Wenn man in einer Trauma Familie aufwächst, bedeutet das oft zu lernen, dass Fehler nicht toleriert werden. Bindungspersonen haben vielleicht von uns erwartet, dass wir Dinge immer richtig machen, selbst wenn wir sie gerade zum ersten Mal probieren. Wir haben unsere eigenen Strategien entwickelt, um mit dieser toxischen Atmosphäre zurecht zu kommen, indem wir uns oder unsere Errungenschaften oder Fehler versteckt haben und indem wir versucht haben, so perfekt wie nur möglich zu sein, Möglichkeiten von Fehlern durch strenge Kontrolle zu eliminieren, perfekte Pläne zu machen und eine stabile Performance abzuliefern. Solange wir nicht versagen, sind wir sicher.
Wir können das damit vergleichen, wie früher Konzerne aufgebaut waren. Mitarbeitende werden in einer spezifischen Aufgabe geschult, es wird erwartet, dass sie diese jedes einzelne Mal perfekt ausführen, sie werden regelmäßig bewertet und wenn sie nicht perfekt genug sind, fliegen sie raus. Wie die Hierarchie und der veraltete Führungsstil, die wir uns schon angeschaut haben, ist das eine überholte Herangehensweise und innovative Firmen haben ihre Prozesse dramatisch verändert. Das gesamte Konzept, Fehler zu reduzieren, indem man sehr viel Druck ausübt und meint, die Angst motiviert dann dazu, weniger falsch zu machen, gehört eigentlich in TraumaZeit. Die Nachfrage nach extrem spezialisierten Anteilen, die nur einen Job perfekt erledigen, ist auch nicht mehr da. Wir brauchen heute breiter angelegte Fertigkeiten.
Fehler sind unausweichlich
Egal wie sehr wir versuchen, Dinge zu kontrollieren, diese Kontrolle wird nie perfekt sein. Das Leben passiert einfach und macht uns einen Strich durch die Rechnung. Wir selbst sind jeden Tag etwas anders und unsere Leistung verändert sich entsprechen; unser Bestes sieht jeden Tag anders aus. Es gibt keine Möglichkeit, Fehler völlig auszuschalten. Wir sind keine Roboter. Und selbst Roboter machen Fehler.
Wir müssen uns lösen von der Idee einer stabilen, perfekten Leistung. An einem guten Tag kommen wir da vielleicht nah dran, aber das sind die Ausnahmen. Möglicherweise haben wir uns selbst vorgemacht, dass wir als Kinder doch gelernt haben, alles perfekt und beim ersten Versuch richtig zu machen, was von uns erwartet wurde. Aber wenn wir ehrlich hin schauen, sehen wir, dass wir da jedes mal einen Lernprozess hatten. Wir hatten nur keine Unterstützung, wenn es am Anfang nicht gelungen ist. Wir durften als Kinder nicht in einer sicheren Atmosphäre lernen. Aber es gibt nichts, was wir sofort richtig gut konnten, ohne das üben zu müssen. Wenn wir was Neues ausprobieren, machen wir Fehler. Es gibt kein Leben ohne Fehler und auch kein Lernen. Es ist Zeit, sich von diesem Ziel zu verabschieden. Das alles ist nicht mehr nötig zum überleben.
Mit Fehlern anfreunden
Wo wir Fehler schon nicht los werden können, würde es wohl helfen, uns mit ihnen vertraut zu machen und eine gesunde Beziehung zu ihnen zu entwickeln. Dann bemerken wir zunehmend verschiedene Sorten von Fehlern und können entsprechend mit ihnen umgehen.
Nötige Fehler
Manche Fehler braucht es. Die passieren, wenn wir etwas völlig Neues probieren, es gibt dafür keine Anleitung, vielleicht hat das noch nie jemand vorher gemacht. Wir müssen es ausprobieren, um zu sehen, ob es klappt oder nicht und wenn es nicht klappt, ist das Versagen, aber es ist auch ein großer Schritt dahin, unser Projekt an dem wir arbeiten besser zu verstehen. Wir haben einen neuen Weg gefunden, wie es nicht geht. Das ist etwas, dass moderne Unternehmen feiern. Wir haben etwas gelernt. Statt hirnlos immer das selbe perfekt zu machen, arbeiten wir in Teams und probieren neue Wege. Das Ziel ist zu lernen, nicht Leistung zu erbringen. Neues auszuprobieren bereichert unser Leben und geht immer einher mit neuen Erfahrungen und manche davon sind Versagen. Wenn wir den Lerneffekt von Versagen umarmen, wird es zu einem Erfolg.
Andere Fehler sind ein Zeichen davon, dass wir mitten in einem Lernprozess sind. Wenn wir zB ein neues Instrument lernen, werden wir unsere Finger falsch platzieren, weil wir erst noch lernen, wie wir richtig greifen müssen. Wir merken das in der Regel und korrigieren uns selbst. Übung ist, wie man besser wird. Und sie passiert in allen Lebensbereichen, auch wenn wir gar nicht merken, dass wir gerade was üben. Bemerkt immer wieder, wie oft ein scheinbar blöder Fehler in Wirklichkeit ein Anzeichen ist, dass ihr in etwas besser werdet, was ihr theoretisch schon verstanden habt, aber was ihr praktisch noch üben müsst.
Unvermeidbare Fehler
Dann gibt es Fehler, die passieren, weil wir unaufmerksam waren oder in Gedanken woanders. Wenn wir die hätten vermeiden können, hätten wir das gemacht, weil wir es eigentlich besser wissen und können. Das sind eine Sorte Fehler, die schlimmer wird, wenn wir auch noch Druck auf uns ausüben. Stress hilft der Konzentration nicht. Wir können uns sanft fragen, was wir brauchen, um zu verhindern, den Fehler noch mal zu machen. Oft ist die Antwort eine Pause, kurz den Kopf klar kriegen, Bereichen wie Schmerzmanagement oder inneren Problemen Aufmerksamkeit schenken. Vielleicht hat uns etwas sehr wichtiges abgelenkt. Dann brauchen wir oft etwas Trost, weil wir uns schlimm fühlen wegen so eines Fehlers und wir brauchen Regulation. Es ist leicht sich selbst noch fertig zu machen. Prüft statt dessen, wie ihr euch helfen könnt, euch nach diesem Schreckmoment wieder zu regulieren. Die Lösung sieht oft verdächtig nach Selbstfürsorge aus, aber es ist gut, das trotzdem zu machen. Es geht nicht darum, das zu verdienen. Nur darum, euch zu regulieren. Gute Regulation verhindert noch mehr solche Fehler.
Oft sind wir nicht der einzige Faktor in einer Situation, die zu Versagen führt. Es ist immer gut zu schauen ob es vielleicht gar nicht unsere Schuld war oder nicht alleine unsere. Wir können nicht die ganze Welt kontrollieren und egal wie gut wir vorbereitet sind, manches klappt einfach nicht. Wir landen in Situationen, die deutlich anders aussehen, als wir das erwartet hatten und alles was wir tun können, ist das Beste daraus zu machen. Das wird anders aussehen, als wir das wollten. Dann können wir uns feiern dafür, wie flexibel wir uns anpassen konnten. Indem wir nicht an unmöglichen Zielen festhalten, können wir immer noch annehmbare Resultate bekommen. Im Gegensatz zu Situationen während TraumaZeit, ist es nicht das Ende der Welt, wenn sowas passiert. Es mag nicht ideal sein, aber es ist nicht gefährlich. Es fühlt sich meist unangenehm an, aber es tut selten weh oder bedroht unser Leben. Je mehr wir realisieren, dass niemand hinter uns her ist, weil wir jetzt erwachsen und sicher sind, desto leichter wird es Alternativen zu finden, um Situationen zu meisten und sie so zu retten und das meiste dabei raus zu holen.
Kontext
Wir haben eine natürliche Tendenz, unsere Aufmerksamkeit zu verengen, wenn wir gestresst sind und plötzlich besteht unsere ganze Welt nur noch aus diesem einen Fehler. Wir ertrinken dann in diesen Gefühlen, fatalistischen Gedanken und Erwartungen. Der Kontext geht verloren. Wenn wir tief durchatmen und unsere Aufmerksamkeit weg nehmen von dem Fehler, können wir wieder bemerken, was drum herum auch noch passiert und was es da so gibt. Beziehungen zum Beispiel. Vielleicht haben da mehrere Menschen mit zu tun und einige mögen uns vielleicht und wollen uns unterstützen. Dann können wir merken, wie die Angst vor Strafe sich auflöst. In anderen Situationen kann diese Übung, den Kontext wieder mit rein zu holen, uns Perspektive geben und merken lassen, dass der Fehler gar nicht so groß und schlimm ist und sich leicht beheben lässt. Da passiert ein ganzes Leben außen rum und dieses Versagen ist nur ein winziger Aspekt. Trauma lässt sowas überproportional groß erscheinen und der Kontext schrumpft es wieder auf die richtige Größe. (Mehr zu Realitäts-Checks)
Selbst-Eliminierung beenden
Neben dem Versuch, alles zu kontrollieren und zu optimieren, versuchen wir vielleicht auch Fehler zu eliminieren, indem wir uns selbst aus der Situation ausradieren. Schließlich sind wir selbst der größte Fehler im Raum (oder vielleicht bin das nur ich). Dann versuchen wir möglicherweise unsichtbar zu werden. Niemand soll uns bemerken. Wir arbeiten einfach vor uns hin und solange das Ergebnis gut genug ist/wir keine Fehler machen, ziehen wir keine Aufmerksamkeit auf uns. Es ist richtig stressig so zu leben und andere Menschen fragen sich, was bei uns denn kaputt ist. Wir versuchen nicht anwesend oder spürbar zu sein, aber andere irritiert das nur und wir kriegen negative Aufmerksamkeit.
Vielleicht hilft es, dann noch mal zurück zu kommen zu dem Gedanken des modernen Unternehmens, wo Teamarbeit geschätzt wird. Jeder hat etwas beizutragen. Das sind nicht alles Fehler. Viel davon sind coole Ideen, einzigartige Perspektiven und eine echte Persönlichkeit, die Menschen mögen können. Wenn wir uns zurück halten, weil wir zu viel Angst haben, dass wer wir sind alles kaputt macht, berauben wir die Gruppe um uns herum um eine wertvolle Begegnung. Nicht aufzutauchen ist der größere Fehler, als einfach mit menschlichen Fehlern da zu sein.
Es ist ok in kleinen Schritten zu üben und sich einfach nur zu fragen: wenn ich jetzt gerade mal nicht versuchen würde, mich selbst aus dieser Situation auszuradieren, was würde ich tun? Übt das zu Hause oder in sicheren Situationen. Das nimmt den Fokus weg davon, zu kontrollieren oder zu optimieren. Es lädt dazu ein, präsent zu sein. Wir können uns einen Moment nehmen, um wahrhaftig zu sein, statt nur eine perfekte Performance zu liefern. Kein Druck effizient zu sein. Einfach Du sein, ist mehr als genug. Bemerkt, wie es sich anfühlt, wenn ihr euch ein bisschen entfaltet, statt euch klein zu machen, damit nur eure gute Arbeit sichtbar ist. Da sein ist alles, was viele Situationen von uns verlangen. Es geht darum, jemand zu sein und als dieser jemand etwas beizutragen.
Das sind persönliche Gedanken in Anlehnung an Amy Edmondsons Buch ‘Teaming’ und wir sind selbst noch sehr dabei, das zu lernen und zu üben. Ich lass es euch wissen, wenn wir mehr dazu sagen können.
Emma says
Es ist immer wieder so bereichernd für mich, Deine Texte zu lesen. Oft drückst Du so treffend aus, was mich innerlich beschäftigt. Dieser Text ebenfalls. Ich habe in den letzten 20 Jahren Therapie so viel gelernt, helfe inzwischen sogar beruflich anderen Betroffenen und doch ist der Punkt “Perfektionismus ” noch immer ein sehr wunder. Fehler machen andere, die dürfen das auch, aber NICHT ICH. Ich werde üben, mich mehr auf den LERNEFFEKT und weniger auf das Versagen zu fokussieren.
Dankeschön!
Jerle says
Danke für die immer wieder wertvollen Impulse!
Was ich schön finde:
Wenn man das Wort “Fehler” anders zusammen setzt (Anagram), dann kommt auch das Wort “Helfer” heraus 🙂
Alles Liebe,
Jerle