Somatic Experiencing ist eine Körper-fokussierte Trauma Therapie Methode, die von Peter Levine entwickelt wurde. Sie beruht auf dem Gedanken, dass Trauma eigentlich größtenteils kein Problem mit Erinnerungen oder Bindung ist. Die Annahme ist, dass Survival Energie, die während einer gefährlichen Situation mobilisiert wurde, sich nicht richtig auflösen konnte (in der Regel, weil wir darin eingeschränkt waren, unseren Körper so zu bewegen, wie der das wollte) und dadurch in unserem Nervensystem ‘stecken geblieben’ ist. Ziel ist es, diese Energie zu lösen und damit wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Somatic Experiencing ist kein einzelnes Werkzeug sondern seine eigene Therapierichtung. Das macht es schwierig, das zufriedenstellend in einem Artikel zu erklären. Wir haben euch seit Jahren immer wieder Werkzeuge aus SE beigebracht und ich werde diese Artikel jeweils verlinken, damit ihr es genauer nachlesen könnt.
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Stabilisierung
SE stützt sich stark auf die Polyvagal Theorie und verwendet die Polyvagale Leiter, um Stressreaktionen zu erklären. In der Stabilisierungsphase lernen wir, wie wir unsere Stressreaktionen erkennen und die als eine normale Reaktion auf Gefahr akzeptieren können. Weil ein felt sense (ein spürbares Gefühl) von Sicherheit der Schlüssel zur Regulation ist, lernen wir, wie wir uns unserer Sicherheit bewusst werden können, indem wir uns umschauen und uns erlauben, richtig zu bemerken, was passiert (und was eben nicht passiert), um natürliche Regulation zu fördern. Stecken wir in chronischer Dysregulation fest (das kann Hyperarousal oder Hypoarousal sein), lernen wir, wie sich unser Stresstoleranzfenster verschoben hat, was wir erwarten können, wenn wir beginnen, besser geerdet zu sein und welche Art von Übungen uns helfen, zu Körperwahrnehmung zurück zu kommen. Zusätzlich entwickeln wir persönliche Ressourcen, die uns bei der Regulation unterstützen.
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Übergeordnete Strategien
Die 2 übergeordneten Strategien in SE sind Titration und Pendulation.
Titration bedeutet, die kleinst-möglichen Schritte zu nehmen, uns zu erlauben, eine Reaktion darauf zu haben und diese Reaktion natürlich abflachen zu lassen, bevor wir den nächsten Schritt gehen.
Pendulation beschreibt die Art, unsere fokussierte Aufmerksamkeit von einer stressigen Erfahrung zu einer Ressource zu bewegen und dann wieder zurück, um damit eine Verarbeitung und Integration dessen zu fördern, was stecken geblieben ist.
Beide Strategien sind für jede Form der Trauma Therapie wichtig und können leicht in andere Therapie Ansätze eingebaut werden. Meine größten Erfolge darin, mich selbst zu coachen, beruhen auf einer präzisen Intuition dafür, beides zusammen zu verwenden, um mich zu regulieren, wenn ich vor Herausforderungen stehe und um anderen Anteilen damit bei der Regulation zu helfen.
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Haupt-Werkzeuge
Regulation kann man in SE auf eine einfache Sequenz runterbrechen. Erst schaffen wir Sicherheit. Dann schauen wir uns um und orientieren uns in Richtung dieser Sicherheit. Dann fügen wir Ressourcen hinzu, die unser Nervensystem weiter darin unterstützen, sich zu regulieren. Es sind immer diese Schritte in dieser Reihenfolge, bis wir es automatisch machen. Hier ist ein detailliertes Beispiel, wo SE Werkzeuge verwendet werden, um eine Freeze Reaktion aufzulösen und dabei die Entwicklung des Körpergefühls zu tracken.
Weil unser Stresstoleranzfenster wahrscheinlich sehr klein ist, können wir daran arbeiten, es zu erweitern. Bei dieser Technik nähern wir uns dem, was uns stresst in einer titrierten Art, nur etwa bei 3% der Intensität oder bis wir bemerken, wie wir beginnen mit Stress zu reagieren. Dann nehmen wir uns Zeit, uns zu regulieren (Pendulation) und machen dann wieder einen winzigen Versuch, uns zu nähern. Mit der Zeit werden wir mehr von dem Stressor verkraften können, weil unser Körper gelernt hat, sich zu regulieren, wenn wir dem begegnen. So gewinnen wir mehr Freiheit im Leben, wenn es um Trigger geht.
Ein weiterer Ansatz, für den SE hauptsächlich bekannt ist, ist einer, um Trauma zu prozessieren, indem alte Energie freigesetzt wird. Man kann damit jede Art von Stress lösen, die stecken geblieben ist und wo wir uns nicht regulieren konnten. Bei diesem Werkzeug nähern wir uns einer Trauma Szene und schauen spezifisch nach den instinktiven Bewegungsimpulsen. Dann treten wir etwas aus der Szene zurück und folgen diesen Impulsen zu bestimmten Bewegungen, entweder in der Vorstellung oder ganz real mit unserem Körper. Das langsam und wiederholt zu tun, hilft dem Gehirn zu bemerken, dass wir die frühere Handlung zu Ende bringen, wie es das immer wollte. Das kann dazu führen, dass die steckengebliebene Energie sich über den Körper löst. Um Überforderung zu vermeiden, machen wir das auch mit Hilfe von Titration und Pendulation.
Eure SE Ts beginnen die schwierigeren Techniken erst mit euch, wenn ihr gute Ressourcen, Grounding Fertigkeiten und Regulations-Fertigkeiten habt.
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Vorteile von SE gegenüber anderen Methoden
SE bringt einem tatsächliche Regulation bei statt nur Skills, die ablenken, wie viele das aus der DBT kennen. Das macht uns unabhängig davon, überall einen Skillkoffer mit hin zu schleppen und uns auf künstliche Stimulation zu verlassen, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Die Grounding Skills sind hier schlicht viel besser geeignet für (k)PTBS und das sehr spezifische Problem von wahrgenommener Gefahr.
Es besteht auch ein ganzes Konzept dafür, wie man aus chronischen Zuständen von Dysregulation raus kommt. Die Art, wie Grounding und Achtsamkeit in PTBS Programmen gelehrt wird, ist vielleicht zu schwer für uns und verursacht zusätzliche Probleme. SE ist sich dessen bewusst und bietet einen sanfteren und machbaren Ansatz.
SE ist dafür geeignet, mit sehr früher Traumatisierung zu arbeiten, wo Erinnerungen nicht in Form einer Geschichte, sondern als Zustände und Wahrnehmungen gespeichert sind. Es ist nicht nötig, genau zu wissen, was uns passiert ist. Wir können die Zustände trotzdem auflösen. Andere Trauma Techniken mit weniger Körper-Fokus stützen sich eher auf erinnerte Geschichten und machen Arbeit mit präverbalen Zuständen sehr schwierig.
Die Werkzeuge verbrauchen sehr viel körperliche Energie, weil es harte Arbeit ist, unseren Körper zu regulieren, aber der Ansatz an sich ist sehr sanft und arbeitet ohne heftige Konfrontationen oder Druck. Die kleinen Schritte machen den Prozess einfacher zu managen und können zu Fortschritten führen, die wir mit anderen Techniken nicht erreichen können. Wir sind danach körperlich erschöpft, aber wir fühlen uns nicht, als wären wir durch die Hölle und wieder zurück geschleift worden, um etwas zu verarbeiten. Das ist ein wirklich großer Vorteil gegenüber anderen Techniken zum Trauma prozessieren, die sich manchmal gewaltsam anfühlen können.
Das macht SE zu einem guten Werkzeug, um mit schwer Traumatisierten zu arbeiten, die starke Stressreaktionen zeigen. Solange wir einen Handlungsimpuls haben, können wir damit arbeiten, ohne uns direkt mit den anderen Elementen der Erinnerung auseinandersetzen zu müssen.
Eine Entlastung findet in der Regel gleich in der Sitzung statt. Wir spüren, wie die Energie sich löst und das kann ein bisschen erschreckend wirken, aber wir spüren auch sofort, wie das zu einem Gefühl von Erleichterung, Freiheit und Frieden führt. Wenn wir nach einer ambulanten Sitzung nach Hause gehen, müssen wir keine großen Schwierigkeiten oder Nachwirkungen erwarten. Wurde der Prozess in der Stunde beendet, dann ist er beendet. Trauer ist immer ein Bestandteil von Integration und wird auch bei SE auftreten. Sie kann sich aber mehr in der Gegenwart geerdet anfühlen.
Ich bin mir sicher, wer in SE ausgebildet ist, findet noch mehr Vorteile. Das sind die Dinge, die mir in 6 Jahren als Patientin besonders aufgefallen sind.
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Grenzen von SE
SE Ts arbeiten gerne mit spontanen Bewegungen, die wir machen, während wir von einer Erfahrung berichten. Sie bitten uns, anzuhalten und die Bewegung bewusst zu wiederholen. Manche Traumatisierte machen keine spontanen Bewegungen. Uns wurde beigebracht, still zu halten und nicht herum zu zappeln. Das macht es extrem viel schwieriger, Handlungsimpulse zu erkennen, die für unsere Arbeit wichtig sein könnten.
Extreme Trauma Erfahrungen führen manchmal zu Zuständen, wo wir keine Bewegungsimpulse mehr haben. Unser Instinkt ist, still zu halten und Dinge geschehen zu lassen, weil wir aufgehört haben, um unser Leben zu kämpfen. Wir vergraben uns tief im Inneren und harren aus. Weil SE direkt auf Lebensenergie setzt, unseren Willen um unser Überleben zu kämpfen und aus der Trauma Situation raus zu kommen, versagt das in Momenten, wo wir den Kontakt zu dieser Lebensenergie abgebrochen haben. Es gibt in dieser Erinnerung nichts, womit man arbeiten könnte.
So wie ich den Umgang mit Emotionen, Überzeugungen oder Beziehungen in SE wahrgenommen habe, ist das nicht besser oder schlechter als mit anderen Techniken. Es gibt nur so viel, was man über den Körper und Stressreaktionen erarbeiten kann. Komplextrauma ist noch ein bisschen mehr als nur Energie, die stecken geblieben ist. SE ist gut darin, uns mit unserer Intuition und Körperweisheit zu verbinden und in schwierigen Situationen mit uns in Verbindung zu bleiben, was wertvoll sein kann, wenn es um Entscheidungen geht. Es hat nur keinen besonderen Vorteil gegenüber anderen Therapietechniken.
Die größte Begrenzung, die mir begegnet ist, liegt im Umgang mit dissoziativen Anteilen.
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Somatic Experiencing und DIS
Es gibt bei SE ein Konzept von ‘Anteilen’, aber es ist eines, wo verschiedene emotionale oder physiologische States einfach Anteil genannt werden, um eine Art Gegenüber zu haben, mit dem wir arbeiten können. Das dient dazu, eine Distanz zu schaffen zu Dingen, die uns besonders viel Angst machen, sodass wir lernen können, wie wir uns dem sicher nähern. Das kann eine wichtige Methode sein, um Toleranz für besonders unheimliche Anteile zu entwickeln, aber viel weiter bringt es uns nicht.
SE hat kein Konzept für Anteile, die gleichzeitig und parallel in unterschiedlichen Stressreaktionen feststecken. Man beobachtet, was jetzt gerade im Körper passiert. Ist die Frontperson ruhig, gibt es nichts zu regulieren. Ich war schon mehrmals in Situationen, wo ein dysregulierter Anteil nach Vorne geswitched ist, angeleitet wurde, sich zu beruhigen und das nicht geklappt hat. Orientierung und Grounding führten nur dazu, dass die Host wieder zurück nach Vorne gekommen ist, der gestresste Anteil im Hintergrund landete und das wurde als erfolgreiche Intervention gewertet. Es kann richtig schwierig werden, nicht-DIS Ts, die mit SE arbeiten, zu erklären, dass eben nicht alles gut ist, weil sich für den Anteil nichts geändert hat. Sie verstehen einfach nicht, wie Anteile nebenher in völlig anderem Erleben stecken können, während die Front reguliert aussieht. Das theoretische Konstrukt, auf dem SE beruht, gibt das nicht her und es existieren auch keine Werkzeuge dafür.
Es gibt auch kein Konzept von Anteilen, das anerkennt, dass wir unsere eigene Ich-Perspektive haben und Eigenschaften, die über unsere Stresszustände hinaus gehen. Wir können uns nicht aus Bedürfniskonflikten und gegensätzlichen Meinungen raus regulieren und es gibt da nichts zum loslassen. Auch hier, keine angemessenen Werkzeuge.
Rein theoretisch könnte man SE nutzen, um mit Trauma Anteilen Trauma Energie aufzulösen, solange diese die gesamte Zeit über Vorne bleiben können und nicht weg-switchen. Das ist erstaunlich schwierig. Anteile bewegen sich für gewöhnlich innerhalb bestimmter Handlungssysteme und nicht in anderen. Wenn unser Körper seinen Stresszustand ändert, kann das automatisch Anteile, die in diesem neuen Zustand funktionieren, nach Vorne holen. So zu arbeiten, ist nicht verlässlich.
Die meisten Werkzeuge zum Trauma prozessieren für DIS laden traumatisierte Anteile ein, co-bewusst zu bleiben, während die Frontperson zwischen ihnen und Ts vermitteln, um an der Erinnerung zu arbeiten. Dieser Ansatz klappt bei SE nicht. Es braucht eine stabile Verbindung zum Körper, man muss tatsächlich richtig im Körper sein, um stecken gebliebene Energie zu lösen. Frontpersonen können die nötigen Bewegungen machen, die inneren Anteile diese auch wahrnehmen und es tut einfach gar nichts. Man fühlt sich nur sehr dumm dabei.
Um das so weit zu kriegen, dass es funktioniert, brauchen wir Blending zwischen dem Frontanteil und dem traumatisierten Anteil. Blending ist eine Technik für weit Fortgeschrittene, die man normalerweise nur spät in der Therapie anwendet, nachdem das schlimmste Trauma verarbeitet ist. Sonst überrollt das nur die Frontperson. Das macht SE zu einer End Game Option im Behandlungsprozess und nicht zu etwas, das uns mit traumatisierten Anteilen einen Vorteil verschafft.
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SE und Esoterik
Die Art und Weise, wie SE Lebensenergie mit Körperweisheit, Intuition, Heilung und alternativen Behandlungsmethoden verbindet, ist unglaublich attraktiv für unwissenschaftliche Hilfepersonen. Auch wenn das auf wissenschaftlichen Ideen beruht und es Studien gibt, findet das richtig viel Anklang bei Leuten mit Interesse an Esoterik, Spiritismus, alternativer ‘Medizin’ uä. Vielleicht können sie ihre Arbeit von ihren Überzeugungen trennen und vielleicht eben nicht. Wenn ihr nach SE Ts schaut, achtet bitte auf deren weitere Qualifikationen. Wenn die sonst mit schamanischen Tänzen arbeiten, pseudo-wissenschaftliche Mittelchen verkaufen, östlichen Mystizismus lehren oder was es da sonst noch für spannende Dinge gibt, und sie mischen das mit SE, dann ist das nicht das, was ihr wollt (es sei denn ihr findet sowas ohnehin cool). Die SE Ausbildung ist lang, gründlich und sicher. Das wird unschön, wenn Leute ihre eigenen Ideen einbringen, wie Heilung für euch funktionieren soll. Die einzigen Male, wo ich in einem SE Setting verletzt wurde, war als man mir ein esoterisches Weltbild aufgedrängt hat.
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Ich habe selbst meine größten Fortschritte mit SE Techniken gemacht. Hier habe ich zum ersten Mal Regulations-Werkzeuge gelernt, die auch wirklich funktionieren und mein Stresstoleranzfenster ausgebaut, sodass ich mehr schwierige Dinge im Leben schaffe. Das bildet das Fundament für die Fähigkeit, andere Anteile durch ihre Dysregulation durch zu begleiten und zu coachen. Die Art wie hier Regulation gelehrt wird, ist besser als in anderen Ansätzen, die ich probiert habe. Das Trauma Prozessieren ist sehr sanft, selbst wenn man mit sehr schlimmen Erinnerungen arbeitet. Für die DIS Behandlung ist es schlicht nicht gedacht und sobald wir mehr als die Frontperson mit in die Therapie bringen, stoßen wir auf Probleme. Ich glaube, es ist ein wichtiger Therapie Ansatz für Hosts, der sie extrem kompetent und stabil darin machen kann, sich um das Leben und ums System zu kümmern. Wenn ihr auf DIS Ts stoßt, die eine SE Ausbildung haben, habt ihr den Jackpot gewonnen. Für sich genommen kann es nur eine unterstützende Therapie bei DIS sein, während wir hauptsächlich mit unseren DIS Spezialist*innen arbeiten.
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Dieser Artikel basiert auf 6 Jahren Zusammenarbeit mit verschiedenen SE Ts, nur einer davon mit einer DIS Ausbildung, und spiegelt meine eigene informierte Erfahrung als Patientin mit DIS wider. Ihr könnt in den Büchern von Peter Levine wie zB Sprache ohne Worte mehr zu dem Ansatz lesen.
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