Wenn wir üben als Team zusammen zu arbeiten, sodass möglichst die Anteile Vorne sind, die in der Situation auch die passendsten Fähigkeiten haben, dann kommen wir nicht drum rum zu üben, mutwillig zu switchen. Es kann zB sein, dass ein exzellent orientiertes Innenkind besonders gut darin ist völlig still zu halten und das bei einem bevorstehenden MRT von großem Vorteil wäre, statt zappelige Anteile da durch zu quälen, nur weil sie erwachsener sind. Solange wir die Aktion auch gut abschließen können, weil danach zuverlässig wieder jemand Erwachsenes da ist, spricht da gar nichts dagegen.
Mutwillig switchen ist nicht so einfach und nicht alle kriegen das überhaupt hin. Je höher unsere dissoziativen Barrieren sind, desto schwerer ist es. Das bedeutet, dass es am Anfang unserer inneren Arbeit unmöglich sein kann und mit fortschreitender Integration einfacher wird. Wenn wir es schaffen, beständig co-bewusst zu sein, ist es für manche Systeme nur noch ein kleiner geschmeidiger Schritt. Nur fängt da kaum jemand an.
Zusätzlich erschwert wird das ganze davon, dass es erst mal große Angst macht. Bei Wechseln, die nicht so plötzlich geschehen, dass man dann einfach ‘weg’ ist, entsteht ein Moment, wo wir spüren, dass wir die Kontrolle verlieren und weiter in den Hintergrund rücken, jemand anderes übernimmt. Das ist verständlicherweise unangenehm und löst Angst aus. Dann ist es normal, sich zu verkrampfen und quer zu stellen und den Platz Vorne nicht freiwillig zu räumen. Das ist ein bisschen wie Schnorcheln. Man traut sich erst mal nicht unter Wasser zu atmen sondern hält automatisch die Luft an. Gegen die Intuition in Kontrolle sein zu wollen zu handeln, kostet viel Mut. Wir machen so viel Beziehungsarbeit, um innerlich genug Sicherheit mit den Anderen aufzubauen, dass wir denen auch vertrauen, dass sie nichts schlimmes mit unserem Leben anstellen. Es braucht Zeit, bis wir uns darauf verlassen können, dass jemand anderes eine Situation besser löst, als wir das könnten und wir die Kontrolle abgeben wollen.
Trigger
Meist kennen wir schon das Switchen über Trigger. Das können alle möglichen Reize sein, die dazu führen, dass jemand anderes Innen plötzlich nach Vorne rutscht. In der Regel erleben wir das mit Trauma Triggern und das ist keine positive Erfahrung sondern ein Kontrollverlust. Es ist keine gute Idee Trauma Trigger zu verwenden, um Wechsel herbei zu führen. Auch unser Hilfenetzwerk sollte das nicht tun.
Gerade am Anfang werden oft ‘positive’ Auslöser genommen, um bestimmte Anteile Innen anzusprechen. Das sind Reize, die heißgeliebt sind. Wir kennen das vielleicht, wenn ein Anteil Vorne landet weil wir an einem Spielplatz vorbei kommen, weil sie eine Rutsche gesehen haben. Andere reagieren auf Kuscheltiere oder Lieblingsessen. Man kann das nutzen. Es wird nur oft nicht als sehr positiv wahrgenommen, weil wir dann immer noch mit einem Auslöser arbeiten und das Gefühl von Kontrollverlust bestehen bleibt. Wir selbst vermeiden es, das so zu lösen.
Vibes anpassen
Wenn wir Anteile gut kennen, können wir ihnen die Situation so gestalten, dass sie zu ihnen passt, sodass es einfacher wird, sich darin einzufinden. Das kann bedeuten, dass wir Lieblingslieder an machen als Einladung oder andere Sinnesreize anbieten, über die sie einen Einstieg finden nach Vorne. Das sind keine Trigger sondern einfach nur Dinge, die sie mögen, die ihnen entsprechen oder mit denen sie sich wohl fühlen. Wir versuchen quasi ihre Frequenz zu finden und dort zu schwingen, die Vibes an ihre anzupassen. Anteile haben oft ihre eigenen Energielevel oder emotionalen Zustände und da können wir sie abholen. Sehr verkopfte Anteile holt man vielleicht besser damit ab einen Fachartikel aufzurufen, andere mit lauter Musik und wieder andere indem man sich an einer Kuscheldecke fest hält. So wird der Übergang leichter. Zu wissen, in welchen Handlungssystemen sich ein Anteil bewegt, kann da von Vorteil sein.
Imaginationen
Vielleicht existiert schon eine innere Vorstellung davon, wie es wohl aussieht, wenn jemand Vorne ist, so wie ein spezieller Platz, den jemand einnimmt, von dem aus man nach draußen blickt und die Kontrolle über alles hat. Für uns war das schon immer so, als würde jemand am Höhleneingang stehen und raus schauen. Vielleicht habt ihr andere Vorstellungen, die bei euch passen. Dann könnte man sich eine Art und Weise überlegen, wie Anteile sich da Vorne abwechseln können. Oft stellt sich der Anteil Vorne einfach vor, einen Schritt zurück zu treten, und dann noch einen, und Platz zu machen für einen anderen Anteil. Der kann von Hinten oder der Seite oder woher auch immer vorbei schlüpfen und sich selbst Vorne hinstellen. Oder es gibt irgendeinen bestimmten Mechanismus, den wir uns ausgedacht haben, um zu Wechseln wie zB eine Drehtür, die einen Anteil von Vorne weg dreht und dafür einen neuen an diese Stelle dreht. Das ist alles eurer Fantasie überlassen.
Staffelstab
Wir selbst haben den besten Erfolg mit einer kleinen Übung, für die man einen Gegenstand braucht, der gerne auch schwer sein darf. Dann übernimmt der Anteil vorne und der, der nach vorne kommen soll jeweils die Kontrolle über eine Hand. Die Vorne-Hand nimmt einen Gegenstand und übergibt ihn an die andere Hand. Der neue Anteil versucht aktiv danach zu greifen, während der Anteil Vorne ihn los lässt. Wenn es denn klappt, kann das ein sehr geschmeidiger Wechsel sein, bei dem weniger Angst entstanden ist, weil wir uns gar nicht aufs Switchen konzentriert haben und wie sich das anfühlen könnte sondern nur darauf, jemandem etwas zu reichen und das auch zu nehmen. Das klappt auch nicht immer, so wie alle Techniken, aber für uns ist das der schonendste Ansatz.
Notfall Abmachungen
Unserer Erfahrung nach ist es von Vorteil, wenn es innerlich eine Art Codewort gibt, bei dem alle wissen, dass es sich gerade um eine Notfallsituation handelt und es deswegen besonders wichtig ist, dass jemand bestimmtes Vorne ist. Bei uns ist das ein Codesatz, nämlich ‘Kann ich bitte mit ____ (Name von hochfunktionalem Anteil einsetzen) sprechen’. Das geht bei uns so, weil das in unserem Leben sonst nicht vorkommt, wir treten sonst geschlossen als eine Person auf. Wenn ihr ganz anders arbeitet, ist ein anderes Codewort nötig. Es ist abgesprochen, wer von uns übernimmt, wenn es eine Notsituation ist und wir üben regelmäßig, aus welcher Konstellation auch immer zu genau diesem Anteil zu switchen. Alle wissen, dass sie sich dann schnell zurückziehen müssen und den Platz Vorne freigeben. Wir schaffen mutwillige Switches nicht immer so gut, aber die Notfallabmachung klappt, weil die Dringlichkeit allen klar ist. In Situationen, in denen das nötig werden könnte, erklären wir das vorher unserer Begleitung, damit die das auch anwenden können. Auch Therapiesitzungen lassen sich so sicherer abschließen.
Switchen ist anstrengend. Es ist gut, das immer mal wieder zu üben, aber man kann es auch übertreiben. Niemand muss stundenlang verbittert versuchen zu wechseln und sich damit Kopfschmerzen machen. Am sinnvollsten übt man das mit langen Abständen und in Situationen, wo ein Wechsel ohnehin von Vorteil wäre. Dann hat man gleich was davon und wendet nicht unnötig so viel Energie auf. Weniger ist da mehr.
Switches unterdrücken
Zum mutwillig Switchen gehört auch, mutwillig nicht zu switchen, wenn das in einer Situation gerade eben nicht angemessen ist. In der Regel geht es da um ungünstige Situationen, in denen es Trigger gibt, ob jetzt positive oder trauma-bedingte, und wir wollen eben gerade nicht, dass ein Anteil sich damit auseinander setzen muss, der wenig dafür geeignet ist. Wir versuchen also etwas aufzuhalten, was das System normalerweise automatisch macht.
Um sozusagen einen Fuß in die Drehtür zu kriegen, ist es wichtig, Auslöser schnell zu erkennen und zu verstehen, dass wir wahrscheinlich gleich die Kontrolle verlieren und ein Anteil nach Vorne geworfen wird. Je besser wir unsere Trigger kennen, desto eher sind wir darauf vorbereitet und haben zumindest eine Chance. Manchmal lassen sich Trigger dann vermeiden. Wir schauen bewusst in eine andere Richtung, wenn wir an einem Spielplatz vorbei kommen oder haben Musik auf den Ohren, um bestimmte Geräuschkulissen zu vermeiden.
Wenn der Auslöser passiert ist, können wir zuerst einmal den Kontakt damit unterbrechen, indem wir die Augen kurz zu machen oder die Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten. Dann können wir uns über unsere Sinne Anker suchen, an denen wir uns festhalten, um nicht nach Hinten zu rutschen. Indem wir uns an der Kontrolle über die Wahrnehmung festhalten, können wir unser Bewusstsein im Moment halten und blockieren damit die Front, wo sonst ein anderer Anteil unsere Wahrnehmung übernehmen würde.
Es braucht sehr viel Konzentration, um präsent zu bleiben. Die gute Nachricht ist, dass wir im Grunde unsere Grounding Skills verwenden und die können wir inzwischen sicher in und auswendig und haben schon Übung darin. Dazu kann auch gehören, sehr bewusst in einem anderen Tempo zu atmen als das der andere Anteil tun würde und damit die Kontrolle über den Körper zu behalten. Ich halte mich oft buchstäblich an meinem Stuhl fest. Vielleicht fallen euch noch mehr Arten ein, um die Vibes im Körpererleben möglichst unähnlich zu denen zu machen, die ein anderer Anteil mitbringt. Je deutlicher wir uns im Moment jetzt und hier festhalten und auf unserer Ebene schwingen, desto weniger passt es zu den Vibes vom getriggerten Anteil und desto schwerer wird es, ganz Vorne zu landen. Wenn wir es schaffen uns einige Momente auch gegen den Druck von Hinten zu halten, entsteht damit ein Moment für allgemeine Orientierung und dadurch kann sich der Triggermoment auflösen. Anteile weichen dann oft automatisch etwas zurück, weil der Sog des Auslösers nicht mehr so an ihnen zieht.
Meiner Erfahrung nach geht es zu schnell, um sich noch eine Imagination auszudenken. Wir können aber eine Hände Übung verwenden, um getriggerten Anteilen beizustehen und ihnen schnell und ohne Worte klar zu machen, dass wir die Lage im Griff haben und für sie da sind und sie sich abregen können. Am effektivsten bleibt es, sich über den Körper und die Wahrnehmung Vorne festzuhalten.
Mutwillig nicht zu switchen ist ähnlich schwierig wie mutwillig zu switchen und braucht ebenfalls Übung. Solche Situationen müssen wir nicht künstlich erschaffen, das begegnet uns oft genug im Alltag, um damit zu üben.
Im Grunde sind das Übungen für Fortgeschrittene. Es braucht dazu Kommunikation und Kooperation, damit das überhaupt ohne die Anwendung von Triggern klappen kann. Und bei manchen Systemen funktioniert es einfach nicht und das ist auch normal. Wir müssen verstehen, dass das mit dem mutwillig Switchen ein bisschen ist, als würden wir einen Zirkustrick lernen. Es sollte sich niemand schlecht fühlen, wenn es nicht oder noch nicht geht. Das ist völlig normal. Was man auf Social Media manchmal dazu mitkriegt ist keine gute Abbildung der Realität mit DIS.
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