Oft empfehlen Traumatherapeuten ein Tagebuch zu führen, ganz besonders Menschen, die mit Dissoziation oder DIS zu kämpfen haben. Die große Mehrheit der Patienten erlebt allerdings schwierige Emotionen, Frustration oder Langeweile, wenn sie versuchen zu schreiben und geben es schnell wieder auf.
Der Ratschlag war nicht schlecht. Ein Tagebuch kann helfen bei:
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Grounding
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Reflexion
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Systemarbeit
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emotionaler Regulation
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Gedächtnis Arbeit/ Amnesien
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Dokumentation des Lebens
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einen Ausdruck finden und
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Containment
Man muss nur wissen, wie man es benutzt und wann man welche Art von Schreiben verwendet! Ich schreibe seit 1998 Tagebuch. Hier sind meine Tipps und Tricks, wie es klappen kann.
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Das Tagebuch
Such dir ein Notizbuch aus und benutze es ausschließlich als Tagebuch. Wähle etwas Praktisches, in das man leicht hineinschreiben kann. Entscheide, ob die Seiten lieber liniert, kariert, gepunktet oder weiß sein sollen und welche Größe von Notizbuch du bevorzugst. Wenn es dich motiviert, nimm etwas mit einem schönen Cover, aber investiere nicht in die romantische Idee eines geheimen SchatzTagebuchs. Ein Journal, wie das im Englischen heißt, ist ein Werkzeug in deinem Werkzeugkoffer. Ich benutze seit Jahren schon einfache Spiralblöcke dafür.
Es gibt einige Menschen, die es bevorzugen zu tippen, das ist immer eine Möglichkeit. Stimmenaufnahme sind extrem unpraktisch, um damit zu arbeiten.
Richtlinien
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Rechtschreibung ist egal. Dies ist nicht der Ort für Perfektionismus oder die Grammatik Polizei
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Privat! Nicht einmal dein/e Partner/in sollte es lesen. Wenn du Gedanken teilen möchtest, mach das persönlich. Rede mit den Menschen, die mit dir zusammen wohnen. Lass sie wissen, dass es ein Arbeitsbuch ist, in dem man keine versteckten Wahrheiten über dich entdecken kann, sondern nur ein Ausprobieren von Gedanken, eine Menge davon Dinge, die du selbst gar nicht glaubst. Es gibt dort nichts Wichtiges für sie zu finden. Wenn sie dich besser kennenlernen wollen, dann sollten sie ein Gespräch mit dir anfangen und einfach fragen. So entsteht ein echtes Gefühl von Verbundenheit.
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Übungen können jederzeit unterbrochen werden, du musst sie nicht beenden, wenn sich das nicht hilfreich anfühlt
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schreibe zu jedem Eintrag ein Datum und die Uhrzeit dazu. Das hilft dir orientiert zu bleiben, wenn du es später noch einmal liest oder nach bestimmten Themen oder Tagen suchst
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Lass dir an der Seite Platz für Kommentare. Manche schreiben sogar nur auf jede zweite Seite und lassen eine frei für spätere Reflexion
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Falte Seiten nach innen, die triggerndes Material beinhalten, um sicher zu gehen, dass du es nicht aus Versehen liest, wenn es nicht der richtige Zeitpunkt ist sich darum zu kümmern
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Belohne dich, wenn das Schreiben besonders schwierig war
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Reiße keine Seiten heraus und streiche nichts aus. Das mag in diesem Moment nicht befriedigend sein, aber es ist trotzdem wichtig und es gibt einen Grund, warum du es geschrieben hast. Lass es einfach drin und reflektiere später darüber
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Sei ehrlich und geradeheraus. Du kennst deine Wahrheit, es ist nicht notwendig sie zu beschönigen oder zu dämpfen. Schonungslose Ehrlichkeit führt oft zu größeren Durchbrüchen
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Wähle deine Lieblingssprache zum schreiben, wenn du multilingual bist
Wenn ihr Viele seid, kommt dazu:
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Jeder Anteile darf schreiben. Oder Bilder malen. Wenn jemand schreiben möchte, es aber nicht kann, hilft vielleicht ein anderer Anteil und stellt sicher zu erwähnen, wer sich da geäußert hat.
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Niemand darf das Tagebuch beschädigen oder etwas mit den Worten machen, die andere geschrieben haben
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Urteilt nicht gegenseitig über das, was ihr geschrieben habt, denkt, fühlt usw. Es gibt da nichts zu verurteilen. Es ist einfach, was es ist.
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Triggert andere nicht mutwillig. Markiert Passagen mit einer Triggerwarnung oder faltet die Seite nach innen
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Wenn jemand eine Seite nach innen gefaltet hat, lest das nicht ohne um Erlaubnis zu fragen. Es ist vielleicht noch nicht die Zeit dafür
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Markiert farblich, wer schreibt für mehr Klarheit und Struktur, wenn ihr eure Handschrift nicht auseinander halten könnt. Ihr könntet dafür farbige Stifte zum Schreiben verwenden oder die Absätze an der Seite mit einem Marker markieren.
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Sprecht euch ab wann, warum, wo und wie ihr etwas teilt, was ihr geschrieben habt z.b. mit eurem Therapeuten oder anderen Helfern. Respektiert persönliche Grenzen.
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Ihr könnt mit anderen Anteilen im Tagebuch Gespräche führen, aber ihr müsst nicht. Wenn ihr es tut, könnte es helfen Anteile persönlich anzusprechen.
Wenn Menschen ans Tagebuch schreiben denken, meinen sie meistens freies Schreiben, was die schwierigste Art und Weise ist, mit einem Tagebuch zu arbeiten. Es ist leicht mit den Gedanken ziellos umher zu wandern oder zu tief abzutauchen und in Trauma Inhalten zu enden. Freies Schreiben ist am besten für Zeiten reserviert, in denen wir sicher innerhalb unseres Lernfensters sind. Wenn wir schon kämpfen, braucht es sichere Grenzen und Führung, also strukturierte Tagebuch Übungen.
Umgang mit freiem Schreiben
Dokumentation (für schwere Dissoziation und Amnesien)
Stell dir einen Wecker auf 5 Minuten, damit du nicht verloren gehst, und berichte was du getan/ erlebt hast seit deinem letzten Eintrag. Konzentriere dich auf die Gegenwart und äußere Erlebnisse. Beschreibe achtsam. Beschreibe keine Emotionen oder Gedanken. Versuche nicht Lücken in deinem Gedächtnis zu überspielen, es ist okay. Wiederhole das dreimal am Tag.
Das kann dir helfen, dich mehr in der Gegenwart geerdet zu fühlen, dir Amnesien und Zeiten von Dissoziation bewusst machen, dich erinnern, was früher an dem Tag passiert ist und dein Gefühl von Sicherheit erhöhen. Wenn du schwere Dissoziation erlebst, ist das die einzige Form von freiem Schreiben, die du tun solltest, bis du mehr geerdet bist. Eine strukturierte Übung kann dich besser unterstützen.
Reflexion (zum Sortieren gegenwärtiger Gedanken und Gefühle)
Stell dir einen Wecker auf 15 bis 20 Minuten, damit du die Zeit nicht aus den Augen verlierst. Beginne mit einer Überschrift, einem Thema, einer Frage oder einem Satzanfang, den man beenden kann und kehre immer wieder dahin zurück, um beim Thema zu bleiben. Schreibe auf, was du im gegenwärtigen Moment und in Bezug auf eine gegenwärtige Situation denkst, fühlst und brauchst. Schreibe nicht über Dinge aus der Trauma Zeit. Wenn du fertig bist, lies noch einmal, was du geschrieben hast und mach dir Notizen über Dinge, die du bemerkt hast, unterstreiche Schlüsselsätze, markiere Fragen, für die du noch Antworten brauchst.
Das kann dir beim Grounding und bei emotionaler Regulation helfen, sowie dabei Realitätschecks zu machen, deine Wahlmöglichkeiten zu erforschen oder aktuelle Bedürfnisse zu erkennen. Es kann dir auch einen sicheren Ort bieten dich selbst auszudrücken und mal Dampf abzulassen.
Tresor (Arbeit mit Trauma Inhalten)
[Achtung: das ist kein normales Tagebuch schreiben! Es sollte nicht täglich praktiziert werden. Du solltest dich niemals zwingen das aus irgendeinem Grund zu tun. Du solltest es nicht probieren, wenn du ohnehin schon dissoziierst. Du solltest dieses Werkzeug nicht missbrauchen, um dich selbst emotional zu verletzen oder um dir zu beweisen, dass du es überleben kannst.]
Stell dir einen Timer so ein, dass er alle 5 Minuten klingelt, am besten nimmst du ein Gerät, was man manuell ausschalten muss.
Überleg dir ein Symbol für Hoffnung, Licht, Grounding und die Gegenwart, was du als Anker verwenden kannst und zeichne das in die Mitte und ans Ende jeder Seite. Das kann ich daran erinnern aus deinem Schreiben aufzutauchen und zu atmen, eine kleine Pause zu machen bevor du weiter schreibst. Wenn du dich in deinen Erinnerungen verlierst, stell dir deinen Symbol vor und lass es dich in die Gegenwart zurück führen.
Beschreibe die Traumerinnerung, die dich an diesem Tag belastet. Die größte Erleichterung erfährst du, wenn du die Geschichte so erzählen kannst, dass sie einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Es ist normal, dass Erinnerungen fragmentiert sind und nicht vollständig, schreibe einfach, was du kannst. Benenne die Trigger dieser spezifischen Szene, während du die Geschichte erzählst. Fall nicht in die Erinnerung hinein, beschreibe sie nur wie ein distanzierter Beobachter, ohne zu versuchen etwas auszugraben oder es noch einmal zu erleben. Wenn du willst, kannst du dir vorstellen, dass du diese Szene zusammen mit den dazugehörigen Triggern auf dem Papier festhältst, in der Tinte einschließt. Wenn du fertig bist, falte die Seite nach innen oder nimm sie aus dem Notizbuch heraus, um sie an einem gesonderten Ort zu lagern. Du könntest sie sogar deiner T geben, um sie aufzubewahren. Belohne dich mit extra viel Selbstfürsorge.
Das ist hilfreich, wenn eine bestimmte Erinnerung über den Tag immer wieder getriggert wird und Versuche von Containment nicht ausgereicht haben. Wir schreiben jeden Tag Tagebuch, aber wir benutzen diese Übung nur 2-3 Mal im Jahr.
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Das ist die Art von freiem Schreiben, die ich persönlich praktiziere. Ich entscheide je nach Situation, meinem Level von Grounding, meinen Bedürfnissen und dem Thema, über das ich schreiben möchte. In anderen Situationen ist es das Beste, eine strukturierte Übung zu machen.
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