Der Begriff ‘Blending’ (in der deutschen DIS Literatur manchmal ‘Überblenden’ genannt) beschreibt ein zeitlich begrenztes Erleben, bei dem die dissoziativen Barrieren nicht so stark sind wie sonst und das innere Erleben von einem Anteil sich überlappt mit dem Bewusstsein eines anderen. Es fühlt sich nicht wie eine Intrusion eines für uns fremden, anderen Anteils an. Für eine begrenzte Zeit wird es zu unserem eigenen Erleben. Blending ist in sich nicht problematisch, wenn es zum richtigen Zeitpunkt im Therapieprozess stattfindet. Das ist für späte Phasen gedacht, wo wir an einem integrierten Leben arbeiten und vielleicht sogar an Fusion. Während der Stabilisierungsphase ist es im Weg. Wir sind nicht auf die Intensität und die Qualität von Gefühlen vorbereitet, die andere Anteile in sich tragen und unsere Fähigkeit, ihnen zu helfen, ist deutlich eingeschränkt, wenn wir mit ihnen zusammen in der selben Erfahrung feststecken. Wenn ich in diesem Artikel über ‘Blending’ spreche, dann meine ich immer zu frühes Vermischen der Grenzen zwischen Anteilen, bei dem keine Integration des Erlebens passiert.
Dieses wenig hilfreiche Blending kommt bei kPTSB häufig vor und man kann emotionale Flashbacks als eine Art Blending mit einem Trauma Fragment verstehen. Deswegen konzentriert sich unser persönliches Werkzeug für emotionale Flashbacks auf Anteile.Die Grenzen zwischen kPTBS mit ausgeprägteren Selbstanteilen und pDIS sind nicht immer so eindeutig. Menschen mit DIS und starken dissoziativen Barrieren finden wahrscheinlich keinen Nutzen in einem ‘Unblending’ Werkzeug, weil ihnen das nicht passiert. Sie kommen trotz aller Anstrengung kaum in Kontakt mit anderen Anteilen und spüren sie schon gar nicht durch die dissoziativen Barrieren hindurch. Zu lernen, wie wir uns von Anteilen lösen können, die uns gerade überrollen, kann später in der Therapie noch wertvoll werden. Ich möchte nur, dass ihr wisst, dass es normal ist, über kPTBS Literatur frustriert zu sein, die zwar über ‘Anteile’ spricht, dann aber über Dinge, die überhaupt nicht zu unserem Erlebensspektrum dazu gehören. Das ist für schwächere Barrieren gedacht, wo es vor der Zeit und aus Versehen zu Blending kommen kann.
Janina Fisher beschreibt in ihrem Buch ‘Die Arbeit mit Selbstanteilen in der Traumatherapie‘ ausführlich, wie sie Unblending versteht. Ich empfehle das Buch oft für kPTBS und finde es persönlich für meine DIS unbefriedigend. Ich erkläre euch deswegen, was wir tun, wenn es zu unerwünschtem Blending kommt. Wir benutzen nicht die gleiche Definition wie Fisher, sonder die gängige Definition bei DIS.
Bemerken, was passiert
Manchmal ist es leicht zu bemerken, wenn das innere Erleben eines Anteils sich mit unserem vermischt, weil wir pseudo-psychotische Symptome haben. Ihre Realität überlappt so mit unserer, dass wir mit unseren Sinnen Halluzinationen haben, die einen klaren Bezug zum Trauma oder der Vergangenheit haben. Mit den Sinnen etwas wahrzunehmen, was gerade nicht passiert, ist ein recht offensichtliches Zeichen von Blending, wenn wir sonst keine Geschichte mit Psychosen haben.
Die Kerneigenschaft von zu frühem Blending ist, dass es Verwirrung auslöst. Da sind zwei Sets von Erleben, die gleichzeitig in unserem Bewusstsein sind. Eines erkennen wir als unser eigenes, das andere fühlt sich wie mehr an als die gängigen Intrusionen. Es befindet sich innerhalb unseres eigenen Erlebensbereichs, aber es macht in der aktuellen Realität keinen Sinn. Es passt weder zu unserer Interpretation der Situation noch ist es für uns charakteristisches Erleben. Außerdem steht es im Konflikt mit unserem eigenen Set von Erleben und man fühlt sich, als würde man verrückt werden. Ein Überlappen von Emotionen ist wohl die häufigste Erfahrung. Vielleicht bemerken wir auch Schleifen von Trauma-nahen Überzeugungen und Gedanken, Impulse und Verhaltensweisen oder ein seltsam verschobenes Körper- oder Zeitgefühl. Grounding bringt keine Erleichterung, Regulation dauert nicht an.
Den Anteil identifizieren
In der Regel schaue ich nach Innen, um zu sehen, wer da ist. Für mich zeigt sich das oft als ein Anteil, der sich an mich klammert, als würde deren Überleben davon abhängen. Vielleicht erkennt ihr das Muster von innerem Erleben von einem Anteil wieder und versteht so, wer sich da mit euch vermischt. Man kann den Verstand immer darum bitten, uns das auf irgendeine Weise zu zeigen. Und es ist auch in Ordnung, sich einfach bewusst eine bildliche Vorstellung zu erschaffen, mit der wir arbeiten können. Die muss nicht aus dem Nichts auftauchen.
Anerkennen und Verschieben
Es hilft, wenn der Anteil realisiert, dass wir sie bemerkt haben und ihnen Aufmerksamkeit schenken. Sie brauchen Aufmerksamkeit. Ich erkläre meistens, dass ich sie sehen und spüren kann und dass es mein Ziel ist, ihnen zu helfen, damit sie sich besser fühlen. Um das tun zu können, brauche ich ein bisschen Platz, um mich zu bewegen. Es ist schwer, ihnen in die Augen zu sehen, wenn sie so nah sind, dass ihr Gesicht bildlich gesehen schon mitten in der Substanz meines Selbsts drin steckt. Es kann richtig schwierig sein, sie etwas von uns weg zu bewegen, weil es sich für sie anfühlen kann, als würden sie aufhören zu existieren, wenn sie los lassen. Deswegen hole ich hier Innere Helferfiguren dazu. Wir stellen uns jemanden oder etwas vor, wo sie sich stattdessen festhalten können. Ich habe gute Erfolge mit fürsorglichen Figuren oder weichen Haustieren. Der Anteil muss nicht aufhören, sich an etwas festzuklammern, wenn festklammern dabei hilft, sich sicher zu fühlen. Wir verschieben sie nur für einen Moment zu jemand anderem dafür.
Sammeln und zurückkommen
Das sollte uns einen Moment zum Durchatmen geben, wo wir unsere Grounding Fertigkeiten anwenden, Ressourcen nutzen und uns etwas erholen. Wenn wir spüren, dass es ok ist, kehren wir zu dem Anteil zurück. Ich benutze gerne das Bild einer Rettungsdecke, etwas mit isolierender Wirkung, um den Anteil darin einzuwickeln. Das stellt eine zusätzliche Barriere her, die die Grenze zwischen uns verstärkt. So kann ich sie sicher auf den Arm nehmen, ohne dass sich sofort wieder was am Erleben vermischt. Dann spreche ich beruhigende Worte, halte sie so, dass sie mich gut sehen können und erforsche sanft, was sie brauchen und wie ich helfen kann.
Sicherer Ort
Wir helfen, so gut wir können und dann versuchen wir, den Anteil an einem sicheren Ort zur Ruhe kommen zu lassen. Manchmal ist das ihr eigener Raum, ein Ort, wo sie mit der Helferfigur bleiben können oder wo andere Anteile in der Nähe sind. Meine Erfahrung ist, dass es oft die beruhigendste Option ist, wenn sie weiter meine Gegenwart spüren können. Ich schaffe dann innen einen weichen Schlafplatz, der nah genug ist, um mich zu bemerken, aber weit genug weg ist, damit ich keine Störungen mehr erlebe, wenn ich mit meinen Aufgaben weiter mache.
Blending oder auch co-präsent zu sein führt auch mit erwachsenen Anteilen zu Verwirrung darüber, wer wir sind und zu ganz grundsätzlicher Verwirrung, aber es ist meist nicht so intensiv und einschränkend wie eine Vermischung mit Trauma Anteilen. Bei Blending mit Erwachsenen Anteilen kann ich einfach sagen, dass wir wahrscheinlich ein paar Schritte voneinander weggehen sollten, um uns nicht gegenseitig in die Quere zu kommen.
Verschiedene Therapie Techniken haben dafür ähnliche Übungen. Diese klappt für uns. Der Grundgedanke ist immer, zuerst eine Distanz zu schaffen, ohne den Anteil zu verschrecken, uns zu sammeln und dann zurück zu kommen, um zu helfen. Ihr könnt das Konzept an eure Anteile und die Art, wie ihr miteinander arbeitet, anpassen. Zusätzliche Helferfiguren und eine Isolationsschicht sind keine gängigen Bestandteile von etablierten Techniken für ‘Unblending’, wir finden das aber sehr nützlich.
Wir schreiben eine kleine Serie zur Arbeit mit dissoziativen Barrieren über den Therapieverlauf hinweg. ‘Unblending’ ist eins der frühesten Werkzeuge, die wir vielleicht brauchen. Wir schauen uns auch an, wie man über dissoziative Barrieren hinweg etwas Teilen kann und wie man später in der Therapie Blending bewusst anwenden kann.