Dr. Karen Treisman schreibt über die therapeutische Beziehung:
Die Beziehungen sind der Klebstoff und die ‘Magie’, die die Strategien sinnvoll, zielführend und therapeutisch machen. Das stimmt überein mit den Aussagen “Beziehungstrauma erfordert beziehungs-basierte Wiedergutmachung” und “Beziehungs-basierte Wiedergutmachung erfordert sichere Hände, (mit)denkende Köpfe und regulierte Körper“( Im Original: safe hands, thinking minds, regulated bodies). Ohne eine Beziehung, an der man sich fest halten kann, sind die Strategien leer und symbolisch, und sie verlieren ihre Essenz und ihre Absicht.
Die zwischenmenschliche Sicherheit, die Traumatisierte brauchen, lässt sich in diesen drei Dingen zusammenfassen: safe hands, thinking minds, regualted bodies. Wir müssen uns genauer ansehen, was damit gemeint ist, um zu verstehen, warum das ein guter Weg ist, um Beziehungen zu bewerten, und zwar nicht nur die mit Helfenden. Ich verwende die englischen Begriffe, weil die sich nicht so sperrig anfühlen.
Safe Hands
Safe Hands steht für sichere Verhaltensweisen. Es kann wörtlich bedeuten, was Menschen mit ihren Händen tun, da Hände bei jedem körperlichen/sexuellen Missbrauch eine Rolle spielen. Die Art und Weise, wie Menschen uns berühren oder es eben gerade nicht tun, ist wichtig. Auf unerwartete oder schnelle Bewegungen mit den Händen reagieren wir oft mit Angst. Es ist wichtig, zu sehen, zu spüren und zu realisieren, dass die Hände einer anderen Person für uns sicher sind, und das kann nur geschehen, wenn sie es auch wirklich sind.
In einem breiteren Kontext schließt Safe Hands auch andere Handlungen mit ein, wie z. B. unsere Grenzen zu respektieren, uns nicht überwältigenden Herausforderungen auszusetzen oder uns bei Bedarf zu schützen.
Eine Sprache, die keine Trigger enthält, ist wichtig, um Vertrauen zu lernen. Die besten Trauma Ts wissen, wie sie Worte verwenden können, um eine Konfrontation mit Traumainhalten zu vermeiden. Wenn wir in jedem Satz mit einem triggernden Wort rechnen müssen, fühlen wir uns nicht sicher und sind ständig damit beschäftigt, uns zu darauf gefasst zu machen oder halb dissoziiert zu bleiben, um uns zu schützen. Unsichere Sprache steht jeder therapeutischen Intervention im Weg, ohne dass sie irgendeine hilfreiche Wirkung hat. So funktioniert Desensibilisierung nicht. Wenn Ts uns nicht einmal vor ihren eigenen Worten schützen können, wie können wir dann offen mit ihnen sein?
Safe Hands bedeutet auch, sich nicht wie Täter:innen zu verhalten. Mittel wie Gewalt und Zwang, Schuldzuweisungen, Verurteilungen, Isolation oder Bestrafung gehören nicht in einen therapeutischen Rahmen. Das ist besonders wichtig, wenn wir Situationen erleben, in denen wir die Kontrolle verlieren, wie bei Dissoziation oder Flashbacks. Ich sehe oft, dass Zwang und Vorwürfe bei hilflosen Patient:innen angewendet werden, und das ist ein absolutes No-Go. Helfende können Überlebende nicht misshandeln und erwarten, dass sie als sicheres, partnerschaftliche Gegenüber in der Therapie wahrgenommen werden.
Um Safe Hands zu bieten, ist es notwendig, die zwischenmenschliche Verbindung wichtiger zu machen als andere Ziele, damit die Beziehung nicht von Leistung abhängt. Ts müssen spürbar, real und präsent, engagiert und willens sein, um die Vernachlässigung in unserer Vergangenheit auszugleichen. Stellt euch vor, wie es sich anfühlen würde, in der Gegenwart von solchen Safe Hands zu sein, und wie sich das von unseren Erfahrungen mit Vernachlässigung und Missbrauch unterscheidet. Das ist es, was wir in der Therapie brauchen.
Thinking Minds
Ein Thinking Mind ist in der Lage, Informationen und die ganze andere Person jederzeit in Gedanken zu behalten, sowohl während der Interaktion als auch in der Zeit zwischen den Interaktionen.
Die Grundlage vom Thinking Mind sind Ausbildung und Fachwissen. Helfende müssen eine passende Ausbildung haben und wissen, was sie tun. Bei der Behandlung von DIS (übrigens auch in der Körperarbeit) ist spezifisches Fachwissen erforderlich. Ohne die theoretischen Grundlagen werden die Interventionen unwirksam oder sogar unsicher sein. Innere Systeme funktionieren auf eine bestimmte Weise, und es ist notwendig, diese Dynamiken zu verstehen, um anbieten zu können, was “Thinking Mind” dann wirklich bedeutet. Ich hab nicht gezählt, wie oft mir jemand gesagt hat, dass sie “nicht mit Anteilen arbeiten werden”, und dabei übersehen haben, dass sie mit einer Host sprechen, die auch nur ein Anteil ist. Solche Aussagen sind Anzeichen eines winzigen Thinking Mind, die zeigen, dass wir bei einer Person nicht wirklich sicher sind, weil sie die grundlegendsten Dinge darüber, wie wir funktionieren, nicht verstanden hat.
Der Rest des Thinking Mind baut auf diesem Grundverständnis unseres Innenlebens auf. Es bedeutet, uns kennenzulernen, sich an Dinge über uns zu erinnern und dieses Wissen im Denken auf integrierte Weise zusammenzuhalten: Was ist hilfreich, was ist zu vermeiden, welcher Anteil ist welcher und in welchen Handlungssystemen agieren wir, was ist zu erwarten, was ist uns wichtig, was brauchen wir, wo neigen wir dazu, uns zu vernachlässigen, wie denken wir, was glauben wir, persönliche Ressourcen und positive Erfahrungen, die zur Regulation genutzt werden können, Trigger, Themen, die wir eher vermeiden, Beziehungen und innere Dynamiken…
Ein Thinking Mind ist daran interessiert, uns kennen zu lernen und kann sich die meisten dieser Informationen merken, wenn wir miteinander zu tun haben. Wenn wir Dinge immer und immer wieder erklären müssen, verstärkt sich das Gefühl, auseinanderzufallen und verloren zu sein. Ts schaffen es gewöhnlich, ihre normalen Patienten auf diese Weise im Kopf zu behalten, und bei DIS wird es nur noch komplizierter, weil viel mehr vor sich geht und das meiste davon unsichtbar ist. Alle, die gerade nicht Vorne sind, müssen auch im Hinterkopf behalten werden. Deshalb hilft die Kenntnis der theoretischen Grundlagen dabei, systematisch zu lernen und sich an Details zu erinnern. Ein Thinking Mind wächst mit der Zeit und der Erfahrung. Wenn Ts ein integriertes Bild von uns im Kopf behalten können, hilft uns das, uns mehr als zusammengehörig zu fühlen. Man könnte sagen, unsere eigene Integration beginnt im Thinking Mind unserer Therapeut:innen.
Helfende mit einem guten Thinking Mind und der Fähigkeit, es einzusetzen, geben uns das Gefühl, gekannt, gesehen, verstanden, beschützt, umsorgt und verbunden zu sein. Meistens sind wir mit Bezugspersonen aufgewachsen, die nichts von alledem zustande gebracht haben, und die korrigierende Erfahrung, in einem Thinking Mind gehalten zu werden, ist lebensverändernd. Es bedeutet, dass wir real sind und dass wir Jemand sind.
Regulated Bodies
Sobald zwei Menschen miteinander in Kontakt kommen, findet Co-Regulation statt, meist ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Unsere Körper merken, wie reguliert oder dysreguliert der andere ist, und beide Seiten verändern sich ein wenig (oder viel), um sich dem anderen anzupassen. Da wir als Traumatisierte entweder chronisch dysreguliert oder leicht zu dysregulieren sind, brauchen wir jemanden mit einem stärkeren und besser regulierten Nervensystem, damit die Co-Regulation hilft.
Ich hatte schon Helferinnen, die kreidebleich wurden und fast in Ohnmacht gefallen sind oder mit Amnesie dissoziiert sind, wenn ich Dinge erzählt habe, weil ihr Nervensystem in Reaktion auf meine Traumavergangenheit eingeknickt ist. Es ist unnötig zu erwähnen, dass das nicht therapeutisch ist. Unsere Ts müssen in der Lage sein, ihre eigenen Stressreaktionen zu regulieren, wenn sie auftauchen. Es ist normal, dass ihr Stresspegel ein wenig ansteigt, wenn wir gestresst sind. Ts brauchen die nötige Resilienz, um sich selbst zu beruhigen und uns dann mit Co-Regulation zu helfen.
Als Traumatisierte scannen wir ot unbewusst, wie reguliert unsere Ts sind und vergleichen sie mit Täter:innen. Wir haben gelernt, dass Hyperarousal ein Zeichen von Gefahr ist, ebenso wie jemand, der versucht, die eigene Anspannung hinter einem neutralen oder freundlichen Gesicht zu verbergen. Einige von uns sind unglaublich gut darin geworden, zu erkennen, wann Anspannung in einer Situation angemessen ist und wann sie bedeutet, dass jemand versucht, etwas zu verbergen. Es wird zu einem unausgesprochenen Signal der Gefahr, wenn wir merken, dass unsere Ts nicht in der Lage sind, sich selbst zu regulieren.
Manche Ts verstecken sich hinter stillen Gesichtern, weil man ihnen vor Jahrzehnten in der Ausbildung beigebracht hat, keine Emotionen als Reaktion auf unsere Geschichten zu zeigen. Das ist überholt, und heute weiß die Wissenschaft, dass stille oder neutrale Gesichter von Traumatisierten als Zeichen der Gefahr gedeutet werden. Man kann sich vor uns nicht verstecken. Wir können Dysregulationen und emotionale Reaktionen wahrnehmen. Das ist kein Problem, und es wird uns sogar helfen, Vertrauen zu fassen, wenn wir sehen, dass wir bei jemandem eine Reaktion hervorrufen können. Das Wichtigste dabei ist, dass wir unsere Ts dabei beobachten können, wie sie sich selbst regulieren.
Zu wissen, dass sie sich selbst regulieren können, stärkt die therapeutische Beziehung. Wir werden nicht zum Opfer ihrer Dysregulation. Sie werden uns nicht verletzen, weil sie die Kontrolle verlieren. Ein regulierter Körper unterscheidet sie von Täter:innen und ist gleichzeitig die Grundlage für die dringend benötigte Co-Regulation. Um aus der chronischen Dysregulation herauszukommen, brauchen wir das Nervensystem unserer Ts als Anleitung und Maßstab. Regulation lernt man durch Co-Regulation.
Vertrauen
Traumatisierte haben Vertrauensprobleme. Das könnte sogar das größte Problem sein, das wir haben. Es ist so viel einfacher, eine Erinnerung zu bearbeiten, als zu lernen, jemandem zu vertrauen. Safe Hands, Thinking Minds und Regulated Bodies spiegeln wesentliche Fähigkeiten wider, die zusammen eine grundlegend andere Beziehung schaffen als die, die wir mit vernachlässigenden oder missbrauchenden Bezugspersonen hatten. Sich bei jemandem sicher zu fühlen, gekannt zu sein und beschützt zu werden und sich auf die Co-Regulation verlassen zu können, wenn wir verletzlich sind, sind Schlüssel um Vertrauen zu lernen. Das sind alles Dinge, die wir zu Hause nicht bekommen haben.
Das mag nach sehr hohen Ansprüchen klingen, aber es ist wirklich eine Frage der Übung und der Zeit. Es gibt eine tiefere Ebene der korrigierenden Erfahrung innerhalb der Beziehung, die weit über die therapeutischen Werkzeuge und Techniken hinausgeht. Sie spiegelt die Beziehungs-basierte Wiedergutmachung wider, die zur Heilung notwendig ist. In einer Welt, in der Trauma Verarbeitung schnell und effizient sein muss, wird die Heilung unserer Fähigkeit zu vertrauen manchmal übersehen.
Jenseits der Beziehung
Safe Hands, Thinking Minds und Regulated Bodies machen jede Intervention einfacher und effektiver. Therapie findet nicht in einem Beziehungsvakuum statt. Ohne Vertrauen werden wir versuchen, die Situation zu kontrollieren, uns zurück halten oder aus Scham wichtige Details verschweigen. Die Wiederherstellung der Beziehung ist bei weitem nicht das Einzige, was zur Heilung nötig ist. Die Techniken und Werkzeuge sind wichtig, und die Beziehung ist gleichzeitig entscheidender, als man uns glauben machen will, wenn uns die Techniken erklärt werden. Deshalb schauen wir uns diese 3 Säulen an, wenn wir mit Fachleuten zusammenarbeiten. Sie können uns helfen zu versehen, was wir erwarten können und wie wir interagieren wollen.
Niemand ist perfekt, und vor allem ein Thinking Mind hat keine Grenzen, es kann sich ständig weiterentwickeln und wachsen, und das tut er in der Regel auch. Es ist selten, dass man Helfende findet, die in allem gut sind. Wir müssen nur vorsichtig sein, wenn jemand in einem Bereich außergewöhnlich schlecht ist, denn das schränkt auch die Fähigkeiten in anderen Bereichen ein. Wer sich nicht selbst regulieren kann, ist nicht in der Lage, ein Thinking Mind überhaupt einzusetzen. Ohne ausreichendes Fachwissen weiß man vielleicht nicht einmal, welche Art von sicheren Handlungen erforderlich sind. Es ist unmöglich, unsicher zu handeln und gleichzeitig Co-Regulation anzubieten. Ihr könnt dieses Modell als Grundlage für tiefere Arbeit und erfolgreiche Traumatherapie betrachten. Es ist der Standard, an dem professionelle Helfende sich orientieren müssen. Und es kann manchmal helfen, auch unsere Freundschaften in diesem Licht zu betrachten.
BaLuKi says
Wiedermal wunderbar strukturiert, klar und triggerfrei formuliert und aus tief gefühlter und erlebter Erfahrung untermauert. Danke, liebe Theresa, für diesen wie immer wunderbaren, überaus hilfreichen Artikel. Wir können bei jedem Wort nur nicken. Wir sind euch wie immer sehr dankbar!
Nini says
Vielen, vielen Dank für diesen Artikel.
Ich bin nur am Nicken und „Ja, genau so“ sagen. Und wir können erkennen und spüren, wieviel Glück wir mit unserem Therapeuten haben.
Als ich vor fast 4 Jahren bei ihm ankam, hatte ich keine Ahnung, was eigentlich los ist. Und ich weiß gar nicht, ob er eine Trauma Ausbildung hat. Aber er ist mit seinen 70 Jahren sehr weise und sagte mal, er hätte inzwischen fast alles gesehen.
Danke für den tollen Artikel.