In einer missbräuchlichen Familie aufzuwachsen formt die Art, wie wir uns selbst sehen und mit anderen in Verbindung treten. Wir halten die Dynamik in unserer Herkunftsfamilie für ‘normal’, weil wir nie etwas anderes erlebt haben. Dabei sind diese Beziehungen oft bestimmt von einem chronischen Mangel an Grenzen, Kontrolle, Co-Abhängigkeit und Verstrickung.
Grenzen ziehen eine Linie um uns herum. Sie sagen
„Das bin ich
und das ist meine Verantwortung.
Das will ich und das will ich nicht.
Das werde ich tun.“
Wenn diese persönlichen Grenzen immer wieder übertreten werden, während wir aufwachsen, verlieren wir unser Gespür für diese Grenzen.
Ein gesundes Kind entwickelt ein Gefühl von „ich“ und „nicht-ich“. Trauma Familien haben oft nur ein „wir“, wo die Grenzen zwischen den Familienmitgliedern nicht klar definiert sind. Es ist Teil der Familienkultur, dass jeder Verantwortung für die Gefühle und Handlungen des anderen übernimmt und sich dabei loslöst von den eigenen. In dieser Angst-bestimmten Dynamik brauchen Menschen Manipulation, um ihre Bedürfnisse irgendwie befriedigt zu bekommen.
Als Kinder nehmen wir den Erwachsenen vielleicht die Verantwortung ab, beeltern unsere Eltern und ziehen Geschwister groß oder nehmen die Rolle des Ehepartners ein. Später im Leben werden wir keine Ahnung haben, wo Verantwortlichkeiten hin gehören und Dinge auf uns nehmen, die eigentlich zu anderen gehören, und das vielleicht auch mit Liebe verwechseln.
Weil es eine spürbare Trennung von anderen Leuten braucht, um zu wissen, wer wir sind, leidet unsere Persönlichkeitsentwicklung darunter und wir fühlen uns verwirrt und instabil. Es wird schwierig zu sagen was wir mögen und was nicht, möglicherweise ist uns diese Frage nicht einmal in den Sinn gekommen, weil das nie von Bedeutung gewesen ist. Wir können nicht ausdrücken was wir wollen und was nicht, wenn wir unser Selbst nicht wahrnehmen können. All das hinterlässt ein Gefühl von Machtlosigkeit wenn es darum geht unsere Emotionen zu regulieren und unsere Bedürfnisse und unser Leben zu managen.
Ein großer Schritt auf dem Weg in die Freiheit ist deswegen, zu lernen eine Linie zu ziehen zwischen uns und anderen Menschen. Wir müssen definieren wer wir sind und wer wir nicht sind. Es ist unmöglich ein Gefühl für „Ich“ zu haben ohne auch ein Gefühl von „Nicht-Ich“ zu entwickeln.
Handlungen und Konsequenzen
Um Co-Abhängigkeit in unseren zukünftigen Beziehungen zu vermeiden, müssen wir den Unterschied lernen zwischen unseren Handlungen und denen einer anderen Person, zwischen unserer Verantwortung und ihrer, und letztendlich auch zwischen unseren Konsequenzen und deren Konsequenzen. Wir müssen bei uns bleiben indem wir unsere Handlungen wählen und mit unseren Konsequenzen umgehen. Lass andere ihre Entscheidungen treffen und sich mit ihren Konsequenzen rumschlagen. Wenn wir ihnen die Konsequenzen abnehmen, werden sie nie erwachsen.
Bedürfnisse
Mit unseren eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen in Kontakt zu kommen kann trickreich sein, wenn uns beigebracht wurde, dass sie egal sind und ihnen ohnehin nicht begegnet wird. Tatsächlich kann ihnen jetzt begegnet werden, wenn wir uns erlauben sie zu spüren und sie frei in unseren sicheren Beziehungen kommunizieren. Es braucht keine Manipulation mehr, wir können einfach sagen, was wir brauchen. Erwarte nicht, dass andere Gedanken lesen können. Das ist ein Mythos, den man in verstrickten Familien glaubt.
Gefühle
Neben unseren Wünschen und Bedürfnissen müssen wir auch eine Linie ziehen zwischen dem was wir fühlen und was andere Menschen fühlen. Wenn wir nicht in uns selbst geerdet sind, kann es sich so anfühlen, als würden die starken Gefühle anderer uns überfluten und wir nehmen ihre Angst, Wut oder Anspannung wahr, so als wäre das ansteckend. Mit einer festen Grenze können wir uns darauf konzentrieren uns zu regulieren, während wir es anderen überlassen, ihre eigenen Gefühle zu regulieren. Es ist nicht nötig das für sie zu tun, weil sie selbst auch erwachsen und machtvoll sind.
Meinungen und Gedanken
Wir sollten auch lernen unsere eigenen Gedanken, Meinungen und Werte zu entwickeln. Was in unserer Familie wahr und normal gewesen ist, darf in Frage gestellt werden und der Kontakt mit gesünderen Menschen kann uns Alternativen aufzeigen. Die Fähigkeit zu widersprechen ist ein Anzeichen, dass du eine eigenständige Person bist. Uns zu unterwerfen hat uns früher beschützt. Aber das wird in unseren neuen, gesünderen Beziehungen nicht mehr gebraucht. Wir können wählen, was wir über uns und die Welt glauben wollen, was uns wichtig ist und was nicht.
Ressourcen und Körper
Die Grenze zwischen ich und nicht-ich umfasst auch unsere Ressourcen, unser Eigentum und unseren Körper. Es gibt keine angeborene Pflicht dein Geld oder deine Gegenstände mit jemandem zu teilen, und auch nicht dein Bett.Wir werden uns am Anfang schuldig fühlen, wenn wir eine Bitte ablehnen. Wir spüren noch nicht, wo die Grenze hin gehört und eine auszudrücken fühlt sich erst mal irgendwie ‘falsch’ an. Dann müssen wir uns daran erinnern, dass wir der Person nichts vorenthalten, worauf sie ein Anrecht hat. Unser Eigentum gehört uns und es ist unsere Entscheidung, was wir damit tun wollen. Wenn jemand mit Wut auf unser „Nein“ reagiert, ist es ihre Verantwortung ihre Wut zu managen und unsere Verantwortung mit unseren Schuldgefühlen umzugehen.
In manchen Bereichen braucht es, um eine Linie um uns herum zu ziehen, einen Austausch mit anderen Leuten, jemandem, dem wir „Nein“ sagen können. Übe das mit sicheren Personen, die dein Nein respektieren und feiern als ein Zeichen von Freiheit in eurer Beziehung.
Es gibt eine etwas ungewöhnliche Methode um unser Gespür für ich und nicht-ich zu verbessern, die ich empfehlen möchte: miste dein Zuhause mit der Konmari Methode aus.
Das Prinzip dieser Methode ist, dass du alle,s was du hast, in die Hand nimmst, es wahrnimmst und entscheidest ob es dir Freude bereitet oder nicht, indem du auf deine emotionale Reaktion zu dem Gegenstand achtest und auf deine Körpersprache. Wenn deine Schultern einsinken und du kleiner wirst, scheint es dich runter zu ziehen, wenn du lächeln musst und es dich zu erheben scheint, ist es gut für dich.
Wir neigen dazu alle möglichen Sachen in unserem Zuhause zu haben, weil wir keine bewussten Grenzen setzen, was rein darf und was nicht zu uns gehört. Wir können diese Entscheidungen üben und dabei unsere Vorlieben erforschen und was uns missfällt. Wir ziehen eine Linie, die sagt „Ich möchte das – und das nicht“ und „Das drückt aus, wer ich bin – und das gehört nicht zu mir“, „Das macht mich glücklich – und das kann außerhalb der Grenze meiner Wohnung bleiben“. Es ist ein sicherer Ort zum üben, weil wir es nicht mit dem Widerstand einer anderen Person zu tun kriegen – es geht allein um unsere eigenen Grenzen mit unserer Wohnung.
Uns selbst kennen zu lernen und herauszufinden, wo unsere Grenzen sind, ist eine Reise und die Antworten werden sich über die Zeit auch ändern. Uns so zu erforschen kann Spaß machen und hält angenehme Überraschungen bereit. Wir selbst zu werden ist ein ständiges Abenteuer Richtung Freiheit.
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