Bei einer DIS erleben wir eine Trennung zwischen Anteilen, die verschiedene Emotionen, Erinnerungen, Fähigkeiten und unterschiedlich viel Bewusstsein für Körperwahrnehmung haben. Es kommt häufig vor, dass diese Anteile Gegensatz-Paare bilden. Einer hat praktisch keine Gefühle, ein anderer dafür zu viele. Ein Anteil erinnert Trauma, ein anderer gar nicht. Vielleicht funktioniert auch jemand in unserem Job und andere können das nicht, weil ihnen die Fähigkeiten dazu fehlen.
In so einem aufgeteilten System haben wir möglicherweise keinen Zugriff auf Inhalte, die nicht zu unserem Bereich gehören. Zu versuchen, zu lernen, Gefühle zu spüren, wenn das ganze Design unseres Systems darauf aufbaut, dass wir es eben nicht tun, kann nervenaufreibend sein und nur begrenzt Erfolg haben. Integrative Strategien sind vielversprechender. Die sehen das System als Ganzes und verstehen, dass wir in irgendeiner Ecke des Systems das Wissen oder die Erfahrung finden, die wir brauchen. Die Aufgabe ist es, den Abstand zu überbrücken und eine zeitlich begrenzte Verbindung herzustellen, sodass wir Zugang zu der Information erhalten. Wir brauchen nichts zu lernen, was jemand von uns schon weiß. Die müssen das nur mit uns teilen.
Unterschied zwischen Kommunikation und Teilen
Teilen geht übers Erzählen hinaus. Wir hören einem anderen Anteil nicht nur zu, wie sie uns ihre eigene Erfahrung erklären. Die Erfahrung durchquert die dissoziative Barriere, sodass wir sie wie unsere eigene spüren können. Sie verliert dabei das Gefühl von ‘nicht-ich’ und wird unser eigenes Erleben. Das kann für den Moment anhalten, in dem wir etwas teilen und es kann auch eine bleibende Erinnerung davon bei uns hinterlassen, wie jemand anderes etwas erlebt hat. Teilen ist komplexer als Erzählen und es braucht dafür innere Verbindung und Kooperation. Es ist außerdem intensiver als Co-Bewusstsein auf dem Level, wo wir uns der selben Dinge in der äußeren Welt bewusst sind und stabile Kommunikation miteinander haben. Ihr solltet das nicht alleine probieren. Macht das in der Therapie. Man unterschätzt die Intensität am Anfang.
Schritte
Als erstes identifizieren wir, welche Art von Information uns fehlt und wer im System die für uns aufbewahrt. Wer kann den Schmerz spüren, den wir der Ärztin beschreiben sollen? Wer hat die Fähigkeit, die wir brauchen? Wer weiß, wie wir über etwas fühlen? Diese Inhalte gehören dem ganzen System, aber sie sind bei einzelnen Anteilen untergebracht. Ohne ein Mindestlevel an Kommunikation und Zusammenarbeit kann Teilen nicht funktionieren.
Dann definieren wir, wie viel mit uns geteilt werden soll. Es ist nicht nötig, alle Erfahrungen und alles Wissen auf einmal zu teilen. Wir begrenzen die Information auf das, was wir brauchen, um die Situation zu managen oder unsere Ziele zu erreichen. So vermeiden wir, mit all den anderen Dingen zusätzlich überfordert zu werden. Manchmal hilft es auch, bestimmte Informationen explizit auszuschließen, wie zB Trauma Erinnerungen.
Werkzeuge fürs Teilen
Manche Systeme haben eine gute Intuition und sie können auf ihre Art ‘spüren’, wie man ein Päckchen von Information von dem Erleben eines Anteils in das Erleben eines anderen verschiebt. Dinge so zu teilen wird natürlicher, je durchlässiger unsere dissoziativen Barrieren werden und wenn wir schon sicheres Co-Bewusstsein haben, können wir einfach unserem Gefühl dafür folgen, wie das geht.
Andere haben es schwerer und dann gibt es Übungen und Tricks, die wir verwenden können, um so einen inneren Austausch zu unterstützen.
Imagination und Gegenstände
Wir können uns vorstellen, dass die Information sich in einem Gegenstand befindet, den wir rüber und ins Erleben eines anderen Anteils schieben. Vielleicht überreichen wir das auch einfach innerlich. Manche ziehen es vor, mit einem tatsächlichen Gegenstand in der äußeren Welt zu arbeiten. Dann sucht sich jeder Anteil eine Hand aus und der Gegenstand, der symbolisch die Information darstellt, wird von einer Hand in die andere bewegt.
Hypnose
Wenn wir mit Ts arbeiten, die in Hypnose ausgebildet sind, können die uns durch einen Prozess führen, wo wir den anderen Anteil treffen und erlauben, dass wir uns in nur einem Erlebensbereich überlappen. Nur die Ecke von ihnen, wo die Information für uns bereit liegt. Wir machen kein vollständiges Blending, sondern mischen nur einen kleinen, streng definierten Bereich von Erleben. Vielleicht kann der Anteil die Information in eine Fingerspitze bewegen und wir berühren und überlappen uns nur da.
Weitere symbolische Handlungen
Nijenhuis schlägt vor, dass jeder Anteil eine Hand übernehmen kann und jeder Finger dann für einen Aspekt von Erleben steht. Einer für Gefühle, einer für Gedanken, einer für Erinnerungen oder Körperwahrnehmungen. Es hilft, wenn man eine leichte Trance erreicht, in der man die symbolische Bedeutung der Finger spüren kann. Um etwas zu teilen, berühren wir den Finger, der die Information beinhaltet, die wir brauchen. Auch hier kann diese in die Fingerspitze bewegt werden, sodass wir zB nicht alle Emotionen teilen, sondern nur die, die gerade gebraucht werden.
EMDR
Bei manchen Systemen reduziert bilaterale Stimulation die dissoziativen Barrieren und macht es einfacher, etwas zu teilen. Augenbewegungen, wechselnde Töne, Klopfen oder Ähnliches kann schon ausreichen, um die Trennung zu überwinden. Das ist eine extrem sensible Angelegenheit, die schnell zur Überforderung führt, wenn wir noch nicht wissen, wie wir auf bilaterale Stimulation reagieren und ihr dürft das nicht alleine probieren. Ich bin selten so strikt in meinen Ansagen, aber hier bin ich es. Wenn ihr keine Erfahrung mit EMDR habt, dann ist es gefährlich, das alleine auszuprobieren.
Bei den EMDR Werkzeugen für DIS gibt es auch eines zum Teilen. Eure Ts lassen euch dann kleine Bildchen von euch und dem zeichnen, was geteilt werden soll, oder auch von euch und dem anderen Anteil. Symbolische Gegenstände können auch hier als Fokus dienen. Dann werdet ihr angeleitet, von einem Bild oder Gegenstand zum anderen zu schauen, um die Integration von beidem zu unterstützen. Ihr dürft das nicht für euch privat verwenden, bis eure EMDR Ts euch das erlauben.
Wann man teilt
Während der Stabilisierungsphase braucht man Teilen eigentlich nur, wenn Kommunikation alleine nicht ausreicht. Das soll die Selbstfürsorge unterstützen, zB um uns zu helfen, Hunger zu spüren, wenn es Zeit ist zu essen, wir uns aber nicht dazu bewegt kriegen, weil wir es eben nicht spüren und es langfristig nie funktioniert, so stark gegen unsere Intuition zu handeln. Es ist notwendig, etwas zu fühlen, um die Motivation zum Handeln aufzubringen. Eine ähnliche Situation kann darin bestehen, dass man uns davon überzeugen muss, dass körperliche Schmerzen eine echte medizinische Behandlung brauchen. Solange wir deren Intensität oder Qualität nicht kennen und nur den Bericht von anderen Anteilen haben, schieben wir das vielleicht zur Seite und halten es nicht für wichtig oder schlimm genug. Wissen, das wir zum Gelingen von Situationen brauchen, kann durch Teilen geschickter zugänglich gemacht werden als über einen Switch. Uns nur zu erzählen, wie etwas funktioniert, ist einfach nicht das gleiche, wie Zugang zum prozeduralen Gedächtnis der benötigten und schon eingeübten Bewegungen.
Für Fortgeschrittene
Später in der Therapie begegnen uns Situationen, wo Anteile in Gegensätze aufgeteilt sind, deren Erfahrungen sich gegenseitig ausschließen. Ein klassisches Beispiel ist ein Täter-loyaler Anteil, der eine ganz andere Sicht auf übergriffige Verwandte hat als ein Trauma Anteil. Ihr komplexes Erleben von Erinnerungen, Emotionen, Gedanken usw ist unterschiedlich und es kann schrecklich schwer sein zu glauben, dass Dinge wirklich so passiert sind, wie der andere Anteil sie berichtet. Der Trauma Anteil hat Probleme zu glauben, dass diese Leute sich manchmal wirklich nett verhalten haben. Und der loyale Anteil ringt damit, zu glauben, dass diese Leute ihnen je wehgetan haben. Indem wir sanft und auf titrierte Art Erfahrungen teilen, können sie miteinander integriert werden. Beides war real, nur nicht gleichzeitig. Diese Personen sind komplex. Sie sind nicht permanent nur die netten Verwandten und sie sind nicht nur immer die Täter*innen.
Diese Art der inneren Arbeit gehört fest in die Phase 2 oder manchmal sogar Phase 3 der Behandlung. Wenn es keine schwerwiegenden Probleme mit der Sicherheit gibt, weil Anteile nicht verstehen, dass bestimmte Kontakte gefährlich sind, dann ist es die Mühe früher nicht wirklich wert. Uns durchs Teilen durch zu regulieren, ist nicht einfach. Das ist insgesamt kein einfaches Werkzeug und es ist nicht nötig, solange Kommunikation ausreicht, um unsere Ziele zu erreichen.
Teilen wird mit der Zeit natürlicher, wenn das System zunehmend integriert ist. Irgendwann sind die dissoziativen Barrieren nicht mehr so solide wie sie mal waren und Teilen wird so einfach, wie uns bei der Mitbewohnerin ein Shirt ausleihen. Wenn das schon von Anfang an klappt, haben wir wahrscheinlich keine DIS. Um funktionale Multiplizität zu erreichen, sollte es normaler und einfacher werden. Wer auf Fusion hinarbeitet, lernt, noch einen Schritt darüber hinauszugehen und mit Blending zu experimentieren, wo wir mehr Bereiche von Erleben mit anderen Anteilen teilen.