Verleugnung und Zweifel ist so ein verbreitetes Problem bei struktureller Dissoziation, dass manche sagen, es sollte mit zu den Diagnosekriterien gehören.
Die Definition von Verleugnung beinhaltet eine Weigerung die Wahrheit oder die Realität von etwas zuzugeben, die Ablehnung etwas zu erkennen oder anzuerkennen; ein Aberkennen, von sich weisen oder Bestreiten.
Die Psychologie hat ihre eigene Definition von Verleugnung als Abwehrmechanismus, durch den eine Konfrontation mit persönlichen Problemen oder einer Realität vermieden wird. Geschehnisse werden aus dem Bewusstsein verbannt, weil sie zu schwierig oder unangenehm sind, um damit umzugehen.
Verleugnung ist auch in dissoziativen Störungen stärker, wenn wir mehr Stress haben. Wir scheinen einfach nicht die Stresstoleranz zu besitzen, uns einer Realität von extremer Gewalt oder Anteilen zu stellen. Obgleich es hilfreich ist unsere Stresslevel im Auge zu behalten, wenn wir es mit Verleugnung zu tun haben, ist diese Erklärung nicht gut genug, um die schwere dieses Themas zu erklären oder warum es bei struktureller Dissoziation so häufig vorkommt. Wenn wir herausfinden möchten, wie wir mit Verleugnung umgehen können, müssen wir zuerst die Wurzel des Problems verstehen.
Im Herzen von struktureller Dissoziation liegt ein Aberkennen und von uns weisen von Anteilen von uns. Als wir verletzt wurden, haben wir uns vom Schmerz distanziert, uns desidentifiziert mit dem Teil von uns, der diesen Schmerz jetzt trägt, und haben die Verbindung abgebrochen. So mussten wir uns nicht mehr mit einer Realität auseinander setzen, die als Kinder zu schwer für uns war. Wir haben das aus unserem Bewusstsein verbannt. Die Anteile von uns, die mit dem normalen Leben weiter gemacht haben, wurden davor bewahrt, mit der Realität von Misshandlung leben zu müssen. Man könnte sagen, strukturelle Dissoziation ist das extreme Ende von Verleugnung. Wir vermeiden nicht nur kleine Stückchen von Informationen, da ist ein von uns weisen von großen Brocken unserer Geschichte, Erinnerungen, Emotionen, Gedanken, Bedürfnisse und Persönlichkeit.
Nun, da Alltagsanteile getrennt sind von dem Bewusstsein für alles, was mit Trauma zu tun hat, haben sie auch keinen Zugang zu diesen Erinnerungen. Diese Trennung zeigt sich sogar in der Gehirnstruktur. Man geht davon aus, dass ANPs mehr im präfrontalen Kortex ‘wohnen’, wo das logische Denken liegt und EPs ‘leben’ weiter hinten im Gehirn, wo es um Emotion und Überleben geht. Für die ANPs ist es oft nicht möglich, etwas über das Trauma zu wissen, sich bewusst zu sein, dass es auch ihr Trauma ist oder Zugang zu Emotionen zu dem Trauma zu bekommen. Flashbacks sind dann die einzigen Momente, wo sich das real anfühlt, wenn sie später aber noch mal auf die Erinnerung schauen, wirkt das schon wieder abgetrennt und irreal. Manchmal sind da vielleicht auch Flashbacks, wo sie wie auf die Entfernung erleben, wie sie durchdrehen, ohne dabei jemals in Kontakt mit der Erinnerung gekommen zu sein, die das erklären würde.
Es ist völlig normal, das alles rund ums Trauma sich anfühlt, als würde das gar nicht zu uns ANPs gehören. Als wäre es nur ein Traum, nicht real, als hätten wir uns das nur ausgedacht, als würden wir betrügen, wenn wir behaupten, wir hätten ein Trauma oder eine DIS. Gedanken, dass nie etwas passiert ist oder dass wir übertreiben müssen, dass es nie schlimm genug war, um eine DIS zu rechtfertigen, sind völlig normal. Wir können diese Realität noch nicht als die unsere annehmen, wir haben sie abgespalten und der Kontakt zu allem in uns, was für diese Realität steht, ist unterbrochen. Wir haben nicht mal Zugang zu den Gehirn Strukturen, die für diese Information zuständig sind. Das ist, was strukturelle Dissoziation ausmacht. Kein Wunder, dass es sich nicht real anfühlt! Das kann es gar nicht!
Das bedeutet nicht, dass die Realität von Missbrauch und Anteilen nicht existiert. Wir haben sie nur abgespalten und kommen jetzt nicht mehr dran, selbst wenn wir es versuchen. Und es kann uns verrückt machen, wenn wir versuchen etwas zu verstehen, was abgespalten ist und sich deswegen für uns nicht real anfühlen kann.
(TherapeutInnen aufgepasst: genau dieses Gefühl landet in der Übertragung und kann dazu führen, dass eine Diagnose abgelehnt wird, weil es sich nicht stimmig anfühlt.)
Und wie geht man dann mit Zweifeln und Verleugnung um?
Der erste Schritt ist aufzuhören uns solchen Druck zu machen. Hört auf das mit Logik irgendwie lösen zu wollen. Logisches Denken passiert in den Hirnregionen, die abgetrennt sind von der Realität, die wir versuchen zu verstehen. Man kann mit Grübeln keiner Brücke bauen. Wenn wir merken, dass wir in Gedankenkreisen fest stecken und über nichts anderes mehr nachdenken können, als wie das alles nicht echt sein kann, dann ist es Zeit, eine Pause zu machen, uns abzulenken, sensorische Erfahrungen zu suchen und dem Verstand mal eine Pause zu gönnen.
Wenn wir uns so Druck machen, wächst nur der Stress und wenn wir gestresst sind, vergrößert sich die Trennung zu anderen Anteilen oft noch: die dissoziativen Barrieren werden stärker, Kommunikation wird schlechter. Das sind nicht die richtigen Voraussetzungen, um etwas aufzuschlüsseln, was vor unserem Bewusstsein versteckt ist! Wir können Dinge nicht verstehen, die nicht verstanden werden können, nur gespürt und erlebt.
Erst wenn wir aus unserem zwanghaften Denken, dieses Rätsel lösen zu müssen, raus kommen, können wir wieder unsere Neugier aktivieren und uns Richtung achtsamer Beobachtung weiter bewegen. Dann können wir bemerken, was wir gerade erleben können. Vielleicht sind das Emotionen, die jemand von Innen teilt, oder Fetzen von Kommunikation. Es braucht Übung nicht direkt wieder zurück ins Zweifeln zu stolpern, aber wenn wir bemerken, was wir in diesem Moment erleben, gehen die Zweifel von alleine weg. Das ist tatsächlich unsere Erfahrung, und wir sind uns bewusst, dass wir sie haben. Die Frage, wie das möglich ist, ist nicht so wichtig, die führt uns nur zurück zu Versuchen alles im logischen Verstand zu lösen, wo das nicht gelöst werden kann.
Wenn wir in Kontakt sind mit unserem aktuellen Erleben, eröffnet das mit der Zeit mehr Kommunikation und Teilen zwischen Anteilen. Wir können anfangen Brücken zu bauen und uns wieder mit der Realität unserer Vergangenheit zu verbinden, die wir vorher zurückweisen mussten. Wenn wir nah dran bleiben an der gefühlten Realität unseres Erlebens, hält uns das davon ab, in die dissoziierte Logik zu rutschen. Wir brauchen einen Fuß in der Logik, einen Fuß im Erleben, mit Achtsamkeit, um die Balance zu halten und Neugier als Antrieb. So lässt sich Verleugnung überwinden und akzeptieren, was da ist.
Es kann immer wieder Momente geben, wo wir tief in Verleugnung und Zweifel abrutschen, selbst nach Jahren von Therapie. Manchmal haben wir uns geöffnet Dinge zu erfahren, die noch zu groß für uns sind und gehen zurück zur alt bewährten Bewältigungsstrategie, indem wir uns von dieser Realität wieder weiter entfernen. Dann können wir Verleugnung als einen Wegweiser sehen, der uns sagt, dass wir zu schnell gemacht haben oder unser letzter Schritt zu groß war. Eine kleine Pause von der Arbeit mit dem System oder Erinnerungen kann Erleichterung bringen.
Sara vom Innerspace System says
Hey, ich danke euch von ganzem Herzen für diesen Artikel. Ich bin der Host unseres Systems und in letzter Zeit wieder extrem stark am Zweifeln. Euer Artikel hat mir aber geholfen und irgendwie auch Druck weggenommen. Es klingt vielleicht blöd, aber zu wissen, dass es auch einem komplett fremden System so geht, ist irgendwie beruhigend… Denn dann weiss ich, dass die Person, die diese Dinge sagt, es auch wirklich so meint und es nicht einfach sagt, um mich zu beruhigen. Ich hoffe, ich habe das verständlich erklärt…
Und wir waren erst gerade wieder in der Klinik, dieses Mal aber auf einer Traumastation (die sich aber, wie wir leider feststellen musste, absolut gar nicht mit DIS auskennt) und die haben uns vorgeworfen, wir würden unsere DIS nur spielen, mit der Begründung unsere DIS sei zu ausgeprägt und extrem, um echt zu sein. Und auch, dass alle traumatischen Erinnerungen von den EPs erfunden seien. Und noch viel mehr. Dasselbe haben sie bei einem befreundeten System, welches wir dort kennengelernt haben, auch gesagt. Obwohl bei beiden von uns die DIS bereits vorher diagnostiziert wurde. Ich weiss zwar, dass das einfach ist, weil sie einen zu begrenzten Horizont haben, um sich sowas überhaupt vorstellen zu können und dann ironischerweise auch in die Verdrängung kommen, aber es hat meine Zweifel nur noch mehr gefüttert. Und vorallem auch unsere Kinderanteile hat es ebenfalls sehr mitgenommen, da es sie immer sehr verletzt, wenn jemand ihre Existenz verleugnet.
Naja, jedenfalls, danke euch vielmals❤️.
Alles Liebe,
Sara
PS: Tut mir leid für die lange Nachricht, war eigentlich so nicht geplant gewesen… Ich hoffe es stört euch nicht.
Theresa says
Hi Sara,
nein, das stört nicht.
Es tut mir echt leid, dass ihr das durchmachen musstet. Leider kennen sich wirklich viel zu wenige mit DIS aus und es ist schwer einen sicheren Ort zu finden, wo das richtig eingeordnet wird. Damit bist du leider auch nicht alleine 🙁
Mit meinen Zweifeln mach ich’s oft so: was hilft hat recht. Und wenn Teilearbeit hilft und irgendwelche Klinikansätze eben nicht, dann mach ich weiter Teilearbeit, auch wenn ich mir in dem Moment nicht zu 1000% sicher bin mit der DIS.
Charlö says
Einfach nur Danke. Eure Seite ist im Moment mein Anker bzw. Korken in dem Strudel und Chaos in meinem Inneren. Fast jeder Artikel bringt mich zum lächeln und zum weinen weil ich mich so gesehen, verstanden und abgebildet fühle. Gerade dieser Artikel hat so wahnsinnig einen Nerv getroffen, ich bin einfach nur Dankbar. Bitte macht weiter
DoroGod says
OMG, Danke!!!
Ich hatte dieses Jahr 4 Monate in einer Klinik verbracht. Von der Diagnose meiner Therapeutin DIS wollte man dort nichts wissen … es wäre „lediglich“ eine kPTBS. Das mit den Anteilen sei Quatsch und ich solle gefälligst Verantwortung für mein Handeln übernehmen. Seitdem bin ich total durcheinander und immer wieder hin und hergerissen. Plötzlich zweifle ich an ALLEM: ist mir das überhaupt passiert? Bilde ich mir das eventuell alles nur ein? Dabei bräuchte ich nur meine ganzen Symptome anzuschauen und noch nie hat jemand an meiner eigentlichen Geschichte gezweifelt (eben nur an der DIS).
Also manchmal fällt es mir sooooooooooo schwer mir zu vertrauen und ich fühle mich wie im Irrgarten von unterschiedlichen Wahrheiten.
Danke für Deine Erklärung oben. Das hilft ungemein und gibt mir wieder ein bisschen Hoffnung an mich zurück.
Liebe Grüße Doro