Unsere Aufmerksamkeit ist ein Grundwerkzeug in der Therapie und gleichzeitig ein Bereich, der vielen Schwierigkeiten bereitet. Manchmal wird unsere Aufmerksamkeit zu eng. Das begrenzt unser Bewusst-Sein auf diesen Bereich unseres Erlebens, der leidvoll oder problematisch ist. So sind wir unfähig, all die anderen Dinge zu bemerken, die gerade vor sich gehen, auch, dass die Welt heute anders ist und wir in Sicherheit sind.
Manchmal nutzen wir unsere Aufmerksamkeit aber auch, um vor ungemütlichen Erfahrungen abzuhauen. Statt zu bemerken, wie das so ist, was bei uns los ist, vermeiden wir den Fokus und lassen unsere Aufmerksamkeit woanders hin wandern. Um zu heilen brauchen wir die Fähigkeit bei unseren Erfahrungen zu bleiben, auch wenn die unangenehm sind, deswegen ist es wichtig, sanft zu üben, unsere Aufmerksamkeit nicht einfach ganz über Bord zu werfen und zu dissoziieren. So können wir Stresstoleranz für unsere inneren Erfahrungen aufbauen. Es braucht beide Sorten von Aufmerksamkeit, nur zur richtigen Zeit.
Offene Aufmerksamkeit
Das erste, was wir üben können, ist offene Aufmerksamkeit. Das bedeutet einfach präsent zu sein und alles aufzunehmen und zu bemerken, was wir fühlen können. Wenn es völlig neu für euch ist, mit der Aufmerksamkeit zu üben, könnt ihr damit beginnen zu bemerken, was ihr hört, seht, riecht etc um erst mal Grounding zu schaffen, aber das Ziel dieser Übung ist dann schon die Aufmerksamkeit nach innen zu richten, um zu bemerken was innerhalb unseres Körpers so vor sich geht. Übt das erst mal nur, wenn ihr euch neutral oder gut fühlt.
Beurteilt nichts, nehmt nur wahr. Haltet euer Bewusstsein dabei möglichst breit ohne näher an eine Erfahrung ran zu gehen und lasst die Aufmerksamkeit in diesem inneren Bereich eures Erlebens frei laufen. Ihr merkt vielleicht euren Atem, den Zustand eurer Muskeln, wo es zieht oder weh tut, verschiedene Wahrnehmungen von Enge und Weite, wo im Körper ihr Stress oder Entspannung spürt oder verschiedene Emotionen, Gedanken oder innere Stimmen usw. Wenn eure Aufmerksamkeit sich auf einen Aspekt mehr konzentriert, lasst sie sanft wieder raus zoomen und alles andere wieder mit wahrnehmen. Achtet darauf, sowas wie einen Panorama Blick beizubehalten; all diese Dinge sind gleichzeitig auch da. Es ist echt viel los. Menschen, die mit chronischer Dissoziation leben, müssen diese Übung titrieren.
Wir üben offene Aufmerksamkeit, wenn wir bemerken, wie unser Bewusstseinsfeld sehr eng wird. So können wir wahrnehmen, was sonst noch alles da ist. Das gibt unserem Bewusstsein einen Ort, wo es sein kann, wenn ein Detail von Erfahrung uns zu schwierig wird. Wir müssen nicht all unser Bewusstsein zurück lassen und dissoziieren. Wenn fokussiert sein zu viel ist, können wir raus zoomen, unsere Aufmerksamkeit öffnen und unsere anderen Erfahrungen mehr mit rein nehmen, die auch noch da sind. Ich finde das besonders hilfreich, wenn es darum geht, die Phobie vor dem Erleben von inneren Anteilen bei dissoziativen Störungen zu überwinden. Wenn das Bewusstsein von Anteilen zu viel wird, können wir raus zoomen und uns in unserem Körper erden, statt das mit dem Bewusstsein gleich völlig sein zu lassen.
Offene Aufmerksamkeit erdet uns in der Gegenwart und ist dabei oft besser als Achtsamkeit, worunter meist eine Form von fokussierter Aufmerksamkeit verstanden wird. Die Fertigkeit mit offener Aufmerksamkeit bei unserer Erfahrung zu bleiben, ist eine Grundlage für Emotionsregulation und Integration.
Fokussierte Aufmerksamkeit
Fokussierte Aufmerksamkeit nutzen wir bei der Meditation und der Achtsamkeit. Unser Bewusstsein ist dabei mutwillig etwas eingeschränkt, um einen bestimmten Teil unseres Erlebens näher zu untersuchen. Das wird benötigt, um tiefe Gefühle und Erfahrungen zu prozessieren, obwohl wir einen Verstand haben, der sowas lieber vermeidet und gerne woanders wäre. Deswegen braucht das Dranbleiben bei fokussierter Aufmerksamkeit auch Training.
Wir würden diese Übung nutzen, wenn wir innerlich Chaos erleben, wir überall sind, nur nicht wo wir gedanklich sein sollten oder uns von unserem inneren Erleben abgeschnitten fühlen. Zum Üben können wir uns auf einen Bereich vom Körper, den Atem, eine Emotion, ein inneres Bild oder einen Gedanken fokussieren. Nehmt zum üben nichts mit Trauma Bezug, wartet damit auf eine Therapiestunde, die richtig vorbereitet ist.
Konzentriert euch auf den Teil des Erlebens, den ihr ausgesucht habt und bleibt da. Fokussiert euch noch etwas mehr und haltet das. Bemerkt, wie das Erleben sich vielleicht verändert, währen ihr es beachtet und lasst das zu. Wenn das langweilig ist oder ihr den Drang zu Vermeidung spürt, bleibt noch ein wenig länger. Nur bei starker Dysregulation bitte abbrechen und erden. Nach einer Weile weitet sich die Aufmerksamkeit ganz natürlich von alleine und das könnt ihr einfach sanft erlauben.
Natürliche Emotionsregulation nutzt diese Art der Aufmerksamkeit, um den Veränderungen in der Qualität und Intensität von Emotionen zu folgen (bald mehr dazu). Irgendwann wird das auch beim Prozessieren von Trauma wichtig.
Übergänge mit unserer Aufmerksamkeit
Unsere Aufmerksamkeit bewegt sich ganz natürlich zwischen offen und fokussiert hin und her. Diese Dynamik geht uns verloren, wenn wir gestresst oder getriggert sind oder außerhalb unseres Stresstoleranzfensters. Dann bleibt unser Fokus stecken und wir verlieren unser Grounding. Indem wir Pendulation mit unserer Aufmerksamkeit nutzen, fördern wir Regulation. Das klappt für die Stressregulation genauso wie für die Emotionsregulation. Wir brauchen allerdings ein Mindestmaß an Fähigkeit aufmerksam zu sein, das heißt mit sehr hohem Hyper/Hypoarousal brauchen wir vielleicht erst mal deutlichere Körper-bezogene Interventionen. Achtet drauf, offene und fokussierte Aufmerksamkeit erst mal getrennt so zu üben bevor ihr das hier probiert.
Beginnt mit offener Aufmerksamkeit und nehmt so viel von dem auf, was ihr erlebt, wie ihr könnt. Dann bewegt eure Aufmerksamkeit zu einem Bereich, den ihr gerne mehr erforschen würdet. Wie ist es da? Bleibt da ein oder zwei Atemzüge dran bevor ihr wieder raus zoomt.
Was ist sonst noch alles da? Bemerkt, wie alles mögliche in eurem Körper vor sich geht und bleibt da für ein oder zwei Atemzuge dran.
Kehrt dann zurück zu dem Bereich von vorhin, fokussiert euch noch etwas intensiver darauf. Nehmt ein oder zwei Atemzüge bevor ihr wieder raus zoomt.
Nach eine Weile kann es sich anfühlen, als wäre da ein Ort zwischen diesen beiden Aufmerksamkeiten, ein Moment von Ruhe bevor es weiter geht. Falls ihr das spüren könnt, schaut ob ihr da kurz dabei bleiben könnt, bevor ihr weiter schwingt.
Die Übung geht maximal 5 Minuten. Nach einer Weile werdet ihr merken, dass die Übergänge einfacher und fließender werden. Ihr werdet auch ganz natürlich langsamer, bis die Aufmerksamkeit gar nicht mehr so sehr schwingen möchte. Ihr könnt das sanft passieren lassen und einen Moment von Ruhe finden. Bemerkt, wie eure Anspannung oder euer emotionaler Zustand sich verändert hat.
Wenn ihr euch fürs Prozessieren von Trauma mit EMDR entscheidet und das ordentlich gemacht wird, werdet ihr diese Übergänge dort wiedererkennen zwischen dem Fokus während des Expositions-Intervalls und der offenen Aufmerksamkeit während der Re-Orientierung und dem Pausen-Intervall. Es kann einfacher sein, aus der Trauma Szene auszusteigen, wenn wir diese innere Bewegung schon mal geübt haben. Das macht das Prozessieren sicherer.
Die Fähigkeit unsere Aufmerksamkeit so zu lenken ist eine Bedingung für die Körperarbeit und dort lernt man diese Technik auch am ehesten. In der Traumatherapie brauchen wir das ganz genauso, da wird das nur oft übersehen, angenommen wir könnten das schon oder therapeutisch Arbeitende haben ihre eigenen Methoden uns zu helfen, wenn unsere Aufmerksamkeit sonst wo ist oder zu fokussiert. Ich glaube wir sollten trotzdem lernen, das auch für uns selbst zu meistern. Wir können nicht immer darauf warten, dass jemand von außen eine Intervention anbietet. Diese Übergänge zu üben, wird uns in der Therapie sehr helfen und auch unsere Fähigkeit uns zu regulieren verbessern.
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