In meinem eigenen Therapieprozess fällt immer wieder auf, dass mein System besonders stabil und gut miteinander verbunden scheint. Wir haben starke innere Verbindungen, pacen uns so gut, wie das von Außen gar nicht zu machen ist und selbst das Trauma Prozessieren verläuft verhältnismäßig ruhig und sicher. Wir haben dafür sowas wie ein Geheimrezept und ich teile das auch mit euch, aber das ist nichts, was man als Übung anwenden könnte und es überträgt sich wahrscheinlich nicht ohne weiteres auf andere Systeme. Ich glaube trotzdem, dass es Hinweise geben kann, die nützlich sind. Versteht diesen Artikel also mehr als einen persönlichen Bericht und weniger als Wissensweitergabe oder neutrale Information. Man erreicht im Prozess manchmal Gebiete, die in der Literatur wenig beschrieben sind und wo sich keine direkten Quellen und Übungen ergeben.
Auserwählte
Für unser System begann die wirkliche Heilung damit, dass unsere Host mit einer bestimmten Art von Ansatz für Beziehungen in Kontakt gekommen ist. Der hat ihr beigebracht, dass sie einen freien Willen hat und Dinge wählen kann. Statt dass der Sturm immer nur ihr passiert, beschloss sie, von jetzt an dem Sturm zu passieren. Sie hat erkannt, dass sie wählen und entscheiden kann, dass ihr etwas wichtig ist und sie es wertvoll findet und niemand kann sie davon abhalten, weil das alleine ihre Entscheidung ist. Sie kann nicht kontrolliert werden von Angst oder Leid. Selbst mit Schmerz und Leid kann sie immer noch wählen, dass es sie was kümmert, was passiert und danach handeln. Und dann hat sie uns gewählt. Jeden einzelnen Anteil, so wie sie sind, mit allem Potenzial und allem Leid.
Erwählt zu sein verändert einen. Da ist eine Mutwilligkeit hinter der Beziehung; sie ist nicht einfach irgendwie passiert. Jemand hat uns gemeint, als sie uns erwählt haben. Und sie haben das mit Absicht gemacht und in dem Wissen, dass das nicht einfach ist und mit seinen eigenen Schwierigkeiten verbunden ist. Und trotzdem, haben sie uns erwählt. Und diese Person ändert ihre Meinung nicht, weil sie beschlossen hat, ab jetzt dem Sturm zu passieren, egal was kommt. Man kann sie da nicht von abbringen. Also leben wir als Erwählte, die jeden Tag und von Moment zu Moment wieder gewählt werden und das macht etwas mit uns. (Mehr zu erworbener sicherer Bindung)
Das führt zu einem Gefühl von Stabilität. Diese Person geht nirgendwo hin, egal wie furchtbar ich bin und wie kaputt. Sie kann nicht kontrolliert werden und wir können nichts tun, damit sie anders über uns denken würde. Da ist eine konstante Quelle von Fürsorge, Offenheit, Verständnis und Gnade mit allem, was verletzt ist. Ich weiß nicht was es bräuchte, um dem widerstehen zu können, weil ich es nicht konnte. Es ist eine Einladung in eine sichere Beziehung, wo wir sein dürfen, schon bevor wir geheilt und präsentabel sind. Selbst wenn wir nicht hübsch funktionieren und sogar wenn wir anderen noch Schaden verursachen. Erwählt zu werden, ändert Dinge.
Es ist wahr, dass wir ohnehin miteinander feststecken. Es ist trotzdem ein himmelweiter Unterschied, ob wir dieses Leben zusammen trotzdem bewusst wählen und uns füreinander entscheiden.
Das ist etwas sehr privates. Andere Menschen können nicht erwarten, auf die selbe Art erwählt zu werden, wie wir unsere eigenen Anteile (sprich uns selbst) erwählen. Sollten wir jemanden so wählen, dann wird das sehr wahrscheinlich eine Partnerperson oder unsere Kinder sein.
Der Pfad der Tränen
Andere zu erwählen, ist immer mit Leid verbunden. Sie sind anders, handeln entgegen unserer Bedürfnisse, manchmal verursachen sie echten Schaden. Andere zu wählen, bedeutet, uns so weit zu öffnen, dass wir verletzlich werden und es dann trotzdem zu tun, weil es etwas wichtigeres und bedeutenderes gibt, als frei von Leid zu sein. Das ist einer der Momente, wo Achtsamkeit einen Unterschied macht. Der Schmerz kann gefühlt und erfahren werden und dann geht er vorüber und andere, stabilere Dinge bleiben zurück. Unsere Fürsorge für jemanden und unser Verständnis für ihre Situation kann durch und über das Leid hinaus bestehen bleiben. Wenn wir Verbundenheit wählen, wissen wir, dass wir sie im Angesicht menschlicher Fehlerhaftigkeit wählen. Wenn wir damit nicht umgehen können, dann wissen wir nicht wirklich, wie diese Art von Liebe geht. Das ist ein Pfad der Tränen, weil uns das das Herz bricht, immer und immer wieder, bis es vielleicht besser wird und wir Veränderung sehen. Nur können wir das nicht wählen mit der heimlichen Erwartung, dass die Veränderung kommen wird und es leichter wird. Wir wählen den Weg der Tränen, indem wir erwarten und akzeptieren, dass sich niemals etwas ändern wird und wen wir da erwählen, wird für immer so bleiben. Und dann erwählen wir die trotzdem noch zu einem Anteil in unserem inneren Kreis und wer wir als innere Familie sind, weil sie in unserem Selbst_Verständnis zu uns gehören. Das Leid nicht zu vermeiden, dass mit so viel Nähe zu anderen Anteilen entsteht, ist eine fast übermenschliche Erfahrung. Wir wissen, dass es weh tun wird, Kontakt aufzunehmen und wir tun es trotzdem. Wir wissen, dass sie uns hassen und wir wählen sie trotzdem. Weder Angst noch Leid kann uns kontrollieren und wir werden zum Sturm.
Niemand wird so zu einem ‘besseren’ Menschen. Wir werden höchstens zu einem traurigen Menschen mit viel Bewusstsein dafür, wie verworren und verloren Mensch-Sein eigentlich ist. Es kommt allerdings mit einer Bereitschaft, unsere Fightreaktion abzulegen, die uns vor anderen Anteilen schützt und uns auf die Tragödie in allen Dingen einzulassen. Wir geben es auf, um unser Leben zu kämpfen, indem wir es getrennt und in Sicherheit von anderen halten. Das unterscheidet sich deutlich von unserer normalen Suche nach Kontrolle. Wir wissen, wir können nicht alles so hinbiegen, wie wir es wollen und brauchen. Und trotzdem sind wir da.
Es ist, ganz offen gesagt, eine komplett und zutiefst untypische Art für Host, sich so zu verhalten und die Vermeidung von anderen Anteilen so anzugehen. Ich selbst mache das nie ohne dabei zu jammern und zu klagen. Es steckt viel Kraft in einer guten Klage, die hilft, mit dem erwarteten und erfahrenen Leid umzugehen. Trotzdem, ANPs sind berüchtigt dafür, inneren Kontakt zu vermeiden und es ist eben diese Vermeidung, die die strukturelle Dissoziation stabil aufrecht erhält und Heilung unerreichbar macht. Es braucht einiges, um gegen diesen Instinkt zu handeln und das immer und immer wieder. Wir kriegen Pausen, sonst wäre es völlig unrealistisch. Es kann helfen zu verstehen, dass die Vermeidung das große Hindernis ist, das wir überwinden müssen, um Heilung möglich zu machen und das Leid aufzulösen. Es hilft zu verstehen, dass andere Anteile eben Anteile von uns sind, dass das alles wir sind und sie unglaublich gute Gründe haben dafür, so zu sein, wie sie sind. Das ist alles Teil unseres kollektiven Überlebens. Es kann sehr helfen, zu verstehen, wie Verhalten auch nur eine Form von Coping ist und wie dysreguliert diese Anteile sind. Und dann kann das immer noch nicht ausreichen, um uns zu überzeugen, uns diesem Ausmaß an Leid auszusetzen, das uns begegnen wird.
In Therapie gibt es Versuche, Leid zu managen mit Achtsamkeit, Atemübungen oder Imaginationen. Manche finden ein Ventil in anstrengendem Sport, Kreativität oder sehr engen Beziehungen. Dann gibt es immer noch eine Ebene von Leid, die wir mit diesen Methoden nicht erreichen. Das ist der Punkt, wo Spiritualität anfängt, andere Methoden abzulösen, weil sie andere Dinge leisten kann.
Mit der Hilfe des Geistes
[bespricht Spiritualität im allgemeinen und christlichen Glauben außerhalb organisierter Religion im spezifischen]
Jede gute Spiritualität beinhaltet Antworten zu Themen wie Tod, Leid, Verlust, wie man mit dem bösen umgeht und mit Schuld, existenzielle Hoffnung und Transzendenz. Das sind Dinge, die über die natürliche Kapazität unseres Verstandes hinausgehen und durch die wir uns nicht durch-denken können. Darum brauchen Menschen eine Form von Spiritualität und je mehr Leid sie erleben, desto mehr brauchen sie etwas, das über das rein physische hinausgeht. Wir wissen, dass wir etwas echtes gefunden haben, wenn es eine Erfahrung ist und nicht nur eine leere Praktik, wenn es in der Lage ist, unser Leid sicher mit uns zusammen zu halten, eine Erleichterung für unser schweres Herz bringt und wenn es ein Gefühl von Kraft und Hoffnung in uns bewirkt, das uns hilft, weiterzumachen.
Manche Arten von Spiritualität haben bessere Lösungen als andere. Es macht weniger Sinn, etwas zu wählen, dass uns weiter von der Welt und von Leid dissoziiert statt dem zu begegnen. Ich persönlich folge einer christlichen Form von Spiritualität, weil die mit einem Gott kommt, der menschliches Leid kennt und sich nicht davon distanziert hat. Er ist mitten rein gekommen, tatsächlich auch daran gestorben, sodass wir uns nicht alleine damit fühlen müssen. Auch wenn Leid normalerweise nicht plötzlich aufhört zu existieren, ist das eine Spiritualität, die mit dem tiefgreifenden Gefühl verbunden ist, mit all dem nicht alleine zu sein, gehalten und unterstützt zu sein.
Welche Spiritualität auch immer das für uns leisten kann, hilft uns, die Realität davon zu navigieren, traumatisierte Anteile erwählt zu haben. Wir spiegeln die transzendente Beziehung davon, von etwas Höherem als uns selbst erwählt zu sein (dann sind wir der traumatisierte Anteil im Vergleich zur Tiefe der Spiritualität, der wir uns anvertrauen) und wir reflektieren das zurück in unsere Beziehung mit anderen Anteilen. So müssen wir die Last davon nicht alleine tragen.
Als wir unsere T gefragt haben, wie in aller Welt man klar kommen soll mit so viel Verlassenheit und Leid, das durch Böses entstanden ist, hat sie kein einfaches CBT Werkzeug hervorgeholt, um unsere Gedanken so zu formen, dass das irgendwie geht. Sie hat Therapietechniken komplett fallen gelassen, weil die nicht die Antwort auf jede menschliche Erfahrung haben. Sie hat nach unserem Glauben gefragt. Studien zu Resilienz zeigen, dass Spiritualität einen Unterschied macht.
Sich Spiritualität annähern
Ihr werdet das Thema ‘Glaube’ in vielen Büchern zu extremer Traumatisierung finden. Es gibt verschiedene Wege, da ran zu gehen und einer ist nicht besser als ein anderer. Was sie alle gemeinsam haben, ist dass sie im Kern nicht über organisierte Religion mit leeren Routinen sprechen. Während es für uns etwas bedeuten kann, eine Kerze anzuzünden und das vielleicht ein bisschen tröstlich ist, führt einfach nur eine Kerze anzuzünden nur dazu, dass eine Kerze abbrennt. Es braucht da ein zusätzliches Element von Bedeutung, das schwer zu greifen ist. Der erste Schritt zu den meisten Formen von Spiritualität ist, einen Unterschied zu machen zum Normalen und dann still zu werden und nicht mehr rumzurennen und uns abzulenken. Dann können wir Gegenwart und Verbundenheit einladen. Mein eigenes Gebet ist ‘Ich bin hier, Heiliger Geist, bitte begegne mir hier’. Und dann breite ich das Leid, das ich mitgebracht habe, offen in einer verletzlichen Geste vor mir aus, in der Hoffnung auf die Begegnung mit etwas/jemanden, der sieht, weiß und versteht und das mit mir teilt. Ein tiefes Gefühl davon, gekannt zu sein und nicht alleine gelassen zu werden mit dem Chaos, das ich bin. Das ist der Ort, an dem ich beginne, etwas über Gnade mit dem Zustand der Menschheit zu lernen. Der heilige Geist wird aus gutem Grund als ‘Tröster’ bezeichnet und ist manchmal leichter als Einstieg, weil wir da weniger schräge Konzepte von falscher Religion zu gelernt haben. Im besten Fall konnten wir uns da nie was drunter vorstellen und haben die Chance auf eine Erfahrung ohne Vorurteile.
In anderen Arten von Spiritualität geht man wahrscheinlich etwas anders ran, aber es sollte nicht schwierig sein. Wenn Erleichterung von Leid und ein Ort von Verbindung und Hoffnung 10 Jahre Studium und dann nochmal so lange spirituelle Übungen braucht, dann ist es nicht das, was wir suchen. Wenn die Bibel uns sagt, ‘das Reich Gottes’ (gelesen als: eine spirituelle Begegnung) ist nahe herbei gekommen’, dann bedeutet das sowas wie direkt neben uns. Spirituelle Verbundenheit ist nicht wirklich weit entfernt und entsteht auch natürlich, wenn wir danach Ausschau halten. Sucht und ihr werdet finden, ist eine allgemein gültige Aussage. So wie Gefühle auf einer leicht anderen Ebene passieren als Gedanken, liegen spirituelle Erfahrungen auch irgendwo knapp daneben im menschlichen Spektrum von Erleben. Die ganze Welt ist voll von Menschen mit Glauben in eine spirituelle Realität, weil Menschen so funktionieren, wenn es um die großen Themen geht, die anders schwer auszuhalten sind. Es gibt da ein Erleben, das Menschen über verschiedene Glaubensrichtungen hinweg teilen, wenn sie sich darauf einlassen.
Die Suche nach Spiritualität macht niemanden zu einem guten Menschen. Es macht uns weniger alleine mit unserem Leid. Das sind sehr unterschiedliche Dinge. Es ist leicht, auf spirituelle Menschen wütend zu sein, weil sie auch nicht besser sind als alle anderen. Im besten Fall haben sie ein tieferes Verständnis dafür, wie seltsam komplex, schrecklich und wundersam Menschen sind, aber sie werden nicht einfach gottgleich und fehlerlos. Das wäre ein seltsamer Anspruch. Es hilft, uns auf unsere eigene innere Realität zu konzentrieren und es anderen zu überlassen, sich selbst irgendwie und in ihrem eigenen Tempo auf die Reihe zu kriegen.
Auch wenn ich glaube, dass es wahrscheinlich so möglich ist, traumatisierte Anteile zu erwählen und für sie da zu sein, auch wenn es weh tut, glaube ich, dass es exponentiell einfacher ist, wenn wir eine spirituelle Praxis haben, die uns dabei unterstützt. ‘Raw dogging’, wie mir das kürzlich empfohlen wurde, also ohne Schutz und ohne zusätzliches Coping einfach der puren Realität stellen, halte ich für eine lausige Option, die retraumatisierend wirkt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man damit zurecht kommen soll, wenn man mit dem Leid nirgendwo hin kann. Im Grunde trickse ich, wenn es darum geht, die Vermeidung zu überwinden und sich dem Sturm zu stellen. Ich hole mir zusätzliche Unterstützung dazu. Ich halte es nicht für fair, Menschen zu sagen, dass sie sich Trauma Anteilen direkt stellen sollen und das Leid aushalten, ohne dabei zu erwähnen, dass das mehr Unterstützung braucht, als Therapie oder Psychologie uns einfach anbieten können. Unsere Ts und andere Menschen können uns durch einiges davon durch unterstützen, aber wenn wir sonst keine weiteren Möglichkeiten haben, mit dem Leid umzugehen, wird das sehr real sehr weh tun und sich nicht wie etwas anfühlen, was wir willentlich wählen können. Menschen sind für sich alleine stehend nicht dafür gemacht, solches Leid zu wählen. Es wird möglich(er), wenn wir einen Ort haben, wo wir damit hingehen können, eine Chance zu sagen ‘Begegne mir hier’, wenn wir unsere Lasten bringen. Wir schaffen das wahrscheinlich nicht alleine. Das ist der Grund, warum wir Spiritualität bei der notwendigen Selbstfürsorge auflisten, zumindest in unserem Verständnis der Welt. Was wir auf dieser Plattform schreiben, sind alles Teile eines Puzzles davon, wie wir die Welt und Trauma Heilung verstehen und das hier ist ein Teil, das außerhalb der Psychologie liegt. Menschen wundern sich manchmal über meinen sanften Tonfall, wenn ich über inneren Austausch rede. Das hier ist die Erklärung dafür.
Dieser Artikel ist keine nützliche Anleitung in einfachen Schritten. Ich kann euch sagen, dass andere Anteile zu erwählen und sich irgendwann innerlich gegenseitig zu erwählen einen riesigen Unterschied macht und dass es mit Leid und Tränen verbunden ist. Ich kann euch sagen, dass dieses Ausmaß an Leid irgendwie Unterstützung braucht, damit wir uns nicht daran kaputt machen und dass die Wissenschaft nicht alle Antworten dafür hat. Andere Menschen und Techniken können unterstützen, aber die kommen auch mit ernüchternden Begrenzungen, wie weit sie uns in unserem Leid begleiten können. Spiritualität überwindet solche Begrenzungen in einer nahen und privaten Erfahrung, die in uns Stärke, Stabilität und Hoffnung bewirken kann. Eine Spiritualität dieser Art ist nicht gebunden an formale Religion. Mein eigenes Gebet ist ‘Begegne mir hier’ und dann warte ich in der Stille.