Ich fühle mich etwas unwohl damit meine Yoga Erfahrungen mit euch zu teilen, weil mir sehr bewusst ist, dass Menschen unterschiedlich sind und die Art wie wir auf Yoga reagieren sich dramatisch unterscheiden kann. Eure Trauma Erfahrungen sind anders als meine und so wird Heilung auch immer anders aussehen. Ich möchte, dass ihr euch bewusst seid, dass hier jeder seine eigene Wahrheit erlebt und ich nur meine teile, aber das muss für euch gar nichts bedeuten.
Ich werde meine Erfahrungen trotzdem teilen, weil ich von Anderen gelernt habe und es mir hat geholfen zu wissen, dass ich nicht alleine bin, wie andere zurecht kommen, ihre Tipps&Tricks. Insbesondere weil ich trauma-sensitives Yoga zuhause übe, war mir das sehr wertvoll.
Ich selbst praktiziere Yoga auf englisch und bin etwas unsicher, ob ich die Posen auf deutsch immer korrekt benenne, deswegen hab ich euch die Bezeichnung in sanskrit jeweils dahinter geschrieben. So findet ihr das zuverlässiger, wenn ihr eure eigenen Nachforschungen anstellt.
Eine Reise
Ich praktiziere trauma-sensitives Yoga seit 2014, als ich zum ersten Mal mit der Idee von achtsamem Yoga in Berührung gekommen bin. Was ich heute tue, unterscheidet sich von dem, was ich am Anfang getan habe. Ich habe meine Übungen über die Zeit hinweg meinen Bedürfnissen und Herausforderungen angepasst. Yoga kann in jeder Phase der Therapie helfen, wenn wir zulassen, dass sich unsere Praxis verändert.
Der Anfang
Als ich angefangen habe Yoga zu üben, hatte ich Schwierigkeiten meinen Körper überhaupt wahrzunehmen. Meine Beine sind regelmäßig und auch für längere Zeiträume aus meiner bewussten Wahrnehmung verschwunden. Ich war mir meiner Körpermitte kaum bewusst und die Beckenregion gab es in meinem Erleben gar nicht. Oft habe ich mich gefühlt, als wäre ich nur Augen (und manchmal Hände).
Ich habe Yoga als eine Achtsamkeitsübung angefangen, mit sehr wenigen Posen, die alle statisch und nahe am Boden waren. Ich hab mich in eine Haltung begeben, so gut ich das konnte und versucht die Stelle zu spüren, wo Muskeln gedehnt werden. So habe ich gelernt bei einem einzelnen Körperteil zu bleiben, ohne die Erfahrung zu dissoziieren. Als das möglich war, habe ich versucht „in die Dehnung rein zu atmen“ um die Erfahrung zu intensivieren. Ich bin nah am Boden geblieben, weil meine Körperwahrnehmung so niedrig war, dass ich oft Angst hatte zu fallen und ich habe mich mit viel Bodenkontakt besser geerdet gefühlt.
Das mag vielleicht leicht klingen, ist es aber nicht. Das ist eine echte Herausforderung, wenn man eine Phobie vor dem eigenen Körper hat.
Posen, die ich zu dieser Zeit verwendet habe
- Tisch
- Katze (Marjaryasana) (und Kuh/Bitilasana, aber das ist schon eine öffnende Pose)
- Kindhaltung (Balasana)
- Oberkörperdrehung (Matsyendrasana)
- Taube, ein Bein (Eka Pada Rajakapotasana
- Knie-Umarmung (Apanasana)
- Vorwärtsbeuge sitzend (Paschimottanasana)
- Stockhaltung (Dandasana)
- tiefer Ausfallschritt (Anjaneyasana)
- Kopf-an-Knie Haltung (Janu Sirsasana)
Später habe ich öffnende Posen hinzugefügt, wie
- Kobra (Bhujangasan)
- Kamel (Ustrasana)
- Fisch (Matsyasana)
- Brücke (Setu Bandha Sarvangasana)
- Schmetterling ((Supta) Baddha Konasana)
- Seitenwinkel (Parsvakonasana)
Öffnende Pose erhöhen den Schwierigkeitsgrad, weil sie uns dazu bringen unsere Schutzhaltung aufzugeben und verletzliche Stellen zu öffnen. Die Erfahrung, dass dadurch nichts schlimmes passiert war sehr heilsam.
Ich habe jede Übungseinheit mit der Totenstellung (Savasana) beendet, eine Gelegenheit den Körper völlig zu entspannen, sich vom Boden tragen zu lassen und geerdet zu sein. Entspannung kann sehr herausfordernd sein und sich erst mal gar nicht sicher anfühlen. Auch nach 4 Jahren fordert es mich, weil es bedeutet eine Weile nicht wachsam zu sein.
Posen, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal probiert habe, waren alle, die vorhersehbar triggern, wie der nach unten schauende Hund, halbe Vorwärtsbeuge, glückliches Baby, Welpenhaltung oder den Bogen. Trauma-sensitives Yoga soll keine Triggerparty sein, es braucht Zeit, um sich schwierigeren Posen anzunähern. Es ist nicht weise dort zu beginnen. Ich habe auch Posen vermieden, die die Aufmerksamkeit sehr auf die Beckenregion gezogen haben (für mich betraf das auch die Krieger Haltung (Virabhadrasana I), weil ich dazu einfach noch nicht bereit war.
Standfest werden
Bis hier hin hatte ich hauptsächlich im sitzen oder liegen geübt. Als nächstes habe ich stehende Posen mit aufgenommen und ich hatte sehr damit zu kämpfen. Selbst bei einer einfachen Berghaltung habe ich mühsam nach Luft geschnappt und konnte das nicht lange durchhalten. Ich habe gelernt mich nicht zu verurteilen. Die Berghaltung ist im Prinzip achtsames gerade stehen. Ich hätte mich selbst herabwürdigen können, dass mir das Probleme bereitet oder bei meinem Erleben bleiben und einfach im Moment da sein. Bis heute bin ich mir nicht sicher, was an stehenden Posen so schwierig war. Am ehesten wohl, dass sie ein Bewusstsein für den ganzen Körper benötigen, statt dass ich mich auf einen Teil konzentrieren kann, der gedehnt wird. Der Gedanke „Orte zu finden zum Heben und Orte zum Erden“ hat mir da geholfen. Ich hab gelernt bei meinem ganzen Körper gleichzeitig zu bleiben und mein Zentrum zu finden. Zentriert sein ist zu schwer zu erklären, aber es spielt eine große Rolle in vielen stehenden Posen.
Posen, die ich dazu genommen habe waren
- Berg (Tadasana)
- Krieger (Virabhadrasana)
- Dreieck (Trikonasana) ,
- Vorwärtsbeuge stehend (Padangusthasana
- Baum(Vrksasana)
- Stuhl(Utkatasana)
- Ausfallschritt
Meine Probleme mit dem Atem haben mich dazu gebracht während der Bewegungen mehr auf den Atem zu achten.
Flow
Ich habe angefangen zu verstehen, dass Yoga einen Rhythmus hat und ich mich im Einklang mit meinem Körper und Atem bewegen kann. Mit einem wachsenden Bewusstsein für den Atem fiel mir auf, dass die Übergänge zwischen den Posen kein leerer Raum sind, das ist auch Yoga und kann achtsam wahrgenommen werden. Meine Yoga Routine wurde immer weniger statisch und eher fließend, von einer Pose in die nächste wechselnd in einem flow Erleben. Das hat mir geholfen meine durch die Dissoziation oft strikt unterteilten Gedankenmuster besser zu verbinden und hat mich herausgefordert für längere Zeitabschnitte präsent zu sein, statt während eines Übergangs meine Wahrnehmung abzuschalten. Das hatte großen Einfluss auf meinen Alltag und meine Fähigkeit von einer Aufgabe zur nächsten zu wechseln und präsent zu bleiben.
Ich habe begonnen Abfolgen von Yoga Posen wie den Sonnengruß (Surya Namaskar) zu verwenden, die eng mit dem Atem verbunden sind und das ist etwas, was ich heute nutze, wenn ich getriggert bin, um mich selbst zu beruhigen.
Yoga begann auch ein Werkzeug für Entspannung zu werden und nicht nur eine Herausforderung. Zu diesem Zeitpunkt hab ich mich sicher genug gefühlt auch den nach unten schauenden Hund (Adho Mukha Svanasana) und die halbe Vorwärtsbeuge (Uttanasana) mit aufzunehmen.
Fortgeschritten
Ich wurde recht gut darin bei meinem Körper zu bleiben, auch wenn er sich etwas unangenehm anfühlt und habe Sicherheit gefunden in den Posen, die ich bisher gemeistert hatte. Das neue Gefühl von Sicherheit in meinem Körper und die Selbstwirksamkeit, die sich über die Zeit entwickelt hat, machten es mir möglich Yoga tiefer zu erforschen, neue Posen und Variationen auszuprobieren. Ich wusste, dass ich jeder Zeit aufhören kann und es hat sich wie ein Abenteuer angefühlt Neues zu probieren. Das erste Mal, als ich die Krähe (Bakasana) geschafft habe, saß ich danach minutenlang lachend da, stolz und erstaunt, dass ich das wirklich getan habe, wenn auch nur für einige Sekunden. Der Einfluss von Yoga zeigte sich inzwischen deutlich in meinem Selbstwert.
Mit Sorgfalt und sehr viel Sanftheit begann ich auch Posen zu erforschen, die aufgrund ihres Trigger-Potenzial schwierig waren. Mir war klar, dass ich präsent und orientiert bleiben musste, aber ich habe das glückliche Baby (Ananda Balasana), die Welpenhaltung (Shishosana) und am Ende sogar den Bogen (Dhanurasana) probiert. Das war nicht angenehm, aber es war auch nicht gefährlich. Es ist nichts schlimmes passiert. Ich übe immer noch, wann immer es ein guter Zeitpunkt scheint und die Posen werden einfacher zu halten. Baby und Welpe klappen schon ohne negative Gefühle. Der Bogen braucht noch etwas Zeit. Das ist wie Phase 2 Arbeit, Exposition von Trauma Haltungen. Das ist definitiv nicht für Anfänger.
Inzwischen schließe ich bei manchen Posen die Augen. Mit wird auch bewusster, wo ich mich verspanne und ich kann es so auch ändern und lernen mich mit mehr Leichtigkeit zu bewegen. Das ist sehr fortgeschritten für jemanden mit viel Hypervigilanz.
Zu Triggern
Ich habe immer aufgepasst in Raum und Zeit orientiert zu sein, bevor ich mit dem Yoga begonnen habe. Ich persönlich habe wenige volle Flashbacks erlebt. Da sind immer wieder sensorische Flashbacks, wenn sich der Körper erinnert. Für mich ist es am hilfreichsten dann tief zu atmen und an Grounding zu arbeiten. Das hält selten länger an. Ich habe auch erlebt, wie sich Emotionen gelöst haben, die quasi in meinen Verspannungen „festgesteckt“ haben. Menschen, die Yoga praktizieren (und bei weitem nicht nur Traumatisierte!) erleben manchmal, dass sie einfach losheulen ohne so recht zu wissen warum. Das ist mir mehrmals passiert und ich habe es als sehr befreiend wahrgenommen. Yoga hilft mir oft besser in Kontakt zu sein mit Gefühlen, die ich sonst dissoziiere.
Yoga mit einem dissoziativen System
Bisher hatten wir Yoga nicht als System praktiziert, die ANPs hatten sich abgewechselt. Mit steigendem Co-Bewusstsein haben sich auch andere Anteile dafür interessiert und wir haben eine co-bewusste Yoga Praxis begonnen, wo ein EP dazu kommt und versucht den Körper mit zu spüren, während wir durch die Bewegungen gehen und der ANP versucht nicht zu schnell zu machen, um niemanden zu verlieren. Das bedeutet nicht nur beim Körper zu bleiben, sondern dabei gleichzeitig auch zusammen zu bleiben. Das schafft eine tiefere Erfahrung und vielleicht bedeutet es, dass man erst mal zum Anfang zurück muss, versuchen in einer Pose zusammen zu bleiben, bei einem Körperteil, bevor es weiter geht. Mit der Zeit können mehr Anteile dazu kommen.
Uns ist aufgefallen, dass es schwer ist Balance Posen wie Baum, Tänzerin (Natarajasana) oder Krieger III (Virabhadrasana III) zu halten, wenn co-bewusste Anteile abgelenkt oder anderswo beschäftigt sind. Für gute Balance müssen wir uns in Einheit mit unserem Atem und unseren Anteilen bewegen, wir müssen als System zentriert sein. Um unsere co-bewussten Yoga Übungen zu verbessern, fangen wir mit einer Achtsamkeits Meditation im Schneidersitz an, wo wir uns über dem Atem sammeln und verbinden (pranayama).
Zu diesem Zeitpunkt haben wir begonnen uns mit den Atemtechniken im Yoga vertraut zumachen. Für uns bedeutet siegreiche Atmung (Ujjayi pranayama) einen starken Stressabbau, wir kommen mit vorsichtigem Atem-Halten (Kumbhaka Pranayama) und reinigendem/wechsel Atem (Nadi Shodhana Pranayama) zurecht, während Schädelleuchten (Kapalabhati Pranayama) zu einem erheblichen Anstieg der Anspannung führt und von uns gar nicht verwendet wird. Selbst wenn wir uns nur in die entsprechende Haltung (Sukhasana) begeben und achtsam atmen, hilft uns das jetzt, besser miteinander verbunden zu sein, wie eine konditionierte Haltung.
Yoga kann man übersetzen als „verbindend“ oder „vereinigend“. Es hilft uns unsere physischen Erfahrungen besser zu integrieren, aber auch unsere inneren Anteile.
Ich hoffe, das hilft euch etwas besser einzuschätzen, wo ihr gerade steht und wie ihr an trauma-sensitives Yoga ran gehen könntet. Passt immer gut auf euch auf und findet heraus, was sich für euch gut anfühlt. Eure Reise sieht vielleicht ganz anders aus, vielleicht merkt ihr auch, dass das alles nichts für euch ist. Wenn das der Fall ist, könnt ihr euch nach anderen Möglichkeiten für Körperarbeit umsehen.
Bitte bedenkt, dass wir für das alles 4 ½ Jahre Übung gebraucht haben. Yoga braucht seine Zeit, um in der Traumaheilung wirksam zu sein. Das kann man nicht pushen.
Ich bin hier um Fragen zu beantworten. Schreibt sie einfach unten in die Kommentare.
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Jess says
ich habe mir mit großem Interesse einige Deiner Artikel durchgelesen und bin jetzt beim Yoga gelandet.
An dieser Stelle möchte ich Dir aufrichtig danken für Deine Tipps und wirklich schöne Sprache und Bilder.
Ich habe letztes Jahr mit Yoga via youtube begonnen und einen feinen Kanal entdeckt – Mady Morrison – und mir ein paar Videos auf mein phone geladen, um auch ohne Netz Yoga machen zu können.
Ich lese und sehe viel auf Englisch, habe mich aber gefreut, Madys Kanal und damit Yoga auf Deutsch gefunden zu haben.
Ich habe letztens gerade darüber nachgedacht, ob es Yoga für Trauma Geplagte gibt. Meine Nachbarin macht gerade eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin, ich wollte sie schon fragen, ob sie davon gehört hat und ob sie Interesse daran hätte, sich damit zu beschäftigen.
Umso mehr habe ich mich gerade gefreut, hier auf Deiner Seite darüber zu lesen.
Dass bestimmte Haltungen triggern, habe ich nämlich auch schon bemerkt.
Tatsächlich mache ich seit letztem Frühjahr die Erfahrung, dass mensch gut daran ist, viel in Eigenregie zu recherchieren und Möglichkeiten für die Selbstfürsorge zu finden und umzusetzen.
Vielen Dank also nochmal, Du hast mit mir eine neue und wissensdurstige Leserin “gefunden”.
Herzliche Grüße. Jess
Theresa says
Du kannst Infos zur Ausbildung und eine Liste mit Anbieter*innen hier finden http://www.traumasensiblesyoga.de