Die meisten DIS Systeme haben innen einen Goliath. Einen Riesen, stark, gemein, Täter-imitierend, der nach vorne tritt um uns einzuschüchtern und uns den Krieg zu erklären. Oft stehen wir da wie die Israeliten, verängstigt und überzeugt, dass wir verloren sind.
Ich werde euch die 5 Steine vorstellen, die ein David aufheben kann, wenn er einem DIS Goliath gegenüber tritt. Sie werden euch vielleicht überraschen.
Als erstes muss euer David verstehen, dass ihr alle verwirrt seid. Ihr glaubt, dass es da eine Armee von guten Anteilen auf der einen Seite des Schlachtfeldes gibt und eine andere Armee von bösen Anteilen auf der anderen Seite und ihr führt Krieg gegeneinander. Die Wahrheit ist, es steht nur eine einzige Armee auf dem Feld.
Eure Soldaten sind in einer Art Trancezustand gefangen, der durch den Nebel der Dissoziation verursacht wird. Ihr seid nicht mit der Realität verbunden und bekämpft euch deswegen gegenseitig, statt zusammen in eine Richtung zu marschieren, um das Leben zu erobern. In Wahrheit seid ihr Anteile ein und derselben Person. Dieser „Feind“ gehört zu euch. Er mag verwirrt sein, aber das ändert nichts. Ihr glaubt vielleicht, er ist wie euer Peiniger, er glaubt vielleicht selbst, er sei euer Peiniger, aber was ihr glaubt, ist verwirrt. Der Riese gehört zu eurem Team.
Wenn ihr diese grundlegende Wahrheit verstanden habt, werdet ihr auch verstehen, dass es gar nicht in eurem Interesse liegen kann, eure Goliath zu beseitigen. Er ist der stärkste Held in eurem Team. Es wäre unvernünftig ihn zerstören zu wollen. Die 5 „Steine“ die euer David benutzen wird, sind nicht dazu da, irgendwen zu verletzen. Sie dienen dazu, die Verwirrung Schritt für Schritt aufzulösen.
Stein 1: Lob und Ehre
Ich weiß, das klingt verrückt, aber euer David sollte eurem Goliath angstfrei gegenüber treten und ihm sagen wie stark, böse, gefährlich und überaus angsteinflößend er ist, und zwar als ehrliches Lob für die besonderen Fähigkeiten dieses Anteils. Ehre, wem Ehre gebührt und euer Goliath ist wirklich ein großer, fieser Goliath. David sollte ihn dafür ehren. Und David darf kein Urteil darüber fällen, was für einen Einfluss das alles auf den Rest des Systems hat. Er redet mit einem verwirrten Krieger. Er muss ihn zuerst als guten Krieger anerkennen. Euer Goliath akzeptiert euren David dann vielleicht als jemanden auf „seiner Seite“ des Schlachtfeldes. Ein Kamerad im Krieg. Jemand, dem er trauen kann.
Stein 2: Anerkennung und Verständnis
Euer David kann dann einen Schritt weiter gehen und tiefes Verständnis dafür ausdrücken, was Goliath macht und warum. Vielleicht habt ihr alte Regeln gebrochen. Es ist wichtig euch zu zwingen die Regeln zu halten, um euch vor Schaden zu bewahren. Vielleicht habt ihr Schwäche gezeigt und euer Goliath sorgt dafür, dass das nicht wieder passiert. Die Schwachen überleben nicht. Vielleicht habt ihr etwas erzählt, was ihr nicht erzählen dürft und euer Goliath versucht euch aufzuhalten, um euch vor Strafe zu schützen. Euer David sollte Verständnis zeigen für die tieferen Gründe für Goliaths Verhalten und ihm sagen, dass er gute Arbeit leistet. Er beschützt euch wirklich gut, indem er euch durch Gewalt und Einschüchterung in Schach hält. Euer Goliath hat dafür großen Respekt verdient. Das wird die Verbindung zwischen euren David und eurem Goliath stärken. David wird zu einem Bruder im Kampf.
Stein 3: Hinführung zur Gegenwart
Nun ist die Zeit gekommen, wo David Goliath vorsichtig und als Freund erklären kann, dass Zeit vergangen ist und dass die Gegenwart anders aussieht, als das, was er noch kennt. David kann Goliath anleiten durch die Augen des Körpers nach draußen zu sehen, wenn er mutig ist auch in einen Spiegel zu schauen, den Körper anzusehen und wie groß er geworden ist. Die Menschen aus der Vergangenheit sind verschwunden. David führt Goliath aus der Verwirrung in die Gegenwart. Vielleicht zeigt er ihm auch, dass er in dem selben Körper lebt, wie die anderen Anteile. Und dass Verletzung des Körpers bedeutet, alle zu verletzen, auch sich selbst. Goliath wird jetzt einen Freund brauchen. Das sind harte Erkenntnisse. Er wird lernen, dass sein Handeln so nicht mehr benötigt wird. Der Krieg ist vorbei. Ihr habt gewonnen. Es ist nur noch eine Armee übrig.
Stein 4: Neue Freiheit
David bleibt erst mal bei Goliath und zeigt ihm, dass er in dieser neuen Welt, mit neuen Leuten, frei ist zu wählen, was er tun will und wer er sein will. Sein alter Job wird nicht mehr gebraucht. Er hat das sehr gut gemacht, euch in so schwierigen Zeiten zu beschützen. Diese Zeiten sind jetzt vorbei. Die Arbeit ist beendet. Jetzt hält Goliath nichts mehr in der Position, die er mal hatte. Er könnte sich einfach zur Ruhe setzen. Oder er kann eine andere Aufgabe finden. Oft hat ein Goliath seine Aufgabe nicht gerne gemacht. Jetzt könnte er endlich etwas tun, was ihm Spaß macht. Vielleicht kann David ihm etwas vorschlagen oder ihm gezielte Fragen stellen, um herauszufinden, was Goliath lieber machen würde als bestrafen. Jetzt ist er frei das zu tun.
Stein 5: Verbindung mit dem Inneren Team
Wenn das noch nicht passiert ist, wäre das ein guter Zeitpunkt. David kann Goliath mit dem Rest der Armee bekannt machen und Brücken bauen. Vielleicht habt ihr ja auch andere Krieger im Team, die früher miese Jobs gemacht haben und wissen, wie Goliath sich jetzt fühlt. Sie könnten ihn willkommen heißen, ihm alles zeigen, ihn mit eurem Leben bekannt machen und mit der Art, wie ihr Sachen im System regelt. Vergebt eurem verwirrten Krieger. Es braucht etwas Zeit und Mühe, aber ihr könnt Goliath in euer Team integrieren. Ein Goliath ist oft sehr einsam gewesen und das Angebot von Gemeinschaft kann ein großer Motivator sein, sich anders zu verhalten. Und vielleicht wählt er auch den Ruhestand und mischt sich nicht weiter ein. Was auch immer passiert, es wäre gut wenn die Möglichkeit von Verbindung mit dem inneren Team bestehen würde. Das könnte für euch alle heilend sein.
Die ersten 3 Schritte kann man recht zügig gehen. Die letzten beiden brauchen Zeit. Vielleicht passieren sie auch gleichzeitig, nur müssen sie sich entwickeln und wachsen. Wir brauchen gewöhnlich etwa ein Jahr um einen Täter-orientierten Anteil ganz ins Team zu integrieren.
Ich weiß, das macht einem erst mal einen Knoten ins Denken. Unser erster „David“ war ein Therapeut und wir dachten ganz ehrlich, dass er den Verstand verloren hat, als er zum zweiten Stein griff. Inzwischen sind wir diese Schritte mit 4 verschiedenen Anteilen gegangen und es hat mit allen funktioniert, egal wie alt oder in welcher Funktion. Aber es braucht einen David dafür. Jemanden, der eine andere Perspektive einnehmen kann und Vertrauen gewinnen und sich dabei selbst nicht verwirrt, sondern den Anteil ins Heute und in die Freiheit führt. Wenn ihr keinen David in eurem System habt, bittet euren Therapeuten das für euch zu tun.
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Nadeschda Kabanov says
Würden Sie mir bitte auf der Sprünge helfen, wie und in welchen zusammen Hang man dieses anwenden kann.
Ich bin etwas verwirrt.
Es ist sicherlich eine gute Idee einen Feind zu Freund zu machen und das ist auch klar, dass es nicht mit kräftigen Händedruck schnell passieren kann und man gewisse Schritte braucht um zueinander zu finden. Aber das ganze ist mir zu abstrakt um zu verstehen welche Schritte genau zu machen sind. Die Steine sind Meilensteine für mich. Liebe Grüße
Theresa says
Es handelt sich hier nur um einen Blog. Vieles ist schematisch dargestellt und verallgemeinert, um eine grobe Vorstellung zu geben, wie es klappen könnte. Die Arbeit mit Täter-Introjekten sollte in der Therapie statt finden und Therapeut*innen können dann individuell darauf eingehen, was bei bestimmten Kontrollierenden Anteilen der beste Weg ist. Das besteht viel aus den individuellen Verhandlungen in der Therapie, das lässt sich nicht in kleinere allgemeingültige Schritte runter brechen. Genauere Infos (und die sind auch nicht so extrem detailliert, dass sie einem ein echtes 12-Schritte Protokoll geben würden) finden sich in ‘Die Behandlung trauma-basierter Dissoziation’ (Steele, Boon, van der Hart) ‘Die Trauma Trinität 3’ (Nijenhuis) oder ‘Der Feind im Inneren’ (Huber). Therapie ist eine Kunst, die sich nicht in schematische Schritte packen lässt und dieser Blog ist kein Ersatz für die Zusammenarbeit mit Therapeut*innen. Die Lücken schließen sich im Therapiegespräch individuell.