Wenn Anteile so lange in TraumaZeit feststecken, dann ist in der Gegenwart ankommen, lernen, dass es da noch Andere gibt und das Leben sich verändert hat, dass wir älter geworden sind und in einem großen Körper stecken ein ganz schöner Schock. Deswegen haben wir ein Protokoll für uns entwickelt, um ‘neue’ Anteile willkommen zu heißen. Das hilft uns bei den ersten Schritten und bringt etwas Ordnung ins Chaos. Neue Anteile fühlen sich viel sicherer, wenn sie von jemandem in Empfang genommen werden, der offensichtlich genau weiß, was er macht.
Ich werde euch beschreiben, was wir tun, was nicht bedeutet, dass ihr das genauso machen müsst. Euer System wird anders sein. Vielleicht kann ich euch ermutigen, euer eigenes Protokoll zu entwickeln.
Erste Schritte
Sicherheit
Das erste, was ein Anteil wissen muss, ist dass sie jetzt sicher sind. Vielleicht verstehen sie noch nicht vollständig, dass TraumaZeit vorbei ist, aber wir können ihnen schon einmal sagen, dass sich etwas verändert hat und es jetzt sicher ist. Wenn ein Anteil sehr verängstigt ist, kann eine ruhige, melodische Stimme helfen zu beruhigen. Oft hilft es dabei tatsächlich laut zu sprechen.
Wenn wir die Aufmerksamkeit eines Anteils erwecken können, könnten wir sie bitten, sich einmal umzuschauen, nur um den Raum zu sehen, in dem wir sind, damit sie sehen, dass nichts schlimmes passiert. Manchmal müssen Anteile erinnert werden durch die Körper-Augen zu schauen und sich nicht nur in der Inneren Welt umzuschauen.
Gelegentlich befinden sie sich in der Inneren Welt noch ein einem dunklen Ort und das würde nicht helfen. Wenn das der Fall ist, könntet ihr sie (vielleicht mit Hilfe eurer T) zu einem besseren Ort führen.
Sicherer Ort
Wenn der Anteil in der Nähe eures restlichen Teams ist, kann einer von euch ihnen helfen, sich einen eigenen Sicheren Ort zu bauen. Benutzt Vorstellungskraft und lasst sie auswählen, was tröstlich und gemütlich wäre. Beurteilt nicht, falls sie etwas wählen, was ihr noch nicht versteht. Es muss sich für euch nicht sicher anfühlen, sondern für sie. Wenn sie nicht wissen, was nett wäre, könntet ihr Sachen vorschlagen, wie einen weichen Ort zum schlafen (manche wollen kein Bett, weil das Angst macht!) oder Kuscheltiere oder eine Decke oder ein schönes Bild von einem Lieblingstier an der Wand. Drängt nichts auf, nur weil ihr meint, das wäre richtig. Wenn sie sich damit nicht wohl fühlen, wird das seine Gründe haben. Wenn der Anteil mehr wie ein Teenager ist, erklärt ihr vielleicht nur das Konzept von einem sicheren Ort und lasst sie das alleine machen, vielleicht wollen sie ein bisschen Privatsphäre und das für sich behalten. Versucht nicht einen geschützten sicheren Ort ohne Erlaubnis zu betreten. Mehr.
Helfer
Vertrauen muss man sich erst verdienen und bisher war nicht genug Zeit sich kennen zu lernen. Eine neue Situation kann sich sehr einsam und einschüchternd anfühlen und es ist weise etwas Abstand zu Anteilen zu halten, die näheren Kontakt nicht annehmen können. Wir haben viele Anteile, die niemandem vertrauen. Das ist der Grund, warum wir neuen Anteilen, gleich nach dem sicheren Ort, einen Inneren Helfer anbieten. Sie können sich einen Helfer aussuchen, mit dem sie sich sicher fühlen. Wir haben gute Erfahrungen mit Haustieren, von Hunden über Schafe bis zu Pferden, und Fantasie Wesen wie Einhörnern oder freundlich-feurig-beschützenden Drachen. Lasst den Anteil wählen – die finden schon raus, was passt. Ihr könnt Beispiele geben, um die Fantasie anzuregen. Vielleicht muss der sichere Ort dann angepasst werden, um den Helfern einen Platz zu geben.
Containment
Das braucht vielleicht nicht jeder Anteil sofort, aber wenn sie ankommen und ihre Trauma Erinnerungen überall verstreuen, sodass das System damit geflutet wird, ist es wichtig, ihnen eine Form von Containment beizubringen, vielleicht die klassische Tresorübung oder die hüpfende Kiste oder gleich die System Variante. Zuerst stabilisieren wir, dann schauen wir auf die Erinnerungen. Das gilt auch für neue Anteile. Ihr könnt das nicht gebrauchen, dass andere Anteile ständig geflutet werden und für den neuen Anteil bringt das auch gar keine Entlastung, es macht es nur schwerer für alle. Lernen etwas sicher zu verpacken, kann eine Erleichterung sein. Später schauen wir, was da alles ist.
Stellt euch vor, ihr kommt nach langer Reise an einen neuen Ort. Diese Dinge aufzubauen, nachdem man angekommen ist, ist oft ermüdend und die Anteile haben sich eine Pause verdient, um sich einzugewöhnen in ihrem sicheren Ort und mit dem Helfer und um auszuruhen.
Die nächsten Schritte
Patenschaft
Wir fragen im System immer, wer die Patenschaft für den neuen Anteil übernehmen will. Diejenige ist dann so was wie ein Führer und die erste Person, mit der eine Beziehung aufgebaut wird. Je nachdem, wie der neue Anteil so drauf ist, braucht es vielleicht jemand starkes, der nicht verletzt werden kann oder jemand lustiges oder süßes. Innenkinder, die mitmachen wollen, können dabei sein und helfen, kriegen aber nicht die volle Verantwortung eines Paten, das wäre zu viel. Das ist eine gute Gelegenheit für Helfer Anteile. Unterstützt den neuen Anteil darin in Raum und Zeit orientiert zu bleiben und bringt ihnen grundlegendes Grounding bei.
Versucht herauszufinden, was sie mögen. Das könnte Essen sein, aber auch so etwas wie Spiele oder Geschichten oder Lieder. Paten können diese Informationen sammeln und verwenden, um zu unterstützen, wenn es gerade schwierig ist. Vielleicht könnt ihr das dann grundsätzlich öfter machen. Seid geduldig, ihr könnt nicht erwarten, dass man euch gleich mit so verletzlichen Informationen vertraut.
Wenn jemand gar nichts mit uns zu tun haben will, zB weil die Täter vermissen, handeln wir aus, dass sie ein Fenster in ihren Sicheren Ort einbauen und zumindest einmal am Tag nach draußen schauen. Wir lassen sie alleine, so lange sie das wollen, aber bitten sie nach Außen zu schauen, wenn wir denken, dass es da etwas bedeutendes zu sehen gibt.
Für die nächsten Schritte gibt es keine fest Reihenfolge, das hängt ganz von der Dynamik mit dem betreffenden Anteil ab.
Die Gegenwart
Mit Anteilen, die offener für ein neues Leben sind nehmen wir uns Zeit, sie mit allen Veränderungen bekannt zu machen. Wir bitten sie, auf bestimmte Sachen acht zu geben, die die Host tut und üben nach draußen zu schauen und co-bewusst zu sein. Manchen fällt das leicht, andere müssen länger üben. Sehr beliebt sind bei uns in den Park gehen und Hunden beim Spielen zuschauen, Anteile einladen beim Kekse backen dabei zu sein oder einen kurzen Filmclip für Kinder anzuschauen. Diese Kontakte mit der Außenwelt dauern selten länger als ein paar Minuten und länger muss das auch gar nicht sein. Sie brauchen nur Beweise, dass das Leben jetzt sicher und schön ist.
Das Team
Manche wollen zuerst die anderen im System kennen lernen. Sie können nach und nach von ihrem Paten mit neuen Gesichtern bekannt gemacht werden. Oft hilft es, etwas zusammen zu spielen (wie zB die Einhorn/alles über mich Fragen aus dem SystemSpiel). Das muss nicht lang sein. Neue Anteile kennen zu lernen kann ermüdend und stressig sein, ich empfehle es bei ein paar Minuten zu belassen. Das macht es auch fürs Team leichter. SystemArbeit muss keine Stunden andauern! 3×5 Minuten am Tag können extrem effektiv sein und helfen außerdem, ein besseres Gefühl dafür zu kriegen, wie die Zeit vergeht. Selbst vermeidende Hosts könnten 5 Minuten schaffen.
Die Geschichte
Manche Anteile interessieren sich nicht so sehr für die Anderen, wie sie erstaunt sind über die Zeit, die vergangen ist und sie brauchen eine Erklärung und jemanden, der ihnen erzählt, was sie alles verpasst haben.
Wir haben uns Innen eine ‘Galerie der Geschichte’ erschaffen, wo in einem langen Gang Bilder aus den vergangenen Jahren ausgestellt sind, von TraumaZeit bis jetzt. Ihr müsst nicht ganz am Anfang beginnen, überspringt den Trauma Bereich. Wir gehen gewöhnlich den Gang entlang und schauen uns die Bilder von bedeutenden Ereignissen an und beginnen an dem Punkt, wo das Leben besser wurde. Auch das kann man langsam angehen und ihr könnt immer wieder da hin zurück kehren und Erinnerungen teilen, um die Lücken zu füllen und dabei viele Pausen machen.
Der Körper
Für manche Anteile ist es wichtig das gleich zu machen und bei anderen kann man etwas warten, aber irgendwann müssen neue Anteile im Körper orientiert werden. Ich hoffe, ihr könnt das mit eurer T machen, weil es gruselig sein kann, besonders für Innenkinder, zu erkennen, dass sie in einem erwachsenen Körper sind (oder manchmal einem Körper mit einem anderen Geschlecht als dem, mit dem sie sich identifizieren). Es ist essentiell, wenn ein Anteil aggressiv dem Körper gegenüber ist und glaubt, ihm weh zu tun würde nur die anderen verletzen und nicht sich selbst. Sie müssen verstehen, dass es nur einen Körper gibt.
Für mache kann es ermutigend sein zu sehen, wie groß sie jetzt sind und sie werden weniger ängstlich.
Wenn es nicht absolut notwendig ist, warten wir mit dieser Erkenntnis, bis der Anteil eine stabile Beziehung zu jemandem Innen hat, der Unterstützung bieten kann. Wenn man die Erinnerungsübung macht, bereitet das schon ein bisschen darauf vor, dass sich Dinge verändert haben.
Ich möchte nicht, dass ihr hier ein falsches Bild der Lage kriegt, diese Schritten brauchen Wochen, manchmal Monate, selbst wenn wir es genau damit nehmen und jeden Tag üben. Es hilft wenn innere Anteile die SystemArbeit übernehmen können, während Frontpersonen den Alltag regeln. Wenn alles davon abhängt, dass die Frontperson es managed ,wird es deutlich länger dauern. Manche Anteile sind begeisterter davon ein neues Leben zu haben als andere. Diejenigen, die den Tätern loyal sind oder an sie gebunden, brauchen etwas extra Hilfe, die ich in einem gesonderten Post erklären werde.
Langfristig (in keiner speziellen Reihenfolge)
Es wird Zeit brauchen sich gegenseitig kennen zu lernen. Beginnt damit, den neuen Anteil in eure Roll Calls und Team Sitzungen mit einzubinden. So kriegen sie die selben Rechte wie alle anderen sich zu melden und ihre Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken.
Stellt eure Grundwerte vor und wie man sich als machtvolle Person verhält und erklärt, warum das etwas ist, was euch Richtung gibt und wo ihr hin wollt. Lasst sie selber überlegen, was sie davon halten.
Erklärt eure Ziele, an denen ihr gerade arbeitet, um zu vermeiden, dass ihr irgendwo gegeneinander arbeitet oder jemand verwirrt ist. Fragt nach, ob sie etwas zu den Werten oder Zielen hinzufügen wollen.
Vielleicht wollen sie eure Partner oder Freunde oder Therapeuten oder andere Helfer treffen und kennen lernen und Vertrauen aufbauen. Manche Anteile wollen das auch gar nicht und das ist auch ok. Erzwingt da nichts. Wir versuchen die hauptsächliche Bindung innerhalb des Systems zu halten. Andere Menschen könnten aus unserem Leben verschwinden, sogar Therapie geht irgendwann zu ende, also fühlt es sich am sichersten an, wenn Innenkinder sich an erwachsenen Anteilen orientieren, die nicht weg gehen. Unsere Helfer können keine Verantwortung für unsere Anteile übernehmen ohne Co-Abhängigkeit zu schaffen, die früher oder später missbräuchlich wird. Sprecht über Grenzen.
Weil strukturelle Dissoziation manchmal bedeutet, dass manche Anteile Fähigkeiten haben, die anderen fehlen, wäre es hilfreich raus zu finden, was der neue Anteil kann und wo es an Fähigkeiten mangelt. Die Stärke eines bestimmten Anteils kann ihr Job oder ihre Rolle im System werden. Wir haben jemanden, die sehr gut darin ist den Körper zu spüren, die uns immer sagen kann, wenn was weh tut oder wir Hunger haben, jemanden, die ein fast perfektes Gedächtnis hat und uns an Termine erinnern kann usw.
Manche Anteile, die früher einen Job hatten, der die Regeln aus TraumaZeit aufrecht erhalten hat, sind froh einen neuen Job zu kriegen, wo sie etwas schönes tun können. Manche Anteile haben in der Vergangenheit viel für das System auf sich genommen und brauchen jetzt keine Verantwortung mehr zu tragen und das ist auch gut. Manche Innenkinder werden einfach spielen und schlafen und sich sicher fühlen und das IST ihr Job und genauso wichtig. Das macht etwas fürs System, auch wenn manche Anteile das nicht erkennen.
Arbeitet weiter an Co-Bewusstsein, Kommunikation, Kooperation und Gemeinschaft und daran, euch nicht alleine zu lassen.
Der neue Anteil kann Coping Strategien und Imaginationen und Selbstberuhigung lernen, alles mit der Unterstützung von anderen Anteilen, die das schon können. Sie können bei euren Übungen zum Synchronisieren und beim Feueralarm mit machen.
Wenn sie wissen, dass sie sicher sind und sie in der Gegenwart geerdet sind und wissen, was ein Flashback ist und wie man damit umgeht, auch mit Unterstützung anderer Anteile, und sie Dinge gefunden haben, die sie heute wirklich genießen, dann könnt ihr mit eurer T weiter gehen und euch die traumatischen Erinnerungen anhören.
Meistens kommt man nicht drum herum, dass ein bisschen davon manchmal durchsickert, aber ich würde es sehr empfehlen, sich an das 3 Phasen Modell zu halten, selbst mit Innenkindern, erst stabilisieren und in ein inneres Team mit Helfern integrieren, bevor ihr ans Trauma ran geht.
Ich erzähl euch das alles in der Hoffnung, euch einen groben Plan zu geben, dem ihr folgen könnt ohne aus den Augen zu verlieren, was zu tun ist. Ich wünschte ein T hätte uns das beigebracht. Selbst wenn das für jeden Anteil individuell angepasst werden muss, ist es besser als gar keinen Plan zu haben.
Ich werde euch immer nur Schritte sagen können hin zu einem integrierteren Leben. Das ist das einzige, von dem ich weiß, dass es langfristig funktioniert.
Noisette says
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