Trauma Spezialist*innen ringen seit nunmehr 3 Jahrzehnten darum, dass die kPTBS Diagnose in den großen Diagnose Manualen anerkannt wird. Und im ICD-11 waren sie endlich erfolgreich. Das ist ein Grund zu feiern. Aber einige der selben Fachmenschen, die so hart dafür gekämpft haben, äußern sich besorgt wegen der genauen Kriterien, die verwendet wurden. Ich bin nicht darin geschult, Leute zu diagnostizieren, aber ich kann euch zumindest erklären, was los ist und warum es unter besonderen Umständen zu Problemen kommen kann.
Das Ziel der ICD-11 Kriterien ist es, die Diagnosestellung einfacher zu machen.
Kriterien für einfache PTBS
Um eine PTBS Diagnose zu bekommen, müssen wir von einem schlimmen Ereignis berichten.
Dann gibt es 3 Kategorien von Erleben mit je 2 möglichen Ausprägungen, von denen eine zutreffen muss.
- Wiedererleben: Flashbacks oder Albträume
- Vermeidung: Gedanken + Gefühle oder Menschen/Situationen/Aktivitäten mit Trauma Bezug.
- Hyperarousal: erhöhte Wachsamkeit oder leichtes Erschrecken
Damit es sich als Störung qualifiziert, muss es wie immer Leid verursachen.
Kriterien für komplexe PTBS
KPTBS wird behandelt wie eine PTBS mit mehr Trauma und deswegen mehr Symptomen:
Wir müssen wiederholte oder lang anhaltende schlimme Erlebnisse berichten.
Dann werden die PTBS Kriterien wiederholt, ohne sie an die veränderte Trauma Situation anzupassen. 3 weitere Kategorien werden zu den bestehenden hinzugefügt.
- Probleme mit der Emotionsregulation: Wutausbrüche oder verminderte Schwingungsfähigkeit
- Verändertes Selbstbild: negatives Selbstbild oder tiefgreifende Schuld/Schamgefühle
- Probleme in Beziehungen: Probleme Beziehung aufrecht zu erhalten oder sich anderen nah zu fühlen
Das könnte zum Problem werden und es wäre möglich, dass Menschen durchs Raster fallen, die eigentlich das haben, was ursprünglich mit komplexer PTBS gemeint ist. In ungünstigen Fällen kann die Diagnose nicht gestellt werden, auch wenn die Folgen von wiederholter und langanhaltender Traumatisierung erlebt werden. Viele Menschen mit schwerer Traumatisierung entwickeln keine klassische PTBS. Das ist ja der Grund, warum es eine neue Diagnose für sie braucht. KPTBS ist nicht einfach nur PTBS mit etwas mehr Symptomen.
Traumatisierende Erlebnisse
Es kann gut sein, dass Menschen mit kPTBS keine Erinnerungen an traumatisierende Ereignisse haben, weil wir dafür Amnesien haben. Wir erleben Symptome, haben aber vielleicht keine Ahnung, warum sie da sind. Oft sind wir in Umständen aufgewachsen, die wir für ‘normal’ halten und die wir nicht als missbräuchlich berichten, weil wir sie nicht als solche erkennen. Und Dinge, die sehr früh in unserem Leben passiert sind, können nicht als eine Geschichte erinnert werden, die wir erzählen können. Mehrere traumatisierende Erlebnisse beschreiben zu müssen, kann manche Menschen mit kPTBS in eine schwierige Situation bringen. Nur weil wir es nicht berichten können, heißt das nicht, dass es nicht passiert ist. Das ist besonders wichtig bei Menschen mit struktureller Dissoziation, die gewöhnlich zur kPTBS Kategorie dazu gehören.
Wiedererleben
Viele Menschen mit kPTBS erleben keine klassischen Flashbacks. Wir waren zum Teil zu jung, als dass das Gehirn eine zusammenhängende Erinnerung hätte zusammen setzen können, die wir wiedererleben könnten. Oder die Erinnerung ist so fragmentiert, dass wir das, was hoch kommt, nicht leicht als Flashback identifizieren können. Die Kriterien erwähnen emotionales und körperliches Leid, das Flashbacks begleitet. Bei einer kPTBS kann das die ganze Erfahrung ausmachen. Wir haben öfter emotionale oder somatische Flashbacks, keine komplexen Erinnerungen. Sowas wird in der Regel als ‘Probleme mit der Emotionsregulation’ oder als Konversionsstörung abgetan. Dabei kann es die hauptsächliche Art von Wiedererleben sein, die Menschen wie wir erleben und wird sehr schnell abgetan als nicht typisch genug für eine PTBS. Menschen mit struktureller Dissoziation können so weit von inneren Anteilen abgetrennt sein, die in Wiedererleben fest stecken, dass sie nicht mal merken, dass es passiert.
Vermeidung
Viele Menschen mit kPTBS vermeiden Dinge mit Trauma-Bezug nicht deutlich. Wir sind so chronisch dissoziiert, dass wir durch die Welt laufen und kaum merken, wenn etwas weh tut. Weil wir dazu neigen, aus dem Bewusstsein dissoziierte Dinge zu reinszenieren, haben wir eine Tendenz, Trigger aufzusuchen und Trauma Situationen zu wiederholen. Das ist bei kPTBS eher klassisch. Es ist als wäre unser innerer Kompass betäubt und verwirrt und wir können Problemsituationen gar nicht gut genug navigieren, um sie zu vermeiden. Wir haben eine enorme Fähigkeit entwickelt, einfach alles auszuhalten und wir laufen mitten in Erinnerungen an Trauma rein, ziehen den Kopf ein, versinken etwas mehr im Nebel und halten das einfach aus, ohne je die Richtung zu ändern oder auszuweichen. Es ist nicht ungewöhnlich, viel zu wenig Vermeidung zu haben, selbst wo es normal wäre und gesunde Menschen einen großen Bogen um die Situation machen würden. Vermeidung ist hier nicht das Grundmuster. Bei der kPTBS ersetzt Dissoziation die Vermeidung als Schlüsselelement.
Hyperarousal
Eine PTBS kommt mir einem vorhersehbaren Muster wo es Menschen ok geht, dann werden sie getriggert, erleben Dysregulation in Form von Hyperarousal und dann finden sie langsam wieder zu einer inneren Balance. Bei einer kPTBS sehen wir Dysregulation, aber die ist eher auch chronisch statt Situations-bezogen und eben nicht chronisches Hyperarousal. Beide Optionen, die in den Kriterien genannt sind, sind Zeichen von Hyperarousal. Wir haben leider oft chronisches Hypoarousal, wo wir so runter gefahren sind, dass wir Bedrohungen gar nicht mehr wirklich wahrnehmen können. Wir sind hypovigilant. Wenn wir erschreckt werden, löst das keine Panik aus sondern mehr Dissoziation. Die Art, wie unsere Dysregulation funktioniert, ist nicht laut und hysterisch, es ist sehr leise und wird leicht fehlgedeutet. Weil wir es hier mit einem PTBS Gedankenkonstrukt zu tun haben, werden wir vielleicht übersehen, selbst wenn wir alle Zeichen von chronischer Dysregulation zeigen. Es ist nur die falsche Art von Dysregulation, um die vorgegebenen Kriterien zu erfüllen.
Wenn wir es mit struktureller Dissoziation zu tun haben, es ist auch möglich, dass gar keine Dysregulation sichtbar wird. Unsere ANPs sehen normal aus, darum geht es ja schließlich. Niemand kann die Stressreaktionen sehen, die innerlich vor sich gehen. Das ist noch eine Stelle, wo es möglich ist, dass Menschen mit der schwersten kPTBS am Ende weggeschickt werden, weil sie sich nicht für PTBS Symptome qualifizieren.
Wenn Komplexe PTBS einfach nur eine schwere Form der PTBS wäre, hätte es keine gesonderte Diagnose gebraucht. Sie unterscheidet sich fundamental von einer PTBS, wenn es darum geht, wie Symptome erlebt werden. Es ist keine PTBS mit mehr Symptomen. Der Begriff ‘Komplex’ soll ausdrücken, dass hier mehr passiert und dass es kompliziert ist. Manche sagen, das Komplexe PTBS eigentlich gar nicht den Begriff PTBS enthalten sollte, sondern besser nur als ‘Komplexe Traumafolgestörung’ bezeichnet werden sollte. Die neuen Kriterien haben zumindest das Potenzial, genau die Leute auszuschließen, für die sie eigentlich gemacht wurden.
Wenn ihr keine Spur von PTBS Symptomen habt und auch keine der Besonderheiten, die sich bei kPTBS zeigen (die sind nicht wahllos sondern sehr spezifisch), aber durchaus Probleme mit Emotionsregulation, Selbstbild und Beziehungen, dann werdet ihr wahrscheinlich mit einer Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Die Kritik an den Kriterien geht nicht so weit zu sagen, dass gar nichts davon nötig wäre.
Ich empfehle euch nicht, eure Ts darüber anzulügen, was ihr erlebt und was nicht. Die müssen wissen, was los ist, um euch richtig helfen zu können. Aber es kann wichtig werden, darauf hinzuweisen, wo die Kriterien nicht ausreichen und ihr eine kPTBS-Variante davon erlebt. Erfahrene Ts werden wissen, dass ihr die Wahrheit sagt und etwas sehr typisches beschreibt. Es wird nur knifflig, wenn ihr an jemanden geratet, die in dem Bereich neu sind und sich zu wörtlich an die Optionen im ICD-11 klammern. Die sind nicht ideal. Wir kommen da aber noch hin. KPTBS überhaupt erst mal im Manual zu haben ist schon ein Etappengewinn. Jetzt braucht es vielleicht nur noch 3 weitere Jahrzehnte, damit die Symptome auch korrekt abgebildet werden…
Eine Diagnose existiert nicht um ihrer selbst willen. Sie soll zur richtigen Behandlung führen. Wie wir gesehen haben, ist kPTBS nicht nur eine Form von ‘besonders schwerer PTBS’. Es ist Zeit, Behandlungsmethoden zu etablieren, die nicht nur ‘besonders schwere PTBS Behandlung’ sind. Menschen kaputt zu konfrontieren, die vielleicht nicht mal klassische Flashbacks und auch keine Vermeidungsmuster haben, ist kein besonders kluger Ansatz. Es geht völlig am Problem vorbei. Das liegt in anderen Symptomgebieten und wird nur durch Exposition nicht gelöst. Wissenschaftliche Studien zu kPTBS sind dünn vertreten, weil Menschen wie wir nicht in ein simples Studien Design rein passen und die Forschung beschämend unter-finanziert ist. Wir brauchen diese Studien trotzdem, um Falschbehandlung zu beenden.
Tanja says
Hallo Theresa. Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich sitze schon den ganzen Tag an Selbsttests und aufarbeiten der einzelnen Kriterien für Borderline und kPTBS, weil meine Therapeutin auf Biegen und Brechen auf Borderline testet. Ich hab kein Borderline. Ich sehe mich null darin. Aber wenn ich über kPTBS lese, fühle ich alles 1 zu 1. Da könnte auch überall mein Name drunter stehen. Und ich hab nicht verstehen können, warum meine Therapeutin mich so sehr versucht mit Borderline zu labeln, obwohl sie selbst sagt, dass es nicht ganz so passt. Das hat mich regelrecht in den Wahnsinn getrieben. Dank deinem Eintrag verstehe ich jetzt, wo das Problem liegt. Verrückt. Vielen Dank.