. Mit geerdeten Anteilen zu arbeiten, macht alles im Leben einfacher und auch das Trauma Prozessieren. Sie haben dann immer noch gelegentliche Flashbacks, aber die leben nicht mehr in einem permanenten Flashback. Manchmal sind Ts die ersten Personen, die einen Trauma Anteil, der gerade Vorne ist, durch die Orientierung anleiten. Und es können auch unsere eigenen Anteile sein, die beständig eine Verbindung zur Außenwelt anbieten, indem sie dazu einladen, die Sinne co-bewusst zu benutzen. Habe ich erwähnt, dass das viel Geduld braucht… Anteile neigen dazu, neue Erfahrungen schnell wieder zu vergessen, weil sie sich nicht so leicht mit ihren Alten integrieren und verbinden lassen. Irgendwann bleibt es auch hängen. Eine neue Verbindung zur gegenwärtigen Realität herzustellen, ist ein großer Teil von dem, was normalerweise zur Verarbeitung von Erinnerungen gehört und sollte unsere besondere Aufmerksamkeit bekommen.
Integration
Und wie funktioniert der integrative Prozess nun wirklich? Wir stecken ziemlich viel Arbeit in integrative Handlungen. Das baut die verschiedenen Arten von Brücken über verschiedene Arten von Dissoziation hinweg. Wir decken die Fragmentierung unserer Erinnerung ab, die Trennung von der heutigen Realität und die Entfremdung von uns selbst und unserer Geschichte, so viel wir können. Diese Verbindungen zu bauen ist ein strukturell integrativer Prozess. Unsere Integration beginnt nicht mit dem Trauma Prozessieren. All das ist schon eine Form der neuen Verarbeitung, nur nicht speziell von Erinnerungen. Wir brechen die inneren Strukturen auf, die unser Erleben mit uns selbst voneinander trennen und stellen neue innere Verbindungen her. Das integriert die Erinnerung nicht vollständig, aber es bewegt uns mehr in Richtung Integration von Persönlichkeit und Erleben. Und dann wenden wir uns den Erinnerungen zu, wenn diese neuen Verbindungen sicher aufgestellt sind. Das macht es möglich, die Erinnerung sicher aufzubrechen und weiter zu verarbeiten. Während wir das tun, bemerken wir auch eine weitere Verbesserung unserer ‘strukturellen Integration’. Erinnerungen zu prozessieren benutzt einfach nur mehr der selben Elemente von Integration, die wir schon geübt haben und vertieft die Erfahrung. Und wenn die Erinnerung dann nicht die weitere Integration blockiert, gehen wir noch ein Stückchen weiter damit. Eine Sitzung für die Verarbeitung wirkt wie ein Katalysator für einen längeren Prozess. Sie bringt frische Erfahrungen, die verändern, wie wir Dinge sehen. Und es braucht darüber hinaus auch mehr Zeit, um diese Erkenntnisse zu integrieren und das weiter einzuordnen. Wir haben ein 3-Phasen Modell von Stabilisierung, Prozessieren und Integration, weil alle für den Prozess benötigt werden.
Was wir daraus mitnehmen können
Es ist ein Denkfehler der Traumatherapie anzunehmen, das Trauma Prozessieren wäre der größte und wichtigste Teil der Therapie, wo eigentlich alle Teile des Prozesses eine zentrale Wichtigkeit haben. Wenn wir mit DIS arbeiten, macht es mehr Sinn, sich über alle Phasen hinweg auf integrative Handlungen zu konzentrieren. Wir brauchen ein wenig strukturelle Integration, um überhaupt an die Erinnerung heranzukommen und das hilft dem Prozess mehr als wir ahnen. Während des Trauma Prozessierens haben wir ein Auge auf integrative Handlungen, um das meiste dabei herauszuholen. Über dissoziative Barrieren hinweg zu teilen ist wahrscheinlich der wichtigere Teil des Prozesses als alles andere, was wir mit Therapie Techniken machen. Ohne bleibt die Wirkung der Intervention aus. Nachdem ich Trauma prozessiert habe, reflektiere ich immer über die Menge an Integration, die während der Stunde erreicht werden konnte und was noch für ein anderes mal übrig ist.
Manche Anteile brauchen vielleicht keine gesonderte Trauma Bearbeitung, weil die integrativen Handlungen genug von ihrem Erleben verändert haben, dass man das so lassen kann. Das wichtigste ist geschafft. Ein gewisses Maß an neuer Verarbeitung passiert schon, wenn wir die Erinnerungen zusammen puzzeln oder Anteile in der heutigen Realität orientieren. Therapietechniken für DIS sollten integrative Handlungen forcieren. Das sind die nützlichen Interventionen, die einen Unterschied machen. Manchmal lenkt man sich mit inneren Beziehungsdynamiken und Diskussionen dazu, wie der Alltag gestaltet werden soll, ab und das wiederholt sich endlos ohne weiterzukommen. Team Meetings und Verhandlungen können immer nur ein Teil unseres Therapieprozesses sein, wenn wir heil werden wollen. Um uns über diese Stufe hinweg weiterzuentwickeln, brauchen wir integrative Handlungen. Auch ‘gesunde Multiplizität’ braucht das, um Leiden zu verringern.
Ein Beispiel für DIS Therapie, die sich auf integrative Handlungen konzentriert, ist Enaktive Trauma Therapie von Nijenhuis. Ihr könnt darüber in ‘Die Trauma Trinität: Enaktive Trauma Therapie’ nachlesen. Nijenhuis zu lesen ist kein besonderer Spaß, wenn man nicht super-nerdig ist und ist live beim Lehren brilliant und unterhaltsam. Wenn ihr könnt, hört euch Aufnahmen an.