Obwohl TraumaZeit schon lange vorbei ist, ringen viele Überlebende damit, sich ein Leben zu erschaffe, dass sicher, friedlich und sinngefüllt ist. Es ist ein bisschen als wären wir verhext. Wir beginnen mit guten Absichten und am Ende stehen wir mit dem Gegenteil von dem da, was wir wollten. Manchmal liegt es daran, dass wir nicht genug Unterstützung oder Ressourcen haben und Hilfe muss durch andere Menschen kommen. Und manchmal ist es etwas, das wir selbst so erschaffen, auch wenn es nicht bewusst oder mutwillig ist. Ich möchte nicht, dass sich jemand beschämt oder beschuldigt fühlt, das ginge am Sinn dieses Artikels vorbei. Ich möchte, dass ihr darüber informiert seid, dass es völlig klassische, unterbewusste Dinge gibt, die wir alle mehr oder weniger oft tun. Die einzige Chance diese Dynamiken zu überwinden, liegt darin, sie zu erkennen, wenn sie passieren, das Trauma Muster dahinter zu verstehen und dann andere Handlungen zu wählen. Dann ist es nicht mehr nur etwas, das uns passiert, sondern wird zu etwas, das wir verstehen und beeinflussen können. Bitte macht beim Lesen eine Pause, falls Scham getriggert wird. Es ist ein eher unangenehmes Thema.
Reinszenierungen
Reinszenierungen sind Situationen, in denen wir Verhaltensweisen oder Dynamiken aus TraumaZeit wiederholen, manchmal mit uns selbst oder inneren Anteilen und manchmal mit anderen Menschen. Es gibt Theorie darüber, warum Menschen das machen. Manche sagen, wir versuchen eine alte Szene zu ‘beenden’, um sie aufzulösen oder um uns zu helfen, ihren Sinn zu erschließen und sie dann zu integrieren. Das Problem ist nur, dass Reinszenierungen in der Regel nicht zu einer Lösung oder Integration führen. Sie sind nur Wiederholungen. Andere Theorien sagen, dass man unter allen Möglichkeiten immer die auswählt, die einem am bekanntesten vorkommt. Selbst wenn es dann um Trauma geht. Oder dass wir nur Beziehungswerkzeuge aus TraumaZeit kennen und wir damit quasi zwangsläufig nur Szenen wie zu TraumaZeit erschaffen können. Es wird noch verwirrender, wenn Amnesien und DIS dazu kommen, weil uns oft gar nicht klar ist, dass das, was wir erschaffen, Teil unserer eigenen Geschichte ist.
Veranschaulichung
Meine liebste Art Reinszenierungen bei DIS zu verstehen kommt von Chefetz, der eine Anekdote von einem Mann erzählt, der eine Form von Amnesie hat, bei der man sofort wieder vergisst, was man gerade erlebt hat. Das ist keine wissenschaftliche Erklärung, aber eine gute Veranschaulichung des Problems. In diesem medizinischen Beispiel bekommt der Patient einen Anruf. Seine Tante ist im Krankenhaus und es geht ihr nicht gut. Nach dem Gespräch vergisst der Patient alles, was er eben gehört hat. Aber einige Minuten später fragt er, ob er seine Tante anrufen kann. Er hat das dringende Gefühl, dass er sie fragen sollte, wie es ihr geht. Der Patient erinnert sich nicht, aber er hat trotzdem noch einen Handlungsimpuls. Er weiß nicht warum. Wenn wir uns das im Rahmen des BASK Modells anschauen, dann hat er keinen Zugang zu Wissen, Körpergefühl oder Affekten zu dem Telefonanruf. Er erinnert sich nicht mal an sein Verhalten von vor 3 Minuten. Was übrig ist, ist ein Drängen zu handeln.
Bei einer DIS spalten wir vielleicht den größten Teil unseres Erlebens ab, aber es bleibt so etwas wie ein innerer Bauplan einer Szene bzw ein Skript von Verhalten übrig und Impulse, denen wir folgen. Wie die Tante anrufen zu müssen. Nur ist in unserem Fall das innere Drängen oft ernster und wenn wir ihm folgen, enden wir nicht selten in schwierigen Situationen, die auch retraumatisierend sein können. Und wir sind im Nachhinein nicht mal klüger, weil die ursprüngliche Szene so weit aus unserem Bewusstsein entfernt ist, dass wir nicht mal wissen, was wir da tun. Wenn wir uns das anschauen, sieht es nur schlimm aus, aber nicht zwangsläufig bekannt.
Lösungsmöglichkeiten
Der Schlüssel, um das beenden zu können, liegt darin, uns dessen bewusst zu werden. Manchmal können wir zu Anteilen Innen Kontakt aufbauen, die genau wissen, um was es da geht und sie können uns helfen, es zu verstehen. So erfahren wir etwas über den Bauplan oder das Skript, dem wir unbewusst folgen und können das bemerken und in Zukunft andere Entscheidungen treffen.
Wenn der Kontakt noch nicht so gut ist, können wir zumindest so gut es geht eine Landkarte unseres Verhaltens zusammen stellen und von da ausgehend ungefähr schätzen, wie der Bauplan aussieht. Wir folgen unserem Verhalten Schritt für Schritt und achten dabei auf die Geschichte, die wir damit erzählen. Wenn wir das haben, können wir einen Plan entwickeln, wie wir bemerken können, dass wir in dieses Muster rein schlittern. Die Impulse unseres inneren Skripts werden uns sagen, was wir tun sollten und wenn wir uns anders verhalten, wird sich das erst mal verkehrt anfühlen und so, als würden wir etwas falsch machen. Unsere Aufgabe ist, uns trotzdem anders zu verhalten.
Verschiedene Varianten von Reinszenierungen
Manche Reinszenierungen betreffen nur uns oder unsere Anteile. Wir können das Muster erkennen, die Rollen, in die wir abgleiten, wodurch das ausgelöst wurde, vielleicht Phasen, durch die wir gehen usw. Dann können wir eine Stelle finden, an der wir das Skript unterbrechen können und eine neue Geschichte daraus machen. Etwas zu tun, was unserem Impuls ähnlich ist, aber nicht genau gleich, kann schon helfen. Wir können Impulsen auch folgen, aber nur mit 1% Intensität. Solche kleinen Änderungen können schon genug sein, um einen großen Unterschied zu machen. Je früher im Skript wir unser Verhalten umlenken, desto sicherer wird es für uns. Irgendwann reicht ein Realitäts-Check und die Erinnerung, dass die Situation heute eine andere ist.
Manchmal versuchen wir, etwas in einer Beziehung zu reinszenieren, aber unser Gegenüber merkt, dass sich irgendwas verkehrt anfühlt und weigert sich mitzumachen. Das kann wirklich frustrierend sein und zu Konflikten führen, aber es ist gleichzeitig unheimlich hilfreich, ein Feedback zu bekommen. Wenn uns jemand darauf aufmerksam macht, dass irgendwas komisch läuft, können wir einen Schritt zurück treten und untersuchen, was gerade eigentlich passiert. Es braucht von unserer Seite ein bisschen Demut, um uns einzugestehen, dass unser Erleben in der Zeit feststeckt und so eine Untersuchung nötig ist. Die Rückmeldung, dass wir uns seltsam verhalten, kann im ersten Moment zu Scham führen, bevor wir es schaffen, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das ist ok. Niemand wird verurteilt, das passiert bei Trauma. Wir sollten nur rausfinden, wie wir es gelöst bekommen.
Die Lage wird erst wirklich knifflig, wenn unser Gegenüber beginnt, mit uns zusammen etwas zu reinszenieren. Sie werden in unser Skript darüber, wie sich die Geschichte entwickeln muss, mit rein gezogen durch etwas, das man Gegenübertragung nennt, eine der Dynamiken, die es zwischen Menschen gibt. Lehrbücher betonen, dass die mit Menschen mit DIS oft besonders stark ist. Wenn beide Seiten sich so verstricken, braucht es meist die Hilfe einer Person, die darin geschult ist, das zu lösen. Das kann auch in der therapeutischen Beziehung passieren. Ts lernen, wie sie damit umgehen können und sollten auch Supervision nutzen, um sich Hilfe zu holen. Wenn wir es schaffen, Anschuldigungen und die Frage, wer jetzt recht hat und wer nicht, mal ruhen zu lassen und stattdessen neugierig werden, können wir zusammen arbeiten, um rauszufinden, was da passiert ist, wie alles durcheinander gekommen ist und wir können die Beziehung reparieren, indem wir sie wieder erden.
Reinszenierungen sind ein Bereich, der wirklich unschön werden kann. Es ist eins der kniffligen Probleme von Therapie und niemand sollte sich schämen, das nicht alleine repariert zu kriegen.
Ihr könnt mehr triggernde Dinge zu Reinszenierungen bei DIS in Richard Chefetz’s ‘Intensive psychotherapy for persistent dissociative processes’ nachlesen. Das geht um Erfahrungswerte bei der Psychoanalyse als DIS Therapie (als Verfahren eher nicht zu empfehlen, das geht inzwischen auch schneller und sanfter)
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