Täter-loyale Anteile fühlen sich mit Täter*innen oft eng verbunden und haben ihnen gegenüber sehr positive Gefühle wie Liebe, Dankbarkeit, Verehrung usw. Das war früher eine hilfreiche Überlebensstrategie, weil das beschwichtigend wirken kann. Die Bemühungen, in der Gunst dieser Personen zu bleiben, haben uns allen etwas mehr Sicherheit gegeben. Außerdem wurde das Bild, das wir von übergriffigen Personen in unserem Leben haben, aufgeteilt und diese Anteile sind in der Lage, nur das Gute in bestimmten Menschen zu sehen und sich dadurch selbst davon zu überzeugen, dass wir bei denen sicher sind. Wie hätten wir denn sonst damit leben können, dass wir in einem Haushalt mit ihnen wohnen und da nicht weg können oder dass sich sonst niemand für uns einsetzt und unser bestes will.
Bindung aufbauen
Der Umgang mit Täter-loyalen Anteilen kann emotional sehr herausfordernd sein, weil sie eben nur einen winzigen Ausschnitt der Wahrheit kennen und das gerade für die, die viel gelitten haben, wie eine Verleugnung der Gewalt aussehen kann. Ich selbst habe es als hilfreich erlebt, solche Anteile von den traumatisierten Kindanteilen erst einmal zu trennen, und sie mehr zu den Beschützer*innen zu zählen. Dann triggern Innenkinder sich nicht ständig gegenseitig, indem sie den jeweils anderen die Echtheit ihrer Erfahrungen absprechen. Das führt nur zu Störungen ohne dass es zu dem Zeitpunkt einen Nutzen hat.
Im Vordergrund steht oft das Bindungsbedürfnis. Wir können Täter-loyalen Anteilen nicht einfach die Bezugsperson schlecht machen und ausreden und hoffen, dass das klappt. Wenn wir ihnen einfach nur allen zwischenmenschlichen Halt weg nehmen, dann klammern sie sich nur umso mehr daran. Statt dessen braucht es von unserer Seite ein Beziehungsangebot, das tragfähig ist. Das kann bedeuten, dass wir Anteile bereit stellen, die sich geduldig Schwärmereien anhören und diese auch zeitlich begrenzen und loyale Anteile dann in der Außenwelt orientieren und etwas schönes mit ihnen unternehmen. Wir nehmen mal wieder niemandem was weg, sondern fügen so viele Optionen hinzu, dass die Bedeutung der alten Verbindung immer kleiner wird. Alles, was gefühlt und gedacht wird, darf gefühlt und gedacht werden. Es geht nicht ums recht haben, sondern ums lieb haben. Deswegen sollte das nur begleiten, wer das auch kann. Wenn wir das noch nicht in uns haben, braucht es Ts, die uns beistehen und die Aufgabe übernehmen. Täter-loyale Anteile dürfen auch Bedürfnisse haben und solange das nicht gefährlich oder schädlich ist, können wir uns überlegen, wie wir dem Raum geben.
Trösten
Es kann sein, dass sich der Kontaktabbruch zu Täter*innen verzögert, weil diese Anteile länger brauchen und ein Kontaktstopp sich nicht ohne Kooperation durchsetzen lässt. Es kann sehr traurig machen, wenn Kontakt nicht mehr erlaubt ist und da brauchen wir dann die sicheren Beziehungen, die wir Innen aufgebaut haben, um zu trösten und zu halten und ein bisschen ein Gegengewicht zu schaffen zu dem Verlust. Eben weil sie die anderen Seiten dieser Personen nicht kennen, ist es ein echter Verlust und muss betrauert werden, auch wenn andere Anteile das völlig anders wahrnehmen. Hier kann es wichtig sein, eigene innere Orte so zu gestalten, wie es sich eben richtig anfühlt und das kann bedeuten, dass Täter-loyale Anteile sich dort etwas zur Erinnerung hin stellen. So lässt sich das Gedenken räumlich eingrenzen und containen, damit die anderen nicht zu sehr davon getriggert werden. Dieses Bedürfnis wird sich mit mehr Integration verändern.
Weltbild erweitern
Wenn die inneren Beziehungen gefestigt sind, können wir vorsichtig anfangen, mehr Informationen anzubieten, die Puzzleteile zu dem Bild von Täter*innen hinzufügen. Es reicht, das in ganz kleinen Schritten zu tun und nach und nach zu zeigen, dass nicht alles an ihnen gut war. Bei der gemeinsamen Beschäftigung mit generellen Glaubenssätzen, zum Beispiel im Zusammenhang mit bestimmten Verhaltensweisen, die wir versuchen besser zu verstehen, kommt es automatisch immer wieder zu Momenten, in denen Realisation entsteht. Die Wirklichkeit ist ja ganz anders, als ‘die’ gesagt haben. Das wird immer wieder mit dem Gefühl von Verrat verbunden sein und Verrat durch Bindungspersonen ist besonders schlimm und bitter. Es ist wichtig, dass wir uns dann beistehen. Es ist nicht nötig, die betreffenden Personen zusätzlich zu verteufeln oder zu beschimpfen. Uns muss klar sein, dass es immer noch geliebte Menschen sind und gerade Beschimpfungen eher nach hinten los gehen. Aber wir können sanft bestätigen, dass Verrat stattgefunden hat und zusammen sicher gehen, dass die Realität wirklich so ist, wie Anteile das gerade raus gefunden haben. Manchmal googled man da Wahrheiten, die normalen Menschen schon immer klar waren und für uns sind sie ganz neu. Neue Puzzleteile kommen dazu, es findet Synthese statt, wir realisieren Dinge über die Vergangenheit, zu denen wir bis dahin keinen Zugang hatten und das Bild, das von Täter*innen besteht, verändert sich langsam.
Teilen
Wenn die Kapazitäten dafür da sind, kann irgendwann auch ein Austausch mit anderen Innenkindern statt finden, die Leid erlebt haben. Das ist am Anfang noch zu schwer und das kann man dann gar nicht glauben. Aber wenn schon klar geworden ist, dass Bezugspersonen nicht wirklich so gut waren, wie wir das immer dachten, dann kann es Sinn machen, auch traumatisierte Anteile sehr kleine Szenen teilen zu lassen, wie es ihnen ergangen ist. Dadurch fügen wir noch mehr Puzzleteile hinzu und achten genau darauf, dass es nicht zu viel wird. Trotz allem ist es nämlich schwer zu glauben, was die anderen so wissen. Manchmal ist es möglich, innerlich Bilder und Szenen zu teilen, damit auch ankommt, wie es war. Wo sonst immer ein Anteil alle weißen Puzzleteile hatte und andere nur die schwarzen, kann sich das vermischen zu einem graueren Bild von Täter*innen. Wenn es echte gute Erinnerungen gibt, dann profitieren auch traumatisierte Kindanteile davon, von denen zu hören und auch ihr Bild darf etwas grauer werden. Wir integrieren das innere Bild also, indem wir alles an seine Stelle in der Geschichte rücken lassen und es von der Größenordnung neu in Relation stellen. Dann kann auffallen, wie klein das Gute eigentlich war. Das war nicht falsch, aber es war eben nur ein Teil des Ganzen. Solche Prozesse sind immer von Trauer begleitet, weil wir etwas verlieren, wenn wir zulassen, dass sich unser inneres Bild verändert. Wir werden reifer, um den Preis unserer Unwissenheit.
Einflüsse unterbinden
Worauf wir im Prozess besonders achten müssen, ist die Verbindung von Täter-loyalen und Täter-imitierenden Anteilen. Manchmal wird da nämlich Einfluss ausgeübt und zu bestimmtem Verhalten angestiftet. Wir sehen die Täter-imitierenden Anteile dann vielleicht nie selbst, aber ihr Wille wird trotzdem durchgesetzt, weil sie das einen loyalen Mittelsanteil machen lassen. Es wird dann nötig zu verstehen, dass Täter-imitierende Anteile eben nicht die Täter*innen selbst sind und Loyalitäten hier nur reinszeniert werden. Solche Verflechtungen sind nicht immer sofort zu erkennen, aber sie sind oft der Grund, warum wir nicht weiter kommen mit der inneren Arbeit oder bestimmte Verhaltensweisen nicht weniger werden. Es kann nötig sein, das Prinzip vom eigenen inneren Ort zu verwenden, um Anteile von so einem Einfluss zu isolieren und abzuschneiden. Sie können dann erst mal in einem gesonderten Raum Ruhe finden, in dem sie dominante Anteile nicht hören können. Manchmal verändert sich dadurch ihr ganzes Auftreten und wir bekommen ganz anders Zugang. Nur weil wir bestimmte Stimmen Innen selbst nicht hören, bedeutet es eben nicht, dass niemand sonst Einfluss nimmt. Für die betroffenen Anteile ist das oft so normal, dass es ihnen gar nicht einfällt darauf hinzuweisen.
Die Integration solcher Anteile ist eine langfristige Arbeit, die viel Geduld braucht. Wenn wir jenseits der Kapazität konfrontieren, löst das höchstens Verleugnung oder eine Krise aus, die auch lebensgefährlich sein kann. Das kann Jahre dauern und bis in die 2. Phase hinein, weil wir eigentlich erst dort gezielt Erinnerungen teilen und an Loyalitäten arbeiten. Während der Stabilisierung sollte unser erstes Ziel sein, uns aus der Gefahrenzone von Täterkontakt zu holen und Täter-loyale Anteile darin zu unterstützen, sodass das erträglich bleibt.