Als gläubige Christin besorgt es mich manchmal, wenn ich sehe, wie andere Christen, und sogar einzelne Therapeuten, Trauma-Überlebende dazu drängen zu vergeben. Gleichzeitig glaube ich, dass Vergebung wichtig ist.
Auch wenn ich glaube, dass Vergebung eine Entsscheidung ist, wäre das zu kurz gedacht. Man ist versucht die Worte zu sprechen und dann weiterhin das eigene innere Erleben zu vermeiden. Worte alleine werden die tiefen Wunden traumatischer Verletzungen nicht heilen und der innere Konflikt von Schmerz, Sünde, Schuld und Gerechtigkeit wird nicht gelöst.
Der Prozess der Vergebung muss so tief gehen wie die Verletzung selbst.
Wir haben 7 Meilensteine auf unserem Weg der Vergebung gefunden
- anerkennen und akzeptieren, dass „es“ wirklich passiert ist
- anerkennen und verstehen, dass es falsch war
- anerkennen und annehmen, dass es nicht deine Schuld war, sondern die eines anderen
- die vollen Konsequenzen verstehen und annehmen, die das auf dein Leben hat und hatte
- deinen eigenen Schmerz darin annehmen und benennen
- alle Wünsche auf Wiedergutmachung oder Buße der anderen Person los lassen
- das eigene Recht aufgeben die Ungerechtigkeit durch eigene Ungerechtigkeit auszugleichen. Das ist die eigentliche Entscheidung der Vergebung. Wenn du gläubig bist, kannst du dieses Recht vielleicht einem Gott übergeben, der Gerechtigkeit ist.
Wenn du diese Schritte liest, fällt dir vielleicht auf, dass schon der erste davon riesig ist, Angst macht und unerträglich scheinen kann. Lass dich von niemandem dazu drängen einen “Schritt 7 zu sagen” wenn du nicht einmal bereit bist über Schritt 1 nachzudenken.
Jeder einzelne dieser Schritte ist ein Meilenstein von Heilung. Es ist ein Weg in die Freiheit. Ich möchte dich einladen ihn zu gehen und dabei keine Abkürzungen zu nehmen. Dazu gehören Schmerz, Leid, tiefe Gefühle und harte Entscheidungen. Es ist ein Weg, der dich verändern wird, größere Tiefe in dir bewirkt, und neuen Raum für Gnade, zu aller erst für dich selbst. Es besteht die Möglichkeit, dass du weit über dich hinaus wächst dahei. Du solltest wissen, dass es wichtiger ist wer du durch diesen Prozess wirst, als dass du ihn besonders schnell hinter dich bringst. Wahre Schönheit entspringt wo dieser Weg vollständig bis zum Ende gegangen wird.
Vergib! Aber überstürze es nicht und gehe alle notwendigen Schritte auf deinem Weg.
[Beachte: Das alles hat nichts damit zu tun Missbrauch anzuzeigen. Diejenigen, die das Gesetz brechen, müssen sich dem Gesetz gegenüber verantworten und gerichtet werden. Es ist nur so, dass keine Strafe der Welt dir mit deinem eigenen, inneres Bedürfnis Ungerechtigkeit auszugleichen weiter helfen kann. Du musst das für dich selbst lösen.]
Sarah says
Was ist, wenn man “es” beim 1.Meilenstein nicht (genau) benennen kann? Was ist, wenn man vielleicht gar nicht weiß, was genau passiert ist? Wenn man sich gar nicht erinnern kann oder es zu schwer fällt überhaupt etwas benennen zu können?
Theresa says
Ich würde mir keinen Druck machen. Das ist ja nur schematisch aufgezeigt, wie so ein Verlauf grob aussieht. Das entspricht der natürlichen Entwicklung, die man auch in Therapie (über Jahre) durch gehen würde. Ich halte es an so einer Stelle für viel wichtiger, da die richtige Begleitung zu haben und sich dem vorsichtig anzunähern, als sich den Kopf über Vergebung zerbrechen. Wenn es diffus bleiben sollte, kann man auch damit weiter gehen und sagen ‘ich weiß, dass da was gewesen sein muss’. Man kann auch Schritte gehen ohne die Details zu kennen. Meiner Erfahrung nach bleibt man eher stecken, wenn man sich zu sehr auf irgendwas versteift wie es denn sein müsste. Die Meilensteine müssen bei dir gar nicht passen oder in dieser Reihenfolge passieren.