Manche Menschen mit DIS wachsen in dem Glauben auf, dass es normal ist, Innenpersonen zu haben, weil sie schon immer innerlich kommunizieren konnten. Bei vielen ist die Diagnose aber eine Überraschung. Man hat es nicht geahnt und hat auch keine Ahnung, wie man Kontakt herstellen sollte. Vielleicht bemerken wir Blackouts, aber es gibt keine offenen Kommunikationskanäle. Das ist eine der schwierigsten Phasen in der DIS Therapie, weil wir kaum etwas haben, womit wir arbeiten können. Die meisten Anleitungen und Tipps online beschäftigen sich mit inneren Verhandlungen. Wir können nicht verhandeln, ohne ein Minimum von Verbindung zu haben.
Zwei Dinge zum Bedenken
Auch wenn wir selbst größtenteils keine Ahnung von Trauma haben, gilt das nicht für andere Anteile. Die wurden schlimm verletzt und haben keinen Grund auf der Welt, jemandem zu vertrauen. Was früher wie freundliche Annäherung aussah, endete oft in noch mehr Leid. Es ist normal, dass sie wachsam, misstrauisch, wütend und ablehnend sind. Wenn wir ihr Vertrauen gewinnen wollen, müssen wir uns als Vertrauens_würdig erweisen. Vertrauen verdient man sich. Es braucht eine längere Zeit anhaltend positiver Bemühungen, um zu zeigen, dass wir es ernst meinen und gute Absichten haben.
Viele Hosts ringen damit, die Motivation aufzubringen, so eine innere Verbindung aufzubauen. Das bedeutet auch, dass wir mehr über Trauma und Leid erfahren. Andere Anteile sind vielleicht nicht goldig und dankbar sondern verletzt. Es ist nötig, zumindest ein bisschen Neugier, Freundlichkeit und Beharrlichkeit in uns auszugraben, sonst werden wir nie als vertrauenswürdig angesehen. Die Dinge, die wir tun, um Kontakt herzustellen, gehen genauso viel darum, in uns eine günstige Grundeinstellung zu bewirken, wie sie um versteckte Anteile gehen.
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Abschreckende Dinge entfernen
Warum sollten Anteile sich zeigen, wenn der Ort oder die Situation, in die sie kommen, beängstigend oder triggernd ist? Wir können unser Zuhause prüfen, ob das so für einen traumatisierten Anteil sicher aussehen würde. Menschen mit einer düsteren oder provokant abschreckenden Ästhetik sollten manche Sachen vielleicht zumindest vorübergehend entfernen. Was allerdings noch wichtiger ist, ist unser Lebensstil, unsere Handlungen und die Situationen, denen wir uns aussetzen. Vielleicht es ist an der Zeit, neue Wege des Copings zu lernen, die ohne größere Selbstverletzung, Süchte, unsicheren Sex, oder womit auch immer wir Numbing betreiben, auskommen. An dieser Stelle wäre DBT mal sinnvoll. Mit jemandem zu leben, der*die dem Körper auf die eine oder andere Weise schadet oder andere erschreckende Dinge tut, ist ein guter Grund, um versteckt zu bleiben. Auch darum ist Sicherheit so ein großes Thema in der Stabilisierungsphase.
Einen einladenden Ort gestalten
Als nächstes tun wir unser bestes, um unser Leben einladender zu gestalten. Dazu braucht es ein bisschen mentale und emotionale Anstrengung, um uns in Anteile rein zu denken, und sehr wahrscheinlich einiges an Geld. Einen gemütlichen Ort zum Ausruhen zu gestalten hilft oft. Für gewöhnlich wird es nötig, uns aus unserer Komfortzone raus zu bewegen und Sachen zu besorgen, die für Kinder gedacht sind: Kuscheltiere, Decken, Spieluhren, Lego, Spielzeugtiere, Malbücher, Geschichten für Kinder, Farben und Bastelmaterial usw. Je nachdem wie jung Anteile sind, müssen manche vielleicht in Schnuller und Fläschchen investieren. Das ist für erwachsene Hosts oft extrem unangenehm. Wir versuchen damit weder eine Regression zu provozieren noch uns zu demütigen. Die Sachen sind schlicht nicht für erwachsene Anteile gedacht und sollen von denen auch gar nicht benutzt werden. Aber wenn wir Anteilen nichts Interessantes anbieten, gibt es überhaupt keinen Grund für sie, sich zu zeigen oder Kontakt aufzunehmen. Ältere Anteile brauchen andere Sachen, die für sie angemessen sind, um ihr Interesse zu gewinnen.
Indem wir laut reden, können wir immer wieder Einladungen aussprechen und unsere guten Absichten erklären und damit unsere Bemühungen unterstützen.
Präferenzen herausfinden
Es wird eine Phase von Versuch und Irrtum geben, wenn wir Gegenstände anbieten und beobachten, ob wir damit Aufmerksamkeit erregen können. Für uns waren Puppen zB ein Desaster, aber Kuscheltiere sind hilfreich. Indem wir kreativ werden und uns Sachen überlegen, die vielleicht gut ankommen könnten, entwickeln wir Neugier und eine wärmere Einstellung gegenüber anderen Anteilen. Wir werden fürsorglicher und lernen, sie in unseren Gedanken zu behalten. Dieser Schritt ist ziemlich gerade heraus. Wir denken uns neue Sachen aus, lassen sie offen liegen, sodass andere sie bemerken können, prüfen regelmäßig, ob darauf eingegangen wurde und wenn, dann auf welche Art. Hilft das oder gibt es Anzeichen von Ablehnung oder Not damit? (Ja, das ähnelt der Art, wie man in Stardew Valley Freundschaften schließt)
Vorrat von gemochten Dingen
Wenn wir zB ein beliebtes Lebensmittel herausgefunden haben, sollten wir dafür sorgen, dass wir das immer da haben. Wir können Zettel hinterlassen, mit denen wir erklären, dass wir uns darum kümmern, wann immer es nötig ist. Es macht auch Sinn, wichtige Spielzeuge oder Bücher separat zu lagern, sodass niemand sonst sie benutzt (und möglicherweise beschäftigt oder verliert). Das ist der Moment, wo wir beginnen, einen Schutz um gemochte Dinge herum auszubauen, um zu zeigen, dass wir uns kümmern und hier sind, um Schutz und Versorgung anzubieten.
Wiederholungen
Macht weiter mit dem, was funktioniert. Wiederholung führt zu Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit, was wichtige Komponenten von Vertrauenswürdigkeit sind. Wir sollten beharrlich, treu, verlässlich und beständig in der Art bleiben, wie wir positive Dinge und Verbindung anbieten.
Mit der Zeit können wir mehr Worte und Erklärungen hinzufügen, mehr darüber teilen, wer wir sind, was unsere Absicht dahinter ist sie kennen zu lernen und wie wir zusammen ein besseres Leben gestalten wollen. Es kann helfen zu erwähnen, dass Zeit vergangen ist, dass wir jetzt erwachsen sind und fähig, sie zu beschützen und dass schlechte Menschen weg sind.
Nicht übertreiben
Neue Informationen können herausfordernd und schwer zu akzeptieren sein und vielleicht ist da wenig Kapazität, um das zu verarbeiten. Darum halten wir uns ein bisschen zurück, wenn es um Fakten über das Leben heute geht (es sei denn, da ist deutliche Neugier) und in der Art, wie wir Fürsorge ausdrücken. Manche Anteile tun sich schwer, Freundlichkeit anzunehmen (kennt ihr vielleicht auch selbst) und wenn wir zu intensiv sind in unseren Bemühungen, kann das leicht überfordern. Kleine Dosen von regelmäßigen Kontaktversuchen und verlässlicher Fürsorge sind gut genug. Wenn wir mehr pushen, wird es auch nicht schneller gehen.
Lernen zu interagieren
Mit der Zeit können wir vertrauter damit werden, wer sich wann zeigt und die anderen werden vertrauter mit unserer Stimme und der Art, wie wir Dinge tun. Wir können beginnen, Notizen mit Fragen zu hinterlassen und einem Stift, um zum Antworten einzuladen. Vielleicht gibt es Wege, um über Spielzeug oder andere beliebte Aktivitäten Kontakt aufzunehmen zB indem man was aus Lego baut und schaut, ob es eine Lego Antwort darauf gibt. So könnten wir Spielen dazu verwenden, um miteinander in einen Austausch zu kommen, über die dissoziativen Barrieren und Amnesien hinweg. Teens reagieren vielleicht auf einen Song, den wir teilen und posten einen eigenen als Antwort. Private Medien Accounts zu nutzen, kann hier sehr hilfreich sein. Wir erhöhen langsam die Menge der Interaktionen, während wir uns gegenseitig etwas besser kennen lernen.
Keine Eile
Ich weiß, das kann schwierig sein, schließlich gibt es Probleme zu lösen, aber es ist wichtig, nicht zu sehr zu hetzen und zu schnell Verbindung aufzubauen. Sonst werden wir nur von Trauma Erinnerungen, Verzweiflung oder anderen extremen Gefühlen usw geflutet. In dem Tempo, in dem wir uns einander annähern, müssen wir auch Containment entwickeln, um unsere Sicherheit zu bewahren und Krisen zu vermeiden. Zu schnell zu nah zu kommen, kann auch als ein Zeichen von bösen Absichten gedeutet werden und unseren Vertrauens-bildenden Prozess zerstören. Alle brauchen auch etwas Freiraum, um sich sicher zu fühlen. Es ist gerade gar noch gar nicht nötig (oder sinnvoll), sich sehr nah zu kommen. Wir haben noch einige Jahre Zeit vor uns, in denen wir uns entwickeln dürfen. Der Prozess kann nicht künstlich verkürzt werden. Menschen überfordern sich regelmäßig selbst, weil irreführende Repräsentationen in den Medien es so aussehen lassen, als könnte man Verbindung innerhalb eines Tages aufbauen.
Wenn mit uns Kontakt aufgenommen wird
Irgendwann passiert es, dass andere Anteile sich von sich aus an uns wenden mit ihren Wünschen oder Bedürfnissen, Meinungen und Ansichten, indem sie uns Nachrichten hinterlassen. Das kann auch sehr vorsichtig und subtil sein und wir sollten danach Ausschau halten, damit wir es nicht verpassen. Dann ist es unser Job, auf die selbe fürsorgliche, vorhersehbare und zuverlässige Art zu reagieren wie immer. Wir ändern uns nicht plötzlich. Wir werden tun, was wir können. Ihre Annäherungsversuche sind willkommen. Es ist ok, sie zu wiederholen.Wir meinen es ernst, dass wir für sie da sind.
Wenn wir so weit sind, können wir weiter machen damit Amnesien zu reduzieren und Co-Bewusstsein aufzubauen.
Ich möchte euch dazu ermutigen, Geduld mit euch und anderen Anteilen zu haben. Vertrauen ist schwierig. Eine der schwierigsten Sachen überhaupt in der Traumaheilung. Probiert es einfach weiter. Prüft immer mal wieder alle Schritte, ob ihr auch nirgendwo eure Sicherheit gefährdet. In manchen Fällen ist es nötig anzuerkennen, dass Anteile sich gegenseitig nicht leiden können, wir aber nun mal nicht aus der Situation raus kommen, um einen Waffenstillstand zu vereinbaren mit dem gemeinsamen Ziel, ein besseres Leben für alle zu schaffen. Wir können diese ersten Schritte gehen, während die Amnesien noch vollständig sind und darauf vertrauen, dass die Kapazität für mehr Co-Bewusstsein über die Zeit wächst.