TRE steht für Tension und Trauma Release Exercises, also Übungen zum Loslassen von Anspannung und Trauma. Es ist eine neue Methode um Stress abzubauen, die mit dem Körper arbeitet. Um zu verstehen warum und wie TRE funktioniert, müssen wir uns unsere Physiologie anschauen, und eine Eisbären.
Theorie
Bei Säugetieren finden wir eine natürliche Reaktion auf extremen Stress, der sie davon bewahrt, traumatisiert zu werden. Sie beginnen zu zittern und zu zucken und bauen so Energie ab, die sich im Körper angestaut hat, als sie ruhig gestellt wurden. Es sieht so aus, als hätten sie so etwas wie einen Krampfanfall, aber wenn wir genauer hinschauen, dann erkennen wir ein Muster in den Bewegungen, die typisches flight/fight Verhalten zeigen und man geht davon aus, dass sie die sympathischen Aktionen beenden, die unterdrückt worden waren. Ein berühmtes Beispiel dafür ist ein Eisbär, der von Wissenschaftlern gejagt und betäubt wurde. Beim aufwachen zeigt er dieses klassische Muster von Pfoten, die sich bewegen wie beim Rennen und brüllen wie in einer Fight Reaktion und zuletzt tiefem Durchatmen. Er steht wieder auf ,ohne dass es bleibende Schäden verursacht hätte, nachdem er diese Sequenz beenden konnte. (Ihr findet das englische Video hier, bitte beachtet, dass es etwas triggern könnte.)
Wir können oft eine physiologische Reaktion bei unserem Körper beobachten, wenn Trauma prozessiert wird, nicht nur durch Körperarbeit. Menschen zittern vielleicht oder zeigen motorische Muster, die auf wegrennen oder sich wehren bei einem Angriff hindeuten. Wir prozessieren das Trauma auf allen Ebenen und der Körper setzt diese Energie auch frei.
Umsetzung in TRE
Das führte zu der Idee, dass man den Körper auch dazu bringen kann so zu zucken oder zu zittern und das könnte dann helfen, die Anspannung in den Muskeln und das Trauma, was im Körper stecken geblieben ist, abzubauen. TRE war geboren.
In TRE macht man bestimmte Übungen, die dazu dienen die Muskeln auszubrennen. Dann nimmt man eine bestimmte liegende Position ein, die dazu führt, dass Muskeln zucken, ganz ähnlich wie wir das bei dem Eisbären gesehen haben. Das Zucken kann jederzeit unterbrochen werden, indem man die Beine in eine andere Position bringt. Teilnehmer werden gewöhnlich etwa 20 Minuten in diesem Erleben belassen und berichten oft, dass sie sich danach viel entspannter und allgemein besser fühlen. (Ich verlinke hier kein Video, weil ich die sehr triggernd finde, aber ihr findet das leicht auf YouTube, wenn ihr Interesse habt.)
TRE wird in Gruppen oder Einzeln praktiziert und wird beworben als etwas, was man auch zu Hause anwenden kann. Es soll bei allen möglichen stressbedingten Problemen helfen und PTBS behandeln. Es besteht eine Warnung für Menschen mit komplexer Traumatisierung, sich bitte Einzeltermine bei professionell ausgebildeten TRE Therapeuten zu holen.
Ein persönlicher Kommentar
Die körperlichen Übungen, die bei TRE vorgeschlagen werden, sind sehr stressig für den Körper, wenn ihr also Rückenprobleme oder ähnliches habt, könntet ihr euch dabei verletzen. Redet erst mal mit eurem Arzt, bevor ihr das probiert.
Ich sehe immer wieder die Tendenz, dass versucht wird Trauma Behandlungsverfahren so zu gestalten, dass die Unterstützung eines helfenden Anderen dabei wegfällt. „Relational trauma requires relational repair“ (Treisman). Wir können nicht in einem Raum heilen, der unabhängig ist von einem co-regulierenden Anderen und der spürbaren Sicherheit in der Beziehung. Der Gedanke, dass man so etwas alleine zu Hause machen könnte, sollte völlig ausgeschlossen werden.
Ich denke, dass TRE vielleicht eine Intervention ist, die helfen kann akuten sympathischen Stress los zu werden, bevor der ‘chronisch’ und zur PTBS wird. Insbesondere bei Katastrophen oder Ersthelfern scheint mit das eine gute Methode, vielen Menschen auf einmal dabei zu helfen, die Anspannung im Körper los zu lassen. Es scheint auch eine adäquate Herangehensweise, um Anspannung von alltäglichem Stress oder Ängstlichkeit abzugeben.
Es gibt viele Berichte, dass diese Technik Menschen mit PTBS geholfen hat und es gibt eine erschreckend große Menge von Menschen, die berichten, dass es sie retraumatisiert hat. Der Unterschied zwischen diesen Personengruppen ist, dass die, die retraumatisiert wurden, eine komplexere Lebensgeschichte haben, als ein einzelnes Schock-trauma und/oder während des Prozesses dissoziiert waren. Die liegende Position und das Zucken kann triggern, die Leute werden von Erinnerungen überflutet, ihr Nervensystem hat nicht die Kapazität damit umzugehen, sie sind unfähig sich aus der Position raus zu bewegen, um das Zucken zu stoppen und erleben einen weiteren Kontrollverlust. Deswegen empfehle ich das nicht mal in der Gruppe zu probieren. Jemand muss uns im Blick behalten, und zwar jemand, die geschult ist zu erkennen, wenn etwas schief läuft und weiß wie man einschreitet. Aber wer kann genau sagen, ob das jetzt eine Abreaktion ist oder das TRE Zucken? Hoch-dissoziative Menschen sollten das überhaupt nicht probieren.
Besondere Probleme, die es bei der dissoziierten Abspeicherung von Trauma bei DIS gibt, werden gar nicht berücksichtigt. Was auch immer mit dem Körper passiert, führt nicht zu einer Erleichterung bei anderen Anteilen. Es ist der selbe Körper, aber es ist ein sehr unterschiedlicher Körper, je nachdem wer Vorne ist. TRE alleine wird bei Trauma in einer DIS nicht helfen.
Fundamentale Probleme im Ansatz
Ich hatte das Privileg zu erleben wie es ist, wenn traumatische Anspannung auf natürlichem Weg vom Körper frei gegeben wird, sowohl in Standardverfahren wie EMDR als auch in der Körperarbeit und das lässt mich stark daran zweifeln, dass TRE der optimale Weg ist echtes Trauma zu behandeln. Da löst sich Anspannung in den Muskeln, aber das ist völlig unspezifisch. Wir erschaffen künstlich eine Reaktion, die aussieht wie natürliche Trauma Prozesse, aber löst es wirklich mehr, als die Muskelanspannung, die wir an dem Tag spüren? TRE scheint mir hauptsächlich mit Muskeln zu arbeiten und nicht wirklich ans Nervensystem ran zu kommen.
Meiner Erfahrung nach kann echte Auflösung von traumatischer Energie sehr unterschiedlich aussehen. Manchmal ist da Zittern oder Zucken. Manchmal atmet man anders, manchmal schwitzt man plötzlich oder fühlt sich sehr warm , manchmal gibt man Geräusche von sich, manchmal kommt da tiefe Emotion, die man im Körper spürt, manchmal sogar Aggression. Die natürliche Art, wie sich das auflöst, ist sehr spezifisch für das Trauma, was man prozessiert. Das sind sehr spezifische Muster von Bewegungen für diese Situation, um Handlungen durchzuführen, die vorher unterdrückt wurden. Wenn wir Entwicklungstrauma erlebt haben, immer in einer Situation gelebt haben, wo wir weder sicher noch wertgeschätzt waren, dann gibt es zu der Auflösung meist gar kein motorisches Muster. Es ist nicht das Zittern und Zucken an sich, was Trauma freisetzt, der Prozess ist viel komplexer.
Unter somatisch arbeitenden Traumatherapeuten ist es ein no-go den Körper in etwas rein zu pushen, was er nicht natürlich macht. Der Grundgedanke von Trauma Körperarbeit ist bei dem zu bleiben, was natürlich passiert, das bewusst zu erleben und es sich entfalten zu lassen. Unser Körper und Nervensystem muss erst Kapazitäten aufbauen, um so eine Erfahrung sicher halten zu können, ohne dabei überrollt zu werden (Mehr) und es gibt Energie frei, wenn es so weit ist. Wenn wir das erzwingen, bevor wir die Kapazitäten dafür haben, werden wir nur ohnmächtig überfordert und das treibt den traumatischen Stress tiefer ins Nervensystem rein.
Da ist ein fundamentaler Fehler in der Idee, dass wir Trauma aus dem Körper ‘los werden’ müssten. Wir müssen Kapazitäten in unserem Nervensystem schaffen, sodass es integriert werden kann. Dann passiert auch das Freisetzen von Energie von ganz alleine. Wie so oft bei Trauma liegt die Antwort darin, zu umarmen und zu integrieren, nicht darin etwas los zu werden.
Die Suche noch einer schnellen ‘Reparatur’ bringt uns nur in Gefahr. Das Nervensystem zu heilen ist ein langfristiger Prozess. Es gibt da keine Abkürzungen.
Meine belesene Meinung:
TRE kann Menschen helfen, die ein einzelnes Schock-Trauma erlebt haben und sonst sicher aufgewachsen sind oder die eine akute sympathische Stressreaktion zeigen. Die meisten Leser dieses Blogs haben eine völlig andere Erfahrung von chronischem Trauma und leben in einem chronischen, funktionalen Shutdown Zustand. Weil ich nicht will, dass ihr euch weh tut, empfehle ich sehr klar, die Finger von TRE zu lassen und euch statt dessen nach richtiger, langfristiger (Körper)Therapie umzuschauen.
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Birke says
Danke für diesen Artikel… Danke für das Benennen von TRE als “Methode” auf deinem Blog. Ich kann alles unterschreiben, was du geschrieben hast und möchte dennoch meine Erfahrungen dazu schreiben: Trotz komplexer Traumatisierungen mag ich TRE und habe sehr gute Erfahrungen damit. Wenn ich es mache, was nicht oft vorkommt, vielleicht eins zwei dreimal im Jahr, dann mache ich immer nur eine Übung, nicht einen ganzen Ablauf, sondern nur die, wo Mensch auf dem Rücken liegt und die Knie sich aufeinander zu bewegen… Ich habe bevor ich es tat, viel zu dem Thema gelesen (nie einen Workshop oder Coach besucht) und dann hat es mich soo angenervt, dass überall diese Vorsicht geboten war, und bei mir war es so, dass es mir jeweils, wenn ich es machte, es mir schon sooo schlecht ging, dass ich dachte, es kann nicht schlimmer werden… und jedesmal war ich hinterher viel entspannter als vorher. Aber ja, ich kann mich auch in der Gegenwart halten und wenn es in Richtung Wiedererleben geht, gut wieder orientieren. Ich denke diese Fähigkeit ist wichtig, doch wer das kann… dem sage ich gerne: Probier es aus. Beim ersten Mal fand ich es voll unheimlich, wenn die Beine auf einmal zitterten, doch mein Körper konnte dadurch wirklich Spannung loslassen. Ich sprach danach mit meiner (Trauma-)Therapeutin drüber, die selbst zugab, es auch ausprobiert zu haben, als es “neu” war und sie meinte, ich solle mich nicht dran gewöhnen, weil es sonst für den Körper ein ähnlicher “Kick” sei wie eine Droge, doch punktuell kann sie es schon befürworten, weil es eben wirklich etwas in Bewegung bringt… und Spannung entlädt… also: Bei aller Vorsicht… und mit der Fähigkeit sich im Falle eines nahenden Flashbacks orientieren zu können, möchte ich auch Mut machen… mir tut es gut. Trotz komplexer Traumatisierung. LG, Birke
Anita says
CN Gewalt, Missbrauch, persönliche Erfahrungen, Polizei, Vernachlässigung
Hallo Theresa,
erst einmal so vielen Dank für einen der wenigen Artikeln, der sich kritisch und fachlich mit dem Thema TRE auseinandersetzt. Ich habe jetzt fast die erste Google Ergebnisseite durchforstet, viele Blogartikel gelesen und Videos geschaut.
Ich gebe Dir vollkommen recht: TRE ist weit mehr als eine einfache Entspannungsmethode für stressgeplagte Menschen. Ich habe eine komplexe Traumatisierung, meine Mutter hat mich von Geburt an mit Gewalt behandelt, entsprechend tief im Stammhirn sind die Erlebnisse abgespeichert. Ich habe therapeutisch schon einiges erlebt, insbesondere viel Körpertherapie, Yoga und bin sehr erfahren mit Achtsamkeit und Meditation. Trotzdem habe ich von einer grossartigen TRE Therapeutin als erstes gelernt, das Zittern zu stoppen und wieder zu beginnen, mich selbst vorsichtig ranzutasten und auch immer wieder rauszugehen. Ich mache es auch für mich alleine, vor allem dann, wenn es mir so schlecht geht, dass ich denke es ist eh schon alles egal und da hilft es mir.
Aber: jedes Mal entstehen auch Bilder aus meiner Kindheit, also geht die Methode so tief, dass abgespaltene Erinnerungen / Erlebnisse an die Oberfläche kommen. Ich habe das Gefühl es gut kontrollieren zu können, aber ich habe gleichzeitig einen Heidenrespekt vor dem was es auslösen kann.
2. Aber: Wäre ich vor ca. 10 Jahren an diese Methode gekommen, wäre ich niemals so achtsam mit mir umgegangen. Nach anfänglicher Therapie und als mir das gesamte, verdrängte Ausmass meiner Kindheit langsam bewusst wurde, wollte ich einfach nur schnell heil werden, die schrecklichen Erlebnisse loswerden und die Traumafolgen natürlich auch. Damals hätte ich mir mit der Methode sehr sicher selbst geschadet. Ich hoffe sehr, dass noch viele Menschen den Weg der Heilung einschlagen und das Wort Trauma nicht nur auf Polizei, Militär, Krieg und Naturkatastropen etc. angewandt wird. Es passiert jeden Tag unfassbare Gewalt an kleinen Kindern, die Auswirkungen auf ein sehr formbares und ungeschützes Nervensystem sind überhaupt nicht abzusehen. Bis heute höre ich von Müttern Sätze wie: “Er muss lernen sich selbst zu beruhigen.” (Sohn, 2 Monate, wird schreien gelassen und weit weg vom Elternschlafzimmer in sein Bettchen im Kinderzimmer gelegt.) Wenn wir Frieden wollen, müssen wir alle arg umdenken.
Ich hoffe ich finde noch ein paar mehr Erfahrungsberichte zum Thema TRE und komplexe Traumatisierung. Dir vielen Dank mit der tieferen Auseinandersetzung! So wertvoll und so selten!
Steffi says
Danke für diesen Artikel, der meine eigene Erfahrung total bestätigt. Man liest ja stets nur äußerst positive Sachen über TRE und ich habe schon an mir gezweifelt, weil sich mein Empfinden anders darstellt. Ich habe eine kPTBS und zuerst, also die ersten Male, hat das Zittern eine Erleichterung gebracht . Ich habe mich weniger angespannt gefühlt und war ziemlich begeistert. Irgendwann kam der Wendepunkt. Ich hatte während des Zitterns Flashbacks, ich war danach tagelang total dysreguliert und neben mir. Eindeutig schlechter als vorher ging es mir. Der erste Impuls war, noch mehr TRE zu machen, weil es am Anfang ja so gut und wohltuend war. Aber nein, das war natürlich falsch und hat alles noch schlimmer gemacht. Ich habe mittlerweile einen Heidenrespekt vor dieser Methode. Nachdem ich nach einigen Monaten wieder einigermaßen stabil war, habe ich es noch einige Male kurz ausprobiert und hatte wieder die selben unangenehmen Folgen. Also ich werde komplett Abstand davon nehmen. Scheint nicht für jeden was zu sein…