Es gibt verschiedene Wege, um Anteile innerhalb eines dissoziativen Systems in Kategorien einzuteilen. Keiner ist in sich schlecht, sie alle beschreiben einen Teil der Erfahrung, aber allen fehlt auch etwas, sie beschreiben das Erleben nicht in seiner Ganzheit. Wir halten es für weise, verschiedene Arten zu kennen, um sich auszudrücken, sodass wir die Kategorien entsprechen der Situation wählen können, in der wir sind. Manche Kategorien passen einfach besser zu bestimmten Situationen.
ANP/EP
Die grundlegendsten Kategorien für Anteile sind Anscheinend Normale Persönlichkeit (ANP) und Emotionale Anteile (EP). ANP meint dabei oft den Anteil, der am häufigsten Vorne ist, es kann mehrere ANPs im System geben und das mit dem ‘Normal’ ist relativ zu sehen; es bedeutet nicht, dass diese Anteile keine psychischen Probleme haben. Sie wissen nur nicht viel übers Trauma. Die EPs sind Anteile, die das Trauma kennen, aber wenig anderes, und die starke Dysregulation und Emotion erleben. Auch wenn diese Unterscheidung extrem grob ist, hilft sie in Situationen, wo es nicht mehr braucht für eine Erklärung.
Kontrolle
Eine andere grobe Kategorisierung, die besonders bei Systemen mit einem deutlichen Muster von Überkontrolle hilfreich ist, ist zwischen unter-kontrollierten und über-kontrollierten Anteilen. Überkontrollierte Anteile sind oft ANPs und bestimmte Beschützer, die versuchen, den Einfluss von Unter-kontrollierten Anteilen klein zu halten. Unter-Kontrolle zeichnet sich durch starke Emotionen, Impulse und Bedürfnisse aus, die zu impulsivem Verhalten führen; auch manche Beschützer könnten in diese Kategorie gehören. Einer der klassischen Konflikte in Systemen ist zwischen bedürftigen Anteilen und denen, die versuchen sie zum schweigen zu bringen, weil ihre Bedürfnisse als gefährlich angesehen werden. Über-Kontrolle meint hier mehr als nur die ANPs.
Rollen
Viele mögen es, zwischen den Rollen und Aufgaben innerhalb des Systems zu unterscheiden. Die am häufigsten vertretenen Rollen sind Alltagsperson, Beschützer, Verfolger, innerer Helfer und verschiedene Kindanteile. Das scheinen natürliche Kategorien zu sein, die sich leicht erkennen lassen und mit denen es sich gut arbeitet. Man könnte argumentieren, dass bei näherem Hinsehen alle diese Anteile Beschützer sind, denn das ist es, was sie tun, jeder auf die eigene Art. Manchmal können Rollen einschränkend werden, besonders, wenn sie Anteile in einer Rolle festhalten, obwohl diese sich verändern und da raus wachsen.
Survival Verhalten
Neuere Literatur, die sich auch mit Neurobiologie beschäftigt, spekuliert, dass man Anteile auch anhand des Survival Verhaltens kategorisieren kann, zu dem sie in der Regel neigen. Survival Verhaltensweisen sind
- Bindung/Hilfe Suchen (bedürftig, abhängig, Verlustangst, Trennungsangst)
- Unterwerfen (gefügig, versuchen zu gefallen, unfähig Grenzen zu setzen)
- Flucht (Distanz herstellen, Vermeidung, Suchtverhalten)
- Kampf (wütend, aggressiv, angreifend, sich bedroht fühlend, Konflikt suchend)
- Erstarren (Shutdown, Taubheitsgefühl, Dissoziation, hoffnungslos, hilflos, beschämt, passiv)
Bemerkt dabei, dass hier physiologische Stressreaktionen mit sozialen Reaktionen auf hohen Stress/Bedrohung zusammengefasst werden. Diese Kategorien helfen uns zu erklären, warum es unterschiedliche Reaktionen auf den selben Auslöser geben kann, was zu großer Unruhe führt. Anteile bei einer DIS haben vielleicht kein festes ‘zuhause’ in einer dieser Reaktionen, aber es ist trotzdem gut zu sehen, wo jeder steht, wenn es Innen Konflikte gibt, und warum Anteile vielleicht gegeneinander arbeiten.
Ich erwarte, dass ihr die ersten paar Kategorien kennt. Wenn ihr bisher nicht unter einem Stein gelebt habt, wisst ihr das alles. Was ich euch heute zeigen will, ist wie man komplexe innere Konflikte lösen kann, indem man die Kategorien von Survival Verhalten verwendet.
[CN Beispiel beinhaltet Geld]
Stellen wir uns vor, es kam zu einem Beziehungsbruch mit eurer Therapeutin, weil sie ansprechen musste, dass eine Honorar Überweisung nicht geklappt hat. Plötzlich ist alles im Chaos, Kinder heulen, andere schreien rum, du bist dir sicher, dass du nie wieder da hin gehen kannst und jemand ist sauer, weil ihr überhaupt dafür bezahlen müsst, manche haben Angst die Therapeutin zu verlieren, andere wollen ihr alles geben was ihr habt und mehr und ein Geschenk zur Wiedergutmachung muss auch sein, wieder andere werden aggressiv, weil ein Geschenk ja mal gar nicht geht. Inzwischen weiß jemand Innen, dass der einzige Weg da raus nur Suizid sein kann und während das alles gleichzeitig passiert, wächst die Anspannung ins astronomische und es ist unmöglich zu funktionieren und die Rechnung zu bezahlen. Wir haben Innen einen dicken, fetten Knoten, der scheinbar nicht zu lösen ist. Solche Situationen enden oft in impulsivem Verhalten, was uns langfristig nicht dient.
Wenn wir da ran gehen, als wäre das nur ‘ich’, die das alles erlebt, werden wir nicht weiter kommen. Es ist deutlich, dass ein Anteil getriggert wurde und dessen getriggerte Reaktion dann wieder andere Anteile getriggert hat. Wir müssen die verschiedenen Reaktionen der unterschiedlichen Anteile entwirren, sodass es sich nicht anfühlt, als würde das nur ‘mir’ passieren. Um herauszufinden, wo wir mit einer Intervention ansetzen sollten, könnten wir uns Papier und Stift holen und die inneren Reaktionen in die Kategorien von Survival Verhalten einsortieren.
Wer Angst hat, die Therapeutin zu verlieren, gehört in die bindungssuchende Gruppe.
Wer alles wieder gut machen will oder tun was immer nur nötig ist, unterwirft sich.
Diejenigen, die gerne wegrennen würden und nie wieder kommen oder die auf Distanz gehen wollen, für die Geschenke sich viel zu nah anfühlen, sind wahrscheinlich im Flucht-Modus.
Wer wütend ist und schreit oder die Beziehung abwertet, weil man dafür bezahlen muss, gehört wohl zu Kampf.
Die Host oder andere ängstliche Anteile sind vielleicht taub oder dissoziiert, weil das alles so überfordert und sie sehen keinen Ausweg aus der Situation.
Wenn wir uns das aufgemalt haben, können wir versuchen raus zu finden, wo das alles angefangen hat und wer zuerst von wem getriggert wurde. Dann sehen wir vielleicht, dass die bindungssuchenden Anteile Angst bekommen haben, weil ein tauber Anteil dachte, es gäbe keinen Weg, um das alles zu lösen, deshalb gingen sie davon aus, die Therapeutin zu verlieren. Ein anderer Anteil war vielleicht getriggert von dem tiefen Schrei nach Bindung, weil er immer glaubt, dass Abhängigkeit gefährlich ist und bedürftige Gefühle zum schweigen gebracht werden müssen. Ein Flucht-Anteil reagiert vielleicht auf die Aggression oder auch auf einen hoffnungslosen Anteil in Shutdown und denkt, es wäre sicherer, weg zu gehen, um Strafe zu vermeiden. Indem wir versuchen dieser Aneinanderkettung von Reaktionen über mehrere Anteile hinweg zu verfolgen, können wir vielleicht identifizieren, wo alles angefangen hat. In diesem Fall war der erste Anteil, der getriggert wurde vielleicht einer, der in TraumaZeit fest steckt, wo Armut ein großes Problem war und der deswegen in Shutdown gegangen ist, sobald des Geld-Thema aufkam. Die anderen haben auf diese hoffnungslosen Gefühle reagiert.
Wenn wir erst einmal wissen, wer der Schlüsselanteil ist, können wir erforschen, was sie wohl brauchen und wie wir ihnen beim regulieren helfen können. In diesem Fall braucht es vielleicht die Versicherung, dass Armut kein so großes Thema mehr ist und sich die Lage verändert hat. Vielleicht zeigen wir auch, dass wir Geld für Therapie gespart haben. Nachdem das geklärt ist und dieser Anteil reguliert ist und sich gesehen und versorgt fühlt, können wir uns den anderen Anteilen zuwenden, um zu sehen, ob sie immer noch getriggert sind oder ob vielleicht dadurch, dass der anfängliche Stress eliminiert wurde, auch kein Grund mehr für ihre Survival Reaktion bleibt. Ohne die Hoffnungslosigkeit darüber eine Rechnung zu bezahlen, bräuchten Anteile sich keine Sorgen machen, die Bindung zu verlieren und es gäbe auch keinen Grund wegzulaufen oder sich umzubringen. Wir können einem nach dem anderen helfen, sich zu beruhigen.
Die Bedrohung, die wahrgenommen wird, kommt nicht immer von Außen. Unsere eigenen Survival Reaktionen triggern oft Sets von anderem Survival Verhalten im Inneren. Um uns zu beruhigen, nachdem wir getriggert wurden, reicht es dann nicht, sich nur die Triggersituation außen anzuschauen, wir müssen uns auch durch die innere Kettenreaktion arbeiten.
Jeder Anteil kann getriggert werden. Und jede Art von Survival Verhalten könnte in anderen Anteilen getriggert werden. Anteile haben vielleicht eine Standard Reaktion, vielleicht auch nicht; wir kriegen das nur raus, wenn wir unser System beobachten und dabei die Sprache von Survival Verhalten im Hinterkopf behalten. Es gibt klassische Situationen, wie das ständige Ringen zwischen bindungssuchenden und bindungsvermeidenden Anteilen oder Shutdown, der sich zu Suizidgedanken zuspitzt, um daraus zu entkommen. Je besser wir diese Kettenreaktionen kennen lernen, desto einfacher wird es, sich um den Schlüsselanteil zu kümmern und die ganz großen Knoten zu vermeiden, die uns so viel Energie kosten.
Bei vielen der alltäglichen Meinungsverschiedenheiten ist die Arbeit mit Rollen am effektivsten. Aber wenn das Problem darin besteht, dass das System getriggert wurde und dysreguliert ist und das schnell zu eskalieren droht, würde ich empfehlen, es mit dem Blickwinkel von Survival Verhalten zu probieren.
Überblick wie man Innenkinder beruhigen könnte
Jess says
Theresa, Danke!
Das “Beispiel beinhaltet Geld” beschreibt so ziemlich punktgenau eine von vielen typischen Situationen in meinem Leben.
Jetzt brauch ich nur noch ne fähige Therapeutin 😛
Herzliche Grüße. Jess